Inhalt

LG München I, Endurteil v. 12.01.2023 – 2 O 2151/22
Titel:

Zivilprozessrecht: Gerichtsstand für negative Feststellungsklage

Normenketten:
EuGGVO Art. 4 Abs. 1, Art. 7, Art. 18
ZPO § 12, § 13, § 24, § 29
BGB § 270 Abs. 1
Leitsätze:
„Für die Erhebung einer negative Feststellungsklage besteht kein - ungeschriebener - Gerichtsstand am Wohnort der Klagepartei.“ (Rn. 16 und 21)
1. Ein europarechtlicher Vergleich zivilprozessualer Gerichtsstände liefert keine Anhaltspunkte für ein nicht differenzierendes Spiegelbildprinzip zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit bei negativen Feststellungsklagen. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Grundsätze der ZPO geben keinen Anlass, bei einer negativen Feststellungsklage für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit  auf eine fiktive umgedrehte Leistungsklage abzustellen (Abgrenzung OLG München BeckRS 2009, 23746). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Wahlrecht des Klägers einer negativen Feststellungsklage zwischen seinem allgemeinen Gerichtsstand und dem des Beklagten würde der gesetzgeberisch gewollten prozessualen Lastenverteilung widersprechen, wonach der Angreifer den Angegriffenen an dessen Ort aufzusuchen hat und dem Vorteil des Klägers, der das Ob der Klageerhebung, den Zeitpunkt und die Art des Klageangriffs bestimmt, die Vergünstigung des Beklagten gegenüber steht, den Rechtsstreit nicht an einem auswärtigen Gericht führen zu müssen (vgl. Schultzky in Zöller, 34. Auflage, 2022, § 12 ZPO Rn 3). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zivilprozessrecht, Gerichtsstand, negative Feststellungsklage, Spiegelbildprinzip, Rechtsvergleich, Europarecht, Grundsätze der ZPO, fiktive umgedrehte Leistungsklage, Wahlrecht, prozessuale Lastenverteilung
Fundstellen:
MD 2023, 484
MDR 2023, 661
BeckRS 2023, 617
LSK 2023, 617

Tenor

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 350.000,00 € festgesetzt.  

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ein von der Beklagten erklärter Schenkungswiderruf unwirksam ist.
2
Die Beklagte ist die Tante der Klägerin. Mit notariellem Schenkungsvertrag vom 18. März 1991, beurkundet vor dem Notar in ..., UrkundenNr. ..., schenkte unter anderem die Beklagte der Klägerin und deren Schwester Miteigentumsanteile an zwei Mehrfamilienhäusern, die in Kassel belegen sind. Der Nießbrauch an den Objekten war den Schenkerinnen, also auch der Beklagten, vorbehalten. Beide Objekte wurden mittlerweile verkauft oder versteigert und stehen daher nicht mehr im Miteigentum der Klägerin.
3
Die Beklagte widerrief den Schenkungsvertrag bereits mehrfach. Gegenstand der vorliegenden Klage ist ein Schenkungswiderruf vom 20. Januar 2022. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27. Januar 2022 forderte die Klägerin die Beklagte auf, bis zum 14. Februar 2022 zu bestätigen, dass dieser Widerruf nicht aufrechterhalten werde. Die Beklagte bestätigte dies nicht.
4
Die Klägerin ist der Auffassung, das angerufene Gericht sei örtlich zuständig. Insofern sei anerkannt, dass bei einer negativen Feststellungsklage der Gerichtsstand nach der Zuständigkeit einer gedachten Leistungsklage bestimmt werden könne. Für die Klage wäre daher der allgemeine Gerichtsstand der Klägerin maßgeblich. Denn bei einer Rückabwicklung der Schenkung müsste die Beklagte die Klägerin vor dem Landgericht München I auf Zahlung des Wertersatzes verklagen.
5
Die Klägerin beantragt,
1.
festzustellen, dass der von der Beklagten erklärte Widerruf der mit notarieller Urkunde Nr. ... des Notars ... in ... vom 18.03.1991 erfolgten Schenkung je eines ideellen Viertels an dem im Grundbuch von, Blatt eingetragenen Grundstück Flur ... Flurstück Nr. ... (Hof- und Gebäudefläche und an dem im Grundbuch von Band ... Blatt ..., eingetragenen Grundstück Flur ..., Flurstück Nr. ... (Gebäude- und Freifläche), seitens der Beklagten an die Klägerin unwirksam ist und der Beklagten gegen die Klägerin ein Anspruch auf Rückgabe und Herausgabe des durch die Schenkung Erlangten nicht zusteht.
2.
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.148,60 Euro vorgerichtliche Kosten zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
6
Die Beklagte rügt die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts und beantragt,
die Klage als unzulässig abzuweisen.
7
Die Beklagte ist der Auffassung, dass vorliegend ihr allgemeiner Gerichtsstand die örtliche Zuständigkeit des Gerichts bestimmt. Dieser läge in ... Eine örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sei ausgeschlossen.
8
Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien im Einzelnen und den dabei geäußerten Rechtsauffassungen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die dabei vorgelegten Anlagen verwiesen.
9
Das Gericht hat auf seine vorläufige Rechtsauffassung hingewiesen mit der Ladung zur Erörterung des Zwischenstreits vom 28. Juni 2022 (Blatt 33 der Akten).

Entscheidungsgründe

10
Die Klage ist unzulässig, da das angerufene Gericht örtlich unzuständig ist.
A.
11
Das angerufene Gericht ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt für die Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit örtlich zuständig.
12
I. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten ist gemäß § 13 ZPO im Gerichtsbezirk des Landgerichts ...
13
II. Ein daneben bestehender besonderer oder ausschließlicher Gerichtsstand ist nicht gegeben.
14
1. Die örtliche Zuständigkeit für den vorliegenden Rechtsstreit ist nicht nach § 24 ZPO zu bestimmen, da die geschenkten Immobilien mittlerweile veräußert sind. Eine „belegene Sache“ im Sinne des § 24 ZPO steht daher nicht mehr inmitten.
15
Abgesehen davon wäre auch dann, wenn der Gerichtsstand des § 24 ZPO fortwirkt, soweit es um Zahlungsansprüche nach einem dinglichen Anspruch geht, das Landgericht ... zuständig. Denn die geschenkten Immobilien waren in ... belegen.
16
2. Einen für den Fall einer negativen Feststellungsklage generell anzunehmenden ungeschriebenen besonderen oder allgemeinen Gerichtsstand am Wohnort der Klagepartei gibt es nicht. Es verbleibt daher auch unter Berücksichtigung dieser besonderen Klagekonstellation bei der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts ... (siehe Ziffer I.).
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a) Soweit die Klägerin aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 18. August 2009, Az. 31 AR 355/09, eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I am allgemeinen Gerichtsstand der Klägerin herleiten will, überzeugt dies nicht. Der genannten Entscheidung ist nicht zu entnehmen, dass das Oberlandesgericht München generell und ohne Differenzierung davon ausgeht, dass bei einer negativen Feststellungsklage ein Gerichtsstand immer auch am allgemeinen Gerichtsstand der Klagepartei anzunehmen ist.
18
Das Oberlandesgericht München legt in der Entscheidung umfangreich dar, dass es unterschiedliche Auffassungen dazu gibt, ob bei einer negativen Feststellungsklage der allgemeine Gerichtsstand des Klägers die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts bestimmen kann. Verwiesen hat das Oberlandesgericht ausdrücklich auch darauf, dass es neben dem sogenannten allumfassenden „Spiegelbildprinzip“, wonach der Gerichtsstand undifferenziert immer anhand der umgekehrten Leistungsklage bestimmt werden kann, auch eine differenzierende Auffassung gibt. Nach dieser differenzierenden Auffassung ist dann, wenn eine Gerichtsstandsregelung auf personenbezogene Merkmale der Parteien Bezug nimmt, auch im Rahmen der negativen Feststellungsklage die formelle Parteirolle für die Bestimmung des Gerichtsstands ausschlaggebend. Die gerichtliche Zuständigkeit wird daher in diesen Fällen nicht anhand einer fiktiven umgekehrten Leistungsklage bestimmt, sondern nach den persönlichen Merkmalen der Parteien in der tatsächlich anhängigen negativen Feststellungsklage. Lediglich bei einer vom sachlichen Gegenstand des Rechtsstreits abgeleiteten Zuständigkeitsvorschrift ist nach dieser Auffassung das „Spiegelbildprinzip“ begründbar.
19
Das Oberlandesgericht München führt in der zitierten Entscheidung sodann abschließend aus:
„Die dargestellte differenzierende Auffassung hat sich jedoch, soweit ersichtlich, in der Rechtsprechung noch nicht allgemein durchgesetzt. Die Rechtsmeinung des Landgerichts, es sei für die negativen Feststellungsklagen des Klägers zu 1 zuständig, weil dieser an seinem Wohnsitzgericht klagen kann, ist deshalb nicht zu beanstanden.“
20
Aus dieser Formulierung ergibt sich gerade nicht, dass das Oberlandesgericht München die differenzierende Auffassung für nicht begründbar hält. Vielmehr hatte sie sich zum Zeitpunkt der damaligen Entscheidung (noch) nicht durchgesetzt, weswegen auch die nicht-differenzierende Auffassung nach Auffassung des Oberlandesgerichts München vertretbar war. Eine Aussage, dass die örtliche Zuständigkeit einer negativen Feststellungsklage immer auch anhand des allgemeinen Gerichtsstands der Klagepartei bestimmt werden kann, findet sich in der Entscheidung gerade nicht.
21
b) Ein ungeschriebener Gerichtsstand für die Erhebung einer negativen Feststellungsklage am allgemeinen Gerichtsstand der Klagepartei ist nicht begründbar. Ein solcher Gerichtsstand ist weder im Rahmen internationaler Rechtsanwendungen gängig, noch ergibt sich aus dem Regelungssystem der deutschen Zivilprozessordnung ein Anhaltspunkt dafür, dass ein solcher Gerichtsstand der Zielsetzung des Gesetzgebers entspricht.
22
aa) Im Rahmen der Überprüfung internationaler Gepflogenheiten zieht das Gericht europarechtliche Regelungen rechtsvergleichend heran, da Deutschland Verbindungen vor allen Dingen zu diesem Rechtssystem aufweist. Auch ein europarechtlicher Vergleich gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass das hier geltend gemachte (nicht differenzierende) Spiegelbildprinzip zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit bei negativen Feststellungsklagen Anwendung findet.
23
Im Bereich der europarechtlichen Regelungen ist allgemein anerkannt, dass der allgemeine Gerichtsstand rein anhand der formalen Parteirollen im zu entscheidenden Rechtsstreit zu bestimmen ist (Art. 4 Abs. 1 EuGGVO). Eine Rechtsfigur, wonach der Gerichtsstand auch anhand eines fiktiven Prozesses mit umgekehrten Parteirollen zu bestimmen ist, ist unbekannt.
24
Ausnahmen und erweiterte Zuständigkeitsmöglichkeiten werden gesondert und explizit geregelt. Alle Sonderreglungen stellen darauf ab, dass es entweder einen größeren Sachzusammenhang zu einem anderen Gericht gibt (zB. Art. 7 EuGGVO) oder eine besondere Schutzbedürftigkeit einer Streitpartei im Raum steht (zB. Verbrauchersachen Art. 18 EuGVVO). Eine Sonderregelung, wonach der Gerichtsstand auch danach bestimmt werden könnte, wer vorgerichtlich (aus Sicht einer Partei) den Streit ausgelöst hat, gibt es nicht.
25
Rechtsvergleichend mit den europarechtlichen Regelungen hat sich damit ein nicht differenzierendes Spiegelbildprinzip bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit für eine negative Feststellungsklage nicht durchgesetzt.
26
bb) Auch im Rahmen der Zivilprozessordnung nach deutschem Recht gibt es keinen Anlass, bei einer negativen Feststellungsklage für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts auf eine nicht anhängige fiktive umgedrehte Leistungsklage abzustellen.
27
Im Grundsatz stellt die ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts auf personenbezogene Merkmale der Parteien ab, insbesondere bei der Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstands (§ 13 ZPO). Daneben gibt es Regelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit, die auf eine größere örtliche Sachnähe abstellen (zB. § 24 ZPO).
28
Es gibt hingegen keine Spezialregelung dahingehend, dass bei einer negativen Feststellungsklage die örtliche Zuständigkeit des Gerichts anhand des allgemeinen Gerichtsstands des Klägers zu bestimmen ist.
29
cc) Im Ergebnis sieht das Gericht keinen Grund, weswegen für den vorliegenden Rechtsstreit die örtliche Zuständigkeit anhand des allgemeinen Gerichtsstands der Klägerin zu bestimmen sein sollte.
30
Der allgemeine Gerichtsstand stellt personenbezogen auf die formelle Parteirolle ab. Er sieht im Gesetz keine Ausnahmen vor. Unabhängig davon, wer vorprozessual nach Wahrnehmung einer Partei den Anlass für die Streitigkeit gesetzt hat, wird der Zweck der §§ 12,13 ZPO nur dann verwirklicht, wenn bei Erhebung der Klage die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts formal an die Parteirolle vor Gericht anknüpft.
31
Ein Wahlrecht des Klägers einer negativen Feststellungsklage zwischen allgemeinem Gerichtsstand seiner selbst und desjenigen der Beklagtenpartei würde hingegen die Grundentscheidung des Gesetzgebers nicht umsetzen. Denn dieser hat eine an der Natur der Sache und dem Gerechtigkeitsgedanken orientierte prozessuale Lastenverteilung vorgenommen. Danach muss der Angreifer den Angegriffenen an dessen Ort aufzusuchen. Dem Vorteil des Klägers, der das Ob der Klageerhebung, den Zeitpunkt und die Art des Klageangriffs bestimmt, steht die Vergünstigung des Beklagten gegenüber, den Rechtsstreit nicht an einem auswärtigen Gericht führen zu müssen (Schultzky in Zöller, 34. Auflage, 2022, § 12 ZPO Rn 3).
32
Dieses Ergebnis wird vom derzeitigen Diskussionsstand gestützt. Denn in der Literatur haben sich, soweit ersichtlich, vielfältige Stimmen dafür ausgesprochen, das „Spiegelbildprinzip“ nicht ohne Differenzierung auf negative Feststellungsklagen am allgemeinen Gerichtsstand des Klägers anzuwenden (ua. Prof. Dr. Thole in NJW 2013, 1193; Prof. Dr. Dr. hc Gottwald in MDR 2016, 936; Greger in Zöller, 34. Aufl., 2022, § 256 ZPO Rn 20 mwN).
33
3. Schließlich ergibt sich auch keine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I nach § 29 ZPO. Denn eine eventuelle Zahlungsverpflichtung der Klägerin wäre gemäß § 270 Abs. 1 BGB am Wohnort der Gläubigerin, hier also der Beklagten, zu erfüllen. Die Beklagte wohnt in ... so dass sich auch insoweit eine Zuständigkeit des Langgerichts ... ergäbe.
B. Nebenentscheidungen
34
I. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO.
35
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.