Titel:
Verbundene Beschwerden, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Duldung, Äthiopien, Ausgewiesener Straftäter, Äthiopischer zehnjähriger Sohn, Trennungszeitraum, Anordnungsanspruch, Darlegung, Glaubhaftmachung, Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Normenketten:
VwGO § 146
VwGO § 123 Abs. 1 und 3
ZPO § 920 Abs. 2
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
Schlagworte:
Verbundene Beschwerden, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Duldung, Äthiopien, Ausgewiesener Straftäter, Äthiopischer zehnjähriger Sohn, Trennungszeitraum, Anordnungsanspruch, Darlegung, Glaubhaftmachung, Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 13.10.2022 – M 12 E 22.3347, M 12 K 22.3346
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6236
Tenor
I. Die Verfahren 10 CE 22.2347 und 10 C 22.2346 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Die Antragsteller haben die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CE 22.2347 wird auf 2.500,-< Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller zu 1), ein bestandskräftig abgelehnter Asylantragsteller äthiopischer Staatsangehörigkeit, und der Antragsteller zu 2), sein zehnjähriger Sohn ebenfalls äthiopischer Staatsangehörigkeit, verfolgen mit ihren Beschwerden ihre Anträge vor dem Verwaltungsgericht weiter, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller zu 1) einstweilen eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen, und ihnen für das Eilverfahren sowie das zugrundeliegende Hauptsacheverfahren – unter Beiordnung der Bevollmächtigten − Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
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Der am ..1993 in Äthiopien geborene Antragsteller zu 1) reiste erstmalig am 22. September 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seinen am 14. Oktober 2009 gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. Oktober 2010 ab. Ab dem 9. Juni 2011 wurden ihm in der Folge aufgrund fehlender Passpapiere befristete Duldungen ausgestellt. Die letzte in der Behördenakte erwähnte Duldung ist bis zum 18. Januar 2022 gültig. Der Antragsteller zu 2) ist der am 21. Oktober 2012 im Bundesgebiet geborene Sohn des Antragstellers zu 1) und dessen Lebensgefährtin, die über eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG verfügt. Der Antragsteller zu 2) ist im Besitz einer bis zum 17. August 2026 befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG.
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Strafrechtlich ist der Antragsteller zu 1) im Bundesgebiet bis zum Jahr 2013 zwölf Mal in Erscheinung getreten, darunter auch mit Straften, die gegen die körperliche Unversehrtheit gerichtet waren. So verhängte das Amtsgericht München mit Urteil vom 16. April 2012 gegen den Antragsteller zu 1) zwei Tage Jugendarrest wegen gefährlicher Körperverletzung. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts München vom 2. Oktober 2012 verurteilte es ihn zu einem Jahr Jugendstrafe zur Bewährung wegen versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung.
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Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts München I vom 17. September 2013 wurde der Antragsteller zu 1) − unter Einbeziehung des Urteils vom 2. Oktober 2012 – zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts lag dem Urteil folgender Sachverhalt zugrunde: Der Antragsteller zu 1) besuchte am Abend des 24. November 2012 die Geschädigte in deren Zimmer in einem Waisenhaus in München. Nach Alkoholkonsum und einem Streit warf er sie ohne rechtfertigenden und entschuldigenden Grund zu Boden und würgte sie mit starkem Druck am Hals. Er forderte sie auf, ihn zu küssen, und versuchte, ihr Oberteil zu verschieben. Als die Geschädigte zu schreien begann, hielt der Antragsteller zu 1) ihr den Mund zu und würgte sie wiederum am Hals, sodass die Geschädigte einige Zeit weder ein- noch ausatmen konnte und um ihr Leben fürchtete. Die Geschädigte hatte auch wenige Tage nach dem Vorfall noch Schluckbeschwerden. Der Antragsteller zu 1) nahm billigend in Kauf, dass sein Verhalten das Leben der Geschädigten potentiell gefährden konnte. Der Antragsteller zu 1) riss der Geschädigten während der Auseinandersetzung ein Büschel Haare aus, biss ihr in den Rücken und fügte ihr Kratzer im Gesicht zu, wodurch sie, was er ebenfalls billigend in Kauf nahm, erhebliche Schmerzen erlitt. Die durch Getrampel und Schreie aus dem Zimmer der Geschädigten aufmerksam gewordene Nachbarin der Geschädigten betrat etwa gegen 1:00 Uhr desselben Abends das Zimmer der Geschädigten. In diesem Moment lief ihr die Geschädigte entgegen, während der Antragsteller zu 1) mit heruntergelassener Hose im Zimmer der Geschädigten stand und gerade im Begriff war, seine Hose hochzuziehen. Wegen jener Straftat befand sich der Antragsteller zu 1) ab dem 25. November 2012 zunächst in Untersuchungshaft und anschließend vom 17. September 2013 bis zum 23. März 2014 in Strafhaft. Die Reststrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, wobei die Bewährungszeit mehrfach zuletzt bis zum 22. März 2018 verlängert wurde. Die Reststrafe wurde schließlich mit Wirkung vom 9. Mai 2018 erlassen.
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Aufgrund seiner Straftaten wurde der Antragsteller zu 1) mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. Februar 2014 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Die Wiedereinreise wurde ihm für fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise untersagt, wobei die Frist für das Einreiseverbot nach § 11 AufenthG am 8. Juli 2015 um ein Jahr reduziert wurde.
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Nach der bestandskräftigen Ausweisung im Jahr 2014 ist der Antragsteller zu 1) weitere sechs Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten.
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Zuletzt wurde er mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts München I vom 3. Juni 2020 wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten − ausgesetzt zur Bewährung − verurteilt. Diesem Urteil lag nach den Feststellungen des Landgerichts folgender Sachverhalt zugrunde: Der Antragsteller zu 1) suchte am 21. Oktober 2018 gegen 07:00 Uhr das Bordell „A" … … …“ in München auf, um dort sexuelle Leistungen gegen Entgelt in Anspruch zu nehmen. Nach bezahltem und vollzogenem Geschlechtsverkehr kam der Antragsteller zu der geschädigten Prostituierten zurück, um erneut deren Dienste in Anspruch zu nehmen. Dem Antragsteller zu 1) war dabei jedoch von Anfang an bewusst, dass er nicht mehr über die nötigen Geldmittel verfügte, um weitere sexuelle Leistungen zu bezahlen. Daher bot er der Geschädigten stattdessen bewusst wahrheitswidrig sein iPhone als Pfand an und stellte der Geschädigten bewusst wahrheitswidrig in Aussicht, dass die 300,- Euro durch einen Freund bezahlt würden. In der Folge vereinbarte der Antragsteller zu 1) mit der Geschädigten sexuelle Dienstleistungen zu einem Preis von 300,- Euro für die Dauer von zwei Stunden. Im Vertrauen hierauf vollzog die Geschädigte mit dem Antragsteller zu 1) für die Dauer von mindestens 40 Minuten den vereinbarten Geschlechtsverkehr, bis der Antragsteller zu 1) abbrach. Wie von Anfang an geplant, ergriff der Antragsteller zu 1) sein Mobiltelefon und verließ die Räumlichkeiten des Bordells. Entgegen dem Tatplan des Antragstellers zu 1) folgte die Geschädigte ihm. Nach verbaler Auseinandersetzung nahm sie das Mobiltelefon an sich und verwies auf die Vereinbarung. In Kenntnis dessen schubste der Antragsteller zu 1) die Geschädigte und trat gegen ihr Bein, sodass diese nach hinten umkippte und auf eine kleine Mauer fiel. Dabei ließ sie das Mobiltelefon fallen, welches der Antragsteller zu 1) ergriff und sich damit von ihr entfernte. Die Geschädigte verfolgte ihn, so dass er sie erneut schubste. Dann flüchtete er über die beidseitig befahrene Straße. Der Antragsteller zu 1) wurde auf Rufen der Geschädigten hin von Personen festgehalten, bis Polizeibeamte ihn festnahmen. Der Antragsteller zu 1) handelte während des gesamten Geschehens in der Absicht, sich dem vertraglichen Anspruch der Geschädigten zu entziehen, die einen Monat lang ihrer Arbeit nicht nachgehen konnte.
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Am 29. April 2022 legte der Antragsteller zu 1) der Antragsgegnerin − nach einer Vielzahl von behördlichen Aufforderungen zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung − einen äthiopischen Reisepass vor.
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Am 4. Juli 2022 haben die Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht – neben der Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Duldung für den Antragsteller zu 1) und Ausstellung einer entsprechende Bescheinigung − beantragt, der Antragsgegnerin nach § 123 VwGO für die Dauer des Hauptsacheverfahrens zu untersagen, gegenüber dem Antragsteller zu 1) aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen, und ihnen für das Eilverfahren und das zugrundeliegende Hauptsacheverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
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Mit Schreiben vom 29. August 2022 hat die Antragsgegnerin die Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG um ein weiteres Jahr auf nunmehr drei Jahre reduziert und überdies die Bereitschaft signalisiert, dem Antragsteller zu 1) Betretenserlaubnisse im üblichen Rahmen, frühestens ein Jahr nach der Ausreise, zu erteilen.
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Mit angegriffenem Beschluss vom 13. Oktober 2022 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag sowie die Prozesskostenhilfeanträge der Antragsteller abgelehnt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen angeführt, dass die Abschiebung des Antragstellers zu 1) nicht aufgrund von Art. 6 GG und Art. 8 GG rechtlich unmöglich sei. Zwar bestehe eine schützenswerte Vater-Sohn-Beziehung zwischen dem Antragsteller zu 1) und dem Antragsteller zu 2). Allerdings gehe von dem Antragsteller zu 1) weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten gegen hochrangige Rechtsgüter, insbesondere auch gegen die körperliche Unversehrtheit, aus. In der Abwägung überwiege das Interesse an dem Vollzug der Ausreise des Antragstellers zu 1) das Interesse der Antragsteller an dessen Verbleib im Bundesgebiet. Es sei von einem Trennungszeitraum von drei Jahren auszugehen. Es bestehe eine Rückkehrmöglichkeit des Antragstellers zu 1) gestützt auf ein Visum nach § 36 Abs. 2 AufenthG, für das die Antragsgegnerin mit fälschlicherweise auf den 14. Juni 2022 datiertem Schreiben eine Vorabzustimmung zugesichert habe. Dazu bestehe eine Rückkehrmöglichkeit gestützt auf ein Visum nach § 37 AufenthG oder § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, für das die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 10. Oktober 2022 eine Vorabzustimmung zugesichert habe. Im Übrigen eröffne eine Eheschließung, auch wenn sie derzeit nicht hinreichend konkret und unmittelbar bevorstehe, dem Antragsteller zu 2) die Möglichkeit der Rückkehr mit einem Visum auf der Grundlage des § 30 Abs. 1 AufenthG. Die Trennung sei auch angesichts aller Umstände zumutbar. Der Beschluss wurde den Beteiligten am 24. Oktober 2022 zugestellt.
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Die Antragsteller haben hiergegen am 4. November 2022 Beschwerden eingelegt der Sache nach mit den Anträgen,
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unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2022 die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller zu 1) eine einstweilige Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen und ihnen − unter Beiordnung der Bevollmächtigten − für das Eilverfahren sowie das zugrundeliegende Hauptsacheverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
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Zur Begründung erhebt die Antragstellerseite gestützt auf die strafgerichtliche Aussetzungsentscheidung des Landgerichts vom 3. Juni 2020 und die Stellungnahme der Bewährungshelferin Einwände gegen die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts und rügt, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen der Abwägung zwischen den Sicherheitsinteressen und den schutzwürdigen Belangen der Antragsteller bei der Trennungsprognose die Unwägbarkeiten, die mit der Beantragung eines Visums nach § 36 Abs. 2 AufenthG sowie § 7 Abs. 1 Satz 3 und § 37 AufenthG einhergingen, verkannt beziehungsweise nicht hinreichend berücksichtigt habe.
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Die Antragsgegnerin hat am 6. Dezember 2022 beantragt,
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die Beschwerden zurückzuweisen.
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Am 12. Dezember 2022 hat sich der Vertreter des öffentlichen Interesses an dem Verfahren beteiligt und Stellung genommen, ohne allerdings einen eigenen Antrag zu stellen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstands wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den ausführlichen Tatbestand in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2022 sowie auf den Inhalt der vorgelegten Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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1. Die Verfahren 10 CE 22.2347 und 10 C 22.2346 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
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2. Die Beschwerden der Antragsteller haben in der Sache keinen Erfolg.
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a) Im Hinblick auf die Beschwerde 10 CE 22.2347, welche den geltend gemachten Anspruch der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf Erteilung einer einstweiligen Duldung für den Antragsteller zu 1) zum Gegenstand hat, rechtfertigen die von den Antragstellern in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Gründe, die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, es nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern.
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Dazu verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden und differenzierten Gründe des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2022. Darüber hinaus ist zu ergänzen, dass die Antragsteller auch mit ihrem Beschwerdevorbringen den erforderlichen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer einstweiligen Duldung nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Art und Weise dargelegt und glaubhaft gemacht haben.
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Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht einen Anspruch der Antragsteller auf Erteilung einer einstweiligen Duldung für den Antragsteller zu 1) aus § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK wegen eines rechtlichen Abschiebungshindernisses aufgrund familiärer Bindungen verneint hat.
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aa) Soweit die Antragstellerseite im Beschwerdeverfahren pauschal auf ihren erstinstanzlichen Schriftsatz der Antragsbegründung Bezug nimmt, geht dies ins Leere. Ein solcher Verweis genügt nicht dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO („Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist“). Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des Senats, aufgrund pauschaler Bezugnahmen auf Aktenbestandteile in anderen Verfahren als dem Beschwerdeverfahren die dort enthaltenen, gegebenenfalls hierfür relevanten Teile herauszufiltern und in eine konkrete Beziehung zu den tragenden Gründen der angegriffenen Entscheidung zu setzen.
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bb) Zudem verfangen die Einwände der Antragstellerseite nicht, welche diese gegen die Prognose des Verwaltungsgerichts bezüglich der Wiederholungsgefahr der Begehung von Straftaten durch den Antragsteller zu 1) und damit der Gefahr für hochrangige Rechtsgüter Dritter, insbesondere für die körperliche Unversehrtheit, erhoben hat.
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(1) Der Einwand der Antragsteller, das Verwaltungsgericht habe zum einen die positive Sozialprognose „im Bewährungsbeschluss des Landgerichts vom 3. Juni 2020“ falsch gewichtet und zum anderen zu Unrecht zwischen strafrechtlicher und gefahrenabwehrrechtlicher Prognose differenziert, weil auch nach § 57 StGB der Zeitraum nach der Bewährungszeit zu berücksichtigen sei, trifft nicht zu.
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Strafrecht und Ausländerrecht verfolgen unterschiedliche Zwecke: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit gegebenenfalls unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund. Zu ermitteln ist, ob der Täter das Potential hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es im ausländerrechtlichen Verfahren um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung entfällt ausländerrechtlich nicht zwangsläufig oder zumindest regelmäßig eine Wiederholungsgefahr. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potential, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 19). Die Ausländerbehörde ist an die tatsächlichen Feststellungen und an die Beurteilungen des Strafrichters rechtlich nicht gebunden. Allerdings hat sie diesen eine wesentliche Bedeutung zuzumessen und eine Abweichung hiervon substantiiert zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 – juris Rn. 36 m.w.N. u. i.Ü:: „Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung im Sinne des § 57 StGB ausweisungsrechtlich geringeres Gewicht hat“).
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Gemessen daran zeigt das Beschwerdevorbringen nicht substantiiert auf, dass das Verwaltungsgericht die wesentliche Bedeutung der in dem Strafurteil des Landgerichts vom 3. Juni 2020 getroffenen Aussetzungsentscheidung verkannt hat beziehungsweise ohne substantiierte Begründung hiervon abgewichen ist. Das Verwaltungsgericht hat insofern zutreffend verwertet, dass das Landgericht – neben der Schlussfolgerung, dass der Antragsteller zu 1) sich zu seiner Tat bekannt hätte, indem er die Berufung auf die Rechtsfolgen beschränkt und einen Täter-Opfer-Ausgleich ernsthaft angestrebt hätte – schon die Bereitschaft des Antragstellers zu 1) zu der Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training für seine positive Sozialprognose hat ausreichen lassen. Des Weiteren hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt, dass die Entscheidung des Landgerichts insofern erkennbar mit Unsicherheiten behaftet war. Diesen hat es mit den Formulierungen „Das Gericht hat dabei die Hoffnung, dass dieser … dadurch lerne, seine Aggression und Gewaltbereitschaft zu erkennen und zu beherrschen“ beziehungsweise „Unter diesen Umständen hielt es das Gericht für verantwortbar, dem Angeklagten eine positive Sozialprognose zu stellen“ Ausdruck verliehen (vgl. BA S. 34 u. Behördenakte, Bl. 1397). Auf all dies geht die Beschwerdeschrift ebenso wie auf die übrigen differenzierten diesbezüglichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert ein.
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(2) Auch verfangen die Einwände der Antragstellerseite nicht, das Verwaltungsgericht habe das von dem Antragsteller zu 1) absolvierte Anti-Gewalt-Training und die Einschätzung der Bewährungshelferin hierzu nicht ausreichend gewürdigt und nicht unterstellen dürfen, dass die positiven Entwicklungen und die Straffreiheit nur aufrechterhalten würden, um die Bewährungszeit zu überstehen, was auch nicht aufgrund der Straffälligkeit nach Ablauf des Bewährungszeitraums im Jahr 2017 angenommen werden könne. Das Verwaltungsgericht hat die Absolvierung der achtzehn Einheiten eines Anti-Gewalt-Trainings eingehend gewürdigt, wobei es darauf abgestellt hat, dass der Zeitraum seit der Absolvierung des Trainings im Vergleich zu der langen strafrechtlichen Geschichte des Antragstellers zu 1) zu kurz sei, um von einer nachhaltigen inneren Veränderung ausgehen zu können (vgl. BA S. 38). Letzterem setzt die Antragstellerseite nichts an Substanz entgegen. Dabei ist es auch nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht die einschränkende Formulierung der Bewährungshelferin „ausgehe, dass … auch weitere Bewährungszeit straffrei durchsteht und danach hoffentlich nicht mehr straffällig werden wird“ hier verwertet. Dass das Wort „hoffentlich“ lediglich ausdrücke, dass eine Prognose nie mit Sicherheit getroffen werden könne, wie die Antragstellerseite argumentiert, überzeugt den Senat angesichts vielfältiger Möglichkeiten zuversichtlicherer Formulierungen nicht.
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(3) Mit Recht hat das Verwaltungsgericht zudem berücksichtigt, dass der Antragsteller zu 1) aufgrund des Strafurteils vom 3. Juni 2020 weiterhin unter Bewährung auf freiem Fuß ist (vgl. Behördenakte, Bl. 1381: „Bewährungszeit: 3J“), damit unter strafbewehrtem Legalbewährungsdruck steht und unter diesem Aspekt auch sein Wohlverhalten mit zu würdigen ist. Der Antragsteller zu 1) gewärtigt im Falle eines Widerrufs der Strafaussetzung, die mit Strafurteil vom 3. Juni 2020 verhängte Freiheitsstrafe wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verbüßen zu müssen. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend berücksichtigt, dass der Antragsteller zu 1) es in der Vergangenheit verstanden habe, sich für die Dauer der Bewährungszeit zurückzuhalten, ohne dass dies indes dauerhaft zur Verhaltensänderung und Strafffreiheit geführt habe (vgl. BA S. 38). All dies ist ohne Weiteres im Einklang mit der Rechtsprechung berücksichtigungsfähig (vgl. zum Legalbewährungsdruck: BayVGH, B.v. 1.3.2019 – 10 ZB 18.2494 – juris Rn. 10). Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf rekurriert, dass ausweislich des Strafurteils vom 29. November 2017 die damals noch andauernde Bewährungszeit ebenfalls positiv verlaufen wäre. Der Antragsteller zu 1) habe zum damaligen Zeitpunkt über einen Ausbildungsplatz verfügt, Geld verdient und in geordneten Verhältnissen mit seiner Familie gelebt. Gleichwohl sei er gerade einmal fünf Monate nach Ablauf der Bewährungszeit erneut mit einer Gewalttat strafrechtlich erheblich in Erscheinung getreten. Der Antragsteller zu 1) befinde sich – mit dem Unterschied, dass er damals sogar einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen sei − in einer vergleichbaren Situation (vgl. BA S. 38 f.). Der Einwand der Antragstellerseite, der Antragsteller zu 1) sei nunmehr in Vollzeit Hausmann und kümmere sich um die Erziehung, Förderung und Pflege des zehnjährigen Sohnes, des Antragstellers zu 2), und befinde sich damit, obwohl er nicht mehr arbeite, in einer nicht weniger geregelten Lebenssituation, geht an der Sache vorbei. Insbesondere entkräftet er nicht die tragende Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, wonach die persönlichen Verhältnisse und der Rückzugsraum des Antragstellers zu 1) damals im Wesentlichen dieselben gewesen seien wie gegenwärtig, diese ihn in der Vergangenheit nicht von der Begehung von (Gewalt-)Straftaten abgehalten hätten und dass keine Anhaltspunkte erkennbar seien, die dafür sprechen würden, dass sie dies − unabhängig von dem Druck einer laufenden Bewährung – in Zukunft bewirken würden. Insgesamt ist das Beschwerdevorbringen daher nicht dazu angetan, die von dem Verwaltungsgericht angestellte Prognose der Wiederholungsgefahr zu erschüttern.
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Selbst wenn man insoweit von einer Veränderung der Lebensverhältnisse ausgehen wollte, führte dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Der Antragsteller zu 1) hat laut den Feststellungen des Strafurteils des Landgerichts vom 3. Juni 2020 gegen eine Prostituierte Gewalt angewandt, um sie um ihren Lohn für die erbrachten sexuellen Dienstleistungen prellen zu können, weil er kein Geld zur Bezahlung hatte (s.o., vgl. BA S. 13 f.). Geldmangel des Antragstellers zu 1) lag der begangenen Straftat der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zugrunde. Dieser Geldmangel hat sich mangels Einkünften aus einer Arbeit akzentuiert und besteht auch in Zukunft fort.
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cc) Nicht durchdringen kann die Antragstellerseite auch mit ihren Einwänden, die sich gegen die Abwägung ihrer durch die Aufenthaltsbeendigung betroffenen grundrechtlichen Belange, mithin ihrer vom Verwaltungsgericht als schutzwürdig anerkannten familiären Lebens- und Beistandsgemeinschaft, mit den staatlichen Sicherheitsinteressen richten.
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(1) Die Antragstellerseite trägt hierzu vor, das Verwaltungsgericht habe bei der Trennungsprognose die Unwägbarkeiten, die mit der Beantragung eines Visums nach § 36 Abs. 2 AufenthG bei der zuständigen Auslandsvertretung einhergingen, verkannt beziehungsweise nicht hinreichend berücksichtigt, dass ein Visum gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG nur erteilt würde, wenn − neben den Voraussetzungen des § 5 AufenthG und des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG − eine außergewöhnliche Härte vorliege, und im Übrigen die zuständige Auslandsvertretung nicht an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts und der Ausländerbehörde gebunden sei, sondern eine eigene Ermessensentscheidung treffe (unter Verweis auf: BVerfG, B.v. 9.12.2021 − 2 BvR 1333/21 – juris). Das Verwaltungsgericht habe die Gefahr, dass – trotz der Vorabzustimmung der Antragsgegnerin und der Übereinstimmung zwischen der Auslandsbehörde und Auslandsvertretung in der Praxis − aus einer vorübergehenden Trennung von drei Jahren eine dauerhafte Trennung werde, nicht ausreichend beachtet, zumal keine Erkenntnisse hinsichtlich der Anforderungen der konkret zuständigen Auslandsvertretung an die Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 2 AufenthG in den Prozess eingeführt worden seien. Es bestehe angesichts der Vorstrafen des Antragstellers die große Möglichkeit, dass die zuständige Auslandsvertretung die Erteilung eines Visums ablehnen werde. Zu den fehlenden Rückkehrperspektiven nach § 37 AufenthG oder § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG sei bereits ausgeführt worden, im Übrigen würden die vorstehenden Erwägungen entsprechend gelten.
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(2) Die in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84− BVerfGE 76, 1 <49 ff.> = juris Rn. 95 u. Rn. 103; B.v. 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – BVerfGE 80, 81 <93> = juris Rn. 38 u. Rn. 44). Das Interesse des Ausländers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet hat dagegen umso eher zurückzustehen, je gewichtiger das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet ist. Diesem Aspekt kommt umso größere Bedeutung zu, je mehr das öffentliche Interesse nicht allein auf einwanderungspolitische Erwägungen, sondern darüber hinaus auf das Sicherheitsinteresse des Staates zurückzuführen ist (vgl. Art. 8 Abs. 2 EMRK). In Anbetracht der öffentlichen Interessen an einer wenigstens vorübergehenden Ausreise des Betroffenen im Hinblick auf eine erhebliche Straffälligkeit und die darauf gestützte bestandskräftige Ausweisungsverfügung und angesichts der Tatsache, dass (auch) im gesetzlich vorgesehenen Befristungsverfahren nach § 11 AufenthG die familiären Belange angemessen zu würdigen sind, kann die Abwägung zu Lasten des Betroffenen ausgehen. Auch gewichtige familiäre Belange setzen sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 23 m.w.N.). Dabei haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, welches den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Verwaltungsgerichte haben eine Prognose anzustellen, welchen Trennungsraum sie insoweit für zumutbar erachten (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 14; B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 22; B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 10).
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(3) Gemessen an den vorstehenden Anforderungen kommt das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall zutreffend zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an dem Vollzug der vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers zu 1), die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland an der Abwehr weiterer (Gewalt-)Straftaten und der Durchsetzung der darauf gestützten bestandskräftigen Ausweisung, schwerer wiegen als die von dem Verwaltungsgericht anerkannte schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller zu 1) und dem Antragsteller zu 2).
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Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat das Verwaltungsgericht die prognostizierte Dauer der Trennung, namentlich drei Jahre und die realistische Möglichkeit der tatsächlichen Rückkehr des Antragstellers zu 1), unter Berücksichtigung der von Antragstellerseite gerügten Unwägbarkeiten, sowie die Zumutbarkeit der Trennung in die Abwägung eingestellt und eingehend geprüft (vgl. BA S. 42 ff., Bl. 45). Die Beschwerdeschrift ist nicht dazu angetan, die getroffenen Feststellungen und Erwägungen zu erschüttern.
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Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 − Rn. 25 m.w.N.). Dies gilt auch für den Fall, dass ein Betroffener gewärtigt, nach Ausreise aufgrund vollziehbarer Ausreisepflicht infolge einer bestandskräftigen Ausweisung wegen (Gewalt-)Straftaten samt eines ebenfalls bestandskräftigen Einreise- und Aufenthaltsverbots den Antrag auf Erteilung eines Visums vom Zielstaat der Ausreise aus zu stellen.
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Dass hinsichtlich der zukünftigen Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 2 AufenthG keine absolute Sicherheit besteht, ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichts angesichts des Prognosezeitraums von drei Jahren nicht zu vermeiden und im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der Ausreise des Antragstellers zu 1) hinzunehmen (vgl. BA S. 44). Damit setzt sich die Antragstellerseite im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert auseinander.
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Im Unterschied zu dem Sachverhalt, welcher Anlass für die von Antragstellerseite angeführte Entscheidung der Zweiten Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts bildete, ist gegen den Antragsteller zu 1) wegen seiner (Gewalt-)Straftaten eine bestandskräftige Ausweisung samt eines − mittlerweile auf drei Jahre befristeten − Einreise- und Aufenthaltsverbots ergangen (s.o.). Ist gegen einen Betroffenen eine bestandskräftige Ausweisung samt einer bestandskräftigen befristeten Wiedereinreisesperre ergangen, muss der Betroffene diese mit der jeweiligen Dauer grundsätzlich gegen sich gelten lassen.
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In diesem Zusammenhang ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass anders als bei dem Sachverhalt, welcher Anlass für die vorgenannte bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung bildete (vgl. zu der − durch Vorlage eines Nachweises eines Termins für die Beantragung des Visums − bedingten Zusicherung einer Vorabzustimmung: BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 8), nach der nicht angegriffenen Würdigung des Verwaltungsgerichts seitens der Antragsgegnerin die – in diesem Stadium mangels Visumantrags allein sinnvolle − Zusicherung einer Zustimmung beziehungsweise einer Vorabzustimmung im Sinne von § 31 Abs. 3 AufenthV vorliegt (vgl. BA S. 43 i.V.m. S. 19). Die Antragsgegnerin hat damit eine notwendige maßgebliche Weichenstellung für die spätere Visumerteilung vorgenommen. Eine Vorabzustimmung gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 31 Abs. 3 AufenthV ist zwar auch für das Verwaltungsgericht Berlin, das nach § 52 Nr. 2 Satz 5 VwGO in Visumangelegenheiten ausschließlich örtlich zuständig ist, im Hinblick auf die Entscheidung über das Visum nicht bindend. Jedoch darf nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin nicht außer Acht gelassen werden, dass die zuständige Ausländerbehörde, welche die aufenthaltsrechtliche Vorgeschichte der betroffenen Person kennt und deren Aufenthalt im Bundesgebiet bislang begleitet hat, die sachnähere Behörde ist. Dies gilt vor allem dann, wenn die Vorabzustimmung, wie sich aus den Behördenakten ergibt, das Ergebnis einer Prüfung des zuständigen Sachbearbeiters der zuständigen Ausländerbehörde ist (vgl. VG Berlin, 20.9.2013 – 24 K 125.12 V − juris Rn. 18). So liegt der Fall hier. Die Sachbearbeiterin war, wie sich aus der Behördenakte ergibt, seit vielen Jahren mit dem Dossier des Antragstellers zu 1) befasst (vgl. Behördenakte, Bl. 1470 sowie Bl. 627 ff., 650, 700 ff., 769 ff., 815, 830 ff., 918 ff., 955 ff. et cetera). Der Umstand, dass der zuständigen Auslandsvertretung trotz Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde rechtlich ein Ermessen eingeräumt ist, wobei in der Praxis zwischen Auslandsvertretung und Ausländerbehörde insoweit regelmäßig Übereinstimmung besteht (vgl. Nr. 6.4.3.2 AVV-Aufenthaltsgesetz), stellt zwar ein Restrisiko dar, das die Aussicht der Erteilung des Visums mindert, führt allerdings ohne weitere konkrete entgegenstehende Anhaltspunkte, insbesondere Äußerungen der Auslandsvertretung oder Vorstrafen beispielsweise mit Terrorismusbezug, nicht dazu, dass die Erteilung nicht weiterhin wahrscheinlich, also mehr als möglich ist, was für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens ausreicht.
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Dem Antragsteller zu 1) ist es im Übrigen möglich und zumutbar, die Dauer der Wiedereinreisesperre dafür zu nutzen, die notwendigen Vorbereitungen für den Antrag auf Erteilung eines Visums zu treffen, bei der zuständigen Auslandsvertretung einen entsprechenden Antrag zu stellen sowie angesichts des dreijährigen Zeitraums im Fall der Versagung des begehrten Visums Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht Berlin zu beantragen, das hierfür, wie erörtert, nach § 52 Nr. 2 Satz 5 VwGO ausschließlich örtlich zuständig ist.
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Unabhängig davon ist bezüglich der Trennungsprognose, welche mit Blick auf die Zumutbarkeit der Trennung für kleine Kinder entwickelt worden ist (vgl. BVerfG, B.v. 22.2.2019 – 2 BvQ 9/19 – juris Tenor: „sehr jung“; B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 2 und 3 „Kleinkind“ sowie Rn. 14: „noch sehr kleines Kind“; B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 3 u. Rn. 22: „geringe Alter“; B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 10: „bei einem kleinen Kind“), festzustellen, dass der Antragsteller zu 2), der Sohn des Antragstellers zu 1), am 21. Oktober 2012 geboren, mittlerweile zehn Jahre alt und kein kleines Kind mehr ist.
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Soweit die Antragstellerseite auf ihre erstinstanzlich vorgetragenen Einwände gegen die ihrer Auffassung nach fehlenden Rückkehrperspektiven gestützt auf § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und § 37 AufenthG verweist, genügt dies ebenfalls nicht Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO (s.o.). Abgesehen davon, dass § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und § 37 AufenthG auf Tatbestandsseite gänzlich andere Voraussetzungen als § 36 Abs. 2 AufenthG aufstellen, hat die Antragsgegnerin nach der nicht angegriffenen Würdigung des Verwaltungsgerichts auch insoweit eine Zusicherung für die Vorabzustimmung abgegeben (vgl. BA S. 44). Im Übrigen gelten die vorstehenden Erwägungen entsprechend.
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Schließlich blendet die Antragstellerseite aus, dass das Verwaltungsgericht seine Trennungsprognose angesichts der von Antragstellerseite erstinstanzlich vorgetragenen Eheschließungsabsichten auch darauf gestützt hat, dass eine Eheschließung, auch wenn sie derzeit nicht hinreichend konkret und unmittelbar bevorsteht, dem Antragsteller zu 1) die Möglichkeit der Rückkehr mit einem Visum auf der Grundlage des § 30 Abs. 1 AufenthG eröffnet (vgl. BA S. 44), der ein gebundener Anspruch ist. Diesen greift die Antragstellerseite in der Beschwerdeschrift nicht an.
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(4) Zu einem anderen Ergebnis führen schließlich auch nicht die Informationen zu der Vaterschaftsanerkennung des Antragstellers zu 1) in Bezug auf ein zweieinhalbjähriges Kind deutscher Staatsangehörigkeit in der von der Antragsgegnerin nachträglich mit Schreiben vom 20. Dezember 2022 ergänzten Behördenakte (die sie i.Ü. nicht zum Gegenstand ihres Vortrags macht). Die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG entfalten sich nicht schon aufgrund rechtlicher verwandtschaftlicher Beziehungen, sondern erforderlich ist eine tatsächliche − regelmäßig in der Pflege einer häuslichen Gemeinschaft zum Ausdruck kommende − Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 18 m.w.N.; B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 – BVerfGE 76, 1 <42 f.> = juris Rn. 87), im Fall von Kindern und Elternteilen eine sogenannte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Eine derartige schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft hat die Antragstellerseite weder dargelegt noch im Sinne von § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht (vgl. zu den Darlegungsanforderungen: BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 − juris Rn. 31. Sie liegt angesichts der von Antragstellerseite vorgetragenen Betreuungsleistungen für den zehnjährigen Antragsteller zu 2) und auch im Übrigen nicht anderweitig nahe (vgl. BA S. 8 f., 20 f., 30 f.; Behördenakte, Antragsgegnerin, Sozialreferat, E-Mail v. 31.1.2023: „bisher keine Verbindungen zu dem genannten Kind bekannt“; Interview v. 14.2.2023: „Fast die ganze Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr hatte der Vater keinen Kontakt zu uns.“ „Ein bis zweimal die Woche besucht er seinen Sohn“; „Ich bin fast immer dabei. Alleine unternimmt er nur selten etwas mit unserem Sohn. Ich habe Angst, dass meinem Kind etwas passieren könnte. Allgemein finde ich, dass Männer nicht so aufmerksam sind. Wenn ich einen Termin habe, passt er aber auch alleine auf ihn auf“). Insofern fehlt es auch im Übrigen an der Darlegung und Glaubhaftmachung dafür, dass der Kernbereich der Unionsbürgerschaft aus Art. 20 AEUV berührt sein könnte (vgl. zu den Darlegungsanforderungen: BVerwG, B.v. 21.1.2020 – 1 B 65.19 – juris Rn. 25 f. m.w.N.).
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b) Aus den vorgenannten Gründen haben die Prozesskostenhilfebeschwerden der Antragsteller in dem Verfahren 10 C 22.2346 ebenfalls keinen Erfolg. Auch hier verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO ergänzend auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2022.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. In Bezug auf die Beschwerde 10 C 22.2346 ist festzustellen, dass das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz kostenpflichtig ist.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 39 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 sowie § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.3 sowie 1.1.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 22.2346 ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG jeweils eine Festgebühr anfällt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
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5. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.