Titel:
Eilantrag der Vertreter eines Bürgerbegehrens gegen ein konkurrierendes Ratsbegehren
Normenkette:
GO Art. 18a Abs. 2, Abs. 15
Leitsatz:
Die Vertreter eines zugelassenen Bürgerbegehrens können ein konkurrierendes Ratsbegehren abwehren, wenn dieses durch eine irreführende Formulierung die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens schmälert. Dabei gilt ein umso strengerer Maßstab, je mehr sich die Fragestellung des Ratsbegehrens der Sache nach als ein bloßes Spiegelbild der Fragestellung des Bürgerbegehrens darstellt. (Rn. 17 – 18)
Schlagworte:
zugelassenes Bürgerbegehren, konkurrierendes Ratsbegehren, faire Verfahrensgestaltung, irreführende Fragestellung des Ratsbegehrens, Bürgerbegehren, Bürgerentscheid, irreführende Begründung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 09.03.2023 – M 7 E 23.636
Fundstellen:
BayVBl 2023, 699
DÖV 2023, 728
LSK 2023, 6184
BeckRS 2023, 6184
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Antragsteller wenden sich als Vertreter eines zugelassenen Bürgerbegehrens gegen ein konkurrierendes Ratsbegehren, über das gleichzeitig abgestimmt werden soll.
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1. Der Stadtrat der Antragsgegnerin erklärte in seiner Sitzung am 19. Januar 2023 unter TOP 5.2 das von den Antragstellern eingereichte Bürgerbegehren mit dem Thema „Stoppt den Flächenfraß – kein Gewerbegebiet K.hof II“ und mit der Fragestellung: „Sind Sie dafür, dass die Stadt P. a. d. Ilm alle Planungen für ein weiteres Gewerbegebiet K.hof II an der Äußeren M. Straße beendet und diese Fläche in der landwirtschaftlichen Nutzung belässt?“ für zulässig. Zugleich wurde ein von den Antragstellern eingereichtes weiteres Bürgerbegehren, das die Trassenführung der geplanten Südumfahrung zum Gegenstand hatte, für unzulässig erklärt, da die Entscheidung über diese Ortsumgehung (Staatsstraße 2045) in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Freistaats Bayern falle.
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In derselben Sitzung hatte der Stadtrat bereits zuvor unter TOP 5.1 einen Beschluss gefasst über die Durchführung eines Bürgerentscheids im Wege eines Ratsbegehrens mit dem Thema „Wohlstand sichern, Klima schützen – Ja zum grünen Gewerbepark [K.hof] mit Südumgehung“ und mit der Fragestellung: „Sind Sie dafür, dass die Stadt P. a. d. Ilm den Bebauungsplan ‚K.hof II‘ für ein nachhaltiges Gewerbegebiet mit P.er Südumgehung vorantreibt?“. Zugleich wurde beschlossen, das Ratsbegehren dem zugelassenen Bürgerbegehren entgegenzustellen.
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2. Als Vertreter des Bürgerbegehrens baten die Antragsteller die Kommunalaufsicht um Überprüfung der Zulässigkeit des Ratsbegehrens. Des Weiteren beantragten sie beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, der Antragsgegnerin zu untersagen, das Ratsbegehren weiter zu betreiben. Das Ratsbegehren verstoße gegen das Koppelungsverbot und gegen das Sachlichkeitsgebot; auch sei die Fragestellung zu unbestimmt und irreführend. Die Frage des Ratsbegehrens vermenge zwei unterschiedliche Komplexe miteinander; sie umfasse zum einen die Bauleitplanung, zum anderen die Südumgehung, die keine gemeindliche Aufgabe sei. Die Fragestellung suggeriere, dass die Bauleitplanung zu dem Gewerbegebiet zusammen mit der Südumgehung verwirklicht werde, was falsch sei.
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3. Mit Beschluss vom 9. März 2023 untersagte das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung, das Ratsbegehren weiter zu betreiben. Die Antragsteller hätten sowohl den Anordnungsgrund als auch den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dabei sei auch die jedenfalls teilweise Vorwegnahme der Hauptsachenentscheidung gerechtfertigt, da ein Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache nach summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. In der Rechtsprechung sei mittlerweile geklärt, dass die Vertreter eines Bürgerbegehrens zur Sicherung eines fairen Verfahrensablaufs das Recht haben müssten, ein konkurrierendes Ratsbegehren abzuwehren, wenn dieses so formuliert sei, dass damit die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung beeinträchtigt werde und damit die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens geschmälert würden.
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Mit der konkreten Formulierung des Ratsbegehrens sei hier in einer dem Gebot der Sachlichkeit und Ausgewogenheit bzw. den Anforderungen an einen fairen Verfahrensablauf widersprechenden Weise auf die Abstimmungsfreiheit der Bürger eingewirkt worden. Es könne dahinstehen, ob für Ratsbegehren das sog. Koppelungsverbot gleichermaßen wie bei Bürgerbegehren gelte und ob ein diesbezüglicher Verstoß festzustellen sei. Zu berücksichtigen sei hier insbesondere, dass es sich bei dem Ratsbegehren um eine sogenannte Konkurrenzvorlage handle, bei der dem mit dem Bürgerbegehren beantragten Bürgerentscheid ein ratsinitiierter Bürgerentscheid gegenübergestellt werde. In dieser Konstellation sei primär zu prüfen, ob die konkrete Formulierung des Ratsbegehrens (in Überschrift und Fragestellung) geeignet sei, die Entscheidungsfreiheit der Abstimmenden zu Lasten des Bürgerbegehrens zu beeinträchtigen. Dies könne zur Folge haben, dass ein bei isolierter Betrachtung nicht zu beanstandendes Ratsbegehren in diesem konkreten Zusammenhang eine unfaire Verfahrensbeeinflussung darstellen könne. Bei der Prüfung des Vorliegens einer unzulässigen Irreführung sei auch die Konkurrenzsituation in den Blick zu nehmen.
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Die in der Überschrift wie auch in der Fragestellung des Ratsbegehrens enthaltene Bezugnahme auf die „Südumgehung“ beeinträchtige die Entscheidungsfreiheit der Bürger. Der konkreten Formulierung komme hier weitreichende Bedeutung zu, da der Stimmzettel keine Begründungen enthalte. Gerade durch die Gegenüberstellung zweier gegenläufiger Fragen rückten unterschiedliche Formulierungen besonders in den Fokus, da der Bürger aufgerufen sei, jedenfalls im Kern über denselben Gegenstand zweimal abzustimmen und zudem eine Stichfrage zu beantworten. Dabei könne sich die Frage der Sinnhaftigkeit zweier gegenläufiger Abstimmungen aufdrängen, wenn diese einen identischen Inhalt hätten; auch deshalb könnten von den Abstimmenden Unterschiede in besonderer Weise wahrgenommen werden.
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Mit den Begriffen „Südumgehung“ bzw. „P.er Südumgehung“ in der Überschrift und in der Fragestellung sowie mit der engen sprachlichen Verknüpfung („mit“) dieser Begriffe mit dem geplanten „Gewerbepark“ bzw. dem „Gewerbegebiet“ werde der geplanten Umgehungsstraße ein Zusammenhang mit dem geplanten Gewerbegebiet zugemessen, der ihr tatsächlich nicht zukomme. Es werde der Eindruck erweckt, dass die „Südumgehung“ – neben dem Gewerbegebiet – einen eigenständigen wesentlichen Bestandteil des Bebauungsplans darstelle und damit ebenfalls zum Abstimmungsgegenstand gehöre. Ein rein örtlicher Bezug zu dem Gewerbegebiet, um den es sich hier im Wesentlichen handle, werde hingegen nicht deutlich. Die in Planung befindliche „Südumgehung“ bezeichne ein Teilstück der Staatsstraße 2045, deren Bau dem Freistaat Bayern obliege. Der von der Antragsgegnerin favorisierte und mit dem Staatlichen Bauamt abgestimmte, gegenüber der vorherigen Planung verschobene Trassenverlauf der Umgehungsstraße sei zeichnerisch in den Planentwurf für den Aufstellungsbeschluss nachrichtlich übernommen worden; es bestehe ein unmittelbarer örtlicher Bezug, da sich das zu bebauende Gebiet an den neuen Trassenverlauf anschließen solle. Gleichwohl erfolgten Planung und Bau der Ortsumgehung grundsätzlich unabhängig davon, ob die Antragsgegnerin den Bebauungsplan weiterverfolge, auch wenn sich dann ggf. erforderliche Plananpassungen ergeben könnten. Lediglich die Frage des Trassenverlaufs würde mit dem Bebauungsplan insoweit abschließend entschieden, als jedenfalls die vorherige Planung nicht mehr weiterverfolgt werden könne, weil deren Trasse durch das Plangebiet führe. Aber selbst der geänderte Trassenverlauf könne auch ohne Weiterverfolgung des Bebauungsplans sinnvoll bleiben.
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Sowohl mit der Überschrift als auch mit der Fragestellung werde der Eindruck vermittelt, dass es sich bei der Südumgehung um einen wesentlichen Projektteil des „Gewerbeparks“ handle und der Abstimmende, wenn er sich für die „Südumgehung“ aussprechen wolle, zugleich für den „Gewerbepark“ stimmen müsse. Aus der Formulierung gehe nicht klar hervor, dass es sich (nur) um eine Darstellung des Plangebiets oder des Geltungsbereichs des Bebauungsplans handeln solle. Insbesondere sei die Begrifflichkeit „mit Südumgehung“ in der Überschrift ohne jeden Bezug zu dem Bebauungsplan enthalten. Bei der „Südumgehung“ in der Gesamtheit handle es sich um ein Straßenbauprojekt, das wohl auch von Unterstützern des Bürgerbegehrens grundsätzlich befürwortetet werde, da von dieser Seite Einwendungen nur hinsichtlich des Trassenverlaufs erhoben würden. In der Stichfrage würden die Überschriften der Bürgerentscheide nochmals direkt gegenübergestellt, sodass davon auszugehen sei, dass auch hier der Abstimmende die „Südumgehung“ mit in seine Überlegungen zur Entscheidungsfindung einbeziehen werde. Nach alledem seien die Paritätsanforderungen nicht mehr gewahrt, so dass die Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf Unterlassung der Fragestellung in dem konkurrierenden Ratsbegehren glaubhaft gemacht hätten. Sie hätten auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da die Antragsgegnerin das Ratsbegehren weiter betreibe und bereits die Unterlagen für die auf den 2. April 2023 terminierte Abstimmung verschickt habe.
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Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit der Beschwerde, der die Antragsteller entgegentreten.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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1. Die Beschwerde, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht stattgegeben. Die dagegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
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a) Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Antragsgegnerin vor, der Verweis auf das Paritätsgebot gehe fehl, da dieses bei einer Konkurrenz von Ratsbegehren und Bürgerbegehren nicht gelte. Das Verwaltungsgericht stelle den Rechtssatz auf, dass ein konkurrierendes Ratsbegehen dem aus Art. 18a Abs. 15 GO folgenden Paritätsgebot genügen und dass sich seine Formulierung in den Grenzen der vom Bürgerbegehren formulierten Fragestellung halten müsse; damit werde die in Art. 18a Abs. 2 GO eingeräumte Möglichkeit eines Ratsbegehrens unzulässig beschränkt. Ein Ratsbegehren habe gerade in Bezug auf ein Bürgerbegehren die legitime Funktion, dass der Gemeinderat in einer eigenen Fragestellung die aus seiner Sicht wichtige Position aufnehmen und als Alternativvorschlag dem Bürgerbegehren entgegensetzen könne.
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Zwar werde diskutiert, ob eine mit Begründungselementen vermengte Konkurrenzvorlage die Chancengleichheit des Bürgerbegehrens verletzen könne. Diese Konstellation sei hier aber nicht gegeben. In der Verwendung des Begriffs „Südumgehung“ in Überschrift und Fragestellung des Ratsbegehrens liege keine Vermengung mit Begründungselementen. Maßstab für die Beurteilung einer Fragstellung sei der mündige Bürger, der sich mit Inhalt und Hintergrund der Fragestellung auseinandersetze; der Stimmzettel sei insofern nicht Grundlage, sondern allenfalls Schlusspunkt der Entscheidungsfindung. Zwar sei es für einen fairen Abstimmungsprozess erforderlich, dass die Frage keine unzutreffenden oder irreführenden Aussagen enthalte. Die Fragestellung des Ratsbegehrens beschreibe aber zutreffend den Planungsinhalt des Bebauungsplans „K.hof II“, der neben Gewerbeflächen die Flächen der mit dem Staatlichen Bauamt abgestimmten Trassenführung der Südumgehung enthalte. Bereits in den 2017 neu aufgestellten Flächennutzungsplan seien die Gewerbegebietsflächen und die neue Trasse der Umgehungsstraße aufgenommen worden; daraus ergebe sich für das Staatliche Bauamt gemäß § 7 BauGB eine Pflicht zur Anpassung der Trassenführung an die städtische Planung. Der vorliegende Bebauungsplan ermögliche beides, die Gewerbegebietsentwicklung und die Realisierung der Südumgehung mit Anschluss an das Gewerbegebiet. Durch die Formulierung „Gewerbegebiet mit P.er Südumgehung“ werde klar, dass die Südumgehung Teil des Bebauungsplans sein solle. Mit ihrer Einbeziehung in dessen Geltungsbereich habe der Stadtrat zum Ausdruck gebracht, dass er aufgrund der Abstimmung mit dem Staatlichen Bauamt die Realisierungschance der Südumgehung durch den Bebauungsplan „K.hof II“ deutlich vorangebracht habe. Die wesentlichen betroffenen Grundstückseigentümer hätten der Flächenabtretung für die aktuelle Trasse bereits zugestimmt, während gegen die alte Trassenführung deutliche Widerstände bestanden hätten.
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Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Abstimmende werde nach der Fragestellung gezwungen, für den Gewerbepark zu stimmen, wenn er auch die Südumgehung umgesetzt wissen wolle, lasse sich aus dem Wortlaut nicht ableiten. Im Ergebnis übertrage das Gericht die Argumentation zum Verbot der Koppelung sachlich nicht zusammenhängender Fragestellungen auf die beiden Fragestellungen des Bürgerbegehrens und des Ratsbegehrens. Die Entscheidungsfreiheit der Bürger werde durch die Fragestellung im Ratsbegehren nicht beeinträchtigt. Die Mutmaßung des Gerichts, das Straßenbauprojekt einer Südumgehung werde von vielen Abstimmenden befürwortet, könne aus den Akten nicht abgeleitet werden und finde sich auch nicht im Sachvortrag der Beteiligten. In der Annahme, die Unterstützer einer Südumgehung würden gezwungen, für den Gewerbepark zu stimmen, wenn sie auch die Umgehungsstraße realisiert wissen wollten, sehe das Verwaltungsgericht aber offensichtlich die Beeinträchtigung des Bürgerbegehrens durch das konkurrierende Ratsbegehren. Es könne aber auch umgekehrt sein, dass die Südumgehung äußerst umstritten sei und möglicherweise Bürger gegen den Gewerbepark stimmten, wenn sie damit den Planungsinhalt Südumgehung ablehnten.
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b) Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Frage zu stellen.
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aa) Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass immer dann, wenn ein vom Gemeinderat im Wege des Ratsbegehrens beschlossener Bürgerentscheid (Art. 18a Abs. 2 GO) als sog. Konkurrenzvorlage einem mit Bürgerbegehren beantragten Bürgerentscheid gegenübergestellt wird, die Vertreter des Bürgerbegehrens sich gegen das konkurrierende Begehren zur Wehr setzen können, wenn dieses so formuliert ist, dass damit die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung beeinträchtigt wird und die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens geschmälert werden (BayVGH, B.v. 1.3.2018 – 4 CE 18.495 – BayVBl 2018, 557 Rn. 7). Die hiernach bestehenden spezifischen Grenzen bei der Formulierung eines mit einem Bürgerbegehren konkurrierenden Ratsbegehrens ergeben sich nicht aus dem Paritätsgebot des Art. 18a Abs. 15 GO, das nur für Veröffentlichungen und Informationsveranstaltungen gilt, sondern aus der allgemeinen Verpflichtung der Gemeindeorgane zur Gewährleistung eines fairen Verfahrensablaufs (BayVGH, a.a.O.). Das bedeutet zwar nicht, dass sich die Formulierung eines konkurrierenden Ratsbegehrens in den Grenzen der vom Bürgerbegehren formulierten Fragestellung halten müsste; dies hat entgegen dem Beschwerdevorbringen auch das Verwaltungsgericht nicht verlangt. Bei Konkurrenzvorlagen, mit denen eine mit dem Ziel des Bürgerbegehrens (zumindest partiell) unvereinbare Entscheidungsalternative zur Abstimmung gestellt wird und bei denen es daher einer Stichfrage (Art. 18a Abs. 12 Satz 3 GO) bedarf, muss aber darauf geachtet werden, dass der Gemeinderat, der das Anliegen des Bürgerbegehrens erkennbar ablehnt (vgl. Art. 18a Abs. 4 GO), nicht durch unzutreffende Aussagen oder durch eine irreführende Wortwahl auf das Abstimmungsverhalten einwirkt und sich damit einen illegitimen Vorteil verschafft.
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Dabei ist ein umso strengerer Maßstab anzulegen, je mehr sich das als Reaktion auf ein zulässiges Bürgerbegehren initiierte Ratsbegehren in seiner Fragestellung der Sache nach als ein bloßes Spiegelbild der Fragestellung des Bürgerbegehrens darstellt. Hat der vom Gemeinderat beschlossene weitere Bürgerentscheid keine echte inhaltliche Alternative zum Gegenstand, sondern wird damit im Wesentlichen nur die aufgrund des Bürgerbegehrens ohnehin zur Abstimmung stehende Frage in gegenläufiger Form neu gestellt, so liegt die Vermutung nahe, dass gerade mit dieser Umformulierung eine spezielle Vorstellung bei den Abstimmenden erweckt werden soll; anderenfalls hätte kein Grund für einen zweiten Bürgerentscheid zum selben Thema bestanden. In solchen Fällen besteht eine besondere Gefahr, dass die Abstimmungsberechtigten durch den gegenüber dem Bürgerbegehren geänderten Wortlaut des Ratsbegehrens irregeführt werden. Denn wer auf einem Stimmzettel zwei unterschiedlich formulierte Fragen samt Stichfrage vorfindet, erwartet in der Regel, dass es sich auch der Sache nach um eine wirkliche Entscheidungsalternative und nicht bloß um zwei verschiedene sprachliche Fassungen ein und derselben Fragestellung handelt. Er wird daher im Zweifel die in der Konkurrenzvorlage enthaltenen Begriffe und Begründungselemente dahingehend (miss-)verstehen, dass darin ein gegenüber dem Bürgerbegehren abweichender bzw. zusätzlicher Entscheidungsinhalt zum Ausdruck kommt.
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bb) Ein solcher Irreführungseffekt ist bei dem vom Stadtrat der Antragsgegnerin beschlossenen Ratsbegehren objektiv gegeben. Zwar zielt es inhaltlich nur auf eine Entscheidung darüber, ob das derzeit laufende Bebauungsplanverfahren „K.hof II“, wie im Bürgerbegehren gefordert, „beendet“ oder, wie von der Ratsmehrheit gewünscht, „vorangetrieben“ werden soll. Die Formulierung des Ratsbegehrens beschränkt sich aber nicht auf die Darstellung dieses Entscheidungsgegenstands, sondern bringt das geplante Baugebiet sowohl in der auf dem Stimmzettel mit abgedruckten Kurzbezeichnung („… Gewerbepark [K.hof] mit Südumgehung“) als auch in der Fragestellung („… Gewerbegebiet mit P.er Südumgehung“) in eine direkte Verbindung zu einem staatlichen Straßenbauvorhaben. Die Verwendung der modalen Präposition „mit“, die auf etwas Zusammengehöriges hinweist, vermittelt aus Sicht der Abstimmungsberechtigten den Eindruck, dass zum Inhalt des Bebauungsplans bzw. zum Gegenstand des städtebaulichen Planungsverfahrens auch die zur innerörtlichen Verkehrsentlastung geplante Südumgehung gehöre, so dass auch über deren „Vorantreiben“ im Rahmen des Bürgerentscheids abgestimmt werde. Dies ist aber nicht der Fall, da über den Bau dieses ca. 3,6 km langen Teilstücks der Staatsstraße 2045 in einem gesonderten Verfahren entschieden wird, für das die Antragsgegnerin nicht zuständig ist. Die bloß nachrichtliche Übernahme des – im Flächennutzungsplan seit 2017 dargestellten – Trassenverlaufs in den beabsichtigten Bebauungsplan „K.hof II“ begründet für das Staatliche Bauamt keinerlei Verpflichtung zur Realisierung des betreffenden Straßenabschnitts.
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Die im Ratsbegehren gewählte Formulierung lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass der Erlass des Bebauungsplans „K.hof II“ die Aussichten auf eine Verwirklichung der Südumgehung erhöhen werde. Im vorliegenden Planentwurf ist zwar am südwestlichen Rand des Plangebiets eine straßenmäßige Anbindung des Gewerbegebiets an die dort verlaufende Trasse der Südumgehung vorgesehen. Diese ortsplanerische Festlegung mag auch bei der künftigen Entscheidung der Straßenbaubehörde, ob und in welcher Form die als regionale Zubringerachse fungierende Staatsstraße 2045 eine südliche Verbindungsspange erhält, einen Abwägungsbelang bilden. Diese bloß mittelbare Bedeutung kommt aber in der Fragestellung, ob die Stadt „den Bebauungsplan… für ein nachhaltiges Gewerbegebiet mit P.er Südumgehung“ vorantreiben soll, nicht zum Ausdruck. Die gewählte Formulierung legt im Gegenteil den unzutreffenden Schluss nahe, dass die Bebauungsplanung neben dem Gewerbegebiet die (gesamte) Straßenbaumaßnahme umfasst und dass für beides die Antragsgegnerin zuständig ist. Wäre es dem Stadtrat der Antragsgegnerin nur darum gegangen, in der Fragestellung den räumlichen Zusammenhang der Bebauungsplanung mit dem staatlichen Straßenbauvorhaben darzulegen, hätte er dies sehr viel klarer zum Ausdruck bringen können und müssen (z.B. „Gewerbegebiet mit Anschluss an die geplante Südumgehung“).
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cc) Die irreführende Formulierung des Ratsbegehrens verletzt die Entscheidungsfreiheit der Abstimmenden und kann daher von den Vertretern des Bürgerbegehrens beanstandet werden.
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Grundsätzlich dürfen die in Bürgerentscheiden zur Abstimmung gestellten Fragen allerdings erläuternde oder wertende Zusätze enthalten, die in der Praxis zumeist eine bestimmte Tendenz erkennen lassen. Vom Gemeinderat beschlossene Konkurrenzvorlagen müssen danach ebenfalls nicht wertungsfrei formuliert sein, sondern können schon durch die Art der Fragestellung für ein zustimmendes Votum werben, hier z.B. mit der Bezeichnung des geplanten Gewerbegebiets als „nachhaltig“. Ähnlich wie bei der Unterschriftsleistung für ein Bürgerbegehren (BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – VGH n.F. 70, 119 = BayVBl 2018, 22 Rn. 35) wird von den Abstimmungsberechtigten also auch bei der Stimmabgabe erwartet, dass sie sich ungeachtet einer einseitig gefärbten Umschreibung des Abstimmungsgegenstands ein eigenständiges Urteil bilden. Die Grenze des rechtlich Zulässigen ist jedoch überschritten, wenn die Darstellung nicht bloß tendenziös, sondern objektiv irreführend ist. Auch ein mündiger Bürger, der sich selbst um weitere Informationen bemüht, darf zumindest erwarten, dass die Fragestellung des Bürgerentscheids, zumal wenn sie von einem Kommunalorgan stammt, so korrekt formuliert ist, dass sie nicht zu unrichtigen Schlussfolgerungen verleitet und ihn damit in seiner Abstimmungsfreiheit beeinträchtigt. Ein solcher Verstoß liegt hier aus den dargelegten Gründen vor.
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Wenn ein vom Gemeinderat als Konkurrenzvorlage beschlossenes Ratsbegehren irreführende Elemente aufweist, können sich die Vertreter des zuvor eingereichten Bürgerbegehrens dagegen zur Wehr setzen, ohne im Einzelnen darlegen zu müssen, dass die betreffende Formulierung geeignet ist, das künftige Abstimmungsverhalten zu ihrem Nachteil zu verändern. Abgesehen davon, dass ein diesbezüglicher Nachweis im Vorhinein schwerlich geführt werden kann, erscheint es unter den gegebenen Umständen auch nicht geboten, die Kausalitätsfrage zu klären. Angesichts der bestehenden Konkurrenzsituation spricht schon eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die irreführende Formulierung gewählt wurde, weil sie geeignet ist, dem Ratsbegehren zum Erfolg zu verhelfen. Sollte sie dennoch (unbeabsichtigterweise) das Gegenteil bewirken, wie es die Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung bezüglich der Erwähnung der Südumgehung für möglich hält, steht es den Vertretern des Bürgerbegehrens frei, sich den damit verbundenen Vorteil bei der Abstimmung zunutze zu machen und auf eine Rüge des Verfahrensverstoßes zu verzichten. Nehmen sie dagegen wie hier gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch, kann im Zweifel zu ihren Gunsten vermutet werden, dass der streitige Zusatz im Ratsbegehren die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens tatsächlich schmälert.
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dd) Die Antragsteller können hiernach schon deshalb, weil in dem Ratsbegehren das Bebauungsplanverfahren in irreführender Weise mit der geplanten Südumgehung in Zusammenhang gebracht wird, von der Antragsgegnerin verlangen, das Ratsbegehren nicht weiter zu betreiben. Ob die im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen sonstigen Einwände gegen die Konkurrenzvorlage ebenfalls durchgreifen, bedarf somit keiner abschließenden Entscheidung.
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Keine eigenständige Rechtsverletzung dürfte jedenfalls in dem Umstand zu sehen sein, dass der von der Antragsgegnerin gestaltete kombinierte Stimmzettel nicht nur die Abstimmungsfragen des Rats- und des Bürgerbegehrens enthält, sondern auch deren jeweils mit Werbeparolen („Wohlstand sichern, Klima schützen“ bzw. „Stoppt den Flächenfraß“) angereicherte Kurzbezeichnungen. Dies verstößt zwar gegen § 22 Abs. 2 der von der Antragsgegnerin erlassenen „Satzung zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (BBS)“ vom 19. Januar 2023, wonach auf dem Stimmzettel nur die mit dem Bürgerbegehren unterbreitete oder vom Stadtrat beschlossene Fragestellung abgedruckt wird (Satz 1) und darüberhinausgehende Angaben unzulässig sind (Satz 2). Die Missachtung dieser aus einem gängigen Satzungsmuster übernommenen Vorschrift, der in der landesweiten Praxis offenbar wenig Beachtung geschenkt wird (vgl. auch Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Stand 11/2022, 21.00, Erläuterungen zu § 22 Rn. 3), widerspricht aber nur dann dem Gebot eines fairen Verfahrensablaufs, wenn dadurch eines der beiden konkurrierenden Begehren zumindest mittelbar benachteiligt wird. Dies ist hier nicht anzunehmen, da die von den Initiatoren des Bürgerbegehrens gewählte Kurzbezeichnung gleichfalls unverändert auf dem Stimmzettel enthalten ist und auch hinsichtlich der Textlänge und Textgestaltung kein auffälliges Ungleichgewicht besteht.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 1.5, Nr. 22.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).