Inhalt

VG München, Beschluss v. 19.01.2023 – M 19B DA 22.5834
Titel:

Disziplinarische Ahndung von Betäubungsmittelvergehen eines Polizeibeamten

Normenketten:
BDG § 5 Abs. 3 S. 2, § 8, § 13 Abs. 1, § 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, § 63 Abs. 2
BBG § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 77 Abs. 1 S. 1
BtMG § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
WaffG § 52 Abs. 3
Leitsätze:
1. Eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Dienstvergehens ergibt sich regelmäßig aus der Erhebung der öffentlichen Klage bzw. aus der Eröffnung des Hauptverfahrens, die einen hinreichenden Tatverdacht voraussetzen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen und genießen daher in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst erhebliche Vorsatzstraftaten begehen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die disziplinarrechtliche Ahndung von außergerichtlichen Straftaten mit einem Strafrahmen von bis zu 2 Jahren, die - wie bei Polizeibeamten - hinreichenden Bezug zum Amt aufweisen, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung, Bundespolizeibeamter auf Probe, Vorwürfe: u.a. Besitz und Anbau von Betäubungsmitteln, Fahrt und Dienstantritt unter Einfluss von Betäubungsmitteln, nicht vorschriftsmäßige Lagerung der Dienstwaffe, Polizeibeamter, Beamtenverhältnis auf Probe, Dienstvergehen, Disziplinarmaßnahme, Strafrahmen, Kürzung der Dienstbezüge, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, vorläufige Dienstenthebung, Einbehaltung der Dienstbezüge, Betäubungsmittelvergehen, Schusswaffe, Aussetzungsverfahren
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 23.03.2023 – 16b DS 23.311
Fundstelle:
BeckRS 2023, 609

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der mit Verfügung der Bundespolizeidirektion M. vom 8. Juni 2022 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung und Einbehaltung von Dienstbezügen.
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1. Der am ... 2000 geborene Antragsteller trat am 1. September 2017 in den Dienst der Bundespolizei. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung wurde er am 26. August 2020 als Beamter auf Probe zum Polizeimeister bei der Bundespolizeidirektion M. ernannt. Voraussichtliches Probezeitende wäre der 25. August 2023. Der Antragsteller wurde innerhalb des Geschäftsbereichs der Bundespolizeidirektion M. in der Bundespolizeiinspektion M. ... eingesetzt. Vom 3. Mai 2021 bis 6. April 2022 war er auf eigenen Wunsch als Lehrkraft zum ... abgeordnet. Am 6. April 2022 wurde ein mündliches Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 66 Bundesbeamtengesetz (BBG) gegen ihn ausgesprochen, das am Folgetag schriftlich bestätigt wurde; hiergegen wurde Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.
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Der Antragsteller ist ledig, kinderlos und straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
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2. Der Stand der gegen ihn geführten Disziplinar- und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist folgender:
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Durch eine Anzeige aus Polizeikreisen vom 11. März 2022 wurde bekannt, dass er auf einer privaten Feier Cannabis angeboten und angeboten hatte, mehr davon zu besorgen. Die Kriminalpolizeiinspektion Bamberg nahm daraufhin Ermittlungen auf. Das Amtsgericht Bamberg erließ am 30. März 2022 einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss.
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Dieser Beschluss wurde am 6. April 2022 vollzogen. An diesem Tag trat der Antragsteller seinen Dienst im Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrum … nach vorheriger Anfahrt mit seinem Kfz an. Ein um 9:21 Uhr durchgeführter freiwilliger Drogentest ergab ein positives Ergebnis auf THC und Amphetamin. Bei der anschließenden Durchsuchung im Elternhaus des Antragstellers wurden in dessen Wohnung 3 Hanfpflanzen, eine Kleinstmenge an Crystal Meth, eine Konsumeinheit weißen Pulvers (vermutlich Amphetamin) und ein Joint festgestellt, darüber hinaus eine Vielzahl BtMszenetypischer Utensilien und eine Aufzuchtstation für Hanfpflanzen. Außerdem wurden seine dienstliche Schusswaffe sowie weitere dienstliche Führungs- und Einsatzmittel (Schlagstock, Pfefferspray etc.) unversperrt in seinem Kleiderschrank aufgefunden, was gegen dienstliche Vorschriften verstößt, die die Aufbewahrung jeweils in einem geschlossenen Behältnis vorschreiben. Von der Durchsuchung finden sich Fotoaufnahmen in der Disziplinarakte.
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Die Bundespolizeiinspektion … … … leitete mit Schreiben vom 13. April 2022 ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein und setzte dieses gleichzeitig bis zum Abschluss der Ermittlungen aus. Mit Schreiben vom 28. April 2022 hörte sie ihn zur beabsichtigten vorläufigen Dienstenthebung unter teilweiser Einbehaltung der Dienstbezüge an. Er legte eine Übersicht über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 17. Mai 2022 vor.
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Mit Verfügung vom 1. Juni 2022 (2110 Js …) stellte die Staatsanwaltschaft B. ein Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen eines Vergehens nach § 29 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass er im Hinblick auf die Fahrt zur Arbeit am 6. April 2022 Betäubungsmittel vor dem Konsum in Besitz gehabt habe. Die bloße Entgegennahme von Betäubungsmitteln in verbrauchsgerechter Menge und der sofort anschließende Konsum seien nicht strafbar. Eine Fahruntüchtigkeit sei nicht nachgewiesen. Die Ermittlungen wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln zur Tatzeit zu Hause oder an anderen Tagen oder wegen des Handeltreibens mit diesen liefen in einem gesonderten Verfahren (2110 Js …) und blieben von dieser Einstellung unberührt. Die Tat wegen des Fahrens unter Drogeneinfluss als Ordnungswidrigkeit werde an die Verwaltungsbehörde abgegeben und von dieser weiterverfolgt.
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Mit Verfügung vom 8. Juni 2022 enthob die Bundespolizeidirektion M. den Antragsteller vorläufig des Dienstes und ordnete die Einbehaltung von 50% der Dienstbezüge an. Zur Begründung wurden folgende Vorwürfe genannt:
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- Besitz und Anbau von Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge
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- ggf. Handel mit Betäubungsmitteln
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- Führen eines Kfz im öffentlichen Straßenverkehr unter Einfluss von Betäubungsmitteln
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- nicht vorschriftsmäßige Lagerung der dienstlichen Schusswaffe.
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Das strafrechtliche Handeln des Antragstellers sei als außerdienstliches Verhalten zu bewerten, wegen eines Strafrahmens von mindestens 2 Jahren aber von disziplinarrechtlicher Bedeutung; die einschlägige Regelung des § 29 BtMG sehe Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren vor. Erschwerend wirke, dass ein Bezug zur Aufgabe als Polizeivollzugsbeamter vorliege.
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Bei einer Kürzung von 50% der Dienstbezüge verblieben dem Antragsteller Nettobezüge in Höhe von 1267,99 €, was zur Lebensunterhaltssicherung ausreiche.
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Die Staatsanwaltschaft Ba. übersandte dem Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrum Ba. mit Schreiben vom 29. September 2022 einen Strafbefehl des Amtsgerichts Bayreuth (Cs 224 Js …*), mit dem gegen den Antragsteller wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG) eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 40 € (2400 €) verhängt wurde. Im Sachverhalt ist dargestellt, dass er am 6. April 2022 gegen 8:15 Uhr in seiner Kellerwohnung eine Gesamtmenge von 65,7 g Marihuana, 11 LSD-Trips, diverse Cannabissamen und eine nicht verwiegbare geringe Menge Metamphetamin wissentlich und willentlich ohne die erforderliche Erlaubnis aufbewahrt habe. Nach § 154 Abs. 1 StPO wurde von der Verfolgung des unerlaubten Besitzes von mindestens 1 g Marihuana am 26. Februar 2022 gegen 3:00 Uhr abgesehen. Gegen diesen Strafbefehl erhob der Antragsteller Einspruch.
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Weiter übersandte die Staatsanwaltschaft Ba. dem Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrum Ba. mit Schreiben vom 10. November 2022 eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Ba. vom 2. November 2022 (266 Js …*). Darin wird dargestellt, dass der Antragsteller am 6. April 2022 die tatsächliche Gewalt über 9 Wurfsterne, ein Butterflymesser, einen Revolver Reck Single Action Modell R 30 Kaliber 4 mm, 80 Patronen Munition und Schwarzpulver ausgeübt habe, jeweils ohne die entsprechende Erlaubnis. Die Taten seien strafbar als vorsätzlicher Besitz 10 verbotener Waffen in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz von Munition in Tateinheit mit vorsätzlichem Umgang mit explosionsgefährdenden Stoffen (§ 52 Abs. 3 Nr. 1, 2a, 2b Waffengesetz - WaffG - i.V.m. den entsprechenden Regelungen in Anlage 2 zum WaffG, §§ 40 Abs. 1 Nr. 3, 27 Abs. 1 SprengG, 52 StGB).
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3. Der Antragsteller beantragte am 23. Juni 2022 beim Verwaltungsgericht Ansbach durch seine Bevollmächtigten
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die Aussetzung der Verfügung vom 8. Juni 2022.
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Er ließ vortragen, das gegen ihn gerichtete Strafverfahren sei mit Verfügung der Staatsanwaltschaft B. vom 5. Juni 2022 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Das Bayerische Polizeiverwaltungsamt habe am 14. Juli 2022 wegen des Führens eines Kfz unter Wirkung berauschender Mittel einen Bußgeldbescheid gegen ihn erlassen, gegen den mit Schreiben vom 22. Juni 2022 Einspruch eingelegt worden sei. Die Straferwartung habe sich daher nicht realisiert.
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Die Bundespolizeidirektion M. beantragte mit Schreiben vom 15. Juli 2022,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie trug vor, der Antragsteller stehe im Verdacht, gegen die inner- und außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG, die Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz für den Beruf, insbesondere die Gesundheitspflicht nach § 61 Abs. 1 Satz 1 BBG, und die Pflicht zur Ausführung dienstlicher Anordnungen und allgemeiner Richtlinien nach § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG verstoßen und dadurch ein inner- und außerdienstliches Dienstvergehen begangen zu haben.
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Bei einem Beamten auf Lebenszeit hätte das Dienstvergehen des Antragstellers mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge. Gegen ihn als Beamten auf Probe könnten daher nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Bundesdisziplinargesetz (BDG) i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG eine Entlassung und nach § 38 Abs. 1 BBG eine vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden.
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Die Verfahrenseinstellung mit dem Aktenzeichen 2110 Js … betreffe lediglich das Strafverfahren nach § 29 BtMG und § 316 Strafgesetzbuch (StGB) im Hinblick auf die Fahrt zur Dienststelle. Zur Tat des Fahrens unter Drogeneinfluss als Ordnungswidrigkeit sei bereits ein Bußgeldbescheid erlassen worden. Das Strafverfahren 2110 Js … bleibe hiervon unberührt.
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Das Verwaltungsgericht Ansbach verwies den Rechtsstreit nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 17. November 2022 an das Verwaltungsgericht München.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Disziplinarakte, die Personalakte und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG kann die Disziplinarbehörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird oder wenn bei einem Beamten auf Probe voraussichtlich eine Entlassung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 BDG i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG erfolgen wird. Nach § 38 Abs. 2 Satz 1 und 2 BDG kann sie gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50% der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden oder wenn der Beamte im Beamtenverhältnis auf Probe voraussichtlich nach § 5 Abs. 3 Satz 2 BDG i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG entlassen werden wird. Nach § 63 Abs. 1 BDG kann der Beamte bei dem Gericht der Hauptsache die Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen beantragen. Über den Antrag ist durch Beschluss zu entscheiden (vgl. § 63 Abs. 3 BDG), den nach § 46 Abs. 1 Satz 2 BDG der/die Vorsitzende der Disziplinarkammer ohne Mitwirkung der Beamtenbeisitzer erlässt.
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Die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Bezügen sind nach § 63 Abs. 2 BDG ganz oder zum Teil auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die von der Behörde getroffene Anordnung rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG ist im Regelfall eines aktiven Beamten auf Lebenszeit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Bei dem Antragsteller als Beamten auf Probe ist Gegenstand der Prüfung, ob eine Entlassung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 BDG i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG erfolgen wird. Beamte auf Probe genießen insoweit geringeren Schutz. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG können Beamte auf Probe bereits dann entlassen werden, wenn ein Verhalten vorliegt, das im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge hätte.
31
Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass es bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist. Da im gerichtlichen Verfahren nach § 63 BDG für eigene Beweiserhebungen im Regelfall kein Raum ist, muss das Gericht anhand einer ihrer Natur nach nur kursorisch möglichen Prüfung des Sachverhalts aufgrund der gerade aktuellen Entscheidungsgrundlage entscheiden. Eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Dienstvergehens ergibt sich regelmäßig aus der Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Abs. 1 StPO) bzw. aus der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO), die einen hinreichenden Tatverdacht voraussetzen (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2019 - 16a DS 19.1720 - juris Rn. 8).
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Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung, und zwar weder im Hinblick auf die vorläufige Dienstenthebung (1.) noch im Hinblick auf den ausgesprochenen Einbehaltungssatz von 50% (2.).
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1. Die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung kann auf die Prognose einer Entlassung des Antragstellers als Beamter auf Probe gestützt werden. Nach der derzeitigen Sach- und Rechtslage ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Entlassung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 BDG i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG gegen ihn verfügt werden kann.
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1.1. Gegen den Antragsteller wurden in der Disziplinarverfügung vom 8. Juni 2022 die Vorwürfe erhoben, im Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewesen zu sein, Anbau von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgenommen, unter Einfluss von Betäubungsmitteln ein Kfz im öffentlichen Straßenverkehr geführt und seine dienstliche Schusswaffe nicht vorschriftsmäßig gelagert zu haben. Darüber hinaus werde geprüft, ob auch noch Handel mit Betäubungsmitteln betrieben werde.
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Im maßgeblichen Zeitpunkt dieses Beschlusses besteht hinsichtlich der gegen den Antragsteller erhobenen Verdachtsmomente hinreichende Gewissheit. Dem (nicht rechtskräftigen) Strafbefehl des Amtsgerichts Bayreuth, den die Staatsanwaltschaft Ba. dem Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrum Ba. mit Schreiben vom 29. September 2022 übersandte, ist zu entnehmen, dass der Antragsteller am 6. April 2022 gegen 8:15 Uhr in seiner Kellerwohnung eine Gesamtmenge von 65,7 g Marihuana, 11 LSD-Trips, diverse Cannabissamen und eine nicht verwiegbare geringe Menge Metamphetamin wissentlich und willentlich ohne die erforderliche Erlaubnis aufbewahrt hat. Der Besitz von Betäubungsmitteln ergibt sich auch hinreichend konkret aus den Feststellungen zur Durchsuchung am 6. April 2022. Gleiches gilt für den Anbau von Betäubungsmitteln, der auf den bei der Durchsuchung angefertigten Fotoaufnahmen erkennbar ist. Dass der Antragsteller unter Einfluss von Betäubungsmitteln ein Kfz im öffentlichen Straßenverkehr geführt hat, lässt sich der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft B. vom 1. Juni 2022 (2110 Js …*) und dem Bußgeldbescheid des Bayerischen Polizeiverwaltungsamts vom 14. Juli 2022 entnehmen. Die nicht vorschriftsmäßige Lagerung seiner dienstlichen Schusswaffe ist ebenfalls eindeutig auf den bei der Durchsuchung angefertigten Fotoaufnahmen zu erkennen. Wie der Schilderung des Tatbestands unter I. zu entnehmen ist, ist dagegen sein Vortrag, das Ermittlungsverfahren gegen ihn sei eingestellt worden, nicht zutreffend.
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Zu den vorstehenden Vorwürfen kommt der Dienstantritt unter Betäubungsmitteleinfluss am 6. April 2022, der ebenfalls feststeht und in der Einleitungsverfügung vom 13. April 2022 genannt, aber nicht in die Verfügung zur vorläufigen Dienstenthebung übernommen wurde. Hinzu kommen weiter die in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Ba. vom 2. November 2022 (266 Js …*) enthaltenen Vorwürfe des unerlaubten Besitzes vom Waffen, Munition und explosionsgefährlichen Stoffen, auf die das Disziplinarverfahren bislang nicht förmlich ausgedehnt wurde, hinsichtlich derer aber durch Vorliegen einer Anklageschrift ebenfalls hinreichende Gewissheit besteht. Das Gericht geht davon aus, dass die Disziplinarbehörde die Vorwürfe gegen den Antragsteller im weiteren Verfahren konkretisieren und ausdehnen wird.
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1.2. Mit seinem Verhalten hat der Antragsteller gegen mehrere beamtenrechtliche Pflichten verstoßen. Insoweit wird auf die Darstellung in der Antragserwiderung verwiesen.
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1.3. Sein Fehlverhalten besteht aus inner- und außerdienstlichen Pflichtverletzungen.
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Wegen des unmittelbaren Dienstbezugs stellen die Fahrt zum Dienst und der Dienstantritt unter Einfluss von Betäubungsmitteln am 6. April 2022 sowie die vorschriftswidrige Aufbewahrung der Dienstwaffe innerdienstliche Pflichtverletzungen dar.
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Die Betäubungsmittelstraftaten begründen eine außerdienstliche Pflichtverletzung, weil sie nicht in sein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden waren (BVerwG, B.v. 5.7.2016 - 2B 24.16 - juris Rn. 14). Das außerdienstliche Fehlverhalten hat nach § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG disziplinarrechtliche Bedeutung, das die Rechtsprechung bei einem Strafrahmen von mindestens 2 Jahren als gegeben ansieht (BVerwG, B.v. 18.6.2014 - 2 B 55.13 - juris Rn. 11). Hier sieht § 29 Abs. 1 BtMG eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren für den Anbau und Besitz von sowie den Handel mit Betäubungsmitteln vor. Nach § 52 Abs. 3 WaffG sind die Verstöße gegen das Waffengesetz mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren bedroht.
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Außerdem weisen die außerdienstlich begangenen Taten einen hinreichenden Bezug zum Amt des Antragstellers als Polizeibeamter auf. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhüten, aufzuklären und zu verfolgen und genießen daher in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung. Dieses berufserforderliche Vertrauen wird in besonderem Maße beeinträchtigt, wenn Polizeibeamte selbst erhebliche Vorsatzstraftaten begehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 50.13 - juris Rn. 35 f.). Dem Antragsteller kommt darüber hinaus als Lehrkraft am … … … … eine besondere Vorbildfunktion zu.
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1.4. Dem Antragsteller ist hinsichtlich aller Taten Vorsatz anzulasten.
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1.5. Die aufgrund der vorstehenden Vorwürfe zu treffende Bemessungsentscheidung führt voraussichtlich mindestens zu einer Kürzung der Dienstbezüge (§ 8 BDG) des Antragstellers.
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1.5.1. Nach § 13 Abs. 1 BDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6/14 - juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 - 2 C 9/14 - juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 - 16a D 14.2285 - juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 - 16b D 13.993 - juris Rn. 36).
45
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 - 16b D 14.2351 - juris Rn. 73).
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Bei mehreren Verfehlungen ist die schwerwiegendste maßgeblich (BayVGH, U.v. 25.10.2016 - 16 BD 14.2351 - juris Rn. 74). Dies sind hier die Betäubungsmittelstraftaten.
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1.5.2. Zur konkreten Bestimmung der disziplinaren Maßnahmebemessung bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen ist in einer ersten Stufe auf den Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert des Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat (BVerwG, U.v. 23.2.2012 - 2 C 38.10 - juris Rn. 11). Für die disziplinarrechtliche Ahndung von außergerichtlichen Straftaten mit einem Strafrahmen von bis zu 2 Jahren, die - wie hier bei einem Polizeibeamten - hinreichenden Bezug zum Amt aufweisen, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 18). Hier sehen die einschlägigen strafrechtlichen Bestimmungen eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren vor.
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Weiter ist die konkrete Tat in den Blick zu nehmen. Im Hinblick auf die nicht geringe Menge und Auswahl an Betäubungsmitteln, deren Besitz dem Antragsteller vorgeworfen wird, ist davon auszugehen, dass der Orientierungsrahmen auszuschöpfen ist oder jedenfalls bis zur Zurückstufung reicht. Im Disziplinarverfahren wird zu klären sein, ob gegebenenfalls Milderungsgründe vorliegen, die zu Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen sind. Allerdings begründen die weiteren Taten Erschwerungsgründe und sind zu seinen Lasten in die Gesamtbetrachtung einzustellen. Dies gilt auch für die waffenrechtlichen Verstöße, die bislang noch nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind. Sollten sich die gegen den Antragsteller vorliegenden Verdachtsmomente daher gänzlich oder jedenfalls zum überwiegenden Teil bewahrheiten, ist mindestens die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge nach § 8 BDG gegen ihn auszusprechen. Die Voraussetzungen von § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG liegen damit vor, sodass die Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Probe unter ordnungsgemäßer Ermessensausübung verfügt werden kann.
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2. Auch der vom Antragsgegner ausgesprochene Einbehaltungssatz in Höhe von 50% der monatlichen Dienstbezüge ist auf Grundlage der vom Antragsteller vorgelegten Übersicht über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 17. Mai 2022, zu der keine Nachweise vorgelegt wurden, bei überschlägiger Prüfung nicht zu beanstanden. Der Antragsteller hat insoweit auch nichts vorgetragen.
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Der Antrag war daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).