Titel:
Zusatzversorgung der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger, Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit, Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
Normenketten:
SchfHwG § 38 Abs. 1 S. 2
Sechstes Buch (SGB VI) § 2 S. 1 Nr. 8 des Sozialgesetzbuches
Schlagworte:
Zusatzversorgung der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger, Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit, Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 613
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der am … Oktober 1961 geborene Kläger ist Versicherter bei der Beklagten. Er gab mit Ablauf des … Dezember 2020 seinen Betrieb als Schornsteinfeger auf. Er beantragte am … Oktober 2021 bei der Beklagten Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit. Dem Antrag war ein Bescheid der Deutschen Rentenversicherung … vom … September 2021 über die befristete Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem … Januar 2021 beigefügt. Im Antragsformular des Klägers auf Bewilligung von Ruhegeld bei der Beklagten vom … Oktober 2021 ist angekreuzt, dass er nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, sich von der gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen.
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Der Kläger richtete ausweislich der Behördenakten am … Oktober 2018 ein Schreiben an den Rentenversicherungsträger, in dem er beantragte, „meine Pflichtversicherung in eine freiwillige Versicherung umzuwandeln“ und bat um Unterstützung hierbei. Mit bestandskräftigem Bescheid vom … November 2018 befreite die Deutsche Rentenversicherung … den Kläger ab dem … Oktober 2018 von der Rentenversicherungspflicht als Gewerbetreibender in einem Handwerksbetrieb nach § 2 Satz 1 Nr. 8 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Beitragsrückstände in Höhe von 4.949,47 EUR seien in Raten ausgeglichen worden. In einem Schreiben der Deutschen Rentenversicherung … vom … Februar 2020 an den Kläger ist angegeben, dass der Kläger als Gewerbetreibender in einem Handwerksbetrieb vom ... November 2017 bis … Oktober 2018 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung gezahlt habe.
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Mit weiterem bestandskräftigen Bescheid vom … September 2021 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung … dem Kläger ab dem ... Januar 2021 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet bis … Dezember 2022, da es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Aufgrund der Höhe des Hinzuverdiensts, der über der Hinzuverdienstgrenze liege, stehe dem Kläger die Rente ab dem ... Januar 2021 nicht zu.
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Die Beklagte lehnte die Gewährung eines Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit ab dem … Oktober 2021 mit Bescheid vom … November 2021 ab. Denn der Kläger habe sich von seiner Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreien lassen. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom ... März 2022 abgelehnt. Der Kläger sei auf seinen Antrag mit Wirkung zum … Oktober 2018 von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit worden. Soweit er vortrage, davon keine Kenntnis gehabt zu haben, sei das nicht glaubhaft.
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Am 6. April 2022 hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,
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1. den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom … November 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... März 2022 aufzuheben,
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2. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung der Entscheidungsgründe des Gerichts neu zu bescheiden.
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Der Kläger habe nicht von seinem Recht auf Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft Gebrauch gemacht. Die Deutsche Rentenversicherung habe auch keinen Wechsel der Pflichtmitgliedschaft in eine freiwillige Beitragsleistung festgestellt und/oder diese gegenüber dem Kläger beschieden.
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Unter Verweis auf die in den angegriffenen Bescheiden vertretene Rechtsauffassung hat die Beklagte beantragt,
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Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 8. November 2022, die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. April 2022 (richtig: 16. November 2022 entsprechend Eingangsdatum bei Gericht) auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Streitsache kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten übereinstimmend auf deren Durchführung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
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Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom … November 2021 sowie deren Widerspruchsbescheids vom ... März 2022 und Verpflichtung der Beklagten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung der Entscheidungsgründe des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Denn diese Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
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1. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes (SchfHwG) enthält ein Versorgungsberechtigter auf Antrag Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit aus der Versorgungsanstalt der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger, wenn
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1. er vor Vollendung der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung berufsunfähig geworden ist,
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2. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit eine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt wurde,
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3. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Beiträge an die Versorgungsanstalt gezahlt wurden und,
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4. die Bestellung aufgrund des § 12 SchfHwG aufgehoben worden ist.
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Nach § 38 Abs. 1 Satz 2 SchfHwG ist Satz 1 Nummer 3 nicht anzuwenden auf Versorgungsberechtigte, die vor dem 1. Januar 1973 geboren worden sind, nicht von ihrem Befreiungsrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung Gebrauch gemacht haben und nicht später als zwei Jahre nach Aufhebung der Bestellung berufsunfähig geworden sind.
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2. Der Kläger fällt nicht unter die Ausnahmeregelung des § 38 Abs. 1 Satz 2 SchfHwG. Denn er hat von seinem Befreiungsrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung Gebrauch gemacht.
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Der Kläger erfüllt die in § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchfHwG statuierte Voraussetzung für die Gewährung von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit von drei Beitragsjahren in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit nicht, da die Zusatzversorgung der beauftragten Bezirksschornsteinfeger mit Wirkung zum 1. Januar 2013 geschlossen wurde (siehe hierzu auch die homepage der Versorgungsanstalt der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger: www.schornsteinfegerkasse.de unter „Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit“). Ab diesem Zeitpunkt werden keine Anwartschaften mehr erworben und keine Beiträge mehr erhoben (§ 27 Abs. 1 SchfHwG). Allerdings ist in § 38 Abs. 1 Satz 2 SchfHwG festgelegt, dass § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchfHwG auf Versorgungsberechtigte nicht anzuwenden ist, die vor dem 1. Januar 1973 geboren worden sind, nicht von ihrem Befreiungsrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung Gebrauch gemacht haben und nicht später als zwei Jahre nach Aufhebung der Bestellung berufsunfähig geworden sind. Maßgeblich für die Bewilligung des Ruhegehalts bei Berufsunfähigkeit ist daher, ob er der Kläger die Ausnahmeregelung des § 38 Abs. 1 Satz 2 SchfHwG erfüllt, was nicht der Fall ist.
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a) Die Zusatzversorgung der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfegermeister wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2013 geschlossen. Die zu diesem Zeitpunkt erworbenen Anwartschaften auf Ruhegeld bleiben erhalten. Für nach dem 31. Dezember 2012 eintretende Versorgungsfälle werden Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit, Witwen- und Witwergeld sowie Waisengeld nach Maßgabe der §§ 38 bis 40 SchfHwG geleistet (§ 27 Abs. 3 SchfHwG; vgl. hierzu allgemein auch BayVGH, U.v. 28.10.2016 - 21 BV 15.338 - juris Rn. 28 f.; U.v. 24.10.2019 - 21 BV 17.337 - juris Rn. 41 ff.).
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§ 38 Abs. 1 Satz 2 SchfHwG wurde auf Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestags in den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Änderung anderer Gesetze vom 5. Dezember 2012 (BGBl I, S. 2467) aufgenommen und so beschlossen. Ziel des geänderten § 38 Abs. 1 Satz 2 SchfHwG ist es, durch Anhebung der Altersgrenze für Mitglieder, die ursprünglich auf 1963 lautete (bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.2013 50 Jahre oder älter waren), den Kreis der möglichen Anspruchsberechtigten auf eine Zusatzversorgung bei Berufsunfähigkeit auf Mitglieder zu erweitern, die vor 1973 geboren sind (und damit bei Inkrafttreten des Gesetzes 40 Jahre und älter waren). Dieser Schutz soll jedoch nur dann gelten, wenn die betreffenden Personen nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich von der Rentenversicherung befreien zu lassen; ansonsten müsste die Zusatzversorgung aufgrund der Gesamtversorgungssystematik die komplette Absicherung des Berufsrisikos übernehmen. Außerdem muss der nachlaufende Berufsunfähigkeitsschutz in einem zeitlichen Zusammenhang mit der spezifischen Tätigkeit als Bezirksschornsteinfeger stehen; ansonsten stünde dieser Schutz unter Umständen auch noch Personen zu, die lange zuvor aus dem Beruf ausgeschieden sind (zum Ganzen: BT-Drs. 17/11185 S. 4 f.).
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Selbst wenn der Gesetzgeber nach den Materialien möglicherweise die vorliegende Konstellation, in der sich ein zuvor langjährig Versicherter von der Rentenversicherungspflicht befreien lässt, nicht unmittelbar im Blick hatte, so ist es nach dem eindeutigen Wortlaut und der zitierten Begründung von § 38 Abs. 1 Satz 2 SchfHwG für einen Anspruch auf Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit erforderlich, dass neben einem Geburtsjahr vor 1973 und dem Eintritt der Berufsunfähigkeit innerhalb von zwei Jahren nach Aufhebung der Bestellung der Versicherte nicht von seinem Befreiungsrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung Gebrauch gemacht hat. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der hier geltend gemachten Versorgung um eine Zusatzversorgung handelt. Der Kläger erhält von der Rentenversicherung eine - zeitlich befristete - Rente wegen voller Erwerbsminderung.
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b) Der Kläger ist auf seinen Antrag mit Wirkung zum … Oktober 2018 mit bestandskräftigem Bescheid der Deutschen Rentenversicherung … vom ... November 2018 von der Rentenversicherungspflicht als Gewerbetreibender in einem Handwerksbetrieb nach § 2 Satz 1 Nr. 8 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) befreit worden. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI werden auf Antrag Gewerbetreibende in Handwerksbetrieben von der Versicherungspflicht befreit, wenn für sie mindestens 18 Jahre lang Pflichtbeiträge gezahlt worden sind.
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Dass dies dem Willen des Klägers entsprach, wird durch den Wortlaut seines Schreibens vom … Oktober 2018 an den Rentenversicherungsträger unterstrichen, in dem er ausdrücklich formuliert hat, dass er seine „Pflichtversicherung in eine freiwillige Versicherung“ umwandeln wolle. Bei der Angabe im Antragsformular vom … Oktober 2021 gegenüber der Beklagten, dass er nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, sich von der gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen, handelt es sich damit ersichtlich um eine fehlerhafte Angabe. Soweit von der Klagepartei angegeben wird, dass der Kläger kein Versicherungsfachmann sei, so ist dem entgegenzuhalten, dass von einem Schornsteinfegermeister eine Grundkenntnis der Sozialversicherungspflicht zu verlangen ist. Fehlt ihm eine solche, ist ihm zuzumuten, sich hierüber beraten zu lassen, wofür die Gesetzliche Rentenversicherung ausdrücklich Beratungsstellen eingerichtet hat.
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Soweit die Klagepartei vorträgt, dass es an einer wirksamen Zustellung des Bescheids vom ... November 2018 fehle, wird auf § 37 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) hingewiesen, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt grundsätzlich als innerhalb von drei Tagen nach Aufgabe zur Post als zugestellt gilt. Dieser Bescheid muss dem Kläger bekannt gewesen sein. Denn er hat nach handschriftlichen Vermerken vom … November 2021 den mit Bescheid vom ... November 2018 geforderten Beitragsrückstand über Pflichtbeiträge als Gewerbetreibender in einem Handwerksbetrieb in Höhe von 4949,47 EUR bezahlt, jedoch keine freiwilligen Beiträge. Hinzu kommt, dass vom Kläger ab diesem Zeitpunkt keine weiteren Pflichtbeiträge verlangt wurden.
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Hierzu steht das Schreiben der Deutschen Rentenversicherung vom … August 2021 - entgegen der Ansicht der Klagepartei - nicht in Widerspruch. Dort wird moniert, dass der Kläger erneut den Antrag auf Zahlung freiwilliger Beiträge nicht eingereicht habe. Das Schreiben, das mit „Freiwilliger Beitragszahlung“ überschrieben ist, betrifft im Kern die fehlende Zahlung freiwilliger Beiträge und nicht eine Aussage über eine angeblich nicht erfolgte Befreiung von der Versicherungspflicht.
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Soweit die Klagepartei darauf verweist, dass im Rentenbescheid über die Bewilligung voller Erwerbsminderung vom … September 2021 in der Anlage „Versicherungsverlauf“ Pflichtbeiträge über den … Oktober 2018 hinaus aufgelistet seien, so handelt es sich hierbei ab dem … Oktober 2018 um Pflichtbeiträge, die wegen Bezug von Leistungen eines Sozialleistungsträgers ausgewiesen sind und nicht um eigene Beitragszahlungen des Klägers.
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Schließlich hat die Rentenversicherung dem Kläger mit Schreiben vom … Februar 2020 (Bl. 67 der vorgelegten Verwaltungsakte) ausdrücklich eine Auflistung der von ihm als Gewerbetreibender in einem Handwerksbetrieb geleisteten Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung zugesandt, in der Beiträge vom ... November 2017 bis … Oktober 2018 ausgewiesen sind.
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3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.