Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.03.2023 – 24 ZB 22.50039
Titel:

unbegründeter Antrag auf Zulassung der Berufung (Dublin-Verfahren) 

Normenketten:
VwGO § 55a
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a
Leitsatz:
Ob ein elektronisches Dokument wirksam eingereicht ist, bemisst sich daran, dass die vom sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der das Dokument verantwortenden Person identisch ist; rechtlich ohne Belang ist es, ob ein Beschäftigter mit dem Zusatz „in Vertretung“ oder „im Auftrag“ oder ohne jeglichen Zusatz zeichnet. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wirksames Handeln für eine Behörde, Zeichnung mit „im Auftrag“, Formwirksame Erhebung des Zulassungsantrags, Ungarn, systemische Mängel (Botschaftsverfahren), Möglichkeit der Antragstellung nach Rückführung, Zusicherung, Form der elektronischen Einreichung, elektronische Signatur, Dublin-Rückkehrer, Botschaftsverfahren, systemische Mängel
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 13.09.2022 – W 1 K 22.50248
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6077

Tenor

I. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

1
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung ist zulässig, hat aber keinen Erfolg.
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I. Der Antrag ist formwirksam erhoben. Die Kläger rügen unter Rekurs auf § 55a VwGO und auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2007 – VI ZB 81/05 (insbesondere juris Rn. 4) –, dass der Zusatz „im Auftrag“, der der Unterschrift des Beschäftigten der Beklagten im vorliegenden Zulassungsantrag vorangestellt sei, nicht genüge, um eine Rechtsmittelschrift formwirksam einzureichen. Denn bei einer Unterzeichnung „im Auftrag“ übernehme – anders als bei einer Zeichnung „in Vertretung“ – der Unterzeichnende nicht die volle Verantwortung für den Inhalt des Zulassungsantrags, sondern verdeutliche, dass er lediglich Bote sein wolle.
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Diese Annahme ist unzutreffend. Die Anforderungen an die Form des einzureichenden Schriftsatzes ergeben sich aus § 55d VwGO. Hiernach ist der Zulassungsantrag „als elektronisches Dokument“ an das Gericht zu übermitteln. Die Form der elektronischen Einreichung richtet sich nach § 55a Abs. 1 bis 6 VwGO in Verbindung mit den Vorgaben der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) und den einschlägigen Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachungen (ERVB). Die hiernach bestehenden Anforderungen hat die Behörde erfüllt. Sie hat von der Möglichkeit nach § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO Gebrauch gemacht; ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen Prüfvermerks wurde der Zulassungsschriftsatz mittels „sicheren Übermittlungswegs aus einem besonderen Behördenpostfach“ eingereicht. Der Prüfvermerk ist für das Gericht maßgeblich (vgl. Kersting/Wettich in Hoeren/Sieber/Holznagel, Handbuch Multimedia-Recht, Stand: Februar 2022, Teil 24, Rn 39; Müller, NJW 2021, 3281 (3283 Rn. 16). Außerdem muss der Zulassungsantrag gemäß § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO von der verantwortenden Person signiert sein. Die Anforderung des Signierens bezieht sich auf die Anbringung einer (einfachen) elektronischen Signatur gemäß Art. 3 Nr. 10 Verordnung (EU) 910/2014 (eIDAS-Verordnung). Diese definiert „elektronische Signatur“ als Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verbunden werden und die der Unterzeichner zum Unterzeichnen verwendet. Hierunter wird nach allgemeiner Ansicht insbesondere die Wiedergabe des Namens des Urhebers am Textende oder seine eingescannte Unterschrift verstanden (vgl. nur Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 55a Rn 14; Ulrich in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Februar 2022, § 55a VwGO Rn. 86 – jeweils m.w.N.). Eine solche Unterzeichnung liegt mit der Nennung des Nachnamens des Mitarbeiters hier vor.
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Diese (einfache) elektronische Signatur dient dem Abschluss des elektronischen Dokuments sowie der Dokumentation, dass die vom sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der das Dokument verantwortenden Person identisch ist: Ist diese Identität nicht feststellbar, ist das elektronische Dokument nicht wirksam eingereicht. (vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 25). An dieser Identität bestehen vorliegend keine Zweifel, auch nicht wegen des Zusatzes „im Auftrag“. Denn für monokratisch organisierte Behörden handeln wirksam entweder der Behördenleiter oder sein Vertreter, deren Handeln der Behörde kraft Gesetzes zugerechnet wird (Organwalter im engeren Sinne), oder sonstige Beschäftige als Organwalter im weiteren Sinne. Diese werden insbesondere in den verfahrensrechtlichen Vorschriften als „Beauftragte“ bezeichnet (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG, § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG). Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass diese – wie vorliegend – „im Auftrag“ des Behördenleiters zeichnen (während mit „in Vertretung“ nur der allgemeine Vertreter des Leiters zeichnet – vgl. zum Ganzen Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 35 Rn. 54 f. m.w.N.). Insoweit erweist sich die Formulierung der Beklagten als präzise Darstellung der organisationsrechtlichen Zurechnungsregelungen; ungeachtet dessen wäre es rechtlich ohne Belang, zeichnete ein Beschäftigter mit dem Vertretungs- oder ohne jeglichen Zusatz.
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II. Der Antrag hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt wurde bzw. nicht vorliegt.
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1. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Seeger in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.4.2022, § 78 AsylG Rn. 18 ff; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 78 AsylG Rn. 11 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 2). Hierbei genügt es nicht dem Darlegungserfordernis gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, wenn lediglich Zweifel an der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils geäußert werden oder lediglich behauptet wird, dass sich die entscheidungserheblichen Tatsachen anders darstellen als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es der Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen und über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Tatsachen, etwa mit Blick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Stellungnahmen von Sachverständigen oder das Gewicht einer abweichenden Meinung, einer unterschiedlichen Würdigung und damit einer Klärung im Berufungsverfahren zugänglich sind (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 214). Dabei gilt allgemein, dass die Anforderungen an die Darlegung nicht überspannt werden dürfen, sondern sich nach der Begründungstiefe der angefochtenen Entscheidung zu richten haben.
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2. Die Beklagte hält für klärungsbedürftig, ob nach Ungarn überstellte Dublin-Rückkehrer trotz des 2020 eingeführten Botschaftsverfahrens bei einer Rückkehr die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen bzw. einen vollen Zugang zum ungarischen Asylsystem haben. Des Weiteren wirft die Beklagte die Frage auf, ob sich Dublin-Rückkehrer trotz einer im Dublin-Verfahren eingeholten Zusicherung Ungarns, den Antrag entsprechend der Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) zu bearbeiten und die Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) zu beachten, auf systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmeverfahren Ungarns berufen können.
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Zur Begründung führt die Beklagte aus, die genannten Fragen würden von verschiedenen Verwaltungsgerichten, auch im Gerichtsbezirk Bayern, unterschiedlich beantwortet und verweist hierzu auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Regensburg (B.v. 7.3.2022 – RN 13 S 22.50079), aber auch auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg (B.v. 18.3.2022 – 7 AE 3979/21), deren Ausführungen sie sich zu eigen mache. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts müssten Asylantragstellende, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Ungarn überstellt würden, zuvor kein Botschaftsverfahren durchlaufen, ihr Asylantrag werde in Ungarn geprüft. Zwar weise das Helsinki-Komitee darauf hin, dass Dublin-Rückkehrende nicht ohne weiteres Erst- und Folgeanträge in Ungarn stellen könnten, da diese im Zuge des in Ungarn geltenden Asylgesetzes und des Botschaftsverfahrens nicht zu den Ausnahmen zählten, denen erlaubt sei, einen Antrag innerhalb Ungarns zu stellen. Jedoch führe das Bundesamt Überstellungen gemäß der Dublin-III-VO nur dann durch, wenn die ungarischen Behörden (im Einzelfall) schriftlich zusicherten, dass Dublin-Rückkehrende gemäß der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU untergebracht und deren Asylverfahren gemäß der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU durchgeführt werde. Zum Aspekt der fehlenden Möglichkeit zur Antragstellung innerhalb Ungarns habe das NDGAP Stellung bezogen und klargestellt, dass das Asylverfahren von Dublin-Rückkehrenden in der Praxis durchgeführt werde, nachdem diese bei ihrer Ankunft ihre Absicht für die Aufrechterhaltung ihres Asylverfahrens erklärt hätten (EASO, EASO Asylum Report 2021, 29.6.2021, S. 97). Im Übrigen stelle die im hiesigen Verfahren eingeholte Erklärung Ungarns, dass die Asylverfahrensrichtlinie und die Aufnahmerichtlinie beachtet würden, eine individuell-konkrete Zusicherung dar, aufgrund derer sich Dublin-Rückkehrer ohnehin nicht auf vermeintlich bestehende systemische Mängel berufen könnten, da sie aufgrund der Zusicherung nicht von solchen betroffen seien.
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3. Das Zulassungsvorbringen führt nicht zum Erfolg, denn es entspricht nicht den oben dargestellten Anforderungen.
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3.1. Die von der Beklagten aufgeworfene erste Frage erscheint widersprüchlich, wenn sie einerseits geklärt haben möchte, ob nach Ungarn überstellte Dublin-Rückkehrer trotz des 2020 eingeführten Botschaftsverfahrens bei einer Rückkehr die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen bzw. einen vollen Zugang zum ungarischen Asylsystem haben, andererseits aber vorträgt, das Bundesamt führe Überstellungen nach der Dublin-III-VO nur dann durch, wenn die ungarischen Behörden im Einzelfall schriftlich zusicherten, dass Dublin-Rückkehrende gemäß der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU untergebracht und deren Asylverfahren gemäß der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU durchgeführt würde. Wenn die Beklagte vor einer Rückführung immer eine Zusicherung einholt, spricht dies dafür, dass sie selbst davon ausgeht, es lägen systemische Mängel im ungarischen Asylverfahren im Hinblick auf Dublin-Rückkehrer vor.
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Doch auch wenn man im Rahmen der Auslegung davon ausgeht, dass die Beklagte geklärt haben möchte, ob sich etwaige systemische Mängel auch auf solche Dublin-Rückkehrer auswirken, für die eine entsprechende Zusicherung eingeholt wurde, führt dies nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags, da die grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargelegt wurde.
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„Darlegen“ im Sinn des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG bedeutet so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2015 – 15 ZB 15.30056 – juris Rn. 3; vgl. auch BayVGH, B.v. 12.5.2017 – 15 ZB 16.1567 – juris Rn. 11 und BVerwG, B.v. 25.4.2016 – 3 B 56.15 – juris Rn. 3 zu den entsprechenden Regelungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bzw. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Beklagte setzt sich in ihrem Vorbringen jedoch nicht mit den Urteilen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auseinander, auf die sich das Verwaltungsgericht maßgeblich stützt, und nennt keine anderen Erkenntnismittel, aus denen sich ergeben könnte, dass die Feststellungen und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sein könnten.
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Erforderlich wären substantiierte Erläuterungen zumindest dazu gewesen, welche maßgeblichen Veränderungen der Beurteilungsgrundlagen es seit der Grundsatzentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.50003 – juris) und der sich daran anschließenden Rechtsprechung (BayVGH, U.v. 31.1.2018 – 9 B 17.50039; B.v. 29.1.2018 – 20 B 16.50000; B.v. 23.1.2018 – 20 B 16.50073 – jeweils juris) im ungarischen Asylsystem gegeben hat und wie sich dies auf etwaige systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen auswirkt. In diesem Zusammenhang wäre auch darzulegen gewesen, welche Rolle das im Mai 2020 eingeführte Botschaftsverfahren für Dublin-Rückkehrende spielt. Hierzu verhält sich das Zulassungsvorbringen jedoch nicht.
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Der Verweis auf die Stellungnahme des Ungarischen Nationalen Generaldirektorats der Fremdenpolizei (NDGAP) ist insoweit unbehelflich. Das NDGAP hat gegenüber dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office – EASO) im Bericht von 2021 angegeben, dass das Asylverfahren von Dublin-Rückkehrenden in der Praxis durchgeführt werde, nachdem diese bei ihrer Ankunft ihre Absicht für die Aufrechterhaltung ihres Asylverfahrens erklärt hätten. Dieser Stellungnahme lassen sich jedoch keine konkreten Aussagen zum Ablauf des Verfahrens nach Rückkehr der Betroffenen entnehmen. Vielmehr bestätigt sie zunächst, dass die gesetzlichen Tatbestände, in denen abweichend vom Botschaftsverfahren eine Asylantragstellung in Ungarn direkt möglich sein soll, Dublin-Rückkehrende nicht erfassen. Darüber hinaus bleibt völlig offen, wie das Verfahren nach erfolgter Überstellung in der Praxis weitergeführt wird, insbesondere verhält sich die Stellungnahme nicht zu den näheren Umständen der geforderten „Absichtserklärung“ oder bei welcher Stelle die Dublin-Rückkehrer ihren Asylantrag stellen könnten. Es kann schließlich nicht davon ausgegangen werden, dass ungarische Behörden die für sie geltenden Gesetze nicht anwenden. Mangels Fallzahlen lässt sich eine etwaige von den gesetzlichen Vorgaben abweichende, verlässliche Praxis in den vergangenen Jahren den genannten Erkenntnismitteln nicht entnehmen: Aus dem von der Beklagten angeführten Asylum Information Database (AIDA) Country Report Hungary 2021 – Update 2021 (S. 41) ergibt sich, dass es im Jahr 2021 zu einer einzigen Überstellung im Rahmen der insgesamt 1.400 Anfragen der Dublin III-VO (take charge/take back) gekommen ist. Aus dem Jahr 2020 ist laut dem Helsinki-Komitee nur ein Fall bekannt, in dem eine Dublin-Rückkehrerin aus Deutschland einen Asylantrag in Ungarn stellen konnte (a.a.O., S. 48). Letztendlich bleibt auch offen, welche Rolle eine etwaige Zusicherung vor dem Hintergrund dieser Aussage des NDGAP haben könnte.
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3.2. Auch die zweite aufgeworfene Frage vermag keine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung des Verfahrens zu begründen, da sie nicht entscheidungserheblich ist. Auf die Frage, ob sich Dublin-Rückkehrer trotz einer im Dublin-Verfahren eingeholten Zusicherung Ungarns, den Antrag entsprechend der Asylverfahrensrichtlinie zu bearbeiten und die Aufnahmerichtlinie zu beachten, auf systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmeverfahren Ungarns berufen können, käme es für das vorliegende Verfahren nur an, wenn die Erklärung Ungarns vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner tatrichterlichen Überzeugungsbildung (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) als eine Zusicherung angesehen worden wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall, denn das Erstgericht hat festgestellt, dass es sich bei der Erklärung nicht um eine belastbare Zusicherung für die Kläger handele, in Ungarn einen Asylantrag stellen zu können. Die ungarischen Behörden hätten nur das Einverständnis für die Überstellung zur Feststellung des Asylgesuchs bzw. die Verantwortung für die Übernahme der Kläger erklärt.
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Die grundsätzliche Bedeutung einer Frage lässt sich nicht unter Annahme eines Sachverhalts begründen, der von dem durch das Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt abweicht, solange diese Feststellungen nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) erschüttert worden sind. Ohne eine solche Verfahrensrüge, die bereits für sich genommen den Zugang zum Berufungsverfahren eröffnen würde, bleibt es bei dem Grundsatz, dass für den Zulassungsantrag von den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts auszugehen ist. Ansonsten würde im Rahmen der Grundsatzrüge bezogen auf die Tatsachenfeststellungen eine Möglichkeit eröffnet, die inhaltliche Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Frage zu stellen. Im Asylverfahrensrecht ist aber der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht gegeben (s. § 78 Abs. 3 AsylG), sodass Angriffe gegen die Sachverhaltsfeststellungen nur über die – begrenzt eröffnete – Verfahrensrüge möglich sind (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2020 – 15 ZB 20.32403 – juris Rn. 10; B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 17; B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33307 – juris Rn. 14; B.v. 11.1.2019 – 14 ZB 18.31863 – juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 29.8.2018 – A 11 S 1911/18 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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Selbst wenn man die Frage so verstehen wollte, dass die Beklagte grundsätzlich geklärt haben möchte, ob es sich bei der eingeholten Zusicherung, welche in dieser Form scheinbar in einer Vielzahl von Verfahren abgegeben wird, um eine konkret-individuelle Zusicherung handelt, wäre die grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargelegt, § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Denn hierzu hätte die Beklagte unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/17 – Tarakhel) oder auch den von ihr selbst zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17, B.v. 31.7.2018 – 714/18 – beide juris) substantiiert darlegen müssen, weshalb das im hiesigen Verfahren eingeholte Schreiben der ungarischen Behörden den Anforderungen an eine solche Zusicherung entspricht. Das bloße Wiederholen der bereits erstinstanzlich geäußerten Auffassung reicht nicht aus, ebenso wenig wie der Verweis auf den formellen Umstand, die Äußerung der ungarischen Behörden sei als Antwort im Rahmen einer konkreten Bundesamts-Anfrage ergangen. Die Beklagte hätte vielmehr darlegen müssen, weshalb das Schreiben der ungarischen Behörden, welches weder mit Datum noch Unterschrift versehen ist und darüber hinaus jegliche individuellen Merkmale (z.B. Nennung des Namens oder Aktenzeichens) vermissen lässt, eine solche Zusicherung darstellt. Dies gilt umso mehr als auch hinsichtlich des Inhalts unklar bleibt, ob die darin enthaltene Zusage der ungarischen Behörden, die Asylverfahrensrichtlinie und die Aufnahmerichtlinie würden beachtet, nur auf Personen anwendbar sein soll, die das Botschaftsverfahren durchlaufen haben. Denn Sinn und Zweck einer Zusicherung ist, trotz einer bestehenden kritischen Situation – hier: die Stellung eines Asylantrags trotz geltendem Botschaftsverfahren – durch detaillierte und zuverlässige Informationen sicherzustellen, dass die betroffenen Asylsuchenden dennoch keinem systemischen Mangel ausgesetzt sein werden, welcher zu einer Verletzung von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK führen kann.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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5. Eine Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe erübrigt sich im Hinblick darauf, dass der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung abgelehnt wurde und damit die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
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6. Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).