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VGH München, Beschluss v. 06.03.2023 – 24 B 23.30101
Titel:

Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht, Abweichende Beurteilung der allgemeinen asylrelevanten Lage

Normenkette:
AsylG § 79 Abs. 2
Schlagworte:
Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht, Abweichende Beurteilung der allgemeinen asylrelevanten Lage
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 09.05.2018 – W 3 K 18.30299
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6181

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. Mai 2018 und das verwaltungsgerichtliche Verfahren werden aufgehoben.
II. Das Verfahren wird nach § 79 Abs. 2 AsylG an das Verwaltungsgericht Würzburg zurückverwiesen.

Gründe

1
Das Verfahren kann nach § 79 Abs. 2 AsylG n.F. an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden, da die dort normierten Voraussetzungen für eine Zurückverweisung vorliegen.
2
Der neu gefasste § 79 Abs. 2 AsylG ist ausweislich der Gesetzesbegründung vom 8. November 2022 für die Fälle geschaffen worden, in denen das Oberverwaltungsgericht die allgemeine asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevante Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat anders als das Verwaltungsgericht beurteilt und die Schutzgewährung durch das Verwaltungsgericht wesentlich von dieser Beurteilung abhing. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Oberverwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine Gruppenverfolgung verneint, sodass eine individuelle Verfolgung der Kläger zu prüfen ist und das Verwaltungsgericht in einer Vielzahl von Fällen eine Gruppenverfolgung bejaht und daher ‒ aus seiner Sicht folgerichtig ‒ auf eine Prüfung der individuellen Umstände des Einzelfalls verzichtet hat. Das Oberverwaltungsgericht müsste dann in der entsprechenden Vielzahl von Fällen diese individuelle Prüfung nachholen, sodass es einer erheblichen Belastung ausgesetzt wird, mit der entsprechende Verfahrensverzögerungen einhergehen (vgl. BT-Drs. 20/4327, S. 43).
3
Eine solche Situation liegt hier vor. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat in zahlreichen Fällen ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine politische Verfolgung wegen exilpolitischer Betätigung bejaht und nicht geprüft, ob andere Gründe für die Gewährung von Flüchtlingsschutz oder von subsidiärem Schutz oder der Feststellung von Abschiebungshindernissen vorliegen. Der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs hat demgegenüber die allgemeine Situation hinsichtlich der exilpolitischen Betätigung mit seinen Urteilen vom 13. Februar 2019 (Az. 8 B 18.30261, 8 B 18.30257 und 8 B 17.31645 zur TBOJ/UOSG), vom 12. März 2019 (Az. 8 B 18.30252 und 8 B 18.30274 zu EPCOU, EPPFG und EDGM) und vom 12. Dezember 2019 (Az. 8 B 19.31004) anders beurteilt. Der 24. Senat schließt sich insoweit der Auffassung des 8. Senats an (s. auch BayVGH, B.v. 17.10.2021 – 23 ZB 19.33385 – juris).
4
Die noch anhängigen Berufungsverfahren müssten daher mündlich verhandelt werden. Die hierfür notwendige Prüfung der aktuellen allgemeinen Lage in Äthiopien sowie der individuellen Situation der jeweiligen Kläger wäre mit umfassenden Beweiserhebungen verbunden, die zu erheblichen Verzögerungen in den anderen Streitsachen führen würden.
5
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO) und bindet das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Frage der Gewährung von Flüchtlingsschutz wegen exilpolitischer Betätigung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (§ 79 Abs. 2 Satz 2 AsylG).