Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.02.2023 – 9 ZB 22.30550
Titel:

Asylrecht Sierra-Leone – Heilung der Handlungsunfähigkeit eines Antragstellers durch Verpflichtungsantrag

Normenketten:
AsylG § 12 Abs. 1
BGB § 2
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz:
Stellt ein anwaltlich vertretener Kläger im asylrechtlichen Klageverfahren einen Verpflichtungsantrag, genehmigt er konkludent die bisherigen und wegen seiner Minderjährigkeit unwirksamen Verfahrenshandlungen, sodass ein entsprechender Fehler geheilt wird. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl Sierra-Leone, rechtliches Gehör, Minderjährigkeit, Handlungsunfähigkeit, Heilung, Divergenz, grundsätzliche Bedeutung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 07.04.2022 – M 30 K 19.34663
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6079

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), der Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 78 Abs. 2 Nr. 2 AsylG) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) sind schon nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt bzw. liegen nicht vor.
2
1. Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Ein Verfahrensfehler in Form der Versagung rechtlichen Gehörs liegt nur vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.1979 – 2 B 16/78 – NJW1980, 1972) oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 15 ZB 19.30148 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 8.10.2018 – 15 ZB 18.31366 – juris Rn. 3 m.w.N.).
3
Der Kläger macht geltend, er sei sowohl im Zeitpunkt seiner Asylantragstellung als auch der Ablehnung des Asylantrags minderjährig und damit nicht handlungsfähig (vgl. § 12 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 2 BGB) gewesen. Mit diesem Vortrag ist der behauptete Gehörsverstoß nicht dargelegt.
4
Abgesehen davon, dass sein Vorbringen schon nicht erkennen lässt, inwieweit sich die behauptete Minderjährigkeit und damit verbundene Handlungsunfähigkeit auf das Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils (der Kläger war sowohl zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als auch der gerichtlichen Entscheidung unstreitig volljährig) ausgewirkt haben könnte (vgl. Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2022, § 12 AsylG Rn. 26 f. m.w.N.; BVerwG, B.v. 11.2.1994 – 2 B 173.93 – juris Rn. 4), hat der – bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretene – Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausdrücklich beantragt, den Bescheid der Beklagten aufzuheben (Nr. 1) und diese zu verpflichten, festzustellen, dass er asylberechtigt ist und dass bei ihm sowohl die Flüchtlingseigenschaft, der subsidiäre Schutzstatus als auch Abschiebungsverbote vorliegen (Nr. 2. a-d). Mit diesem Verpflichtungsantrag hat er jedenfalls konkludent die bisherigen Verfahrenshandlungen, die aufgrund seiner angeblichen Minderjährigkeit und der damit verbundenen Handlungsunfähigkeit (§ 12 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 2 BGB) möglicherweise nicht wirksam waren, genehmigt und die entsprechenden Fehler geheilt (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30011 – juris Rn. 23; OVG LSA, B.v. 1.3.1996 – 2 L 261/95 – juris Rn. 6). Daran ändert nichts, dass seine Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht „klargestellt“ hat, dass es sich bei Nr. 1 ihres Klageantrags auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids „um eine selbstständige Anfechtungsklage aufgrund der Altersproblematik handelt“. Zwar dürfte eine Genehmigung regelmäßig dann nicht vorliegen, wenn sich ein Kläger unter Berufung auf seine Minderjährigkeit gegen den ablehnenden Bescheid wendet (vgl. BVerwG, U.v. 31.7.1984 – 9 C 156.83 – juris Rn. 12; VGH BW, U.v. 2.11.2010 – 11 S 2079/10 – juris Rn. 25). Allerdings hat der Kläger seinen Antrag hier gerade nicht auf eine bloße Aufhebung des Bescheids beschränkt, sondern daneben einen umfangreichen und unbedingten Verpflichtungsantrag gestellt (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30011 – a.a.O.).
5
2. Die Darlegung der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) erfordert nicht nur die genaue Benennung des Gerichts und die zweifelsfreie Angabe seiner Divergenzentscheidung. Darzulegen ist auch, welcher tragende Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte tragende Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2008 – 9 B 15.08 – NVwZ 2008, 1115 Rn. 22 m.w.N.).
6
Diesen Anforderungen kommt der Kläger nicht nach. Er benennt weder eine Divergenzentscheidung, noch legt er dar, mit welchem tragenden Rechts- oder Tatsachensatz das angefochtene Urteil in Widerspruch steht.
7
3. Die Rechtssache hat auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG erfordert, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 14 ZB 17.390 – juris Rn. 14 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
8
Diesen Anforderungen genügt die pauschale Behauptung des Klägers, „die Frage der Überlebensfähigkeit eines Einzelnen, der seit Jahren abwesend ist und ohne familiäre Bande in Sierra Leone ist, ist obergerichtlich zu beantworten“, nicht.
9
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
10
Mit der Verwerfung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
11
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).