Titel:
rechtmäßige Ausweisung wegen schwerer, wiederholter und fortgesetzter Straffälligkeit
Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 3, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 84 Abs. 2 S. 3
ARB 1/80 Art. 7
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
Leitsatz:
Bei Straftaten, die (auch) auf der Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Betäubungsmittelabhängigkeit, Wiederholungsgefahr, Suchttherapie
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.03.2023 – 19 CS 23.269
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6076
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutz die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Ausweisungsbescheid.
2
Der Antragsteller ist ein am … 1977 in … geborener lediger türkischer Staatsangehöriger, der mit Ausnahme eines kurzzeitigen Auslandsaufenthaltes in der Türkei (von 1979 bis 1980) sein ganzes Leben im Bundesgebiet verbracht hat. Seine Eltern sowie eine Schwester leben in … Er hat unter dem Datum 2. November 1993 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten.
3
Der Antragsteller konsumiert seit dem Jahr 2000 schwerpunktmäßig Heroin, daneben aber unter anderem auch Amphetamin, Cannabis, Ecstasy, Haschisch, Kokain und Benzodiazepine. Seine Betäubungsmittelabhängigkeit wurde mehrfach durch Strafurteile festgestellt (vgl. zuletzt Urteile des Amtsgerichts … vom 5. Februar 2020 und 2. Dezember 2020, unten lfd. Ziffern 4) und 5)). Der Antragsteller hat seit dem Jahr 2000 mehrere Entgiftungen und Entzugstherapien absolviert. Darunter sind drei Therapien im Rahmen des § 35 BtMG im Jahr 2007 bei … in … (abgebrochen nach drei Wochen), vom 27. März 2018 bis 21. September 2018 im … (abgeschlossen) und ab dem 18. Oktober 2021 (nicht erfolgreich abgeschlossen). Aufgrund des Urteils des Landgerichts … vom 9. Dezember 2008 hat er eine stationäre Therapie im Maßregelvollzug nach § 64 StGB im Bezirkskrankenhaus … vom 29. Juli 2009 bis zum 28. November 2012 absolviert.
4
Der Antragsteller ist im Bundesgebiet vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Von 1992 bis zum 6. März 2012 wurde er insgesamt 16-mal strafgerichtlich verurteilt, überwiegend wegen Straftaten gegen das Eigentum und Betäubungsmittelkriminalität (hinsichtlich dieser Einzelheiten wird auf das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 6. März 2012, Az. AN 6 K 12.00039 verwiesen). Nach dem 6. März 2012 ist er wie folgt strafrechtlich auffällig geworden:
1. Amtsgericht … vom 7. Dezember 2015
Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln Datum der Tat: 11. April 2015 Vier Monate Freiheitsstrafe
2. Amtsgericht … vom 15. Januar 2016
Unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln Datum der Tat: 20. Mai 2015 Zwei Monate Freiheitsstrafe
3. Amtsgericht … vom 1. Juni 2016
Wohnungseinbruchsdiebstahl Datum der Tat: 8. August 2015 Drei Jahre Freiheitsstrafe
Einbezogen wurden die unter lfd. Ziffern 1) und 2) genannten Verurteilungen
4. Amtsgericht … vom 5. Februar 2020
Diebstahl Datum der Tat: 12. November 2019
Feststellung, dass die Tat aufgrund von Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde
5. Amtsgericht … vom 2. Dezember 2020
Schwerer Wohnungseinbruchsdiebstahl und Diebstahl Datum der Tat: 3. Februar 2020 Drei Jahre und vier Monate Gesamtfreiheitsstrafe
Feststellung, dass die Tat aufgrund von Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde Einbezogen wurde die Verurteilung unter lfd. Ziffer Nr. 4).
Dieser Verurteilung lagen Taten vom 18. September 2019 und 3. Februar 2020 zugrunde, wobei der Antragsteller zur Finanzierung seiner Betäubungsmittelabhängigkeit aus zwei verschiedenen Anwesen Schmuck bzw. Sportgegenstände entwendet hatte.
6. Amtsgericht … vom 26. April 2022
Erschleichen von Leistungen in zwei Fällen Datum der Tat: 26. Dezember 2021
Tagessätze zu je 5,00 EUR Geldstrafe
Der Antragsteller verbüßte nach Ende seiner Therapie am 28. November 2012 vom 6. Dezember 2012 bis zum 17. Dezember 2014 eine Haftstrafe aus einer früheren Verurteilung, die bis nach Ende seiner Therapie zurückgestellt worden war. Eine weitere Haft datiert auf den Zeitraum 13. Januar 2016 bis 27. März 2018. Ab dem 12. März 2020 hat der Antragsteller aufgrund der Verurteilungen unter lfd. Ziffern 3) und 4) Strafhaft verbüßt und wurde am 18. Oktober 2021 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen. Zuletzt wurde er am 20. Januar 2022 festgenommen und verbüßt seit diesem Tag in der Justizvollzugsanstalt … Freiheitsstrafen (aufgrund der unter lfd. Ziffern 3) und 5) genannten Verurteilungen). Das Strafende ist für den 6. März 2025 vorgesehen.
5
Der Antragsteller ist im Zusammenhang mit seinen strafrechtlichen Verurteilungen von der Antragsgegnerin sechsmal ausländerrechtlich verwarnt worden (Schreiben vom 22. April 1997, 18. März 1999, 22. Juni 2001, 7. März 2003, 29. Juli 2004 und 31. Januar 2007).
6
Mit Bescheid vom 28. September 2009 hat die Antragsgegnerin den Antragsteller unbefristet aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Ziffer 1). Die Abschiebung wurde für eine Zeitspanne von drei Jahren nach Entlassung aus der Strafhaft bzw. aus der Entziehungsanstalt ausgesetzt (Ziffer 2). Die Antragsgegnerin versah die Aussetzung der Abschiebung mit der auflösenden Bedingung „Erlischt, ohne dass es eines weiteren Bescheides bedürfte, falls der Inhaber erneut strafrechtlich verurteilt werden sollte“ (Ziffer 3). Für den Fall des Eintritts der auflösenden Bedingung aus Ziffer 3 des Bescheides wurde der Antragsteller unter Androhung der Abschiebung insbesondere in die Türkei aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Rechtskraft des Urteils oder Strafbefehls zu verlassen (Ziffer 4). Für den Fall, dass die auflösende Bedingung nach Ablauf der in Ziffer 2 genannten Frist nicht ausgelöst wurde, verpflichtete sich die zuständige Ausländerbehörde, den Bescheid aufzuheben und dem Antragsteller eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (Ziffer 5).
7
Die Antragsgegnerin führte hinsichtlich Ziffern 2 bis 5 insbesondere aus, mit Blick auf einen möglichen Erfolg des betäubungsmittelabhängigen Antragstellers in der Therapie im Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB werde eine sogenannte „Bewährungsduldung“ verfügt.
8
Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 6. März 2012 (Az. AN 6 K 12.00039) rechtskräftig abgewiesen.
9
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2020 verkürzte die Antragsgegnerin auf Anträge vom 4. Oktober 2018 und 14. Januar 2019 hin das unbefristete Einreise- und Aufenthaltsverbot des Antragstellers auf sieben Jahre ab Verlassen des Bundesgebiets.
10
Der Antragsteller hat gegen den Bescheid Klage erhoben (Az. AN 5 K 20.02461).
11
Während des Klageverfahrens erließ die Antragsgegnerin am 21. September 2022 einen Bescheid, mit dem die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. September 2009 (Ziffer 1) und der Befristungsbescheid vom 8. Oktober 2020 (Ziffer 2) aufgehoben wurden. Zur Begründung führte sie aus, dass der Antragsteller die Bedingungen der damaligen „Bewährungsduldung“ erfüllt habe. Er sei am 28. November 2012 aus dem Maßregelvollzug entlassen worden, sodass die „Bewährungszeit“ am 27. November 2015 abgelaufen sei. Zwar sei der Antragsteller bereits am 6. Dezember 2012 wieder inhaftiert worden, dies allerdings aufgrund vorangegangener Verurteilungen. Zu neuen Urteilen gegen den Antragsteller sei es innerhalb der „Bewährungszeit“ nicht gekommen.
12
Das Klageverfahren wurde aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen mit Beschluss vom 26. Oktober 2022 unter Kostentragung der Antragsgegnerin eingestellt.
13
Zeitgleich mit Erlass des Aufhebungsbescheides hinsichtlich der Ausweisungsverfügung und des Einreise- und Aufenthaltsverbots hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller am 21. September 2022 zum Erlass einer neuen Ausweisung an. Der Antragstellervertreter nahm mit Schreiben vom 8. November 2022 Stellung. Dem Antragsteller sei eine erneute Therapie nach § 35 BtMG unter Verweis auf die offenbar nicht rechtmäßige Ausweisung verweigert worden. Für den Antragsteller bedeute eine Aufenthaltsbeendigung in die Türkei eine Verbannung. Er habe sein gesamtes Leben bis auf wenige Ausnahmen in Deutschland verbracht und keinen Bezug zur Türkei. Im Bundesgebiet habe er seine sozialen, wirtschaftlichen und familiären Bindungen. In der Türkei hingegen könne sich der Antragsteller nicht zurechtfinden, da ihm weder Kultur noch Sprache im erforderlichen Maße zu eigen seien. Eine Erwerbstätigkeit könne er dort nicht ausüben. Aufgrund seiner Erkrankungen bestehe die Gefahr, dass er in der Türkei kein menschenwürdiges Leben führen könne. Der Antragsteller führe sich in der Haft beanstandungsfrei und plane nach seiner Entlassung die Rückkehr zu seiner Familie. Zu seiner Mutter habe er während der Haft Kontakt.
14
Mit Bescheid vom 6. Dezember 2022 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1). Es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot mit einer Dauer von sieben Jahren ab Ausreise erlassen (Ziffer 2). Dem Antragsteller wurde die Abschiebung in die Türkei unmittelbar aus der Strafhaft angekündigt, sobald die strafvollzugs- und aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen hierfür gegeben seien (Ziffer 3). Für den Fall der vorherigen Entlassung aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam wurde der Antragsteller dazu aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Haftentlassung zu verlassen, andernfalls wurde ihm die Abschiebung insbesondere die Türkei angedroht (Ziffer 4). In Ziffer 5 wurden Ziffern 1 und 2 des Bescheides für sofort vollziehbar erklärt.
15
Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, der Antragsteller sei nach Maßgabe des § 53 Abs. 3 AufenthG auszuweisen. Zwar sei er ursprünglich rechtskräftig ausgewiesen worden und habe auf diese Weise sowohl seine Niederlassungserlaubnis als auch seinen Status nach Art. 7 ARB 1/80 verloren, aufgrund der vorliegend anwendbaren Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG sei er ausweisungsrechtlich aber so zu stellen, als hätte er diese noch inne. Vom Antragsteller gehe eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Er habe nicht nur Ausweisungsinteressen nach Ablauf der Frist aus der „Bewährungsduldung“ gegen sich etabliert, sondern auch bereits während dieser Zeitspanne mit Drogen gehandelt und Straftaten aus dem Bereich der Beschaffungskriminalität begangen. Der Antragsteller habe das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt. Demgegenüber stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 AufenthG. Im Rahmen ihrer Interessenabwägung berücksichtigte die Antragsgegnerin, dass sich der Antragsteller zwar seit vielen Jahren im Bundesgebiet aufhalte, sich aber nicht wirtschaftlich und beruflich integriert habe. Stattdessen sei er schon in jungen Jahren „auf die schiefe Bahn“ geraten und habe eine beachtliche strafrechtliche Karriere zurückgelegt, von der für die Antragsgegnerin nach insgesamt sechs aufenthaltsrechtlichen Verwarnungen, drei Drogentherapien, mindestens einem Bewährungswiderruf und einer Vielzahl von Haftzeiten kein Ende in Sicht sei. Zwar bestünden familiäre Bindungen zu den Eltern, der Antragsteller sei jedoch volljährig und diese Bindungen hätten ihn jedoch nicht von der Begehung der Straftaten abgehalten. Im Rahmen der Unerlässlichkeit der Ausweisung sei zudem zu berücksichtigen, dass der Antragsteller eine nicht therapierte und nicht therapierbare Betäubungsmittelabhängigkeit aufweise. Der Verlust des gewohnten Umfelds und die notwendige Reintegration des Antragstellers in der Türkei seien gegenüber der Verteidigung der Ordnung sowie des Schutzes der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer nachrangig, Art. 8 Abs. 2 EMRK. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde im Ermessenswege auf sieben Jahre befristet, wobei insbesondere die eminente und schwerwiegende Wiederholungsgefahr des Antragstellers zu berücksichtigen sei.
16
Die Ankündigung der Abschiebung nach § 58 Abs. 3 Satz 1 AufenthG beruhe darauf, dass die zu unterstellende Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG ebenso wie das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach Art. 14 ARB 1/80 mit der Ausweisung erlösche. Die Ausreiseaufforderung unter Androhung der Abschiebung fuße auf § 59 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG.
17
Es sei die sofortige Vollziehung der Ausweisung anzuordnen. Es drohe ein weiterer Aufenthalt des Antragstellers, verbunden mit Straftaten (Einbrüche, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Diebstähle, Gewaltdelikte oder gar Schlimmeres). Die ordnungsrechtliche Funktion der Ausweisung werde ohne Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit völlig entwertet. Ihr Unterlassen sei den Geschädigten und der rechtstreuen Bevölkerung nicht mehr vermittelbar. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller in einem persönlichen Schreiben angedeutet habe, zum Zweidrittelzeitpunkt am 25. Januar 2023 eine Haftentlassung erreichen zu wollen.
18
Der Antragsteller hat am 9. Januar 2023 Klage erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2022 aufzuheben.
19
Im einstweiligen Rechtsschutz beantragt er [wörtlich]:
20
Aufschiebende Wirkung der Klage wird wieder hergestellt und Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin wird angeordnet.
21
Zur Begründung verweist er auf sein Vorbringen im Anhörungsverfahren und führt ergänzend insbesondere aus, dass für den Antragsteller aufgrund seiner Erkrankung in der Türkei Gefahren für Leib und Leben drohten, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der in Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 sowie Art. 6 GG geschützten Werte führen würden. Eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland gehe vom Antragsteller nicht über einen im Hinblick auf seine Verwurzelung in Deutschland hinzunehmenden Umfang aus. Es überwiege bei der Gesamtbetrachtung das Bleibeinteresse gegenüber dem Ausweisungsinteresse deutlich. Zudem sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung mangels Eilbedürftigkeit nicht gerechtfertigt und die diesbezüglichen Ausführungen der Antragsgegnerin seien nicht einzelfallbezogener Natur.
22
Die Antragsgegnerin beantragt Klageabweisung und Antragsablehnung.
23
In ihrer Begründung verweist sie insbesondere darauf, den Antragsteller aufgrund seiner Wiederholungsgefahr aus der Haft heraus abschieben zu wollen; der Haftprüfungstermin des Antragstellers sei am 25. Januar 2023.
24
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
25
Der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg, weil er zwar zulässig, aber nicht begründet ist.
26
Er ist hinsichtlich der für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).
27
Ebenso zulässig ist der Antrag im Hinblick auf die in Ziffer 3 und Ziffer 4 verfügte Ankündigung der Abschiebung aus der Haft heraus sowie die Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung, die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das in Ziffer 2 auf sieben Jahre ab Ausreise befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot ist ebenfalls zulässig – der Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots und die zugehörige Befristungsentscheidung sind als Einheit zu werten und daher nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG in Gänze kraft Gesetzes sofort vollziehbar (so ausführlich: VGH Baden-Württemberg, B.v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – juris Rn. 40 ff.; OVG Lüneburg, U.v. 6.5.2020 – 13 LB 190/19 – juris Rn. 54; ebenso BayVGH, B.v. 25.11.2022 – 10 C 22.2272 – juris Rn. 24).
28
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
29
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes besonders angeordnet oder kraft Gesetzes gegeben ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den zugrundeliegenden Bescheid ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Es sind hierbei die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen, wobei im Rahmen dieser Abwägung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache besondere Berücksichtigung finden. Bleibt dieser Rechtsbehelf mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen.
30
Voraussetzung für eine behördlich angeordnete sofortige Vollziehung ist, dass die Behörde das öffentliche Interesse hieran besonders dargelegt hat. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisungsverfügung entspricht den hieran zu stellenden formalen Anforderungen. Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung in einer mit den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO zu vereinbarenden Weise begründet. Sie hat darauf verwiesen, dass die konkrete Gefahr der Begehung von Straftaten (insbesondere Einbrüche, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Diebstähle, Gewaltdelikte) durch den Antragsteller gerade im Falle der vorzeitigen Haftentlassung besteht. Eine solche könne mit Blick auf eine Überprüfung der Inhaftierung des Antragstellers zum Zweidrittelzeitpunkt am 25. Januar 2023 auch unmittelbar bevorstehen.
31
Bei der im weiteren durchzuführenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das Aufschubinteresse des Antragstellers. Im Rahmen der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache erweist sich die Klage als voraussichtlich unbegründet (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
32
Die in Ziffer 1 verfügte Ausweisung des Antragstellers ist bei der gebotenen summarischen Prüfung ebenso wenig zu beanstanden wie die in Ziffern 3 und 4 verfügten Annexentscheidungen. Auch begegnet das auf die Dauer von sieben Jahren befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 2) voraussichtlich keinen rechtlichen Bedenken.
33
Die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Ausweisung ist nach vorläufiger Prüfung rechtmäßig. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 25).
34
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dies ist hier der Fall.
35
Zu Gunsten des Antragstellers geht die Kammer mit der Antragsgegnerin davon aus, dass dem Antragsteller als einem im Bundesgebiet geborenen Sohn von dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehörenden türkischen Arbeitnehmern ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zustand und dieses infolge der Aufhebung der früheren Ausweisungsverfügung mit Bescheid vom 21. September 2022 „wiederaufgelebt“ ist. Daher darf der Antragsteller als insoweit privilegierter Ausländer gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Daran gemessen erweist sich die Ausweisung des Antragstellers als voraussichtlich rechtmäßig.
36
Die Kammer geht mit der Antragsgegnerin davon aus, dass von dem Antragsteller – auch gegenwärtig – eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris, Rn. 18). Dabei sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris, Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v.4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
37
Gemessen an diesen Grundsätzen geht die Kammer davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Antragstellers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Gefahrenprognose wird konkret durch das Verhalten des Antragstellers im Bundesgebiet getragen. Sein Bundeszentralregisterauszug weist insgesamt 21 strafrechtliche Ahndungen über einen Zeitraum von 30 Jahren aus, wobei der Antragsteller in diesem Zeitraum mehrfach zur Drogentherapie untergebracht war (insbesondere vom 29. Juli 2009 bis zum 28. November 2012 im Rahmen des Maßregelvollzugs, § 64 StGB) und Haftstrafen verbüßt hat (in den Zeiträumen 6. Dezember 2012 bis 17. Dezember 2014, 13. Januar 2016 bis 27. März 2018, 12. März 2020 bis 18. Oktober 2021 und zuletzt ab dem 20. Januar 2022). Der Antragsteller hat auch jeweils kurz nach vorangegangener Entlassung aus der Haft bzw. dem Ende einer Therapie Straftaten begangen (Haftentlassung 17. Dezember 2014, erste geahndete Tat 11. April 2015; Ende der Therapie 21. September 2018, erste geahndete Tat 12. November 2019; Haftentlassung 18. Oktober 2021, geahndete Tat 26. Dezember 2021). Die Antragsgegnerin hat zudem zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsteller zwar die Bedingungen der „Bewährungsduldung“ formal erfüllt hat, allerdings bereits während der „Bewährungsfrist“ bis zum 27. November 2015 am 11. April 2015, 20. Mai 2015 und 8. August 2015 wegen unerlaubtem Betäubungsmittelhandel bzw. Wohnungseinbruchsdiebstahls strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Es war insoweit nur dem Zufall zu verdanken, dass die für die Einhaltung der „Bewährungsduldung“ schädliche Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 7. Dezember 2015 wegen unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu vier Monaten Freiheitsstrafe nicht innerhalb des Dreijahreszeitraums ab Entlassung aus dem Maßregelvollzug erfolgt ist. Weder der erhebliche Legalbewährungsdruck durch die Bedingungen dieser „Bewährungsduldung“, noch (sechs) ausländerrechtliche Verwarnungen, noch die verfügte Ausweisung, noch zur Bewährung ausgesetzte (Rest-) Strafen, noch der vielfach erfahrene Hafteindruck haben den Antragsteller davon abgehalten, Straftaten mit einer nahezu beispiellosen Rückfallgeschwindigkeit zu begehen.
38
Im vorliegenden Fall ist auch aus der Entwicklung des Antragstellers nach der letzten größeren Verurteilung (Amtsgericht … vom 2. Dezember 2020 wegen schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten) nicht darauf zu schließen, dass die durch die vergangenen Straftaten indizierte Gefährlichkeit des Antragstellers beseitigt ist. Ursache für die Begehung der genannten Straftaten ist in nicht unerheblichem Maß die nicht erfolgreich therapierte Betäubungsmittelabhängigkeit des Antragstellers. Das Bestehen einer solchen ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten und wird im Übrigen in mehreren strafgerichtlichen Entscheidungen festgestellt, so in den Urteilen des Amtsgerichts … vom 5. Februar 2020 und 2. Dezember 2020 sowie des Landgerichts … vom 9. Dezember 2008. In letztgenannter Entscheidung wurde aufgrund der Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms von multiplen psychotropen Substanzen durch den psychiatrischen Sachverständigen … ein Hang des Antragstellers bejaht und eine Therapie im Rahmen des Maßregelvollzugs gemäß § 64 StGB angeordnet.
39
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung kann bei Straftaten, die (auch) auf der Suchterkrankung des Ausländers beruhen, von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Angesichts der erheblichen Rückfallquoten während einer andauernden Drogentherapie und auch noch in der ersten Zeit nach dem erfolgreichen Abschluss einer Drogentherapie kann allein aus der begonnenen Therapie noch nicht auf ein künftiges straffreies Leben geschlossen werden (BayVGH, B.v. 26.11.2015 – 10 ZB 14.1800 – juris Rn. 7; B. v. 13.5.2015 – 10 C 14.2795 – juris Rn. 4; B.v. 21.2.2014 – 10 ZB 13.1861 – juris Rn. 6).
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Der Antragsteller hat zwar formal Suchttherapien erfolgreich abgeschlossen, nämlich eine Therapie nach § 64 StGB im Bezirkskrankenhaus … vom 29. Juli 2009 bis zum 28. November 2012 und eine Therapie nach § 35 BtMG im … vom 27. März 2018 bis zum 21. September 2018. In beiden Fällen ist er jedoch rückfällig geworden und hat neue betäubungsmittelbedingte Straftaten begangen. Es ist daher beim Antragsteller nach wie vor von einer nicht therapierten Suchtmittelabhängigkeit auszugehen.
41
Insgesamt muss demnach in Anbetracht der genannten Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass von dem Antragsteller auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die auch im konkreten Einzelfall ein Grundinteresse der Gesellschaft – nämlich das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Bürger insbesondere aufgrund des illegalen Drogenhandels (vgl. insoweit mit weiteren Ausführungen BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12) berührt.
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Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Antragstellers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt bei der gebotenen summarischen Prüfung, dass die Ausweisung für die Wahrung des bereits dargestellten Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 44).
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Im Fall des Antragstellers liegt insbesondere aufgrund der Verurteilungen durch das Amtsgericht … vom 1. Juni 2016 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls zu drei Jahren Freiheitsstrafe (unter Einbeziehung der Verurteilungen durch das Amtsgericht … vom 7. Dezember 2015 sowie das Amtsgericht … vom 5. Januar 2016 zu vier bzw. zwei Monaten Freiheitsstrafe) und durch das Amtsgericht … vom 2. Dezember 2020 wegen schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls und Diebstahls zu drei Jahren und vier Monaten Gesamtfreiheitsstrafe ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a Buchst. d) AufenthG vor. Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber, weil der Antragsteller nach dem „Wiederaufleben“ seiner Niederlassungserlaubnis im Besitz einer solchen war und sich seit fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
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In der nach § 53 Abs. 1 AufenthG anzustellenden Gesamtabwägung unter besonderer Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erweist sich die Ausweisung des Antragstellers trotz seines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses als rechtmäßig. Die streitgegenständliche Ausweisung des Antragstellers ist voraussichtlich weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung berücksichtigt, dass sich der Antragsteller zwar seit vielen Jahren im Bundesgebiet aufhält (seit seiner Geburt 45 Jahre mit einer kurzen Unterbrechung), sich aber nicht wirtschaftlich und beruflich integriert hat. Sie verweist zutreffend darauf, dass der Aufenthalt des Antragstellers vielmehr von seiner vieljährig anhaltenden und nicht nachhaltig therapierten Betäubungsmittelabhängigkeit, den hiermit verbundenen (Beschaffungs-) Straftaten sowie den hieraus resultierenden Haft- und Therapieaufenthalten geprägt ist. Demgegenüber verweist der selbst ledige und kinderlose Antragsteller auf sein soziales und familiäres Umfeld im Bundesgebiet, insbesondere auf die Beziehung zu seiner Mutter, welche ihn während der Haft besuche und zu ihm Kontakt halte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewähren jedoch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt, sondern begründen lediglich eine Verpflichtung der Ausländerbehörden, die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht angemessen in die Abwägung einzustellen (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12). Die Antragsgegnerin hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass es erwachsenen Familienangehörigen regelmäßig zuzumuten ist, räumlich getrennt voneinander zu leben. Sie merkt insoweit auch zu Recht an, dass die Eltern des Antragstellers diesen bislang nicht von der Begehung von Straftaten abgehalten haben. Aufgrund des Aufwachsens in einer türkischen Familie und des Türkeiaufenthalts von 1977 bis 1978 (wenngleich nur im Kleinstkindalter) ist auch davon auszugehen, dass der Antragsteller mit der türkischen Sprache, Kultur und Tradition vertraut ist. Dem Antragsteller ist es daher möglich und zumutbar, sich – gegebenenfalls nach Anlaufschwierigkeiten – sprachlich und kulturell im Land seiner Staatsangehörigkeit, der Türkei, zu integrieren. Es ist zudem davon auszugehen, dass die (türkischen) Eltern des Antragstellers auch aus dem Bundesgebiet heraus bei der Integration in die Verhältnisse der Türkei unterstützen können. Dass es hierbei aufgrund der antragstellerseits geltend gemachten „Erkrankung(en)“ des Antragstellers (wohl gemeint: seine Betäubungsmittelabhängigkeit) und der fehlenden Lebensunterhaltssicherung aus eigenen Mitteln zu unüberwindbaren Schwierigkeiten bei der Reintegration in der Türkei kommen wird, ist nicht substantiiert dargetan und auch nicht ersichtlich.
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Die Kammer kommt damit im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu dem Ergebnis, dass vorliegend trotz zu erwartender erster Anlaufschwierigkeiten in der Türkei und der (Sucht-) Erkrankung des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegen wird. Vor dem Hintergrund der Schwere der begangenen Straftaten, ihrer Folgen, der Persönlichkeit des Antragstellers – insbesondere seiner Betäubungsmittelabhängigkeit, deren Therapie nachhaltig gescheitert ist – und der fehlenden nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Integration im Bundesgebiet stellt sich die Ausweisung unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls auch vor dem verschärften Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG darüber hinaus bei vorläufiger Prüfung als unerlässlich für die Wahrung des vom Antragsteller bedrohten Grundinteresses der Gesellschaft dar.
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Ist die Ausweisung rechtmäßig, so begegnen bei vorläufiger Prüfung auch den in Ziffern 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids gemäß §§ 58, 59 AufenthG verfügten ausländerrechtlichen Annexentscheidungen (Abschiebungsankündigung sowie Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung insbesondere hinsichtlich der Türkei) keine rechtlichen Bedenken.
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Auch das auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids dürfte im Klageverfahren nicht zu beanstanden sein.
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Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Über die Länge der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf, wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen, wobei eine zweistufige Prüfung vorzunehmen ist (dazu BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 27.16 – juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56): Es bedarf in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen.
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Gemessen an diesen Vorgaben sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat im Rahmen einer detailliert begründeten Entscheidung einerseits die Schwere der begangenen Straftaten sowie die hiermit verbundene Wiederholungsgefahr eingestellt, andererseits aber auch herausgearbeitet, dass die Höchstfrist von zehn Jahren selbst unter Berücksichtigung des Werdegangs des Antragstellers nicht zu rechtfertigen wären.
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Zur weiteren Begründung wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO analog auf den Inhalt des streitgegenständlichen Bescheides vom 6. Dezember 2022 Bezug genommen und von einer weiteren Begründung abgesehen.
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Aufgrund des zu erwartenden Unterliegens des Antragstellers in der Hauptsache und mangels erkennbarer erfolgsunabhängiger Gesichtspunkte überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse; der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist demzufolge vollumfänglich abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.