Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.03.2023 – 7 CS 23.324
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen Anordnungen zur Durchsetzung der Schulpflicht

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5, § 146 Abs. 4
BayLStG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1
BayEUG Art. 56 Abs. 4 S. 3, Art. 76 S. 2, Art. 119 Abs. 1 Nr. 2
BayVwZVG Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1, Abs. 2, Art. 36 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
GG Art. 6, Art. 7, Art. 103 Abs. 3
BGB § 1631a Abs. 1
Leitsätze:
1. Um den Schulbesuch ihres Kindes sicherzustellen, müssen Eltern ggf. von erzieherischen Maßnahmen wie Taschengeldentzug, Ausgeh-, Fernseh-, Computer- oder Handynutzungsverbot Gebrauch machen, die keine über der „Gewaltschwelle“ liegenden Erziehungsmaßnahmen darstellen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das (repressive) Ordnungswidrigkeitenverfahren mit sanktionierendem Charakter und die allein der Gefahrenabwehr dienende (präventive) Androhung von Zwangsgeld schließen sich nicht gegenseitig aus. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schulpflicht, Zwangsgeld, sofortige Vollziehung, Erziehungsmaßnahme, Gewalt, Ordnungswidrigkeit, Doppelbestrafung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 25.01.2023 – Au 3 S 23.75
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6193

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 9. Dezember 2022, mit denen sie als Erziehungsberechtigte ihres am ... 2012 geborenen Sohnes F. jeweils verpflichtet wurden, dafür zu sorgen, dass F. regelmäßig am Unterricht der Klasse 3a der Grundschule R. und an den sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen bzw. alternativ regelmäßig am Unterricht der Jahrgangsstufe 3 einer staatlich genehmigten Ersatz-Grundschule ihrer Wahl teilnimmt (Ziffer I der Bescheide). Für den Fall, dass die Antragsteller der Verpflichtung nach Ziffer I nicht innerhalb von 7 Tagen nach Zustellung der Bescheide nachkommen, wurde ein Zwangsgeld von jeweils 5.000 Euro festgesetzt (Ziffer II der Bescheide). Die sofortige Vollziehung von Ziffer I der Bescheide wurde angeordnet (Ziffer III der Bescheide). Über die hiergegen jeweils mit Schriftsatz vom 13. Januar 2023 eingelegten Widersprüche ist noch nicht entschieden.
2
F. besuchte zuletzt die Jahrgangsstufe 3 der M2. Schule in G. Aufgrund andauernder Fehlzeiten kündigte diese den Schulvertrag zum 31. Juli 2022. Obwohl das Staatliche Schulamt im Landkreis G. die Antragsteller als Erziehungsberechtigte auf die Schulpflicht von F. hingewiesen hatte, besucht dieser seit dem Ende der Sommerferien 2022 weder die für ihn als Sprengelschule zuständige Grundschule R. noch eine andere staatlich genehmigte Ersatz-Grundschule.
3
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller, nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Anordnung, für den Schulbesuch des Sohnes S. zu tragen (Ziffer I der Bescheide), wiederherzustellen und die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Androhung des Zwangsgelds (Ziffer II der Bescheide) anzuordnen, mit Beschluss vom 25. Januar 2023 abgelehnt.
4
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzziel weiter.
5
Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragsteller vom 10. Februar 2023 Bezug genommen.
6
Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.
7
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
8
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern.
9
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Anordnung des Sofortvollzugs in Ziffer III der angefochtenen Bescheide in formell und materiell rechtmäßiger Weise erfolgt sei. Der Antragsgegner habe der Begründungspflicht für die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausreichend Rechnung getragen. Bei der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlichen Interessenabwägung ist das Verwaltungsgericht auch zu Recht davon ausgegangen, dass bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die Widersprüche der Antragsteller voraussichtlich keinen Erfolg haben werden, weil die Verpflichtung zur Durchsetzung der Schulpflicht und die Zwangsgeldandrohung rechtmäßig sind. Rechtsgrundlage von Ziffer I der angefochtenen Bescheide sei Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG. Die Antragsteller seien ihrer Verpflichtung aus Art. 76 Satz 2 BayEUG nicht nachgekommen, dafür zu sorgen, dass ihr minderjähriger Sohn F. seiner Schulpflicht aus Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG nachkommt und regelmäßig am Unterricht teilnimmt; dies stelle eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG dar. Zur Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 76 Satz 2 BayEUG könnten auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG vollziehbare Anordnungen getroffen werden. Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer II der Bescheide stütze sich auf Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 und 2, Art. 36 Abs. 1 und 2 Satz 1 VwZVG und begegne keinen rechtlichen Bedenken. Die im Beschwerdeverfahren hiergegen vorgetragenen Gründe führen zu keiner anderen Bewertung.
10
a) Aus dem Beschwerdevortrag ergeben sich – ebenso wie auch im erstinstanzlichen Vortrag – keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller ihre Verpflichtung wahrgenommen hätten, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Sohn F. seiner Schulpflicht nachkommt. Soweit sich der Bevollmächtigte in der Beschwerdebegründung vom 10. Februar 2022 unter Bezugnahme auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts (hier Seite 5 BA) darauf beruft, „alle dort aufgeführten Maßnahmen – so sie unter der Gewaltschwelle liegen – [seien] umgesetzt und dem Gericht zur Kenntnis gegeben“, wird nicht dargelegt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO), welche konkreten Maßnahmen die Antragsteller ergriffen haben. Die Ausführungen des Bevollmächtigten im Antragsschriftsatz vom 16. Januar 2023 (Seite 3), wonach die Schulabsenz „ausschließlich auf den klaren und autonom gebildeten Willen des Sohnes der Antragsteller“ zurückzuführen ist, sprechen eher dafür, dass die Antragsteller die Verweigerung des Schulbesuchs durch ihren 10-jährigen Sohn ohne Weiteres akzeptieren. Ein solch weitgehendes Selbstbestimmungsrecht von Kindern ist jedoch mit dem durch die Art. 6 und 7 GG herausgestellten elterlichen und staatlichen Erziehungsauftrag ebenso wenig vereinbar wie die von den Antragstellern beanspruchte Freiheit, ein solches Selbstbestimmungsrecht respektieren zu dürfen (vgl. BVerfG, B.v.21.4.1989 – 1 BvR 235/89 – BeckRS 1989, 6942 Rn. 7). Entgegen dem Vortrag der Antragsteller stellen die vom Verwaltungsgericht aufgezeigten möglichen erzieherischen Maßnahmen wie Taschengeldentzug, Ausgeh-, Fernseh-, Computer- oder Handynutzungsverbot, mit denen sie dafür Sorge tragen könnten, ihrer Verpflichtung aus Art. 76 Satz 2 BayEUG nachzukommen, keine über der „Gewaltschwelle“ liegenden Erziehungsmaßnahmen dar. Die Ausführungen des Bevollmächtigten, diese Maßnahmen erforderten ein Über- und Unterordnungsverhältnis, es müsse dem Gericht aber bewusst sein, dass es hier im Speziellen um Familienrecht gehe, liegen neben der Sache. Nach § 1631a Abs. 1 BGB umfasst die Personensorge insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Elterliche Erziehungsmittel sind z.B. Ermahnungen, Verweise, Ausgehverbot oder Taschengeldentzug (vgl. Huber in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 1631 Rn. 5; Amend-Traut in beck-online.Großkommentar, Stand 1.12.2022, § 1626 BGB Rn. 113). Falls sich die Antragsteller nicht in der Lage sehen, adäquate gewaltlose Erziehungsmittel anzuwenden, um den Sohn F. von der Verpflichtung zum Schulbesuch zu überzeugen, haben sie die Möglichkeit, aber auch die in ihrer Erziehungspflicht wurzelnde Verpflichtung, entsprechende Hilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. § 1631 Abs. 3 BGB, § 27 SGB VIII).
11
b) Soweit der Bevollmächtigte die Verletzung von „Grundrechten der Beschwerdeführer“ rügt, wird schon nicht dargelegt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), welche Grundrechte der Antragsteller durch die angefochtenen Bescheide verletzt sein könnten. Der Einwand des Bevollmächtigten, gegen die Beschwerdeführer seien bereits Bußgeldverfahren wegen der Verletzung der Schulpflicht eingeleitet worden und die nunmehrige Androhung, ein Zwangsgeld zu verhängen, verstoße gegen das Verbot der Doppelbestrafung, verkennt den grundlegend unterschiedlichen Charakter von Bußgeld und Strafe einerseits und Verwaltungsmaßnahmen andererseits. Mit diesem Argument kann weder die Rechtswidrigkeit der Androhung von Zwangsgeld in den streitgegenständlichen Bescheiden begründet werden, noch die Verfassungswidrigkeit des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG. Im Hinblick auf die genannten Sanktionen liegt kein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) vor. Ein Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 119 BayEUG dient der Ahndung einer (in der Vergangenheit liegenden) Ordnungswidrigkeit durch die Verhängung einer Geldbuße, während die Androhung von Zwangsgeld nicht auf eine (weitere) Bestrafung der Antragsteller gerichtet ist, sondern die Herbeiführung von künftig rechtmäßigem Verhalten bezweckt. Das (repressive) Ordnungswidrigkeitenverfahren mit sanktionierendem Charakter und die allein der Gefahrenabwehr dienende (präventive) Androhung von Zwangsgeld unterscheiden sich insoweit in ihren Funktionen und schließen sich daher nicht gegenseitig aus (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 21.1.2003 – 1 C 5.02 – juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 27.10.1981 – 22 B 2206/79 – BeckRS 1981, 3587). Entgegen der Auffassung der Antragsteller wird nicht „über den Umweg des LStVG die Höchstpönsalisierung umgangen“. § 17 Abs. 1 OWiG, der eine maximale Höhe des Bußgeldes von 5.000 Euro vorgibt, ist aufgrund des unterschiedlichen Charakters von Ordnungswidrigkeitenverfahren und Verwaltungsvollstreckung nicht geeignet, Maßstab für die Höhe von Zwangsgeldern zu sein.
12
c) Mit der nicht substantiierten Behauptung, die Antragsteller seien durch die bevorstehende Beitreibung des Zwangsgelds finanziell überfordert, kommt der Bevollmächtigte nicht ansatzweise seiner Verpflichtung zur Darlegung nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nach. Im Übrigen liegt es in der Hand der Antragsteller, ihrer Verpflichtung aus Art. 76 Satz 2 BayEUG, für den regelmäßigen Schulbesuch ihres Sohnes zu sorgen, nachzukommen und damit die Vollstreckung des Zwangsgeldes abzuwenden.
13
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.