Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.03.2023 – 10 CS 23.575
Titel:

Erfolgreicher Eilantrag gegen das Verbot einer Versammlung auf einer Autobahnbrücke (Abseilaktion/Fahrradkorso)

Normenketten:
GG Art. 8 Abs. 1
BayVersG Art. 15 Abs. 1
Leitsätze:
1. Versammlungen auf der Autobahn können grundsätzlich nicht allein unter Hinweis auf die zwangsläufig eintretenden Folgen nicht unerheblicher Verkehrsbehinderungen und die Erforderlichkeit umfangreicher Sicherheitsmaßnahmen untersagt werden, weil anderenfalls letztlich ein absolutes Verbot der Nutzung der Autobahnen für Versammlungszwecke statuiert würde (Anschluss an VGH Kassel BeckRS 2020, 33984). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die dem Verbot einer Versammlung zugrundeliegende Gefahrenprognose ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben und für die die Versammlungsbehörde die Darlegungs- und Beweislast trägt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Beim Verbot einer Versammlung auf einer Autobahn muss die Gefahrenprognose kohärente Erwägungen enthalten, aufgrund derer sich nachvollziehbar ergibt, dass sich negative Auswirkungen der Versammlung auf das nachgeordnete Straßennetz auch durch ein vorausschauendes Verkehrslenkungs- und Sicherheitskonzept, bezogen auf die konkreten örtlichen Verhältnisse und die konkret zu erwartenden Betroffenen, weder vermeiden noch maßgeblich vermindern lassen werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlung, Bundesautobahn, Brücke, Abseilaktion, Fahrradkorso, Gefahrenprognose, Autobahn, Abseilen, Verkehrsbehinderungen, Sicherheitskonzept
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 23.03.2023 – M 10 S 23.1388
Fundstellen:
BayVBl 2023, 447
NVwZ-RR 2023, 585
LSK 2023, 6174
BeckRS 2023, 6174
ZfS 2023, 354

Tenor

I. In Abänderung von Nr. I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. März 2023 wird die aufschiebende Wirkung gegen Nr. 1. des Bescheides der Antragsgegnerin vom 20. März 2023 angeordnet mit der Maßgabe, dass die Dauer, in der die Brücke für die Abseilaktion und die Fahrbahn für den Fahrradkorso beansprucht werden, die Zeitspanne von 45 Minuten nicht übersteigen darf. Des Weiteren wird die aufschiebende Wirkung gegen Nrn. 2. und 3. des Bescheides der Antragsgegnerin vom 20. März 2023 angeordnet.
II. In Abänderung von Nr. II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. März 2023 trägt die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. In Abänderung von Nr.
IV. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. März 2023 wird der Streitwert für beide Instanzen jeweils auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
IV. Die Entscheidung bezüglich der Prozesskostenhilfeanträge des Antragstellers bleibt einem gesonderten Beschluss vorbehalten.

Gründe

I.
1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. März 2023 anzuordnen, mit der diese die von ihm zuletzt für Sonntag, den 26. März 2023, um 12.00 Uhr anzeigte Versammlung im Wesentlichen in Form einer Abseilaktion von einer Brücke über die Bundesautobahn A9 sowie eines Fahrradkorsos auf einem Teilstück am Ende der Bundesautobahn A9 im Stadtgebiet der Antragsgegnerin verboten, nicht angezeigte Ersatzversammlungen auf Bundesstraßen und Autobahnen untersagt und ihm aufgegeben hat, hierüber rechtzeitig vor Versammlungsbeginn zu informieren. Weiter wendet sich die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilrechtsschutzverfahren und das Klageverfahren (10 K 23.1391) durch das Verwaltungsgericht.
2
Die von dem Antragsteller angezeigte Versammlung steht unter dem Thema „Verkehrswende jetzt! Keine weitere Autobahn! Freispruch für IAA- und Klimaproteste! Spruchbänder an Autobahnbrücken sind kein Verbrechen – Autobahnen schon! Handeln gegen immer mehr Autos und Straßen statt Verbote dagegen protestierender Versammlungen!“ und umfasst eine stationäre Versammlung auf der Fußgängerbrücke zwischen der W1. Straße und der G. Straße, welche kurz vor dem Ende der A9 im Stadtgebiet und der Ausfahrt München-Schwabing über die A9 führt, samt einer Abseilaktion, sowie einen Fahrradkorso auf der A9. Der Fahrradkorso soll vom Treffpunkt bei der W2. Straße neben der Fußgängerbrücke zur S1. straße, von dort auf die A9 bis zur Nordseite der Fußgängerbrücke und wieder zurück führen. In der Anzeige wurden circa 30 bis 100 gleichzeitig teilnehmende Personen angegeben.
3
Mit Beschluss vom 23. März 2023 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (zugestellt am 24.3.2023 um 8:30 Uhr). Die Ablehnung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit begründet, dass sich das Verbot der Versammlung auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 BayVersG als rechtmäßig erweisen würde. Auch wenn man mit der jüngeren Rechtsprechung davon ausgehe, dass der Widmungszweck der Bundesautobahn die Durchführung einer Versammlung auf derselben nicht grundsätzlich ausschließe, sei das Verbot aufgrund der im angefochtenen Bescheid in nachvollziehbarer Weise dargelegten Gefahren für die öffentliche Sicherheit in Form der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer bei der geplanten Abseilaktion auf der Brücke gerechtfertigt und insbesondere auch ermessensgerecht und verhältnismäßig. Die Antragsgegnerin habe in nachvollziehbarer Weise zugrunde gelegt, dass die im Fall der Durchführung der Versammlung erforderliche Vollsperrung der A9 (stadtauswärts von der S1. straße bis zur Anschlussstelle Frankfurter Ring, stadteinwärts ab dem Autobahnkreuz München-Nord) zu einer massiven Beeinträchtigung des nachgeordneten Straßennetzes führen würde, und demgegenüber die Belange des Antragstellers und der Versammlungsteilnehmer zurücktreten müssten. Bei der unvermeidbaren Sperrung der A9 handle es sich um eine viel befahrene Autobahn mit hervorgehobener Bedeutung und einer Verkehrsbelastung zum Veranstaltungszeitpunkt von circa 3.300 Kfz/h in Fahrtrichtung München und circa 2.300 Kfz/h in Fahrtrichtung Nürnberg. Diese starke Verkehrsbelastung rechtfertige bereits die Prognose einer unmittelbaren Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Es sei nachvollziehbar, dass die Vollsperrung im Bereich des Autobahnkreuzes mit Rückstaus auf der A99 und erheblichen Gefahren für die Verkehrsteilnehmer insbesondere durch diese Stauungen und dadurch drohende Verkehrsunfälle verbunden wäre, die auch durch Geschwindigkeitsreduktionen nicht verhindert werden könnten. Die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin könne sich zudem darauf stützen, dass es im Zusammenhang mit Abseilaktionen in der Vergangenheit bereits zu Verkehrsunfällen (zum Beispiel auf der A661 und A3) gekommen sei. Für das Gericht sei bei summarischer Prüfung auch nachvollziehbar, dass das Abseilen der Versammlungsteilnehmer von dem Geländer einer Autobahnbrücke enormes Gefahrenpotential für die Versammlungsteilnehmer selbst mit sich bringe. Durch Unachtsamkeit, mangelnde Kenntnisse, Versagen der Schutzausrüstung oder Anbringen der Kletterausrüstung an ungeeigneten Stellen der Brücke könnten Teilnehmer der Aktion verletzt oder getötet werden. Demgegenüber seien durch die Antragsgegnerin die besondere Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und der Bezug des Versammlungsthemas zu dem Versammlungsort nicht verkannt worden.
4
Zur Begründung seiner Beschwerde macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht habe – ebenso wie die Antragsgegnerin – die Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit verkannt und zu Unrecht einseitig Belange des Schutzes der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs höher gewichtet. Schon der Ablauf des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens weise effektiven Rechtsschutz verkürzende Verzögerungen auf. Letztlich bedeute die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass Versammlungen, die größere Störungen des Autoverkehrs hervorriefen, grundsätzlich nicht (mehr) zugelassen würden. Er, der Antragsteller, habe die Versammlung sowohl bezüglich Ort, Ablauf und Zeitpunkt gezielt so angezeigt, dass Gefahren und Störwirkungen soweit möglich reduziert würden. Der ausgewählte Versammlungsort biete, worauf es nach der Rechtsprechung entscheidend ankomme, gute Umleitungsmöglichkeiten. Bei den in Bezug genommenen Fällen habe es sich um unangemeldete Aktionen im Berufsverkehr gehandelt, und diese seien daher mit dem vorliegenden Versammlungsgeschehen nicht vergleichbar. Auch die vermeintliche Selbstgefährdung der Versammlungsteilnehmer sei unsubstantiiert. Bisher gebe es keine Beispiele für Unfälle bei derartigen Protestaktionen. Die Behauptung der Ungeeignetheit des Brückengeländers zur Sicherung der sich abseilenden Personen sei nicht nachvollziehbar.
5
Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Sie habe sich nicht versammlungsfeindlich verhalten, sondern erneut eingeholte Stellungnahmen von Fachbehörden nochmals eingehend geprüft. Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ein ohne Weiteres zulässiges Abwägungselement im Rahmen der durch die Antragsgegnerin vorgenommenen praktischen Konkordanz. Geschwindigkeitsbegrenzungen änderten nichts an den zu befürchtenden Gefahren im Zusammenhang mit einer Staubildung. Ein Abseilen von dem Brückengeländer sei kein geprüfter Lastfall. Auch sei die vom Verwaltungsgericht genannte zusätzliche Flächenlast durch ein gespanntes Plakat beziehungsweise Banner zu berücksichtigen. Weitere Gefahren ergäben sich infolge der Abseilaktion für darunter fahrende Versammlungsteilnehmer. Nach der plausiblen Stellungnahme des Polizeipräsidiums München stünden den angezeigten 30 bis 100 Versammlungsteilnehmenden bis zu 25.000 betroffene Verkehrsteilnehmende gegenüber. Insoweit sei die Abwägung zu Ungunsten des Antragstellers zu treffen.
6
Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich − unter Vorlage einer ergänzenden Stellungnahme des Polizeipräsidiums München − am Verfahren beteiligt, verzichtet jedoch auf einen eigenen Antrag.
7
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
8
1. Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die von dem Antragsteller in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen es im vorliegenden Fall, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts wie tenoriert abzuändern.
9
a) Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage – wie hier nach Art. 25 BayVersG – keine aufschiebende Wirkung hat.
10
Gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
11
Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die gesamte Rechtsordnung und damit auch die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1989 – 7 C 50/88 – BVerwGE 82, 34 <40> = juris Rn. 15) und die in diesem Zusammenhang betroffenen Rechte Dritter. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit dem Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und in diesem Zusammenhang betroffenen Rechten Dritter, ist – wie auch sonst – eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris Rn. 32). Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 u.a − BVerfGE 104, 92 <112> = juris Rn. 64; BayVGH, B.v. 13.11.2020 – 10 CS 20.20.2655 – juris Rn. 22).
12
Auch Bundesfernstraßen sind, obwohl sie von ihrem eingeschränkten Widmungszweck her anders als andere öffentliche Verkehrsflächen nicht der Kommunikation dienen, sondern ausschließlich dem Fahrzeugverkehr, nicht generell ein „versammlungsfreier Raum“. Zwar darf hier den Verkehrsinteressen im Rahmen von versammlungsrechtlichen Anforderungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG erhebliche Bedeutung beigemessen werden. Die Einstufung einer Straße als Bundesautobahn oder Bundesstraße entscheidet allerdings nicht darüber, ob auf dieser Straße grundsätzlich eine Versammlung stattfinden darf und entbindet Versammlungsbehörden und Gerichte nicht von einer Güterabwägung. Sie entfaltet allenfalls Indizwirkung für das Gewicht der gegen eine Versammlung sprechenden Interessen der Öffentlichkeit oder Dritter (vgl. BayVGH, B.v. 7.9.2021 – 10 CS 21.2282 – juris Rn. 33; B.v. 4.6.2021 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 21; HessVGH, B.v. 5.6.2021 – 1 B 1193/21 – juris Rn. 4, jew. m.w.N.; VG Frankfurt, B.v. 21.1.2022 – 5 L 148/22.F – juris Rn. 10).
13
Zwar sind mit jedweder auch nur kurzfristigen Inanspruchnahme einer Autobahn für eine Versammlung notwendigerweise umfangreichere Sicherungsmaßnahmen und nicht unerhebliche Verkehrsbehinderungen verbunden. Jedoch gehören Verkehrsbehinderungen und Staubildungen auf Autobahnen zu den üblichen, mit polizeilichen und straßenverkehrsrechtlichen Mitteln grundsätzlich zu beherrschenden Erscheinungen. Anders als bei im Regelfall nicht oder nicht exakt vorhersehbaren Verkehrsstörungen kann den durch Versammlungen eintretenden Behinderungen im Rahmen eines Verkehrslenkungs- und Sicherheitskonzepts vorausschauend durch Umleitungen, frühzeitige Warnungen und Hinweise, Meldungen im Verkehrsfunk und andere geeignete Maßnahmen begegnet werden. Versammlungen auf der Autobahn können deshalb grundsätzlich nicht allein unter Hinweis auf diese zwangsläufig eintretenden Folgen untersagt werden, weil anderenfalls letztlich ein absolutes Verbot der Nutzung der Autobahnen für Versammlungszwecke statuiert würde (vgl. HessVGH, B.v. 4.12.2020 – 2 B 3007/20 – juris Rn. 20).
14
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9 m.w.N.).
15
b) Gemessen daran erweist sich der streitbefangene Verbotsbescheid der Antragsgegnerin anhand der Beschwerdegründe voraussichtlich aufgrund einer unzureichenden Gefahrenprognose als rechtswidriger Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Antragstellers.
16
Dabei dürfen an die Darlegung der Beschwerdegründe im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO angesichts des von dem Antragsteller nicht zu Unrecht kritisierten zeitlichen Ablaufs des bisherigen Verfahrens aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.
17
aa) Bei summarischer Prüfung ist das in Nr. 1. des streitbefangenen Bescheides ausgesprochene Versammlungsverbot voraussichtlich rechtswidrig und verletzt den Antragsteller im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten.
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(1) Die nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG anzustellende Gefahrenprognose der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts erweist sich in mehreren Punkten als defizitär.
19
(a) So hat die Antragsgegnerin − und dieser folgend das Verwaltungsgericht − die grundlegende Annahme der behördlichen Gefahrenprognose, dass es unumgänglich sei, den von Norden stadteinwärts fließenden Verkehr auf der A9 bereits auf der Höhe des Autobahnkreuzes München Nord umzuleiten (vgl. Bescheid, S. 22 u. BA S. 14 Rn. 36), nicht auf hinreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte gestützt. Diese Grundannahme ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil zum einen die Autofahrerinnen und Autofahrer auf der A9 von Norden her stadteinwärts kommend die Mehrheit der Betroffenen darstellen und zum anderen das Verkehrsaufkommen auf der A9 von Norden Richtung Süden stadteinwärts aufgrund der an den Anschlussstellen abfahrenden Fahrzeuge stetig abnimmt (vgl. zu den Zahlen aus dem Jahr 2021 bezüglich der Zählstellen AK München-Nord, München-Fröttmanning-Süd u. München-Schwabing: https://www.bast.de). Eine Plausibilisierung der Grundannahme ist insbesondere nicht dadurch erfolgt, dass die Antragsgegnerin sich bei einer Umleitung weiter südlich, wie etwa bei den Ausfahrten Fröttmaning, Freimann oder Frankfurter Ring, auf „mitunter fatale Folgen für den Quellverkehr“ berufen hat, „da die Verkehrslast ohne erhebliche Rückstaus nicht aufgenommen werden könnte und der Verkehr innerhalb kürzester Zeit zum Erliegen käme“. Die dem zugrundeliegenden polizeilichen Stellungnahmen sind dafür insbesondere keine hinreichend tragfähige Stütze, weil sie die Grundannahme ihrerseits als zwingend voraussetzen, ohne dies nachvollziehbar zu erläutern. Diese Annahme, dass die genannten südlicher gelegenen Ausfahrten die gesamte Verkehrslast nicht aufnehmen könnten, ohne dass es zu großen Rückstauungen kommen würde (vgl. Bescheid, S. 7, 8, 9 u. 10), ist nicht hinreichend aussagekräftig, weil Umleitungen beziehungsweise Sperrungen im Allgemeinen zu Staubildungen führen, und es auch nicht darum gehen kann, dass eine oder mehrere Anschlussstellen die gesamte Verkehrslast − gleichsam folgenlos − aufnimmt beziehungsweise aufnehmen. Zudem sind die verschiedenen denkbaren Möglichkeiten der erforderlichen Verkehrslenkung nicht nachvollziehbar zueinander in Relation gesetzt. Die Bezugnahme auf einen nicht näher erläuterten Quellverkehr leistet insofern ebenfalls keine hinreichende Konkretisierung. Zwar dürfte damit der Verkehr gemeint sein, der von den in Bezug auf den gewählten Abschnitt benachbarten Ortsteilen ausgeht. Dieser Verkehr betrifft aber – an einem Sonntag um die Mittagszeit − vor allem ortsansässige und damit ortskundige Autofahrerinnen und Autofahrer, die entsprechend reagieren können. An diesem Befund ändert auch die im Beschwerdeverfahren vorlegte ergänzende polizeiliche Stellungnahme nichts, die lediglich die möglichen Folgen der Umleitung ab dem Autobahnkreuz München Nord für den Verkehr auf der A9 von Norden her beschreibt. Im Übrigen besteht für die Autofahrerinnen und Autofahrer auf der A9 von Norden her Richtung Münchner Innenstadt fahrend erkennbar die – ihrerseits nicht nachvollziehbar ausgeschlossene − Möglichkeit, der Versammlung auszuweichen und die Innenstadt über Alternativrouten auf der A99 nach Westen oder nach Osten hin anzufahren. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass der gesamte verbleibende Verkehr am Autobahnende der A9 im betroffenen Bereich auch sonst in das nachgeordnete Straßennetz der Antragsgegnerin ausgeleitet wird und dass die Verkehrslast an einem Sonntagmittag beziehungsweise Sonntagnachmittag nicht nur auf der Autobahn, sondern vor allem auch auf dem nachgeordneten innerstädtischen Straßennetz deutlich geringer sein dürfte.
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Auch ist die Situation hinsichtlich des vom Stadtgebiet der Antragsgegnerin ausgehenden stadtauswärts fließenden Verkehrs von Süden nach Norden in der Gefahrenprognose nicht hinreichend nachvollziehbar abgebildet. Zwar äußert sich die von dem Vertreter des öffentlichen Interesses im Beschwerdeverfahren vorgelegte ergänzende polizeiliche Stellungnahme hierzu. Allerdings wird darin allein im Hinblick auf eine Umleitung des Verkehrs vom Mittleren Ring in Richtung Norden die Staatsstraße 2350 (F. Straße) in Richtung Garching in Betracht gezogen, die nach dieser Stellungnahme in keiner Weise geeignet sei, den Verkehr des Mittleren Ringes aufzunehmen. Diese Bewertung sieht der Senat ohne weitere Erläuterungen angesichts anderer Ausfallstraßen in Richtung Norden, wie etwa die I. Straße und die D1. Straße, nicht als hinreichend konkrete und tragfähige Grundlage an.
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Die angenommenen negativen Auswirkungen auf das Verkehrssystem, in das der gewählte Abschnitt eingebettet ist, insbesondere die angenommene Überlastung des nachgeordneten Straßennetzes, berücksichtigen auch nicht, dass der von dem Antragsteller gewählte Abschnitt der A9 verkehrliche Besonderheiten aufweist, die ihn von einer Bundesautobahn im herkömmlichen Sinn unterscheiden. Er befindet sich relativ zentral im Stadtgebiet, mithin innerhalb der geschlossenen Ortslage im Sinne von § 5 Abs. 4 FStrG. Die Widmung als Bundesautobahn im Sinne von § 2 Abs. 1 FStrG endet unmittelbar danach mit den Abfahrten Mittlerer Ring. Dass auf Bundesautobahnen grundsätzlich nicht mit Stopps zu rechnen ist, worauf das Verwaltungsgericht unter anderem abgestellt hat (vgl. BA S. 14 Rn. 36), kommt deshalb im vorliegenden Fall nicht entsprechend zum Tragen. Der Abschnitt zwischen den Anschlussstellen ist als kurz zu bewerten. Außerdem ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass in dem gewählten Abschnitt der A9, worauf der Antragsteller bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht hingewiesen hat, aufgrund des Verkehrszeichens 274-60 eine zulässige Höchstgeschwindigkeit 60 km/h gilt (vgl. Antragsteller, Eilantrag, S. 7: „ohnehin dort geltende niedrigere Geschwindigkeit“). In Anbetracht dieser Umstände ähnelt der von dem Antragsteller gewählte Abschnitt der Bundesautobahn funktional eher dem einer großen innerstädtischen Straße.
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Dies ist auch deshalb bedeutsam, weil die vorrangig betroffene ortsansässige und ortskundige Bevölkerung behördliche Warnungen und Hinweise zu Umfahrungen und Umleitungen sowie Informationen in den herkömmlichen und neuen Medien eher wahrnehmen und auf diese auch angemessen reagieren kann. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass an dem Tag, an dem die Versammlung stattfinden soll, in Bezug auf den Verkehr im Stadtgebiet der Antragstellerin weitere erschwerende Faktoren, wie insbesondere Berufsverkehr, Schulferienzeit oder Veranstaltungen mit größerem Publikumsandrang, nicht hinzutreten.
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Letztendlich lässt die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin kohärente Erwägungen vermissen, aufgrund derer sich nachvollziehbar ergibt, dass sich negative Auswirkungen der Versammlung auf das nachgeordnete Straßennetz auch durch ein vorausschauendes Verkehrslenkungs- und Sicherheitskonzept (s.o.), bezogen auf die konkreten örtlichen Verhältnisse und die konkret zu erwartenden Betroffenen, weder vermeiden noch maßgeblich vermindern ließen. Solche Erwägungen, soweit möglich und in gebotener Kürze, wären umso naheliegender gewesen, als es mittlerweile erste – vom Antragsteller benannte – Erfahrungen mit Sperrungen von Autobahnen zugunsten von Versammlungen in anderen Bundesländern gegeben hat (vgl. zur Forderung an die staatlichen Behörden, nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 – BVerfGE 69, 315 <356> = juris Rn. 83). Angesichts der frühzeitigen Anzeige der Versammlung am 1. Februar 2023 durch den Antragsteller hätte hierfür – insofern auch dem Grundsatz vertrauensvoller und fairer Kooperation folgend (vgl. BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 – BVerfGE 69, 315 <355 ff.> = juris Rn. 82, 84, 88) − ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden. Dass ein solches Verkehrslenkungs- und Sicherheitskonzept nunmehr möglicherweise nicht mehr optimal oder nurmehr unter erheblichem Aufwand erstellt und umgesetzt werden kann, macht die Gefahrenprognose nicht weniger defizitär.
24
Schließlich hat das Verwaltungsgericht bei der Gefahrenprognose auch zu Lasten des Antragstellers Vergleichsfälle herangezogen, wonach es in der Vergangenheit bereits bei Abseilaktionen zu Verkehrsunfällen gekommen wäre (vgl. BA S. 16 Rn. 38 unter Verweis auf einen Zeitungsbericht zu Vorkommnissen auf der A661 und A3). Dem ist der Antragsteller im Beschwerdeverfahren substantiiert entgegengetreten, indem er darauf verwiesen hat, dass es sich hierbei um unangemeldete Aktionen im Berufsverkehr gehandelt hätte, die nicht von Sicherheits- und Verkehrslenkungsmaßnahmen begleitet worden wären. Der Senat stellt dabei nicht infrage, dass an Stauenden − trotz Stauwarnungen und Stauabsicherungen im Vorfeld – das Risiko von Auffahrunfällen besteht, wie Unfallstatistiken zeigen. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, dass der ausgewählte Abschnitt funktional einer großen innerstädtischen Straße angenähert ist (s.o.).
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Nach alledem zeigt die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin derzeit nicht hinreichend nachvollziehbar auf, in welchem Ausmaß es aufgrund der erforderlichen Umleitung und Vollsperrung der A9 durch die konkrete Versammlung auch bei Anwendung und Umsetzung eines vorausschauenden Verkehrslenkungs- und Sicherheitskonzepts zu unvermeidbaren beziehungsweise nicht maßgeblich minimierbaren konkreten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Bereich des Verkehrs kommen wird. Es ist zwar erkennbar, dass es aufgrund der Versammlung des Antragstellers zu Beeinträchtigungen kommen wird, diese müssen indes nicht derart unvermittelt und massiv eintreten, wie von der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht angenommen.
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(b) Soweit die Antragsgegnerin in ihrer Gefahrenprognose bezüglich der Abseilaktion von der Brücke darauf verweist, dass die Absturzsicherungen auf Bauwerken für Abseilaktionen grundsätzlich ungeeignet seien und beim Abseilen Gefahren für die sich abseilenden Versammlungsteilnehmer entstehen können, ist die Gefahrenprognose ebenfalls unzureichend.
27
Bei der Annahme, dass die Absturzsicherung auf Bauwerken für Abseilaktionen grundsätzlich ungeeignet sei, stützt sich die Antragsgegnerin offenbar auf die entsprechende Stellungnahme der A. GmbH des Bundes – Niederlassung Südbayern vom 1. März 2023 (vgl. Bescheid, S. 14). Diese Aussage wird indes nicht weiter begründet. Der streitbefangene Bescheid enthält darüber hinaus nur die ebenfalls nicht weiter ausgeführte Annahme, die Traglast dürfe beim Abseilen nicht über das Brückengeländer abgeleitet werden. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin oder die Fachbehörden hier eine auf die konkreten Umstände des Einzelfalls bezogene Gefahrenprognose angestellt haben. Insoweit ist derzeit behördlich nicht hinreichend geklärt, ob beim Abseilen aus statischen Gründen konkrete Gefahren für die Bausubstanz oder die sich abseilenden Personen entstehen könnten, obwohl aufgrund der Anzeige des Antragstellers am 1. Februar 2023 ausreichend Zeit bestanden hat, unter Beteiligung der Fachbehörden statische Bedenken einer nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen. Mit dem Vortrag des Antragstellers diesbezüglich hat sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang kann die Gefahrenprognose nicht darauf gestützt werden, dass der Antragsteller kein besonderes Sicherheitskonzept für die Abseilaktion vorgelegt hat. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen – die noch dazu aus der staatlichen Sphäre herrühren − liegt bei der Behörde (s.o.). Grundsätzlich widerspricht es dem Schutzgehalt des Art. 8 GG, wenn die Behörde der Anwendung dieser rechtlichen Grundsätze durch die Forderung auszuweichen sucht, der Anmelder einer Versammlung müsse die Ungefährlichkeit der Versammlung durch die Vorlage eines besonderen Sicherheitskonzepts darlegen oder gar beweisen (vgl. BVerfG, B.v. 1.5.2001 – 1 BvQ 21/01 – juris Rn. 14).
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Gleiches gilt für die Gefahrenprognose in Bezug auf die Personen, welche die Abseilaktion durchführen, und die Art und Weise der Durchführung der Abseilaktion. Der Antragsteller hat insoweit nachvollziehbar vorgetragen, alle Beteiligten seien erfahrene Kletterer und jeder Kletternde bekomme einen Sicherungskletterer zur Seite gestellt. Die Annahme, dass die Versammlungsteilnehmer aufgrund von Unachtsamkeit, mangelnder Kenntnisse oder sonstigen Umständen zu Schaden kommen könnten, wird nicht auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte gestützt. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, dass potentiellen Risiken insoweit beim – im Übrigen eigenverantwortlichen – Abseilen nicht durch die vor Ort anwesenden Polizeibeamten begegnet werden könnte.
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(2) Angesichts der vorgenannten Defizite bei der Gefahrenprognose erweist sich das Verbot auch im Hinblick auf die Ausübung des Ermessens im vorliegenden Fall als fehlerhaft. Speziell für die Abseilaktion gilt, dass − unabhängig von den vorstehenden Erwägungen zu der Gefahrenprognose − selbst durchgreifende statische Bedenken hinsichtlich der streitgegenständlichen Fußgängerbrücke über die A9 nicht ohne Weiteres ein Verbot der Versammlung rechtfertigen würden. Zum einen hätte die Antragsgegnerin erwägen müssen, ob den entsprechenden Bedenken nicht als milderes Mittel durch Beschränkungen hinsichtlich der Art und Weise des Abseilens hätte Rechnung getragen werden können. Zum anderen hätte es nahegelegen, zu prüfen, ob die Versammlung auf ein geeignetes Brückenbauwerk, etwa auf die nur rund 350 Meter entfernte Brücke, auf der die mehrspurige D2. straße die A9 überquert, hätte verlegt werden können. Es bleibt der Antragsgegnerin weiterhin unbenommen, eine entsprechende Absprache mit dem Antragsteller zu treffen oder gegebenenfalls entsprechende Beschränkungen zu verfügen. Gleiches gilt für Bedenken hinsichtlich der Klettererfahrung und der Kletterausrüstung der Personen, welche die Abseilaktion durchführen. Auch hier wären als milderes Mittel Beschränkungen durch das Erfordernis entsprechender nachprüfbarer Nachweise angezeigt gewesen.
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3) Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen liegt es für den Senat auf der Hand, dass die Versammlung in der angezeigten Form aufgrund möglicher Staubildungen Beschränkungen und auch Risiken hervorruft (s.o.). Je länger eine erforderliche Vollsperrung andauert, umso mehr Personen werden nachteilig betroffen, umso mehr intensiviert sich auch die Beeinträchtigung für die Betroffenen und erhöht sich die Gefahr von Auffahrunfällen an den Stauenden. Gleichzeitig geht aus dem Eilantrag und dem Beschwerdevorbringen des Antragstellers hervor, dass es diesem in einer die Gesellschaft wesentlich berührenden Frage – unter Berücksichtigung der anstehenden mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Freising in Strafverfahren gegen Personen wegen einer unangezeigten Abseilaktion ebenfalls auf der A9 − vor allem um die Symbolhaftigkeit der Nutzung der Autobahn als solcher, nicht zuletzt auch medienwirksamer Bilder hiervon, ankommt. Um die kollidierenden Rechtsgüter und Interessen auch bei defizitärer Gefahrenprognose in einen Ausgleich zu bringen, der sie jeweils möglichst schont und weitgehend wirksam bleiben lässt, liegt eine Beschränkung des Versammlungsgeschehens in zeitlicher Hinsicht nahe. Der Senat hält angesichts der Anzahl der möglicherweise betroffenen Personen (s.o.) und der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter und Interessen hierfür im vorliegenden Fall aufgrund der genannten Umstände eine zeitliche Beschränkung der Versammlung auf insgesamt 45 Minuten, beginnend mit dem Befestigen von Abseilvorrichtungen beziehungsweise dem Betreten der Fahrbahn durch den Fahrradkorso, für angemessen.
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bb) Aus den genannten Gründen erweisen sich auch das in den Nrn. 2. und 3. des streitbefangenen Bescheides ausgesprochene Verbot für Ersatzversammlungen und das angeordnete Informationsgebot als voraussichtlich rechtwidrig und verletzen den Antragsteller im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
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3. Die den Beschluss des Verwaltungsgerichts abändernde Streitwertfestsetzung beruht auf dem Umstand, dass die begehrte Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt. Daher ist der Auffangwert in Höhe von 5.000 Euro nicht gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern (vgl. BayVGH, B.v. 7.9.2021 – 10 CS 21.2282 – juris Rn. 73).
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4. Die Entscheidung bezüglich der Prozesskostenhilfeanträge des Antragstellers bleibt einem gesonderten Beschluss vorbehalten.
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5. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.