Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 16.03.2023 – Au 1 E 23.388
Titel:

Rechtmäßige Einreiseverweigerung bei vormaligem drittstaatsangehörigen Ehegatten einer Unionsbürgerin

Normenketten:
Schengener Grenzkodex Art. 6, Art. 14
FreizügG/EU § 2, § 5 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ist ein Drittstaatsangehöriger im Schengener Informationssystem (SIS) zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben und erfüllt er zugleich die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 5 VO (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex - SGK) nicht, ist seine Einreisverweigerung nach Art. 14 Abs. 1 SGK gerechtfertigt. (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Klagt ein drittstaatsangehöriger Familienangehöriger eines Unionsbürgers gegen die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts, könnte ihm möglicherweise eine Verfahrensduldung nach § 84 Abs. 2 S. 1 AufenthG zukommen, die jedoch im Falle einer Ausreise aus der Bundesrepublik erlischt. (Rn. 24) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Ein vor den Verwaltungsgerichten anhängiges Verfahren über das Bestehen des Freizügigkeitsrechts eines drittstaatsangehörigen Familienangehörigen und ein daraus folgender Suspensiveffekt sind auf die Einreiseverweigerung nach Art. 14 Abs. 1 SGK ohne Einfluss. (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
serbischer Staatsangehöriger, Einreisverweigerung, vorläufiger Rechtsschutz, Schengener Informationssystem, Ausschreibung zur Einreiseverweigerung, Freizügigkeitsrecht, drittstaatsangehöriger Ehegatte, Verlustfeststellung, Verfahrensduldung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.03.2023 – 10 CE 23.524
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6173

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen eine Einreiseverweigerung.
2
Der Antragssteller ist serbischer Staatsangehöriger. Er reiste im Juni 1999 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde im Oktober 2003 nach Serbien abgeschoben. Am 24. November 2016 reiste er erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dabei legte er eine Eheurkunde vor, wonach er am ... 2016 die Ehe mit einer bulgarischen Staatsangehörigen geschlossen habe. Daraufhin erteilte ihm die zuständige Ausländerbehörde am 6. Februar 2017 eine bis zum 5. Februar 2022 befristete Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern.
3
Die Ehefrau des Antragstellers wurde zum 30. Juni 2020 ins Ausland abgemeldet. Nach eigenen Angaben trennte sich der Antragsteller im Sommer des Jahres 2020 von seiner Ehefrau. Die Ehe sei durch Urteil eines serbischen Gerichtes vom 6. Oktober 2022 geschieden worden.
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Mit Bescheid vom 18. Februar 2021 stellte das Landratsamt ... fest, dass der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt ein Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU besessen habe (Ziff. 1) und forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen, wobei im Fall der Klageerhebung die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Verfahrens ende (Ziff. 2). Das mit einer gegebenenfalls erforderlichen Abschiebung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf vier Jahre nach erfolgter Abschiebung befristet (Ziff. 3). Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein.
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Mit Schreiben vom 20. Januar 2022 beantragte der Antragsteller die Verlängerung seiner Aufenthaltskarte.
6
Mit Schreiben vom 13. April 2022 beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landratsamts ... vom 12. September 2022 abgelehnt. Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 16. September 2022 ebenfalls Widerspruch.
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Mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 4. Januar 2023 wurde die Ziff. 3 des Bescheids des Landratsamts ... vom 18. Februar aufgehoben und dahingehend neu gefasst, dass für den Fall der Abschiebung ein auf ein Jahr befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
8
Hiergegen ließ der Antragsteller am 16. Januar 2023 Klage vor dem Verwaltungsgericht ... (Az. ...) erheben, über die noch nicht entschieden ist.
9
Der Antragsteller reiste nach eigenen Angaben wegen eines Trauerfalls nach Serbien. Am 14. März 2023 kam er um 8:35 Uhr mit dem ... Flug ... aus ... wieder am Flughafen ... an. Bei der Einreisekontrolle stellte die Grenzpolizei eine aktive Fahndungsnotierung im Schengener Informationssystem (SIS) fest. Demnach wurde der Antragsteller von Österreich zur Einreiseverweigerung im Schengenraum ausgeschrieben. Der Antragsteller äußerte sich bei der Einreisebefragung dahingehend, dass er zum Zwecke der Arbeitsaufnahme einreisen wolle, ohne konkrete Angaben über den Arbeitgeber zu machen. Ferner gab er an, dass er mit einer bulgarischen Staatsangehörigen verheiratet sei. Eine Rückfrage der Grenzpolizei bei der zuständigen Ausländerbehörde ergab, dass seit der Scheidung kein Eheverhältnis mit einer freizügigkeitsberechtigten Person bestehe. Auch ein Asylüberprüfungsverfahren sei abgelehnt und abgeschlossen worden.
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Daraufhin verweigerte die Grenzpolizei dem Antragsgegner die Einreise mit Bescheid vom 14. März 2023 (Az.: ...) und verbrachte ihn am selben Tag nach ... in den Transitbereich des Flughafens.
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Hiergegen hat der Antragsteller am 15. März 2023 Eilrechtsschutz beantragen lassen.
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Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der Widerspruch und die Klage gegen die Verfügung vom 18. Februar 2021 aufschiebende Wirkung hätten, da das gerichtliche Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei, so dass ihm das FreizügG/EU weiterhin ein Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik gewähre.
13
Er lässt beantragen,
14
im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Einreiseverweigerung aufzuheben und dem Antragsgegner zu untersagen, den Antragsteller aus der Bundesrepublik zurückzuschieben.
15
Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
17
Es liege kein Anordnungsanspruch vor. Die Einreiseverweigerung sei rechtmäßig, da der Antragsteller die Einreisevoraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 lit. d) der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex – SGK) nicht erfülle, da er von Österreich im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sei. Dies sei bei der Einreisekontrolle bindend. Der Antragsteller gehöre auch nicht zu dem in Art. 6 Abs. 5 SGK genannten Personenkreis. Einen Aufenthaltstitel habe er nicht vorlegen können. Die SIS-Ausschreibung sei von einem etwaigen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ... unabhängig und stelle einen selbständigen Einreiseverweigerungsgrund dar.
18
Am 16. März 2023 ließ der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid des Beklagten vom 15. März 2023 einlegen.
II.
19
Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens ist die mit Bescheid vom 14. März 2023 ausgesprochene Einreiseverweigerung. Die Kammer geht davon aus, dass der Antragsteller nach einer negativen Entscheidung freiwillig davon Gebrauch macht, den Transitbereich zu verlassen und nach Serbien zurückzufliegen. Sollte dies nicht der Fall und der Erlass weiterer polizeilicher Maßnahmen erforderlich sein, wird davon ausgegangen, dass diese anschließend gesondert angegriffen werden. Eine Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 AufenthG ist bislang weder verfügt noch einschlägig, da es bereits an der hierfür erforderlichen „Einreise“ des Antragstellers fehlt. Das Begehren des Antragstellers ist dabei nach verständiger Würdigung seines Rechtsschutzziels als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auszulegen, vgl. § 88 VwGO.
III.
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Der in dieser Form zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Der Antrag ist unbegründet, da überwiegende Interessen des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht gegeben sind.
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1. Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung aufgrund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei die Interessen des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können.
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2. Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung vorliegend zu Ungunsten des Antragstellers aus. Nach derzeitigem Stand bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einreiseverweigerung. Das Interesse des Antragstellers muss vor diesem Hintergrund gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Einreise in das Bundesgebiet zurückstehen.
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a) Rechtsgrundlage für die angegriffene Entscheidung ist Art. 14 Abs. 1 SGK. Danach wird einem Drittstaatsangehörigen, der nicht alle Einreisevoraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1 SGK erfüllt und der nicht zu dem in Artikel 6 Absatz 5 SGK genannten Personenkreis gehört, die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verweigert.
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b) Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Antragsteller ist im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben und erfüllt damit bereits nicht die Voraussetzung des Art. 6 Abs. 1 Buchst. d) SGK. Er gehört auch nicht zum Personenkreis des Art. 6 Abs. 5 SGK. Unabhängig davon ist er auch nicht Inhaber eines Aufenthaltstitels. Die bis zum 5. Februar 2022 befristete Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern besteht nicht mehr. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass aus dem anhängigen Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht ... eine Verfahrensduldung entsprechend § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG folgen könnte (vgl. VG Dresden, U.v. 18.8.2016 – 3 K 3320/14 – juris Rn. 24; Dienelt in Bergmann/ders., 14. Aufl. 2022, § 7 FreizügG/EU Rn. 21; Kurzidem in BeckOK AuslR, 36. Ed. Stand 1.1.2023, § 5 FreizügG/EU Rn. 19), wäre diese jedenfalls mit der Ausreise des Antragstellers erloschen, vgl. § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Insoweit obliegt es dem Antragsteller, sich – ggf. in Verbindung mit einem Vorgehen gegen die österreichische SIS-Ausschreibung – bei der zuständigen Ausländerbehörde um einen erneuten Aufenthaltstitel oder eine Betretenserlaubnis mit Duldung für die Zeit des anhängigen Verfahrens zu bemühen (vgl. zu dieser grundsätzlichen Möglichkeit im Einzelfall BayVGH, B.v. 9.8.2011 – 19 CE 11.1573).
25
c) Auch im Übrigen ist das vor dem Verwaltungsgericht ... anhängige Verfahren über ein etwaiges Freizügigkeitsrecht des Antragstellers und ein daraus folgender Suspensiveffekt ohne Einfluss auf die Einreiseverweigerung nach Art. 14 Abs. 1 SGK. Die Grenzbehörde hat im Rahmen der Einreise nur die Voraussetzungen nach Art. 14 Abs. 1 SGK zu prüfen, ein Prüfungsrecht hinsichtlich eines materiellen Rechts auf Einreise und Aufenthalt kommt ihr nicht zu (vgl. allgemein zum Prüfungsumfang Kolber in Bergmann/Dienelt, 14. Aufl. 2022, § 15 AufenthG Rn. 17). Von der ihr eingeräumten (beschränkten) Prüfungskompetenz hat die Grenzpolizei vorliegend in ausreichendem Maße Gebrauch gemacht.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Teil hat der Antragsteller die Verfahrenskosten zu tragen.
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4. Die Streitwertfestsetzung folgt den Vorgaben der §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.