Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 17.01.2023 – RN 9 E 22.2867
Titel:

Erfolgloses Eilverfahren eines Pakistaners auf Erteilung einer befristeten Duldung

Normenketten:
VwGO § 123
ZPO § 294, § 920 Abs. 2
AufenthG § 60a Abs. 2, § 104c
Leitsätze:
1. Eine Verfahrensduldung wird zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann und kann  nicht dazu dienen, die bisher nicht erfüllten Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels überhaupt erst herbeizuführen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Erteilung eines Chancen-Aufenthaltsrecht steht eine mangelnde Identitätsklärung eines Antragstellers nicht entgegen und die (bloße) unzureichende Mitwirkung bei Identitätsklärung und der Pass(ersatz)beschaffung in der Vergangenheit kann einen atypischen Sachverhalt nicht begründen, da der Bundesgesetzgeber diese Personen gezielt nicht aus dem Kreis der Begünstigten herausgenommen hat. (Rn. 37 ) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, einstweilige Anordnung, Asylverfahren, Anordnungsgrund, Anordnungsanspruch, Pakistan, Duldung, Verfahrensduldung, Schubantrag, Abschiebung, Unmöglichkeit der Abschiebung, Ausreisepflicht, Chancen-Aufenthaltsrecht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.03.2023 – 19 CE 23.183
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6073

Tenor

I. Der Eilantrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Erteilung einer befristeten Duldung.
2
Der Antragsteller, pakistanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 28. Dezember 2013 in das Bundesgebiet ein und stellte am 21. Februar 2014 einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. November 2016 (Az. …*) wurden der Asylantrag, der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie der Antrag auf subsidiären Schutz abgelehnt, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde nicht festgestellt. Der Antragsteller wurde aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen; widrigenfalls wurde ihm die Abschiebung insbesondere nach Pakistan angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos (VG Regensburg, Urteil vom 5.4.2018 – RN 7 K 16.32991; BayVGH, Beschluss vom 24.5.2018 – 6 ZB 18.31091); die Entscheidung wurde am 24. Mai 2018 rechtskräftig.
3
Seit 24. Mai 2018 ist der Antragsteller vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Am 20. Juni 2018 wurde ihm erstmals eine Duldung erteilt (zuletzt gültig bis 19.10.2022).
4
Am 11. Oktober 2018 stellte der Antragsteller beim Bundesamt einen Asylfolgeantrag (Az. …*). Hierbei machte er erstmals geltend, homosexuell und in einer Beziehung mit einem Mann zu sein; dies wisse er, seit er in Griechenland gewesen sei. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 7. Februar 2020 wurden der Folgeantrag als unzulässig und der Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 15. November 2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgelehnt. Auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (RN 8 S 20.30391) wurde die Bundesrepublik Deutschland vom Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 2. Juni 2020 verpflichtet, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller vorläufig bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben werden dürfe. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 31. März 2022 wurde die gleichzeitig erhobene Klage (RN 8 K 20.3039) abgewiesen; die Entscheidung wurde am 23. August 2022 rechtskräftig.
5
Am 12. Februar 2014 wurde der Antragsteller von der Regierung von Oberbayern und am 9. September 2016 vom Bundesamt über seine Pflicht nach § 15 AsylG belehrt. Über seine aufenthaltsrechtlichen Pflichten wurde der Antragsteller erstmals am 13. Juni 2018 belehrt. Im Rahmen der Beantragung einer Duldung gab der Antragsteller am 20. Juni 2018 an, nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses oder Passersatzes zu sein. Er wurde erneut auf seine entsprechenden Pflichten hingewiesen. Am 2. Juli 2018 legte der Antragsteller ein Schreiben („Verification Letter“) des Generalkonsulats der Islamischen Republik Pakistan vom 26. Juni 2018 vor, mit welchem die örtlich zuständige Polizeibehörde in Pakistan ersucht wurde, den Antragsteller anhand der von ihm gemachten Angaben zu identifizieren. Im Rahmen der Beantragung von Duldungsverlängerungen wurde der Antragsteller im Zeitraum vom 26. Juli 2018 bis 5. August 2021 insgesamt 35mal auf die Passpflicht und seine Verpflichtung hingewiesen, einen vorhandenen Pass, Passersatz oder Ausweisersatz der Ausländerbehörde vorzulegen sowie bei deren Beschaffung mitzuwirken. Außerdem wurde er aufgefordert, an der Beschaffung von Identitätsnachweisen mitzuwirken sowie alle Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein könnten, der Ausländerbehörde vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Auf ein mögliches Ausweisungsinteresse und dessen Folgen wurde er hingewiesen. Am 19. August 2021 legte der Antragsteller eine pakistanische National Identity Card, ausgestellt am 5. Juni 2018, deren Echtheit zwischenzeitlich bestätigt wurde, vor. Auf Rückfrage, warum er bis dato keinen pakistanischen Reisepass beantragt habe, gab der Antragsteller laut Aktenvermerk der Stadt Passau vom 19. August 2021 an, beim Generalkonsulat der Islamischen Republik Pakistan nachgefragt zu haben. Aber die pakistanischen Behörden verlangten den alten, abgelaufenen Reisepass, den er nicht mehr hätte. Er habe mit seinem Zimmerkollegen die jeweiligen Dokumente im Zimmer versteckt. Als der Zimmerkollege abgeschoben worden sei, sei vermutlich sein alter pakistanischer Reisepass mit diesem „ausgereist“. Er habe keinen Kontakt mehr zum ehemaligen Zimmerkollegen. Der Antragsteller wurde im Rahmen weiterer Duldungsverlängerungen am 19. August 2021, 14. Oktober 2021, 13. Januar 2022, 7. April 2022 und 14. Juli 2022 auf seine Pflichten nach dem Aufenthaltsgesetz hingewiesen. Ein gültiges Reisedokument ist für den Antragsteller bislang nicht aktenkundig.
6
Am 21. Juni 2018 wurde seitens der Ausländerbehörde der damals zuständigen Stadt Passau beim Generalkonsulat der Islamischen Republik Pakistan die Ausstellung eines Heimreisescheins beantragt. Im Rahmen des Passersatzpapierverfahrens konnte der Antragsteller verifiziert und seine Identität bestätigt werden (Mitteilung Bayerisches Landesamt für Asyl und Rückführungen vom 16.7.2019). Gegen Vorlage der Flugdaten wurde durch die pakistanischen Behörden die Ausstellung eines Passersatzpapiers zugesagt.
7
Im Bundesgebiet ist der Antragsteller wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
- 10.12.2013 Amtsgericht Rosenheim (Az. …; rechtskräftig seit 10.12.2013): Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 3 EUR wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt in Tateinheit mit Urkundenfälschung.
- 29.3.2017 Amtsgericht Passau (Az. …; rechtskräftig seit 14.6.2017): Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 30 EUR wegen Sachbeschädigung.
8
Die Auskunft aus dem Bundeszentralregister (Stand 12.9.2022) enthält keine Eintragungen.
9
Der Antragsteller ging während seines Aufenthalts mehreren Beschäftigungen nach. Seit 15. März 2019 war er in Vollzeit als Hilfskraft in der Produktion bei der …GmbH, …, beschäftigt. Zudem ging er seit 19. August 2021 einer geringfügigen Beschäftigung als Aushilfe bei der Pizzeria …, …, nach. Am 20. September 2022 wurde Schubantrag gestellt und der Antragsteller mit Schreiben vom gleichen Tag gemäß § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG (analog) auf eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung hingewiesen.
10
Mit Schreiben vom 26. September 2022 stellte der Antragsteller persönlich einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b AufenthG. Der Antrag seines ehemals Bevollmächtigten ging am 4. Oktober 2022 beim Antragsgegner ein. Am 24. September 2022 erging ein Antrag von Herrn … S., dem Vermieter des Antragstellers, an den Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags mit der Bitte um Aussetzung der Abschiebungsankündigung und um weitere und unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für den Antragsteller. Die Eingabe wurde am 9. November 2022 in der Eingabe- und Beschwerdeausschusssitzung behandelt und gemäß § 80 Nr. 4 BayLTGeschO für erledigt erklärt. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2022 beantragte der Antragsteller die Verlängerung seiner Duldung.
11
Die für den 15. November 2022 geplante Abschiebung des Antragstellers wurde mangels rechtzeitigen Vorliegens des beantragten Heimreisescheins storniert.
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Die vom Antragsteller zum Zwecke der Verlängerung übersandte Duldung (gültig bis 19. Oktober 2022) wurde mit Verfügung vom 9. November 2022 erloschen gestempelt; ein Erwerbstätigkeitsverbot wurde eingetragen. Erneuter Schubantrag wurde ebenfalls am 15. November 2022 gestellt. Nach Aktenlage ist der Antragsteller für die zeitnahe nächste Rückführungsmaßnahme nach Pakistan eingeplant.
13
Laut eines Gesprächsvermerks vom 25. November 2022 über ein Telefonat des Antragstellers mit der Zentralen Ausländerbehörde Niederbayern vom 21. November 2022 (Bl. 1682 d. Behördenakte) verfügt dieser über einen Reisepass. Auf telefonische Belehrung über seine Passpflicht und Aufforderung zur Vorlage seines Reisepasses bei der Ausländerbehörde habe der Antragsteller angegeben, den Reisepass erst vorlegen zu wollen, sobald er wisse, dass er eine Aufenthaltserlaubnis erhalte. In einem Telefonat vom 25. November 2022 bestätigte der damalige Bevollmächtigte laut Gesprächsvermerk vom gleichen Tag seine Kenntnis vom Besitz des Reisepasses. Er werde dem Antragsteller eine Nachholung des Visumverfahrens anraten. Mit einer E-Mail vom gleichen Tag beigefügtem nicht unterzeichneten Schreiben vom 28. November 2022 nahm der ehemals Bevollmächtigte den Antrag nach § 25b AufenthG zurück. Mit E-Mail vom 5. Dezember 2022 teilte der ehemals Bevollmächtigte die zwischenzeitlich vorgenommenen Schritte im Hinblick auf das nachzuholende Visumverfahren des Antragstellers mit. Nach Erhalt der Vollmacht und Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis der Fa. … werde bei der Ausländerbehörde der Stadt Passau ein bereits verfasster Antrag auf Vorabzustimmung gestellt werden. Nach deren Erteilung werde für den Antragsteller umgehend ein Termin in der Deutschen Botschaft in Islamabad gebucht werden; die notwendigen Dokumente würden bereits vorab vorbereitet. Seitens der Zentralen Ausländerbehörde Niederbayern wurde um Vorlage entsprechender Nachweise gebeten. Mit weiteren E-Mails vom 28. und 29. November 2022 fragte der ehemals Bevollmächtigte zum weiteren Prozedere bezüglich eines beabsichtigten Arbeitsvisums an; die Antwort der Zentralen Ausländerbehörde datiert vom 5. Dezember 2022.
14
Am 12. Dezember 2022 beantragte die nunmehr Bevollmächtigte (Vollmachtsanzeige am 8.12.2022) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b AufenthG sowie die Erteilung einer Duldung bis zum Abschluss des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens. Der Ausstellung eines neuen Duldungspapiers oder einer entsprechenden schriftlichen Zusicherung werde bis 13. Dezember 2022, 16:00 Uhr, entgegengesehen, anderenfalls werde an diesem Tag Eilrechtsschutz beantragt werden.
15
Am 14. Dezember 2022 ließ der Antragsteller vorliegenden Eilantrag gegen den Antragsgegner stellen. In sachlicher Hinsicht wurde ergänzend vorgetragen, dass der Antragsteller seit mehreren Jahren bei der Bäckerei … in … arbeite. Dort habe er mittlerweile Führungsverantwortung übernommen und unterstütze den Betrieb nicht unwesentlich. Zudem wohne der Antragsteller privat und mietfrei bei einem bereits in Pension lebenden ehemaligen Rektor, im Gegenzug helfe er diesem bei allen im Haus, Hof und Garten anfallenden Arbeiten und Besorgungen. Mit Schreiben vom 26. September 2022 habe der Antragsteller selbst eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25b AufenthG beantragt. Am 19. Oktober 2022 sei seine Duldungsbescheinigung ausgelaufen, er habe diese wie üblich an den Antragsgegner versandt. Er habe jedoch am 15. November 2022 keine neue Duldungsbescheinigung zurückerhalten, sondern es sei ihm dieselbe Duldungsbescheinigung zurückgesandt und die Beschäftigungserlaubnis gestrichen worden. Der Antragsgegner habe ihm die Abschiebung angedroht, soweit er nicht freiwillig ausreisen würde. Es sei zudem bereits Polizei in die Bäckerei geschickt worden, wobei die Hintergründe unklar und aus der Ausländerakte auch nicht ersichtlich seien. Ein Visumverfahren sei mit dem vormaligen Rechtsanwalt diskutiert worden. Jedoch sei weder dem Betrieb noch der Unterzeichnerin bekannt und nachvollziehbar, auf welcher Rechtsgrundlage der Antragsteller ohne deutsche Berufsausbildung oder akademische Ausbildung wieder würde einreisen können. Eine solche Rechtsgrundlage gebe es derzeit noch nicht und sei auch nicht in naher Zukunft in Aussicht stehend. Am 8. Dezember 2022 habe die Unterzeichnerin Akteneinsicht beantragt, welche ihr am 13. Dezember 2022 gewährt worden sei, wobei die Akte nicht chronologisch sei und erhebliche Aktenteile fehlten, die dortigen Erachtens keine Verschlusssache sein könnten. Mit Schreiben vom Montag, 12. Dezember 2022, sei nochmals ausdrücklich der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG wiederholt und eine neue Duldung beantragt worden. Weiter sei eine Frist bis 16 Uhr des Dienstag, 13. Dezember 2022, zur Zusicherung, dass der Antragsteller weiter geduldet würde und keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eingeleitet würden, bis zur Entscheidung über die Anträge, gesetzt worden. Bis Mittwoch, 14. Dezember 2022, 18 Uhr sei hierauf weder per Mail noch per Fax reagiert worden, so dass die Bevollmächtigte gezwungen sei, vorliegenden einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen. Der Antragsteller könne einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund geltend machen. Die Vorwegnahme der Hauptsache sei hier geboten, da der Anspruch des Antragstellers ansonsten vereitelt werden würde und weitere Sachaufklärung im Übrigen nicht erforderlich sei. Der Antragsteller habe Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung. Eine solche sei gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen, wenn zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG eine Aussetzung der Abschiebung notwendig sei, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen könne. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Erteilung der Verfahrensduldung bis zum Abschluss seines aufenthaltsrechtlichen Verfahrens. Gegenwärtig sei ein Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG anhängig. Dieser sei mit Schreiben vom 26. September 2022 durch den Antragsteller selbst gestellt worden. Das Schreiben des Rechtsanwalts, mit dem dieser den Antrag habe zurücknehmen wollen, sei nicht unterzeichnet gewesen. Bei der Rücknahme eines Antrags handle es sich um eine Verfahrenshandlung, die zur Wirksamkeit zwingend eine Unterschrift erfordere. Es werde auch darauf hingewiesen, dass bereits am 1. Dezember 2022 durch den Antragsteller klargestellt worden sei, dass er weiterhin von einem anhängigen Antrag ausgegangen sei. Die Voraussetzungen des § 25b AufenthG lägen vor. Der Antragsteller befinde sich seit über acht Jahren in der Bundesrepublik gestattet und geduldet und sei nachhaltig integriert. Im Einzelnen werde dies jedoch im Verwaltungsverfahren zu prüfen sein. Unabhängig hiervon gelte auch die dem Antragsteller nach Ablehnung des Asylfolgeantrags erteilte Duldung fort. Das Duldungspapier sei zwar am 19. Oktober 2022 ausgelaufen. Jedoch sei er weiterhin faktisch geduldet. Denn die Duldung sei durch den Antragsgegner nicht widerrufen worden. Ihm sei allein deswegen ein neues Duldungspapier auszustellen. Schließlich habe der Antragsteller ohnehin auch aus verfassungsrechtlichen Gründen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung aufgrund des nunmehr durch den Bundestag beschlossenen Chancen-Aufenthaltsrechts. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 24. Februar 1999 dargelegt, dass es einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip darstelle, wenn der Staat an aufenthaltsbeendenden Maßnahmen festhalte, obwohl die betroffene Person unter eine beschlossene oder konkretisiert unmittelbar bevorstehende Regelung des Gesetzgebers falle. Wörtlich habe das Bundesverfassungsgericht hierzu am Ende seiner Entscheidung ausgeführt:
„Sollte allerdings bis zum Zeitpunkt der vorgesehenen Abschiebung der Beschwerdeführerin eine auch sie erfassende Altfall- oder Härtefallregelung beschlossen werden oder konkretisiert unmittelbar bevorstehen, so müßte – etwa durch Verzicht auf den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen – sichergestellt werden, daß sie auch der Beschwerdeführerin effektiv zugute kommt“
(BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1999 – 2 BvR 283/99 – Seite 3).
16
Ein gegenteiliges Verhalten der vollziehenden Gewalt würde nicht angemessen sein. Denn in dem Fall, dass der Gesetzgeber bereits die wesentlichen Punkte eines Gesetzesvorhabens konkretisiert habe, stehe der gesetzgeberische Wille bereits ausreichend fest. Dass dieser noch nicht rechtlich gelte, sei lediglich einer Verzögerung im Gesetzgebungs- und Ausfertigungsverfahren geschuldet. Die vollziehende Gewalt dürfe sich in diesem Fall nicht offen gegen den Willen des Gesetzgebers stellen und diesen gleichsam unterlaufen. Das Ausnutzen von verfahrensbedingten Verzögerungen in einem Gesetzgebungs- und Ausfertigungsverfahren zulasten von Antragstellern würde überdies in hohem Maße rechtsmissbräuchlich und damit rechtsstaatswidrig sein. Die Exekutive sei im Zusammenspiel der Gewalten, und hier ebenso aus Gründen der Bundestreue, gehalten, den erklärten gesetzgeberischen Willen konstruktiv zu unterstützen und nicht durch Faktenschaffung im Vorfeld zu vereiteln. Im Fall des Beschwerdeführers (richtigerweise wohl Antragstellers, Anm. d. G.) sei die Regelung des § 104c AufenthG-E bereits am 2. Dezember 2022 durch den Gesetzgeber endgültig beschlossen worden. Der Gesetzentwurf sehe konkret vor, dass einem geduldeten Ausländer ein Aufenthaltstitel für 18 Monate erteilt werden solle, der sich am 31. Oktober 2022 fünf Jahre geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten habe, sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekenne, nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat zu mehr als 90 Tagessätzen verurteilt worden sei und nicht durch wiederholt falsche Angaben oder Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit seine Abschiebung verhindert habe (BT-Drs. 20/3717, InAusschuss-Drs. 20/(4)151). Alle diese Voraussetzungen seien im Fall des Antragstellers gegeben. Zum Stichtag vom 31. Oktober 2022 sei der Antragsteller seit über fünf Jahren ununterbrochen gestattet und geduldet in der Bundesrepublik aufhältig gewesen. Er bekenne sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Es lägen auch keine der im Gesetz enthaltenen Ausschlussgründe vor. Der Antragsteller falle in den Kreis der Begünstigten des neuen § 104c AufenthG-E. Es werde darüber hinaus auf das gerade ergangene IMS (F4-IMS-F4-2081-3-88-197) verwiesen, das anordne, bei Rückführungen in der Zeit bis zum Inkrafttreten des Chancenaufenthaltsrechts am 1. Januar 2023 immer dann die Erteilung einer Ermessensduldung im Lichte der Entscheidung des Bundesgesetzgebers besonders sorgfältig zu prüfen, wenn kein offensichtlicher Ausschluss dieses Rechts gegeben sei. Lediglich höchst vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass nach der Gesetzesbegründung auch Unterbrechungen der Duldungszeiten von bis zu drei Monaten unbeachtlich sein würden, sodass der gegenwärtige Streit über die Duldung des Antragstellers für seinen Anspruch am 1. Januar 2023 unbeachtlich sein werde (vgl. BT-Drs. 20/3717, Seite 44). Lediglich vorsorglich sei auch am 12. Dezember 2022 noch einmal der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Ausstellung einer Verfahrensduldung bei dem Antragsgegner gestellt worden. Hinsichtlich der genannten Nebenbestimmungen sei Folgendes festzuhalten: Dem Antragsteller sei die Erwerbstätigkeit zu erlauben, ohne dass ein individueller Vorbehalt erforderlich sei. Denn es bestehe kein Grund mehr, weshalb die jeweiligen Arbeitsplatzangebote individuell überprüft werden müssten. Dies könne einzig darin gerechtfertigt sein, dass die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Zustimmung zu einer bestimmten Beschäftigung verweigere. Nach einem vierjährigen ununterbrochenen erlaubten, geduldeten oder gestatteten Aufenthalt im Bundesgebiet bedürfe die Erteilung einer Erlaubnis zu einer Beschäftigung jedoch gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 5 BeschV keiner Zustimmung mehr. Der Antragsteller sei mittlerweile seit Ende 2013 in der Bundesrepublik gestattet und geduldet aufhältig. Somit sei seine Beschäftigung vorbehaltlos zu genehmigen. Weiter sei die bisher erteilte Wohnsitzauflage rechtswidrig und somit in ein erneutes Duldungspapier des Antragstellers nicht aufzunehmen. Eine Wohnsitzauflage für Geduldete könne nur nach § 61 Abs. 1d AufenthG erteilt werden. Diese falle jedoch von Gesetzes wegen weg, wenn der Antragsteller seinen Lebensunterhalt selbst sichere. Hierzu werde auf die Kommentierung von Dollinger in Bergmann/Dienelt verwiesen:
„Die Wohnsitzauflage erlischt „auf andere Weise“, sobald der Ausländer seinen Lebensunterhalt selbstständig oder mit Hilfe Dritter – zB Ehegatte, Lebenspartner – sichern kann (§ 43 II VwVfG).“
(Bergmann/Dienelt/Dollinger, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 61 Rn. 27)
17
Der Antragsteller könne seinen Lebensunterhalt völlig unstreitig selbstständig sichern. Er sei bereits seit vielen Jahren in Vollzeit in einer unbefristeten Anstellung bei der Bäckerei … tätig (vgl. Arbeitsvertrag auf Bl. 870 ff. d.A.; Bestätigung vom 1.8.2022 auf Bl. 948 d.A.). Hierdurch könne er problemlos seinen Lebensunterhalt sichern. Gehaltszettel seien ebenfalls zur Akte gereicht worden, die ein durchgehendes Bruttomonatsgehalt von 2.426.62 € nachwiesen. Da der Antragsteller – wie aktenkundig sei – mietfrei wohne, bestehe an einer Lebensunterhaltssicherung keinerlei Zweifel – wäre dies in Bezug auf die Vergangenheit oder prognostisch. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor. Der Antragsgegner bereite gegenwärtig unmittelbar Schritte zur Abschiebung des Antragstellers vor. Dem Antragsteller sei bereits am 20. September 2022 gem. § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG (analog) mitgeteilt worden, dass seine Abschiebung zeitnah zu erwarten wäre. Nach Angaben der Bäckerei … seien dort bereits Polizisten gewesen, die nach dem Antragsteller gefragt hätten. Am 15. November 2022 sei sein Duldungspapier nicht erneut ausgestellt worden. Der Antragsteller sei weiterhin vollziehbar ausreisepflichtig. Der Antragsteller habe die Prozessbevollmächtigte nun damit beauftragt, sein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik geltend zu machen. Am 12. Dezember 2022 habe die Verfahrensbevollmächtigte die Akte erhalten. Am gleichen Tag habe sie sich unmittelbar an den Antragsgegner gewandt und dringlich angefragt, dass dieser unverzüglich ein neues Duldungspapier ausstellen möge, jedenfalls aber bis zum 13. Dezember 2022 Dienstschluss zusichern möge, dass eine Duldung erteilt werde würde. Der Antragsgegner habe sich bis zum 14. Dezember 2022 Dienstschluss nicht bei der Verfahrensbevollmächtigten zurückgemeldet. Es bestehe daher Besorgnis, dass der Antragsgegner Fakten schaffen werde und den Antragsteller abschiebe, ohne dessen oben dargelegten Anspruch zu beachten. Daher könne eine Entscheidung in der Hauptsache nicht abgewartet werden. Weiter sei es dem Antragsteller nicht zuzumuten, sich ohne ein gültiges Duldungspapier in der Bundesrepublik aufzuhalten. Der Antragsteller könne sich so nicht ausweisen. Er könne nicht arbeiten. Ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung sei auch deswegen nicht zumutbar. Die Vorwegnahme der Hauptsache sei hier gerechtfertigt. Andernfalls drohe der Anspruch des Antragstellers vereitelt zu werden. Denn ohne eine einstweilige Anordnung drohe der Antragsteller abgeschoben zu werden, bevor die Anträge beschieden würden (s.o.). Ohnehin sei die Sach- und Rechtslage ausreichend aufgeklärt, sodass eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz erfolgen könne. Dies gelte auch für die hier geltend gemachten Nebenbestimmungen der zu erteilenden Duldung. Auf den Antragsschriftsatz im Übrigen sowie die beigefügten Unterlagen wird verwiesen.
18
Der Antragsteller beantragt,
1.
den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldung mit einer Gültigkeit von drei Monaten mit der Nebenbestimmung „Beschäftigung erlaubt“ sowie ohne Wohnsitzauflage zu erteilen.
2.
Eine vorläufige Regelung durch Beschluss des Gerichts, dass der Antragsteller vor einer Entscheidung des Gerichts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abgeschoben wird (Hängebeschluss).
19
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
20
Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Erteilung einer Duldung, die sowohl die vollziehbare Ausreisepflicht als auch das Vorliegen eines Duldungsgrundes voraussetze, komme im Falle des Antragstellers nicht in Betracht. Dieser sei vollziehbar ausreisepflichtig. Ein Duldungsgrund sei nicht gegeben. Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei eine Abschiebung auszusetzen und eine Duldung zu erteilen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich sei. Eine Abschiebung nach Pakistan sei aus rechtlichen Gründen nicht unmöglich. Es lasse sich aus den nationalen Gesetzen, einschließlich Verfassungsrecht, Unionsrecht oder Völkergewohnheitsrecht nicht entnehmen, dass eine Abschiebung nach Pakistan aktuell unmöglich sei. Zudem würden auch regelmäßig Rückführungen nach Pakistan durchgeführt. Eine Abschiebung nach Pakistan sei auch aus tatsächlichen Gründen nicht unmöglich. Eine Abschiebung sei tatsächlich unmöglich, wenn aufgrund objektiver Umstände, die in der Person des Ausländers oder in äußeren Gegebenheiten lägen, die vollziehbare Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 AufenthG nicht durchgesetzt werden könne. In der Person des Antragstellers seien keine objektiven Umstände ersichtlich, die zu einer tatsächlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung würden führen können. Auch der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25b AufenthG führe zu keiner Erteilung einer Duldung (Verfahrensduldung). Die Erteilung einer Verfahrensduldung setze voraus, dass der Antrag ausreichend Aussicht auf Erfolg verspreche. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b AufenthG komme allerdings nicht in Betracht. Der Antragsteller sei nicht im Besitz einer Duldung (§ 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Mangels Duldungsgrundes könne ihm eine solche auch nicht erteilt werden. Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig und sei bereits für die Sammelabschiebung am 15. November 2022 nach Pakistan eingeplant gewesen. Die Abschiebung des Antragstellers habe schließlich storniert werden müssen, da die pakistanischen Behörden das zugesicherte Reisedokument nicht rechtzeitig vorgelegt hätten. Nach der Stornierung des Schubantrags sei sofort erneut ein Schubantrag gestellt worden, da die Voraussetzungen für eine Abschiebung weiterhin gegeben seien. Der Antragsteller sei für die nächste Sammelabschiebung nach Pakistan eingeplant. Des Weiteren habe der Antragsteller bis heute keinen gültigen Reisepass vorgelegt (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Schließlich könne dem Antragsteller mangels Duldung auch keine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden, sodass auch der Lebensunterhalt nicht als gesichert angesehen werden könne (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Ebenso führe auch das kürzlich beschlossene Chancen-Aufenthaltsrecht zu keiner Duldungserteilung (Verfahrensduldung). Wie bereits geschildert, sei gleich nach der Stornierung des ersten Abschiebungsversuchs ein zweiter Schubantrag gestellt worden. Die Voraussetzungen für eine Abschiebung seien weiterhin gegeben. Der Antragsteller sei bereits für die nächste Sammelabschiebung nach Pakistan eingeplant. Da Sammelabschiebungen nach Pakistan regelmäßig stattfänden, führe auch der Zeitraum, der für die Organisation einer Sammelabschiebung benötigt werde, zu keiner Duldungserteilung. An dieser Situation ändere sich auch nichts, wenn das Chancen-Aufenthaltsrecht am 1. Januar 2023 in Kraft trete. Gemäß § 104c AufenthG-E solle die 18-monatige Aufenthaltserlaubnis nur an Inhaber einer Duldung erteilt werden. Diese Voraussetzung werde aktuell und auch künftig vom Antragsteller nicht erfüllt. Des Weiteren sei noch darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller bereits zweimal strafrechtlich verurteilt worden sei. Das Amtsgericht Rosenheim habe den Antragsteller am 10. Dezember 2013 wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 3 EUR verurteilt. Wegen Sachbeschädigung sei er vom Amtsgericht Passau am 12. Januar 2017 zu einer Geldstrafe in Höhe von 600 EUR (20 Tagessätze zu je 30 EUR) verurteilt worden. Die Erteilung einer Duldung ergebe sich auch nicht daraus, dass die ursprünglich erteilte Duldung erloschen gestempelt und nicht widerrufen worden sei. Für das Erlöschen der Duldung habe es keines Widerrufs bedurft. Die Duldung des Antragstellers sei bis 19. Oktober 2022 befristet gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei bereits bekannt gewesen (Mitteilung des Landesamtes vom 6.10.2022), dass der Antragsteller für die geplante Sammelabschiebung am 15. November 2022 nach Pakistan eingeplant sei. Damit sei kein Duldungsgrund mehr gegeben gewesen, der eine Verlängerung der Duldung gerechtfertigt haben würde. Aufgrund des Wegfalls einer der zwingenden Erteilungsvoraussetzungen einer Duldung habe es keines Widerrufs bedurft. Schließlich existierten auch keine anderweitigen Gründe, die zur Erteilung einer Duldung für den Antragsteller würden führen können. Um antragsgemäße Entscheidung werde gebeten.
21
In der Antragszustellung wurde der Antragsgegner gebeten, von Vollzugsmaßnahmen bis zur Entscheidung über den Eilantrag abzusehen; die Bevollmächtigte wurde hierüber in Kenntnis gesetzt.
22
Am 10. Januar 2023 übersandte die Bevollmächtigte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG an den Antragsgegner vom gleichen Tag.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der in elektronischer Form vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
24
Der Eilantrag hat keinen Erfolg.
25
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner ist eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
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1. Mit Blick auf den aktuellen Schubantrag ist ein Anordnungsgrund gegeben.
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2. Allerdings ist nach Aktenlage kein Anordnungsanspruch gegeben. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung wegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60a Abs. 2 AufenthG glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
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a. Der Antragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig und daher grundsätzlich abzuschieben.
29
b. Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG ist eine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich, wenn sie aufgrund objektiver Umstände, die in der Person des Ausländers oder in äußeren Gegebenheiten liegen, die Ausreisepflicht nicht – bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand – durchgesetzt werden kann (vgl. BeckOK AuslR/Kluth/Breidenbach, 34. Ed. 1.7.2022, AufenthG § 60a Rn. 9). Anhaltspunkte für ein tatsächliches Abschiebungshindernis sind vorliegend nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.
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c. Auch liegt keine Unmöglichkeit der Abschiebung des Antragstellers aus rechtlichen Gründen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG vor. Eine solche wäre gegeben, wenn die Abschiebung im Verhältnis zu dem Betroffenen rechtlich ausgeschlossen ist, d.h. wenn sich aus nationalen Gesetzen, Unionsrecht, Verfassungsrecht oder Völkergewohnheitsrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt (vgl. Bergmann/Dienelt/Dollinger, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 60a Rn. 24 m.w.N.).
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1. Dem Antragsteller kommt kein Anspruch auf eine sog. Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG (siehe hierzu BayVGH, B.v. 12.9.2022 – 10 CE 22.1925, BeckRS 2022, 23696 m.w.N.) bis zu einer Entscheidung über seinen Antrag nach § 25b AufenthG zu. So fehlt es angesichts der nicht mehr vorgenommenen Verlängerung der am 19. Oktober 2022 abgelaufenen Duldung bereits an seinem Duldungsstatus im vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Entgegen der Ansicht der Bevollmächtigten liegt eine faktische Duldung schon deshalb nicht vor, weil der Antragsgegner Duldungsansprüche eindeutig verneint und angesichts des erneuerten Schubantrags eine Abschiebung tatsächlich wie rechtlich für möglich hält. Auch der Widerruf der Duldung war nicht erforderlich. Durch den Ablauf der Gültigkeitsdauer ist die Duldung kraft Zeitablaufs erloschen; eine Duldung stellt keinen Aufenthaltstitel im Sinne des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG dar, so dass auch die beantragte Verlängerung keine Fiktionswirkung zeitigt. In Konsequenz wurde die Duldung durch den Antragsgegner auch erloschen gestempelt. Ebenso ist – aus den oben genannten Gründen – gerade nichts dafür ersichtlich, dass ihm seit dem Duldungsablauf ein Rechtsanspruch auf eine solche zustehen würde, weil seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich wäre (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ein Anspruch auf Duldung entsteht auch nicht dadurch, dass der Antragsteller einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG gestellt hat und ihm allein deswegen eine weitere Duldung hätte erteilt werden müssen, damit er die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen kann. Denn eine Verfahrensduldung wird zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann. Sie kann jedoch nicht dazu dienen, die bisher nicht erfüllten Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels überhaupt erst herbeizuführen (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 12.9.2022 – 10 CE 22.1925, BeckRS 2022, 23696 Rn. 6, beck-online). So jedoch liegt es hier. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG steht vorliegend jedenfalls der Ausschlussgrund des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG entgegen, da der Antragsteller ausweislich der Aktenlage durch die Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen seine Aufenthaltsbeendigung jedenfalls verzögert hat. So wurde er mehrfach nicht nur auf seine Pflichten nach dem Asylgesetz und dem Aufenthaltsgesetz hingewiesen und diesbezüglich belehrt, sondern ebenso mehrfach zur Beibringung entsprechender Identitätsdokumente aufgefordert. Zwar legte er – mit großem zeitlichen Abstand zu ihrer Ausstellung – eine National Identity Card vor. Jedoch wurde ein Reisepass weder vorgelegt noch wenigstens beantragt. Der – ursprüngliche – Vortrag des Antragstellers, dass eine solche Beantragung nur unter Vorlage des alten, abgelaufenen Reisepasses möglich sei und er über eine solchen nicht mehr verfüge, verfängt angesichts der diesbezüglich im Internet verfügbaren Auskünfte des Generalkonsulats der Islamischen Republik Pakistan Frankfurt am Main (https://www.pakmissionfrankfurt.de/machine-readable-passport-mrp, abgerufen am Entscheidungstag) nicht. Denn danach ist die Beantragung nach nachzuweisender Verlustanzeige bei der Polizei und unter Vorlage einer Kopie des verlorenen Reisepasses nebst weiterer Angaben sowie der National Identity Card möglich. Weiterhin bleibt festzustellen, dass der Antragsteller nach seinen eigenen und von seinem ehemals Bevollmächtigten bestätigten Angaben (vgl. Gesprächsvermerk) tatsächlich über einen gültigen Reisepass verfügt, diesen jedoch zur Vermeidung einer Abschiebung und letztlich zur „Erzwingung“ einer von ihm begehrten Aufenthaltserlaubnis der Ausländerbehörde nicht aushändigt. Hierdurch erfüllt er nicht nur zumutbare Anforderungen nicht, sondern konterkariert er diese durch ein wissentliches und willentliches Unterdrücken von Identitätsdokumenten. Weiter verwirklicht der Antragsteller hierdurch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 54 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG und erfüllt er die Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht. Zwar kann von § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG im Ermessenswege gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Angesichts der obigen Ausführungen ist für eine zweifelsfreie Ermessensausübung zugunsten des Antragstellers jedoch nichts ersichtlich. Unabhängig davon sind seitens des Antragstellers keine – im Rahmen des § 25b AufenthG zu fordernden – besonderen Integrationsleistungen ersichtlich. Der bloße Umstand, dass er nach Mitteilung seines Vermieters diesen gegen Gewährung einer stark verbilligten Wohnmöglichkeit unterstützt und weit überwiegend in Beschäftigung gestanden hat, reicht insofern nicht aus.
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2. Weiterhin hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit Blick auf das sog. Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
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a. Am 2. Dezember 2022 verabschiedete der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung eines sogenannten Chancen-Aufenthaltsrechts (BT-Drs. 20/3717) in modifizierter Fassung (abrufbar unter https://dserver.bundestag.de/btd/20/037/2003717.pdf; zuletzt abgerufen am Entscheidungstag); das Gesetz selbst ist am 31. Dezember 2022 in Kraft getreten. Der neu eingeführte § 104c AufenthG hat folgenden Wortlaut:
„§ 104c Chancen-Aufenthaltsrecht
(1) Einem geduldeten Ausländer soll abweichend von § 5 Absatz 1 Nummer 1, 1a und 4 sowie § 5 Absatz 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat und er
1. sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und
2. nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, oder Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht, die nicht auf Jugendstrafe lauten, grundsätzlich außer Betracht bleiben.
Die Aufenthaltserlaubnis nach Satz 1 soll versagt werden, wenn der Ausländer wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht hat und dadurch seine Abschiebung verhindert. Für die Anwendung des Satzes 1 sind auch die in § 60b Absatz 5 Satz 1 genannten Zeiten anzurechnen.
(2) Dem Ehegatten, dem Lebenspartner und minderjährigen, ledigen Kindern, die mit einem Begünstigten nach Absatz 1 in häuslicher Gemeinschaft leben, soll unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 eine Aufenthaltserlaubnis auch dann erteilt werden, wenn diese sich am 31. Oktober 2022 noch nicht seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben. Das Gleiche gilt für das volljährige ledige Kind, wenn es bei der Einreise in das Bundesgebiet minderjährig war. Absatz 1 Satz 2 findet entsprechende Anwendung.
(3) Die Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 10 Absatz 3 Satz 2 erteilt werden. Sie gilt als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5. Sie wird für 18 Monate erteilt und ist nicht verlängerbar. Während des Aufenthalts nach Satz 3 kann nur eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a oder § 25b erteilt werden. Der Antrag auf Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels als nach § 25a oder § 25b entfaltet nicht die Wirkung nach § 81 Absatz 4.
(4) Der Ausländer ist spätestens bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auf die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b und, falls er das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nach § 25a hinzuweisen. Dabei soll die Ausländerbehörde auch konkrete Handlungspflichten, die in zumutbarer Weise zu erfüllen sind, bezeichnen.“
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b. Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen des § 104c AufenthG voraussichtlich nicht. Vorliegend steht der Erteilung eines Chancen-Aufenthaltsrechts nach § 104c AufenthG entgegen, dass sich der Antragsteller zum Stichtag 31. Oktober 2022 nicht seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat. Ein Abweichen von der Stichtagsregelung ist nach der Konzeption der gesetzlichen Regelung auch im Ermessen der Ausländerbehörde nicht möglich (so auch IMS v. 22.12.2022 – F4-2081-3-88-218, S. 12).
35
Die Duldung des Antragstellers ist zum 19. Oktober 2022 abgelaufen. Angesichts des Umstands, dass die Erteilung eines Heimreisescheins durch die pakistanischen Behörden grundsätzlich möglich ist und – wie ausgeführt – kein weiterer Duldungsgrund vorliegt, ist eine Abschiebung auch nicht unmöglich. Raum für eine Ermessensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG im Sinne des IMS vom 22. Dezember 2022 – F4-2081-3-88-218 (S. 9) ist vorliegend nicht gegeben, da die Duldung bzw. deren Voraussetzungen nicht im Zeitraum zwischen der Beschlussfassung des Bundestags (2.12.2022) und dem Inkrafttreten des Gesetzes (31.12.2022), sondern bereits im Oktober 2022 entfallen sind. Zwar ist nach den Ausführungen in dem von der Bevollmächtigten zitierten IMS eine Ermessensduldung auch in den ersten drei Monaten ab Inkrafttreten des Gesetzes sorgfältig zu prüfen; dies soll jedoch nur dann gelten, wenn das Chancen-Aufenthaltsrecht nicht offensichtlich zu versagen ist (IMS v. 22.12.2022 – F4-2081-3-88-218, S. 10). Letzteres ist vorliegend jedoch gerade der Fall.
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Nach summarischer Prüfung erfüllt der Antragsteller die Voraussetzungen des § 104c AufenthG. Dass er vom Amtsgericht Rosenheim rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 70 Tages sätzen wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt in Tateinheit mit Urkundenfälschung wurde, bleibt insofern außer Betracht. Denn hierbei handelt es sich zu einem wesentlichen Teil um Straftaten, die nur von Ausländern begangen werden können; der insofern erforderliche Rahmen von mindestens 90 Tagessätzen ist nicht erfüllt (vgl. § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Auch ist durch das Verhalten des Antragstellers der Tatbestand des § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht erfüllt. Demnach soll die Aufenthaltserlaubnis nach Satz 1 versagt werden, wenn der Ausländer wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht hat und dadurch seine Abschiebung verhindert. Die Passunterdrückung durch den Antragsteller lässt sich weder als Täuschungshandlung (im engeren Sinne) noch als Falschangabe einordnen. Ob dieses Tatbestandskriterium erweiternd auszulegen ist, kann an dieser Stelle jedoch dahinstehen. Denn vorliegend ist durch die Passunterdrückung mit Blick auf die Soll-Regelung des § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG jedenfalls ein atypischer Sachverhalt gegeben, der eine Ausnahme von der Regelerteilung gebietet.
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Ausweislich des Wortlauts der Norm sowie des Gesetzeszwecks steht eine mangelnde Identitätsklärung eines Antragstellers der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG nicht entgegen. Die (bloße) unzureichende Mitwirkung bei Identitätsklärung und der Pass(ersatz) beschaffung in der Vergangenheit kann einen atypischen Sachverhalt nicht begründen, da der Bundesgesetzgeber diese Personen gezielt nicht aus dem Kreis der Begünstigten herausgenommen hat. Ausgehend hiervon erfordert das Vorliegen eines atypischen Falles allgemein eine Sachverhaltskonstellation, die sich von ähnlich gelagerten Fällen in besonderer Weise heraushebt, und vorliegend im Speziellen einen Sachverhalt, der über eine nur unzureichende Mitwirkung deutlich hinausgeht, ohne aber gleichzeitig die Qualität einer Täuschung bzw. Falschangabe zu erreichen. So führt auch das IMS vom 22. Dezember 2022 – F4-2081-3-88-218 (S. 17/18), an welches das Verwaltungsgericht im Übrigen nicht gebunden ist, als Beispiel das Erreichen einer mehrjährigen Voraufenthaltszeit nur durch erhebliche Missachtung rechtsstaatlicher Abläufe und künstliches Hinauszögern der Ausreise, insbesondere verfahrenstaktisches, rechtsmissbräuchliches Vortäuschen von Vollstreckungshindernissen (z.B. nachweislich simulierte Erkrankung usw.) an. Vorliegend ist dem Antragsteller nicht nur eine mangelnde Mitwirkung an der Beschaffung eines Passes/Passersatzes anzulasten, sondern sogar ein vorsätzliches Unterdrücken seines vorhandenen Reisepasses zur Erlangung eines Aufenthaltstitels und zur Vermeidung seiner Abschiebung. Dieses Verhalten aber geht offenkundig weit über ein bloßes Unterlassen von Mitwirkungshandlungen hinaus und widerspricht zudem dem mit der Neuregelung verfolgten Gesetzeszweck, das Chancen-Aufenthaltsrecht gerade solchen Menschen zugutekommen zu lassen, die sich wirtschaftlich und sozial integriert haben, aber zum Teil noch nicht die Voraussetzungen des Voraufenthalts hinsichtlich der Bleiberechtsregelung des § 25a oder 25b AufenthG erfüllen, bzw. die trotz ausgeprägter Bereitschaft zur Integration und entsprechendem Bemühen noch nicht in der Lage sind, die erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen (BT-Drs. 20/3717, S. 16). Das aktive Vorenthalten eines Identitätsdokuments geht weit über das vom Gesetzgeber bewusst tolerierte Untätigbleiben hinaus und dokumentiert im Gegenteil eine der Integration entgegenstehende Bereitschaft, sich im Bedarfsfall gerade nicht an geltendes Recht zu halten. Eine in diesem Fall gleichwohl erfolgende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis würde den gesetzgeberischen Willen ad absurdum führen.
38
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Der Streitwert ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung von Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges 2013.