Titel:
Kein Abzug der Umsatzsteuer bei Wertminderungsersatz
Normenkette:
BGB § 249, § 251
Leitsatz:
Eine Wertminderung nach Unfall ist in vollem Umfang ohne Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsberechtigung zu erstatten. Maßgeblich ist dabei, dass es sich bei der merkantilen Wertminderung nicht um eine Schadensersatzposition im Sinn des § 249 Abs. 2 BGB handelt, sondern um einen Entschädigungsanspruch im Sinn des § 251 BGB. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorsteuerabzug, Wertminderung, Entschädigung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6453
Tenor
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 151,68 Euro sowie Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.12.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 151,68 Euro festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis vom 25.08.2022 auf der S. straße 2305 in Höhe M. im Landkreis A.. Zwischen den Parteien ist eine Haftungsquote von jeweils 50% unstreitig. Streit besteht lediglich über die Höhe der zu erstattenden Wertminderung.
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung von merkantiler Wertminderung in Höhe von weiteren 151,68 Euro.
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1. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Wertminderung in vollem Umfang ohne Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsberechtigung zu erstatten. Maßgeblich ist dabei, dass es sich bei der merkantilen Wertminderung nicht um eine Schadensersatzposition im Sinn des § 249 Abs. 2 BGB handelt, sondern um einen Entschädigungsanspruch im Sinn des § 251 BGB. Der merkantilen Wertminderung liegt zu Grunde, dass das Unfallfahrzeug im reparierten Zustand in technischer Hinsicht im gleichen Zustand ist wie ohne den Unfall, aber aufgrund der Unfallvorgeschichte auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen niedrigeren Preis erzielen würde (AG München Endurteil v. 26.9.2022 – 336 C 1795/22, BeckRS 2022, 35443 Rn. 11-36, beck-online). Hierzu hat der BGH ausgeführt, dass es sich beim merkantilen Minderwert um eine Minderung des Verkaufswerts handelt, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar (BGH, Urteil vom 23.11.2004 – VI ZR 357/03).
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2. Bei einem Schadensersatzanspruch nach § 249 BGB geht es darum, den Zustand herzustellen, der ohne den Unfall bestünde. Die Zahlung der Reparaturkosten dient der Befriedigung von diesem Anspruch. Dagegen hat die Wertminderung einen anderen Zweck. In technischer Hinsicht ist der Zustand des Fahrzeugs nach der Reparatur so, wie er ohne den Unfall wäre. Die Wertminderung dient als Kompensation dafür, dass trotz des technisch gleichwertigen Zustands auf dem Gebrauchtwagenmarkt ein niedrigerer Kaufpreis zu besorgen ist. Die Wertminderung soll dafür entschädigen, was in den Köpfen potentieller Gebrauchtfahrzeugkäufer vorgeht, die trotz technischer Gleichwertigkeit für ein Fahrzeug mit Unfallvorgeschichte weniger zu zahlen bereit sind. Da es dem Schädiger nicht möglich ist, darauf Einfluss zu nehmen, was in den Köpfen potentieller Käufer vor sich geht, kann der Schädiger nicht den Zustand herstellen, der bestünde, wenn das Fahrzeug ohne Unfallvorgeschichte auf dem Gebrauchtwagenmarkt verkauft werden würde. Deshalb liegt ein Fall des § 251 BGB vor. Die Herstellung des Zustands, der ohne das schädigende Ereignis besehen würde, ist nicht möglich und deshalb hat der Schädiger den Geschädigten in Geld zu entschädigen (AG München Endurteil v. 26.9.2022 – 336 C 1795/22, BeckRS 2022, 35443 Rn. 11-36, beck-online).
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3. Es gibt einige gute Argumente gegen den Abzug der Mehrwertsteuer bei einem Vorsteuerabzugsberechtigten (vgl. hierzu ausführlich AG München Endurteil v. 26.9.2022 – 336 C 1795/22, BeckRS 2022, 35443 Rn. 11-36, beck-online):
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Erstens enthält der für die Wertminderung einschlägige § 251 BGB anders als § 249 Abs. 2 S. 2 BGB keine Regelung, dass die Mehrwertsteuer nur zu ersetzen ist, wenn diese tatsächlich anfällt.
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Daraus kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass beim Wertersatz nach § 251 BGB die Mehrwertsteuer auch dann in dem zu erstattenden Betrag enthalten ist, wenn diese bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten konkret nicht anfällt (AG München Endurteil v. 26.9.2022 – 336 C 1795/22, BeckRS 2022, 35443 Rn. 11-36, beck-online).
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Das zweite Argument ist ein logischer Vergleich. Ob und inwieweit die Wertminderung sich tatsächlich realisiert, hat keinen Einfluss auf deren Erstattungsfähigkeit, wie der Vergleich mit anderen Fällen zeigt. Die Argumentation, die Mehrwertsteuer sei bei einem Vorsteuerabzugsberechtigen abzuziehen, weil sie bei diesem nicht anfällt, ist nicht logisch, da zu bedenken ist, dass sogar der Umstand, dass die Wertminderung in vielen Fällen im Ganzen nicht anfällt, nicht dazu führt, dass kein Anspruch auf Wertminderung bestehen würde. Nur wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur als Gebrauchtwagen zu dem angenommenen Minderwert verkauft, wirkt sich die Wertminderung überhaupt aus. Es ist aber Sache des Geschädigten, ob er das Fahrzeug verkauft oder nicht. Wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur behält und schlichtweg bis zum Zeitpunkt der Entsorgung weiter behält, realisiert sich die Wertminderung zu keinem Zeitpunkt. In diesem Fall enthält der Geschädigte die Wertminderung als Kompensation für einen merkantilen Minderwert, obwohl sich dieser in keiner Weise auswirkt. Die Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung wirkt sich in diesem Fall nicht aus, sondern unabhängig von der Vorsteuerabzugsberechtigung hat der Geschädigte einen Vorteil, den man für ungerechtfertigt halten kann, der aber dennoch allgemein akzeptiert wird. Ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigter Geschädigter erhält den Gesamtbetrag (einschließlich dem nach Ansicht der Beklagten herausrechenbaren Mehrwertsteueranteil) und darf, selbst wenn er das Fahrzeug nicht verkauft, sondern behält, den Gesamtbetrag (einschließlich dem nach Ansicht der Beklagten herausrechenbaren Mehrwertsteueranteil) behalten (AG München Endurteil v. 26.9.2022 – 336 C 1795/22, BeckRS 2022, 35443 Rn. 11-36, beck-online).
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Die Frage, ob überhaupt oder gegebenenfalls in welcher Höhe sich die Wertminderung jemals realisiert, wirkt sich nicht auf die merkantile Wertminderung aus, da es sich dabei nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, der zum Ziel hätte, den Geschädigten so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde, sondern weil es sich um einen Entschädigungsanspruch i.S.d. § 251 BGB handelt. Da die Herstellung des Original-Zustandes im Hinblick auf das Käuferverhalten auf dem Gebrauchtwagenmarkt nicht möglich ist, steht dem Geschädigten eine angemessene Entschädigung in Geld zu. Die Höhe der Entschädigung ist unabhängig davon, ob oder unter welchen Bedingungen das Unfallfahrzeug jemals dem Gebrauchtwagenmarkt tatsächlich angeboten wird und ob und in welchem Unfall sich der Unfall auf den Verkaufspreis auswirkt. Es gilt der Grundsatz, dass sich der Geschädigte an dem Unfall nicht bereichern darf. Auf dieser Grundlage könnte man argumentieren, dass die Wertminderung wegen des Bereicherungsverbots bei Vorsteuerabzugsberechtigung nur netto zu zahlen ist. Wenn man bedenkt, dass die Wertminderung einen Entschädigungsanspruch darstellt, auf den ein Anspruch besteht selbst wenn sich keinerlei finanzieller Nachteil realisiert hat, könnte man sich in den Fällen, in denen sich der Minderwert nicht ausgewirkt hat, generell fragen, ob dies gegen das Bereicherungsverbot verstößt. Wenn man aber akzeptiert, dass der Geschädigte eine merkantile Wertminderung auch dann erhält, wenn er das Fahrzeug nicht verkauft, muss man auch akzeptieren, dass dies unabhängig davon ist, ob bei dem Verkauf eine Umsatzsteuer angefallen wäre, da der Verkauf nicht Voraussetzung für die Gewährung der Wertminderung ist und deshalb keine Relevanz für deren Höhe hat (AG München Endurteil v. 26.9.2022 – 336 C 1795/22, BeckRS 2022, 35443 Rn. 11-36, beck-online).
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Der dritte Grund liegt darin, dass die Prämisse, ein Vorsteuerabzugsberechtiger würde das Fahrzeug ohne die für Nicht-Vorsteuerberechtigte geltende Mehrwertsteuer in Höhe von 19% verkaufen, nur auf einen Teil der Fälle zutrifft. Es ist weder bekannt, ob der Vorsteuerberechtigte das Fahrzeug verkaufen wird noch wann und wo er es verkaufen wird und welches Steuerrecht dann und dort gelten wird (AG München Endurteil v. 26.9.2022 – 336 C 1795/22, BeckRS 2022, 35443 Rn. 11-36, beck-online).
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Im Ergebnis ist das Gericht deshalb der Ansicht, dass die Wertminderung keine betragsmäßig feststehende Schadensposition ist, sondern ein der richterlichen Schätzung unterliegender Entschädigungsbetrag, dessen Höhe unabhängig vom Steuerstatus des Geschädigten zu schätzen ist, sodass vorliegend auch keine Mehrwertsteuer in Höhe von 19% in Abzug zu bringen ist. Bei der Höhe der Wertminderung hat das Gericht 1.900 Euro angesetzt, was im Übrigen auch dem eigenen Prüfbericht der Beklagtenseite in dieser Sache entspricht. Ausgehend von einer Haftungsquote von 50% wäre somit eine Wertminderung in Höhe von 950 Euro zu regulieren. Abzüglich der von der Beklagtenseite bereits regulierten 798,32 Euro verbleibt ein Anspruch der Klägerin in Höhe von 151,68 Euro.
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Die Klage ist somit begründet.
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Der Zinsanspruch ergibt sich seit Rechtshängigkeit (31.12.2022) gemäß den §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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Die Berufung wird nicht zugelassen.