Titel:
Erfolgloser Eilantrag gegen das Verbot einer Versammlung auf einer Autobahnbrücke (Abseilaktion)
Normenketten:
GG Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 15 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dient Rechtsgütern, denen in Bezug auf die Versammlungsfreiheit im Grundsatz gleiches Gewicht beizumessen ist, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass bei Bundesfernstraßen aufgrund ihrer Widmung den Verkehrsinteressen erhebliches Gewicht zuzusprechen ist (Anschluss an BayVGH BeckRS 2021, 16529). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Ersatzveranstaltungen handelt es sich faktisch um die verbotene Hauptveranstaltung, sodass die Erwägungen für das Verbot einer angezeigten Versammlung auch das Verbot einer Ersatzversammlung tragen. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Verbot einer Versammlung, Abseilaktion an Autobahnbrücke, Fahrraddemo auf Autobahn, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, Vorrang der Verkehrsbelange, insbesondere Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, Prozesskostenhilfe (abgelehnt), Versammlung, Autobahn, Bundesfernstraße, Abseilen, Gefahrenprognose, Ersatzversammlung
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 24.03.2023 – 10 CS 23.575
VGH München, Beschluss vom 04.04.2023 – 10 CS 23.575
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6175
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren M 10 S 23.1388 und das Klageverfahren M 10 K 23.1391 wird abgelehnt.
IV. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen das Verbot der angezeigten Versammlung auf einer Autobahnbrücke.
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Der Antragsteller zeigte zunächst am 1. Februar 2023 eine Versammlung mit Abseilaktion von einer Fußgängerbrücke über der Bundesautobahn 9 mit zusätzlicher sich fortbewegender Fahrraddemonstration für den 12. März 2023 an. Am 9. Februar 2023 wurde der Termin der Versammlung mit gleichbleibenden Modalitäten auf den 26. März 2023 verlegt. Als Grund wurde eine Verschiebung des Strafprozesses von Klimaaktivisten auf den 27. März 2023, auf den die Versammlung thematisch Bezug nimmt, benannt. Schließlich verlegte der Antragsteller am 2. März 2023 die Versammlungszeiten um 2 Stunden nach vorne auf 12.00 Uhr.
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In Streit steht somit eine Versammlung bestehend aus einer Versammlung auf der Fußgängerbrücke zwischen W…-G…- und G… Straße, welche im Stadtgebiet der Antragsgegnerin über die Bundesautobahn (BAB) 9 führt, mit Abseilaktion durch zwei Personen, sowie aus einer Fahrraddemonstration auf der BAB 9. Die Fahrraddemo soll vom Treffpunkt bei der W…-G…-Straße neben der Fußgängerbrücke zur S…straße, von dort auf die BAB 9 bis zur Nordseite der Fußgängerbrücke und wieder zurück führen. Beginn der Versammlung soll 12.00 Uhr, Ende um 13.30 Uhr sein. Der Auf- und Abbau soll jeweils 30 Minuten davor bzw. danach geschehen. Bei der geplanten Versammlung sollen an der Fußgängerbrücke über der BAB 9 Transparente angebracht werden, die dann von sich über der Fahrbahn der BAB 9 abseilenden Versammlungsteilnehmern entrollt und am unteren Ende festgehalten werden. Zudem sollen sich weitere Versammlungsteilnehmer auf und neben der Brücke sowie auf der Autobahnfahrbahn zeitweise aufhalten. Nach den Vorstellungen des Antragstellers soll dies durch eine Vollsperrung einer Fahrtrichtung der BAB 9 ermöglicht werden. Aus der Anzeige der Versammlung geht hervor, dass der Antragsteller mit ca. 30 bis 100 gleichzeitig teilnehmenden Personen rechnet.
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Das Thema der Veranstaltung lautet: „Verkehrswende jetzt! Keine weitere Autobahn! Freispruch für IAA- und Klimaproteste! Spruchbänder an Autobahnbrücken sind kein Verbrechen – Autobahnen schon! Handeln gegen immer mehr Autos und Straßen statt Verbote dagegen protestierender Versammlungen!“
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Der aktuellen Anzeige für den 26. März 2023 ging zunächst eine Anzeige vom 29. Dezember 2022 für den 15. Januar 2023 mit nahezu identischen Modalitäten voraus, die allerdings am 9. Januar 2023 wegen der Verschiebung des relevanten Gerichtsverhandlungstermins der Klimaaktivisten zurückgenommen wurde.
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Zwischen der Antragsgegnerin und dem Antragsteller fanden am 2. März 2023 und am 9. Januar 2023 Kooperationsgespräche statt. Im Gespräch am 9. Januar 2023 wurde ausweislich des in der Behördenakte (BA) befindlichen Protokolls u.a. auch der vom Polizeipräsidium München vorgeschlagene Alternativort der Versammlung, die Fußgängerbrücke W…-S…-Weg, südlich des G…bahnhofs, mit dem darunter liegendem G…-B…-Ring sowie die Fahrraddemo von der Aral-Tankstelle am G…-B…-Ring bis zur sog. Park… des …geländes, diskutiert. Aus der in der Behördenakte enthaltenen Gesprächsnotiz zum Gespräch am 2. März 2023 geht hervor, dass der Antragsteller auf die angezeigte Örtlichkeit und das Abseilen am Brückengeländer bestehe. Die alternativ diskutierte Örtlichkeit am G…-B…-Ring stelle für den Antragsteller eine nicht gewollte Umprägung der Versammlung dar, da die Stelle ungeeignet sei. Sollte die Versammlung dorthin verlegt werden, so würde er dies als Totalverbot ansehen. Andere Örtlichkeiten hat der Antragsteller laut des Gesprächsvermerks nicht vorgeschlagen.
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Die Antragsgegnerin holte vom Polizeipräsidium München, von der Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Südbayern (Autobahn GmbH), als zuständige Straßenverkehrsbehörde und als Straßenbaulastträger der Bundesautobahn 9 und vom Mobilitätsreferat der Antragstellerin Stellungnahmen ein. Aus den Stellungnahmen des Polizeipräsidiums geht u.a. hervor, dass für die Versammlung mit Abseilaktion und der Fahrraddemo eine Vollsperrung der A 9 in beide Fahrtrichtungen zwingend erforderlich sei. Dies müsse durch eine Totalausleitung des nachfolgenden Verkehrs weit vor der angezeigten Versammlungsfläche realisiert werden. Hierfür sei die Sperrung von drei Anschlussstellen, die Ableitung des Verkehrs am Autobahnkreuz München-Nord sowie das Abfahren des gesperrten Bereichs durch die Polizei vor der Freigabe erforderlich. Stadtauswärts sei eine Vollsperrung von der S…straße bis zur Anschlussstelle F… Ring ausreichend, aber auch zwingend erforderlich. Durch die Vollsperrung sei für die Automobilverkehrsteilnehmer mit längerfristigen Beeinträchtigungen, mindestens jedoch für die Dauer von 4,5 Stunden zu rechnen. Die Vollsperrung im Bereich des Autobahnkreuzes hätte des Weiteren mit zur Folge, dass es zu Rückstauungen auf der Bundesautobahn 99 kommen würde. Bei jeder Teil- und Vollsperrung sei mit erheblichen Gefahren für die Verkehrsteilnehmer an den Sperrungen bzw. den hierdurch entstehenden Stauenden zu rechnen. Selbst bei umfangreichen Sicherungsmaßnahmen im Vorfeld hätten sich an Stauenden in der Vergangenheit wiederkehrend Verkehrsunfälle, teils mit tödlichem Ausgang, ereignet. Auch Geschwindigkeitsreduktionen könnten die Gefahr an Stauenden nur reduzieren, jedoch nicht verhindern.
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Aus den Stellungnahmen der Autobahn GmbH geht u.a. hervor, dass eine beidseitige Sperrung der Autobahn aufgrund der Ablenkungsgefahr (Demonstrationsteilnehmer/Fahrradfahrer auf der Autobahn, Banner, Megaphone usw.) und der hieraus resultierenden Gefahr eines Unfalls auf der Gegenfahrbahn sowie zum Schutz der Demonstrationsteilnehmer (Gefahr, dass Fahrzeuge auf die Teilnehmer geschleudert würden; Gefahr, dass Teilnehmer verbotswidrig auf andere Fahrbahn gelangten) sowie zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit zwingend erforderlich sei. Die Gefahr eines Unfalls lasse sich auch nicht durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung ausschließen. Auch durch die Verteilung von Gefahrenmeldungen in den Verkehrsmeldungen lasse sich die Gefahr nicht minimieren, da nicht jeder Verkehrsteilnehmer diese generell höre bzw. diese nur stündlich bzw. halbstündlich gesendet würden und es fraglich sei, ob diese die Verkehrsteilnehmer erreichen würden. Zur Verkehrsbelastung der A 9 verhält sich die Stellungnahme der Autobahn GmbH dahingehend, dass diese zum Veranstaltungszeitpunkt (26. März 2023, 12 Uhr) bei ca. 3.300 Kfz/h in Fahrtrichtung München und in ca. 2.300 Kfz/h in Fahrtrichtung Nürnberg bestehe. Die Spitzenstunde am Sonntag liege in Fahrtrichtung München von 16.00-18.00 Uhr bei annähernd 3.900 Kfz/h und in Fahrtrichtung Nürnberg von 17.00-19.00 Uhr bei ca. 3.300 Kfz/h. Schließlich trägt die Stellungnahme der Autobahn GmbH vor, dass Absturzsicherungen auf Bauwerken prinzipiell nicht für „Abseilaktionen“ geeignet seien. Die Aktion könne auch aus bautechnischer Sicht nicht genehmigt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den streitgegenständlichen Bescheid sowie die Behördenakte verwiesen.
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Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. März 2023 wurde die Durchführung der anzeigten Versammlung für den 26. März 2023 untersagt (1.), festgestellt, dass die Untersagung nach Nr. 1. auch für sämtliche nicht angezeigte Ersatzversammlungen und/oder versammlungsrechtliche Alternativaktionen des Antragsstellers auf Bundesstraßen und Autobahnen innerhalb des Hoheitsgebiets der Antragsgegnerin gelte (2.) und angeordnet, dass die Untersagung unter Nr. 1. und 2. rechtzeitig vor Versammlungsbeginn bekannt zu geben sei. Dabei habe der Antragssteller jedenfalls die gleichen sozialen Medien bzw. Veröffentlichungsplattformen zu nutzen wie bei der Bewerbung der Versammlung (3.).
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Rechtsgrundlage sei Art. 15 Abs. 1 Bayerisches Versammlungsgesetz (BayVersG). Die Durchführung der Versammlung stelle eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit hinsichtlich der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dar (Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – GG). Eine Verlagerung der Durchführung der Versammlung in einen anderen Streckenabschnitt der Bundesautobahn 9 innerhalb des Gebietes der Antragsgegnerin schaffe nach der Stellungnahme des Polizeipräsidiums keine minderen Gefahrenlagen. Auch bestünde eine Gefahr für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer. Das Abseilen der Versammlungsteilnehmer berge enormes Gefahrenpotential in sich. Es bestehe die Gefahr, dass sich abseilende Personen durch Unachtsamkeit, mangelnde Kenntnisse, Versagen der Schutzausrüstung oder durch Anbringung der Kletterausrüstung an nicht dafür vorgesehenen Stellen abstürzen würden und dadurch verletzt oder getötet würden. Der Antragsteller habe kein tragfähiges Konzept vorgelegt, wie die Abseilaktion technisch umgesetzt und gesichert werden solle. Dabei dürfe die Traglast nicht von bzw. über die Geländer aufgenommen bzw. abgeleitet werden. Weiter stelle die Durchführung der Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hinsichtlich einer nicht gegebenen Sozialadäquanz (Art. 2 Abs. 1, 2 und Art. 8 GG) dar. Schließlich sei auch der Widmungszweck der Bundesautobahnen für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen zu beachten. Zwar bedeute dies nicht, dass es sich dabei grundsätzlich um versammlungsfreie Räume handle. Gleichwohl hätten die Verkehrsinteressen bei der Abwägung ganz besondere Berücksichtigung zu finden. Bei den Autobahnen im Bereich der Antragsgegnerin und der Umgebung sei jedoch zu beachten, dass die betroffenen Bereiche keine Räume seien, die üblicherweise zur Kommunikation genutzt würden. Zum Lärmschutz und zur Gefahrenabwehr seien genau die Bereiche, in denen Personen nahe an die Autobahn herankommen würden, abgeschirmt und geschützt. Nur weil man die Versammlung von einer Brücke aus auch sehen könne, werde die Autobahn dadurch nicht zum kommunikativen Raum.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
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Mit per Fax gesendetem und eigenhändig unterschriebenem Schreiben vom … März 2023, beim Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 20. März 2023 erhoben mit dem Ziel, das Verbot mit den Punkten 1. bis 3. aufzuheben.
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Zugleich hat der Antragsteller im Schreiben beantragt,
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nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage/des Widerspruchs gegen das Verbot wiederherzustellen bzw. das Verbot einstweilen aufzuheben bzw. für ungültig zu erklären.
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Des Weiteren hat der Antragsteller Prozesskostenhilfe beantragt.
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Der Antragsteller begründet dies im Wesentlichen wie folgt: Es sei offensichtlich, dass die Versammlungsbehörde der Auffassung sei, dass Autobahnen grundsätzlich als Versammlungsort ausscheiden würden, was jedoch der Rechtsprechung widerspreche. Der gewählte Versammlungsort berücksichtige alle relevanten Kriterien der Minimierung unnötiger Störungen. Der Zeitpunkt sei so gewählt, dass mangels Berufsverkehrs, Ferien und Fußballspiels im nahen Fußballstadion keine besondere Verkehrsbelastung zu erwarten sei. Die Teilnehmer würden in erster Linie gegen Autobahnen und ihre Auswirkungen und des Weiteren gegen die unverhältnismäßige Kriminalisierung von Protesten gegen den immer weiter ausufernden Autoverkehr demonstrieren wollen. Der gewählte Ort sei hierfür, anders als der sich weit weg von Autobahnen befindliche Alternativort, passend. Es lägen Abwägungsfehler bzw. ein Ermessensausfall vor. Es verbiete sich, die Leichtigkeit des Verkehrs als Argument zur Verhinderung einer Versammlung heranzuziehen. Die Grundrechte Dritter würden nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Überdies seien die behaupteten Risiken einer Beschränkung des Verkehrs nicht substantiiert. Im konkreten Fall würde durch eine Geschwindigkeitsreduzierung auf der Gegenfahrbahn und dem durch vorherige Ankündigung motivierten Umstieg potentieller Autofahrender auf Bahn und Fahrrad die Unfallgefahr sogar verringert. Rückstaus seien ein zu erwartender Effekt bei jedweder Autobahndemo, aber auch auf anderen Straßen. Warum sie auf Autobahnen gefährlicher sein würden, wenn auf diesen die gleiche Höchstgeschwindigkeit gelten würden wie auf anderen Straßen (was eingerichtet werden könne), erschließe sich nicht. Die Antragsgegnerin habe vom Antragsteller kein Konzept zur Sicherung der Abseilaktion verlangt. Der Antragsteller sei davon ausgegangen, dass entsprechende Festlegungen als Auflage im Bescheid erfolgen würden. Selbstverständlich seien Rettungskletterer dabei und selbstverständlich seien alle Beteiligten sehr erfahrene Kletterer. Zusätzlich bekomme jede kletternde Person eine zweite klettererfahrene Person an die Seite, die alle Handlungen überprüfe und kontrolliere. Die Behauptung der Antragsgegnerin, Geländer seien für die Versammlung ungeeignet, sei nicht ausreichend begründet. Eine spekulativ angenommene Gefahr, dass ein Geländer das Gewicht einer daran hängenden Einzelperson nicht halten könne, sei absurd. Das Geländer solle jederzeit Personen vom Sturz auf die Bundesautobahn abhalten können. Die Belastung wäre in diesem Fall deutlich größer als eine ruhig nach unten hängende Person.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Antragstellers verwiesen.
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Mit Schreiben vom 21. März 2023, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat die Antragsgegnerin eine Schutzschrift eingereicht.
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Mit Schreiben vom 22. März 2023, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, hat die Antragsgegnerin beantragt,
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Zur Begründung wurde auf den streitgegenständlichen Bescheid sowie die Behördenakte verwiesen und zudem u.a. Folgendes ausgeführt: Aus dem Protokoll des Kooperationsgesprächs vom 9. Januar 2023 in der Behördenakte ergebe sich, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller aufgefordert habe, ein Konzept für die Abseilaktion vorzulegen. Die Untersagung von nicht angezeigten Ersatzversammlungen in Nr. 2. des Bescheids beziehe sich nur auf Ersatzveranstaltungen auf den geprüften Abschnitten der Bundesautobahn 9. Die Verpflichtung nach Nr. 3. des Bescheids stütze sich auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG . Ohne diese Maßnahme bestünde die Gefahr, dass nicht über die Untersagung informierte interessierte Versammlungsteilnehmer in Unkenntnis der Untersagung vor Ort die Versammlung durchführen und sich die der Untersagung zugrundeliegenden Gefahren dadurch verwirklichen würden. Die Antragsgegnerin habe ihr Ermessen ausgeübt.
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Mit Schreiben vom … März 2023 hat der Antragsteller seinen Antrag konkretisiert.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte verwiesen.
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1. Der Antrag hat keinen Erfolg. Der Antrag, ausgelegt als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG, ist zwar zulässig aber unbegründet.
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Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Zum Schutz von Versammlungen ist daher schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist als Grundlage der gebotenen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht nur summarisch zu prüfen (BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 18). Lassen sich die Erfolgsaussichten bei dem hiernach gebotenen Prüfungsmaßstab nicht abschließend beurteilen, hat das Gericht unter Berücksichtigung der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit im Rahmen einer eigenen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der behördlichen Verfügung, das private Interesse des Betroffenen und die Interessen Dritter, vorläufig von deren Wirkung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen.
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Im vorliegenden Fall überwiegt bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage das öffentliche Interesse am in Art. 25 BayVersG gesetzlich angeordneten Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Die Klage gegen das Versammlungsverbot hat voraussichtlich keinen Erfolg. Nach der im vorliegenden Eilverfahren vorgenommenen Prüfung ist der streitgegenständliche Bescheid vom 20. März 2023 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO):
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a) Die Untersagung der Versammlung durch Ziffer 1. des Bescheids ist rechtmäßig. Rechtsgrundlage der Untersagung ist Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Bei der Anwendung des Art. 15 Abs. 1 BayVersG ist die besondere Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG zu beachten.
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aa) Das in Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; B. v. 14.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 39 ff.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – NVwZ 2013, 570 Rn. 16). Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Als Abwehrrecht gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, U.v. 22. 2. 2011 – 1 BvR 699/06 – NJW 2011, 1201 Rn. 64). Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zwar beschränkt werden. Derartige Beschränkungen – wie hier durch Art. 15 Abs. 1 BayVersG – sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind demnach nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter zulässig und auf das zu beschränken, was zum Schutz dieser Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – NVwZ 2020, 1508 Rn. 14 m.w.N.).
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Hier nicht entschieden werden muss die Frage, ob die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG in Bezug auf ihren Schutzbereich auch die Versammlung auf Bundesautobahnen erfasst oder – anders formuliert – Bundesautobahnen aufgrund ihres Widmungszwecks ausschließlich für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen (§ 1 Abs. 3 Bundesfernstraßengesetz – FStrG) ein „versammlungsfester Ort“ sind, da diese anders als etwa innerörtliche Straßen, Plätze und Fußgängerzonen nicht der Kommunikation dienen und die Versammlungsfreiheit auch nach dem Bundesverfassungsgericht keinen Zutritt zu Orten gewährt, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (siehe BVerfG, U. v. 22. 2. 2011 – 1 BvR 699/06 – NJW 2011, 1201 Rn. 65; BVerfG, U.v. 20.6.2014 – 1 BvR 980/13 – NJW 2014, 2706 Rn. 16). Die Versammlungsfreiheit verbürge, so das Bundesverfassungsgericht, die Durchführungen von Versammlungen dort, wo ein kommunikativer Verkehr eröffnet sei; ausschlaggebend sei die tatsächliche Bereitstellung des Ortes und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet sei (BVerfG, U.v. 20.6.2014 – 1 BvR 980/13 – NJW 2014, 2706 Rn. 16). Gegen Letzteres sprächen der eingeschränkte Widmungszweck und die begrenzte Nutzungsart der Bundesautobahnen (vgl. § 1 Abs. 3 FStrG; § 18 Straßenverkehrs-Ordnung – StVO) sowie deren typische Beschaffenheit (Unzugänglichkeit für Fußgänger, Lärmschutzwände usw.).
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Denn auch wenn man mit der jüngeren Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 21; SächsOVG, B.v. 8.10.2021 – 6 B 376/21 – juris Rn. 7; Hamb. OVG, B.v. 11.12.2020 – 4 Bs 229/20 – BeckRS 2020, 48778, Rn. 17; HessVGH, B.v. 30.10.2020 – 2 B 2655/20 – juris Rn. 6; a.A. NdsOVG, U.v. 18.5.1994 – 13 L 1978/92 – NZV 1995, 332; s.a. OVG NRW, B.v. 29.7.2022 – 15 B 897/22 – juris Rn. 12 ff.) und wie der streitgegenständliche Bescheid (dort S. 25 Punkt 2.4 und S. 27 Punkt 2.5.4) davon ausgeht, dass der Widmungszweck der Bundesautobahn eine Durchführung einer Versammlung auf derselben nicht grundsätzlich ausschließt, erweist sich die Untersagung als rechtmäßig.
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bb) Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst neben dem Schutz zentraler Rechtsgüter wie etwa Leben und Gesundheit auch die gesamte Rechtsordnung und damit auch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 20).
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Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (zum Vorstehenden BayVGH, B.v. 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 20).
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aaa) Die Antragsgegnerin hat zu Recht eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Form der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs angenommen (Art. 15 Abs. 1 BayVersG).
34
Aus der Perspektive der Grundrechte betrachtet stehen hinter der rechtlichen Figur der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewichtige Rechtsgüter der von der Versammlung im Straßenraum betroffenen Verkehrsteilnehmer, nämlich in Bezug auf die Sicherheit des Verkehrs das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und im Hinblick auf die Leichtigkeit des Verkehrs die allgemeine Handlungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer unter dem Gesichtspunkt der Fortbewegung. Dient diese Fortbewegung der Berufsausübung, so lässt sich auch die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) anführen. Soweit die Fortbewegung auf der Straße z.B. bei Einsatzkräften (Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst) den Schutz von Leben und Gesundheit bezweckt, ist auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen. Mithin dient der Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs Rechtsgütern, denen in Bezug auf die Versammlungsfreiheit im Grundsatz gleiches Gewicht beizumessen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei Bundesfernstraßen aufgrund ihrer Widmung den Verkehrsinteressen – also grundrechtlich betrachtet insbesondere der allgemeinen Handlungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer – erhebliches Gewicht zuzusprechen ist (vgl. BayVGH, B.v. 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 21; HessVGH, B.v. 4.6.2021 – 2 B 1193/21 – juris Rn. 4; OVG NRW, B.v. 3.11.2017 – 15 B 1370/17 – juris Rn. 17).
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Vorliegend ist die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin, die eine unmittelbare Gefahr durch die Versammlung für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs annimmt, nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer konkreten Tatsachengrundlage (Informationen aus den Kooperationsgesprächen, Einholung von Stellungnahmen der sachkundigen Behörden).
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Die Antragsgegnerin hat in nachvollziehbarer Weise zugrunde gelegt, dass die Versammlung nur bei einer Vollsperrung der A 9, also stadtauswärts der Sperrung von der S…straße bis zur Anschlussstelle F… Ring bzw. stadteinwärts die Sperrung von drei Anschlussstellen und die Ableitung des Verkehrs am Autobahnkreuz München-Nord, durchgeführt werden könnte. Diese Einschätzung beruht in erster Linie auf den Stellungnahmen der beteiligten Fachstellen und ist für das Gericht plausibel. Ohne Vollsperrung bestünde bei der geplanten Abseilaktion von der Brücke über die Autobahn eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auf Autobahnen ist die Verkehrsdichte regelmäßig hoch.
Dies gilt ebenso für die Geschwindigkeiten der Kraftfahrzeuge (vgl. § 1 AutobahnRichtgeschwindigkeits-V; § 18 Abs. 1, Abs. 5 StVO). Da Autobahnen nicht etwa mit Lichtzeichenanlagen (Ampeln, § 37 StVO), die den Verkehrsfluss regelmäßig durchbrechen, ausgestattet sind, rechnen Fahrzeugführer auf diesen Straßen grundsätzlich weniger mit plötzlichen Stopps, als dies etwa auf innerörtlichen Straßen der Fall ist. Durch das Abseilen und Aufhängen von Transparenten auf der Brücke würde die Aufmerksamkeit der Autofahrer gezielt in Richtung Brückengeländer gelenkt, was Unfallgefahren birgt (s. zu vergleichbaren Fällen: BVerfG, B.v. 7.12.2020 – 1 BvR 2719/20 – juris Rn. 6 ff.; HessVGH, B.v. 4.12.2020 – 2 B 3007/20 – juris Rn. 18 f.; VG Augsburg, B.v. 21.1.2022 – Au 8 S 22.150 – juris Rn. 32). Der Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer kann auch nicht wirksam durch Geschwindigkeitsbegrenzungen begegnet werden, insbesondere da hierdurch weitere Gefahren etwa am Stauende entstehen könnten (vgl. HessVGH, B.v. 4.12.2020 – 2 B 3007/20 – juris Rn. 28). Dies gilt ebenso für die Möglichkeit, Warnschilder anzubringen oder Radiodurchsagen zu machen. Abgesehen davon, dass diese Maßnahmen möglicherweise nur von einem kleinen Anteil der Autofahrer wahrgenommen werden, ändern diese nichts an der tatsächlichen Ablenkung vom Verkehrsgeschehen im Zeitpunkt des Passierens der Autobahnbrücke.
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Bei der notwendigen Vollsperrung der Autobahn im hier streitgegenständlichen Bereich würde es – wie die Antragsgegnerin in nachvollziehbarer Weise darlegt – zu einer massiven Beeinträchtigung des nachgeordneten Straßennetzes kommen, was die Belange des Antragstellers und der Versammlungsteilnehmer zurücktreten lässt. Zur Verkehrsbelastung der A 9 verhält sich der streitgegenständliche Bescheid und die Stellungnahme der Autobahn GmbH dahingehend, dass diese zum Veranstaltungszeitpunkt (26. März 2023, 12 Uhr) bei ca. 3.300 Kfz/h in Fahrtrichtung München und in ca. 2.300 Kfz/h in Fahrtrichtung Nürnberg bestehe. Die Spitzenstunde am Sonntag liege in Fahrtrichtung München von 16.00-18.00 Uhr bei annähernd 3.900 Kfz/h und in Fahrtrichtung Nürnberg von 17.00-19.00 Uhr bei ca. 3.300 Kfz/h. Durch die Vollsperrung ist nach den Angaben der fachkundigen Behörde für die Automobilverkehrsteilnehmer mit längerfristigen Beeinträchtigungen, mindestens jedoch für die Dauer von 4,5 Stunden zu rechnen. Hinzu kommt, dass es sich bei der A 9 um eine Autobahn mit hervorgehobener Bedeutung handelt, die aufgrund ihrer Nähe insbesondere zum Ballungszentrum München gerichtsbekannt viel befahren ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Versammlung an einem Sonntag, außerhalb der Schulferienzeit und nicht am Tag eines Fußballspiels stattfindet. An solchen Tagen wäre mit einem noch stärkeren Verkehrsaufkommen durch Berufs- und Urlaubsreiseverkehr sowie durch die Besucher des Fußballspiels im nahen Stadion zu rechnen. Die, wie eben dargestellte, starke Verkehrsbelastung ist bereits auch ohne diese Umstände hinreichend, um die Prognose einer unmittelbaren Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu stützen.
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Eine solche unmittelbare Gefahr ist hier anzunehmen, da aus dem Bescheid und den Stellungnahmen für das Gericht nachvollziehbar hervorgeht, dass die Vollsperrung im Bereich des Autobahnkreuzes mit zur Folge hätte, dass es zu Rückstauungen auf der Bundesautobahn 99 kommen würde. Die Aussage, dass bei jeder Teil- und Vollsperrung mit erheblichen Gefahren für die Verkehrsteilnehmer an den Sperrungen bzw. den hierdurch entstehenden Stauenden zu rechnen sei und auch durch Geschwindigkeitsreduktionen die Gefahr an Stauenden nur reduziert, jedoch nicht verhindert werden könnte, ist für das Gericht nachvollziehbar. Die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin findet eine weitere Stütze darin, dass es im Zusammenhang mit Abseilaktionen in der Vergangenheit bereits tatsächlich zu Verkehrsunfällen gekommen ist (vgl. auch die Berichterstattung zu Unfällen bei Protestaktionen auf der A 661 und A 3: https://www.welt.de/politik/deutschland/article230011109/Protest-gegen-A49-Umweltaktivisten-nach-Abseilaktionangeklagt.html – abgerufen am 23.3.2023).
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Bei der eben vorgenommenen Subsumtion und Abwägung hat das Gericht nicht die besondere Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und die Relevanz des Orts für das Versammlungsthema verkannt. Das konkrete Versammlungsthema, das sich gegen weitere Autobahnen wendet und insbesondere für die Straffreiheit des Anbringens von Spruchbändern an Autobahnbrücken wirbt, weist einen konkreten Bezug zu Autobahnen auf. Abstrahiert steht dieses Thema im Kontext des Klimaschutzes, der von großer öffentlicher Bedeutung ist. Somit ist hier zu berücksichtigen, dass aufgrund des gewählten Themas der Versammlung, das insbesondere auf die Strafprozesse der Personen aufmerksam machen will, die sich in der Vergangenheit bei einer ähnlichen Aktion bei Neufahrn abgeseilt haben, grundsätzlich ein spezifischer Bezug zum konkret vorgeschlagenen Versammlungsort besteht.
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bbb) Auch in Bezug auf die von der Antragsgegnerin angestellte Prognose einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer und damit einer weiteren unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BayVersG ist nichts zu erinnern. Für das Gericht ist bei summarischer Prüfung nachvollziehbar, dass das Abseilen der Versammlungsteilnehmer von dem Geländer einer Autobahnbrücke enormes Gefahrenpotential für die Versammlungsteilnehmer selbst in sich birgt. Es liegt auf der Hand, dass sich abseilende Personen durch Unachtsamkeit, mangelnde Kenntnisse, Versagen der Schutzausrüstung oder durch Anbringung der Kletterausrüstung an nicht dafür vorgesehenen Stellen abstürzen können und dadurch verletzt oder getötet werden können. Aus der Stellungnahme der Autobahn GmbH als Straßenbaulastträgerin geht hervor, dass Absturzsicherungen auf Bauwerken prinzipiell nicht für „Abseilaktionen“ geeignet seien. Die Aktion könne auch aus bautechnischer Sicht nicht genehmigt werden. Für das Gericht ist nachvollziehbar, dass eine Absturzsicherung einer Autobahnbrücke funktional nicht darauf ausgelegt ist, als Stütze zum Abseilen von Personen zu dienen. In diesem Kontext ist auch zu beachten, dass zu dem Gewicht der sich abseilenden Personen noch ggf. die Flächenlast des Windes, der sich in dem zwischen den abgeseilten Personen gespannten Plakat verfängt, hinzukommt.
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Demgegenüber bleiben die Aussagen des Antragsstellers im Schriftsatz vom … März 2023, wonach Rettungskletterer dabei seien, alle Beteiligten sehr erfahrene Kletterer seien und jede kletternde Person eine zweite klettererfahrene Person an die Seite bekomme, unsubstantiiert.
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Aus dem in der Behördenakte befindlichen Vermerk zum Kooperationsgespräch am 9. Januar 2023 geht hervor, dass die Thematik der technischen Umsetzung der Abseilaktion und die Forderung nach einem Konzept Gegenstand des Gesprächs waren.
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cc) Das Verbot einer Versammlung steht im Ermessen der Behörde (Art. 15 Abs. 1 BayVersG, Art. 40 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG). Dabei hat die Behörde das Ermessen im Lichte des Art. 8 Abs. 1 GG auszuüben. Das Gericht ist bei der Überprüfung des Ermessens gemäß § 114 Satz 1 VwGO beschränkt (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2018 – 10 ZB 18.126 – NJW 2019, 794 Rn. 10). Der Ermessensausfall stellt einen solchen vom Gericht überprüfbaren Ermessenfehler dar (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 43. EL August 2022, § 114 Rn. 60; OVG NRW, B.v. 1.3.2023 – 5 B 167/23 – juris Rn. 11). Ein solcher liegt hier jedoch nicht vor. Zwar findet sich in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids weder das Wort „Ermessen“ oder ein entsprechender Gliederungspunkt. Dennoch kann dem Bescheid entnommen werden, dass die Antragsgegnerin hier ihr Ermessen erkannt und ausgeübt hat. So enthält der Bescheid eine ausführliche Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der ein zentraler Aspekt der Ermessensprüfung ist (vgl. BVerwG, B.v. Beschluss vom 13.7.2017 – 1 VR 3/17 – NVwZ 2017, 1531 Rn. 73; Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 58. Edition Stand: 01.01.2023, § 40 Rn. 55; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 40 Rn. 83; Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 114 VwGO Rn. 68; M. Müller, in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 21. Edition Stand: 15.01.2023, Art. 15 BayVersG Rn. 143 ff.). Aus der Begründung des Bescheids geht insbesondere hervor, dass die Antragsgegnerin sich in Bezug auf die Rechtsfolge des Art. 15 Abs. 1 BayVersG nicht als gebunden angesehen hat, sondern die Rechtsfolge erwogen und auch Alternativen, wie die Verlagerung der Durchführung der Versammlung in einen anderen Streckenabschnitt der BAB 9 bzw. den Vorschlag des alternativen Orts am G…-B…-Ring, einbezogen hat. Auch im Übrigen ist kein Ermessenfehler erkennbar. Insbesondere ist nach obigen Ausführungen auch keine Fehlgewichtung der hier in Rede stehenden Belange und Grundrechte erkennbar.
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b) Der Klage gegen Nr. 2. des Bescheids, der feststellt, dass die Untersagung nach Nr. 1. des Bescheids auch für sämtliche nicht angezeigte Ersatzversammlungen und/oder versammlungsrechtliche Alternativaktionen des Antragsstellers auf Bundesstraßen und Autobahnen innerhalb des Hoheitsgebiets der Antragsgegnerin gelte, dürfte nach der hier vorgenommenen Prüfung im Eilverfahren ebenfalls voraussichtlich kein Erfolg beschieden sein. Das Verbot von Ersatzveranstaltungen folgt auch aus Art. 15 Abs. 1 BayVersG, da es sich bei Ersatzveranstaltungen faktisch um die verbotene Hauptveranstaltung handelt (vgl. VG Bremen, U.v. 17.3.2022 – 5 K 2778/20 – juris Rn. 27; Madeja, in: PdK Bay K-19, Nr. 4.). Somit können die Erwägungen des Verbots der angezeigten Versammlung gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG auch das Verbot einer Ersatzversammlung tragen. Dem Bescheid lässt sich – auch wenn eine spezifische Begründung zu Nr. 2. fehlt (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG), was aber im Hauptsacheverfahren noch geheilt werden kann (Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG) – entnehmen, dass die Antragsgegnerin die oben dargelegten Gefahren für die öffentliche Sicherheit bzgl. der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auch bei einer Verlagerung der Durchführung der Versammlung in einen anderen Streckenabschnitt der BAB 9 (Punkt 2.1, Seite 23 des Bescheids) als gegeben ansieht. Zwar bezieht sich der Tenor der Nr. 2. des Bescheids unspezifisch auf „Bundesstraßen und Autobahnen“ innerhalb des Hoheitsgebietes der Antragsgegnerin und würde somit nicht mehr von den Erwägungen des Bescheids, die auf die BAB 9 abheben, getragen. Auch ist zweifelhaft, ob eine Versammlung an einem anderen Ort wie einer anderen Bundesstraße oder Autobahn innerhalb des Gebiets der Antragsgegnerin noch eine Ersatzversammlung der hier angezeigten Versammlung des Antragstellers wäre, da die Auswahl des Versammlungsortes, wie dargelegt, von der Versammlungsfreiheit grundsätzlich umfasst ist. Allerdings hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 22. März 2023 klargestellt, dass sich der Tenor in Nr. 2. des Bescheids nur auf Ersatzveranstaltungen auf den geprüften Abschnitten der BAB 9 bezieht.
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c) Schließlich dürfte auch die Klage gegen die Nr. 3. des Bescheids keinen Erfolg haben. Durch Nr. 3. wird dem Antragssteller die Handlungspflicht auferlegt, das Verbot der Versammlung rechtzeitig vor Versammlungsbeginn bekannt zu geben, wobei er die gleichen sozialen Medien bzw. Veröffentlichungsplattformen zu nutzen hat, wie bei der Bewerbung der Versammlung. Nach dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes ist für diese Handlungspflicht eine gesetzliche Grundlage nötig. Ob diese Handlungspflicht als Annex auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG gestützt werden kann oder ob ein Rückgriff auf das allgemeine Sicherheitsrecht, hier Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) i.V.m. Art. 21 Abs. 1 Nr. 6 BayVersG, möglich ist, kann dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Für ein Abstellen auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG als Annex spräche, wenn man die Bekanntgabeanordnung noch als Maßnahme gegen die Versammlung ansehen würde, so dass das BayVersG insoweit Vorrang hat (vgl. M. Müller, in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 21. Edition Stand: 15.01.2023, Art. 15 BayVersG Rn. 261; s.a. VG München, B.v. 29.12.2021 – M 13 S 21.6688 – juris Rn. 13, 46, 51, 57). Für den Rückgriff auf Art. 7 Abs. 2 LStVG ließe sich anführen, dass nach einer Versammlungsauflösung bzw. -ende und mithin auch nach einem Versammlungsverbot kein Raum mehr für die „Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts“ ist (vgl. VG Dresden, B.v.15.4.2021 – 6 L 283/21 – juris Rn. 27; M. Müller, in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 21. Edition Stand: 15.01.2023, Art. 15 BayVersG Rn. 264; Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2. Auflage 2022, § 15 VersG Rn. 19). Vorliegend braucht dies jedoch nicht entschieden werden, da beide Rechtsgrundlagen Nr. 3. des Bescheids tragen. Nach obigen Ausführungen sind die Voraussetzungen für Art. 15 Abs. 1 BayVersG in Bezug auf die hier in Rede stehende Versammlung erfüllt, so dass die Handlungspflicht zur Bekanntgabe des Versammlungsverbots als Annex hierauf gestützt werden kann. Die Maßnahme ist erforderlich, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass nicht über die Untersagung informierte interessierte Versammlungsteilnehmer in Unkenntnis der Untersagung vor Ort die Versammlung durchführen und sich die der Untersagung zugrunde liegenden Gefahren dadurch verwirklichen.
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Aus den gleichen Gründen kann auch eine Gefahr i.S.v Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i. V.m. Art. 21 Abs. 1 Nr. 6 BayVersG, also der bußgeldbelegten Teilnahme an einer nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG verbotenen Versammlung, angenommen werden. 47 2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eil- und das Klageverfahren bleibt ebenso ohne Erfolg.
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Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung erhält auf Antrag diejenige Partei Prozesskostenhilfe, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers bietet im vorliegenden Fall die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Klage- und Eilverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
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Die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.
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3. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummer 45.4 und Nummer 1.5, Satz 2 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.