Titel:
Erfolgloses Eilverfahren bei Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 88, § 122
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 1, § 36 Abs. 4 S. 1, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Asylverfahrens-RL Art. 31 Abs. 8 lit. c, lit. e
Leitsätze:
1. Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vernünftigerweise kein Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts bestehen kann und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung, dh nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre, sich die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine drohende Bestrafung, ohne dass diese an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpft (sog. Politmalus), ist weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Umstand, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 Rückführungs-RL nicht zu laufen beginnen darf, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat, wird durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung einschließlich des Laufs der Ausreisefrist bis zur Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ausreichend Rechnung getragen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sofortverfahren, algerischer Staatsangehöriger, Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, Vorbringen stark widersprüchlich, Bezugnahme auf Bundesamtsbescheid, Sicherung des Existenzminimums bei Rückkehr, keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote, Asylantrag, offensichtlich unbegründet, Eilverfahren, Algerien, widersprüchliches Vorbringen, drohende Bestrafung, inländische Fluchtalternative, Sicherung wirtschaftliche Existenz, COVID-19-Pandemie, Abschiebungsverbot (verneint), freiwillige Ausreise, RL 2013/32/EU, RL 2008/115/EG
Fundstelle:
BeckRS 2023, 606
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Der Antragsteller ist am ... 1994 geborener algerischer Staatsangehöriger, vom Volk der Araber und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 14. September 2022 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. Dezember 2022 einen Asylantrag.
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1. Bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 28. Dezember 2022 gab der Antragsteller im Wesentlichen an. Er habe sein Heimatland verlassen, weil er von der Nachbarschaft bedroht und wiederholt mit einem Messer angegriffen worden sei, weil er Angst um seinen Bruder gehabt habe und weil er die wirtschaftliche Situation nicht länger habe aushalten können. Im Einzelnen wird auf das Anhörungsprotokoll Bezug genommen.
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2. Mit Bescheid vom 29. Dezember 2022, dem Antragsteller ausgehändigt am 12. Januar 2023, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und subsidiären Schutz (Nr. 3) jeweils als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Algerien oder einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, wurde angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der Klagefrist und im Falle der fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen offensichtlich nicht vor. Der Antragsteller sei offensichtlich kein Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG. Dem Antragsteller drohe bei einer eventuellen Rückkehr nach Algerien keine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens der Nachbarn oder sonstigen nichtstaatlichen Verfolgern, da er insoweit zum einen gehalten sei, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um Schutz nachzusuchen, und weil zum anderen für ihn insoweit eine zumutbare inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative bestehe (vgl. § 3e AsylG), wenn er sich in einem anderen Teil des Landes, insbesondere in einer anderen Großstadt Algeriens niederlasse. Auch subsidiärer Schutz gemäß § 4 AsylG komme nicht in Betracht. Der Antragsteller habe nichts vorgetragen, was auf eine in Algerien zu erwartende Todesstrafe, Folter oder unmenschliche Behandlung oder sonst durch einen Akteur verursachte Menschenrechtsverletzung hindeuten würde. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Antragsteller der Gefahr eines entsprechenden ernsthaften Schadens ausgesetzt sein soll. Eine Schutzfeststellung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG scheide ebenfalls aus, da von einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit des Antragstellers im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts gerade nicht auszugehen sei. Denn das Bestehen eines solchen Konflikts sei für Algerien insgesamt zu verneinen.
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Der Asylantrag sei zudem offensichtlich unbegründet. Gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG sei ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird. So bestehe bereits zwischen der Sachverhaltsdarstellung und den Ausführungen, die der Antragsteller auf Nachfrage getätigt habe, eine zeitliche Divergenz, was den Bruch seiner Nase anbelange. Während der Antragsteller im Sachvortrag davon gesprochen habe, dass sich dieser Vorfall ereignet habe, nachdem er die Drogen der Nachbarn in den Müll geworfen hatte (Anhörungsprotokoll Seite 7), habe der Antragsteller auf Nachfrage mitgeteilt, dass seine Nase bereits in Mitleidenschaft gezogen worden sei, als es zur Streitigkeit wegen der Belästigung seiner Schwestern gekommen war (Anhörungsprotokoll Seite 8). Zudem habe der Antragsteller erst auf Nachfrage sein Vorbringen dahingehend gesteigert, dass er bereits bei der Streitigkeit aufgrund der Belästigung seiner Schwester von den Nachbarn mit einem Messer verletzt worden sei (Anhörungsprotokoll Seite 9). Im Sachvortrag sei hiervon noch keine Rede gewesen. Vielmehr sei laut dem Vortrag des Antragstellers der erste Messerangriff nach der Entsorgung der Drogen durch den Antragsteller erfolgt (Anhörungsprotokoll Seite 7). Folglich setze sich der Antragsteller auch bezüglich der geschilderten Anzahl der Messerangriffe im Sachvortrag in Widerspruch zu seinem späteren Vorbringen in der Anhörung, als der Antragsteller zu Protokoll gegeben habe, dreimal mit einem Messer angegriffen worden zu sein (Anhörungsprotokoll Seite 9). Ferner sei nicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller nicht bereits früher sein Heimatland verlassen habe, wenn es bereits seit dem Jahr 2014 - den Sachvortrag als wahr unterstellt - zu den Streitigkeiten mit den Nachbarn, die mit körperlichen Verletzungen auf Seiten des Antragstellers geendet hätten, gekommen wäre (Protokoll Seite 8). Bei einer eingetretenen bzw. fortdauernden und unmittelbar drohenden Verfolgung durch die Nachbarn wäre vielmehr anzunehmen gewesen, dass der Antragsteller in einem nahen zeitlichen Zusammenhang zur ersten körperlichen Auseinandersetzung sein Heimatland verlassen hätte. Es dränge sich daher der Verdacht auf, dass der Antragsteller nicht wegen irgendwelcher (vermeintlicher) Streitigkeiten sein Heimatland verlassen habe, sondern aufgrund seiner „sehr schlechten wirtschaftlichen Situation“ (Anhörungsprotokoll Seite 7). Nicht nachvollziehbar sei in diesem Zusammenhang auch, dass nach der Darstellung des Antragstellers die Bedrohung seines Bruders der Anlass für seine Ausreise aus Algerien gewesen sei, obgleich der Antragsteller zuvor bekundet habe, nach einem „Unfall“ mit seinem Nachbarn im Jahr 2019 die Ausreise geplant zu haben (Anhörungsprotokoll Seite 4). Erstaunlich sei auch, dass der Antragsteller sich seit dem Jahr 2019 nicht mehr in seinem Heimatland aufgehalten haben möchte (Anhörungsprotokoll Seite 10), sein beim Bundesamt vorgelegter Reisepass aber im Juli 2021 in Algerien ausgestellt worden sei (Anhörungsprotokoll Seiten 3 und 11), was alleine bereits ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Antragstellers aufwerfe. Da der Vortrag des Antragstellers in sich widersprüchlich sei und offenkundig nicht den Tatsachen entspreche, sei der unbegründete Asylantrag gem. § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen gewesen.
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Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Algerien führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliege. Eine Unterschreitung des wirtschaftlichen Existenzminimums sei auf Grund der dargestellten Lage nicht zu befürchten. Insbesondere erscheine es zumutbar, den Lebensunterhalt durch einfache und gegebenenfalls befristete Tätigkeiten zu sichern. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Der Antragsteller sei erwerbsfähig. Er sei nach eigenen Angaben als Landwirt, Schweißer und zuletzt als Lkw-Fahrer in Algerien tätig gewesen (Anhörungsprotokoll Seite 5). Es bestünden daher keine durchgreifenden Zweifel daran, dass dem Antragsteller als arbeitsfähigem Mann im Anschluss an eine Rückkehr nach Algerien die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein werde. Erforderlich sei insoweit, dass der betreffende Asylbewerber durch eigene, notfalls wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar sei, oder durch Zuwendungen von dritter Seite - jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten - das zu seinem Lebensunterhalt Notwendige erlangen könne. Anhaltspunkte für eine Erwerbsunfähigkeit des Antragstellers aus gesundheitlichen Gründen lägen nicht vor. Von seiner Arbeitsfähigkeit sei deshalb auszugehen. Es sei somit nicht erkennbar, warum es dem Antragsteller nicht möglich sein sollte, bei einer Rückkehr nach Algerien, auch außerhalb seiner Heimatregion, ohne unmittelbare familiäre Unterstützung Fuß zu fassen und durch die Aufnahme einer legalen Erwerbstätigkeit seinen notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten. Unabhängig davon, dass der Antragsteller sich nicht darauf berufe, bei Rückkehr einer extremen allgemeinen Gefahr ausgesetzt zu sein, weil er untypisch von Hilfe und Unterstützung durch im Heimatland verbliebene oder sich im Ausland befindliche Angehörige oder Freunde ausgeschlossen wäre, sei dies nach Erkenntnislage des Bundesamtes im Übrigen auch nicht der Fall. Ebenso wenig sei von einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auszugehen. Laut eigenem Bekunden leide der Antragsteller nicht unter einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG (Anhörungsprotokoll Seite 2). Auch vor dem Hintergrund der pandemischen Lage drohe dem Antragsteller in Algerien keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde.
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3. Am 17. Januar 2023 erhob der Antragsteller im Verfahren W 5 K 22.30040 Klage und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Algerien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.
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Der Antragsteller erklärte zur Begründung, dass er sich auf seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beziehe.
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4. Die Antragsgegnerin beantragte,
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Zur Begründung bezog sich die Antragsgegnerin auf ihre Ablehnungsentscheidung.
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5. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich des Verfahrens W 5 K 23.30040) sowie auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
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Bei verständiger Würdigung des Begehrens des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bundesamtsbescheids vom 29. Dezember 2022 begehrt.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
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1. Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid würdigen das Fluchtvorbringen des Antragstellers in sachlich zutreffender Weise und decken sich zudem mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 29.9.2022 und vom 22.4.2022).
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Insbesondere die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet begegnet keinen ernstlichen Zweifeln. Offensichtlichkeit in diesem Sinn liegt vor, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vernünftigerweise kein Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts bestehen kann und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung, d.h. nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre, sich die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 2.5.1984 - 2 BvR 1413/83 - juris Rn. 27).
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Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird. Diese Vorschrift steht in Übereinstimmung mit Art. 31 Abs. 8 c) und e) der Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU. Danach können die Mitgliedstaaten festlegen, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Artikel 43 durchgeführt wird, wenn u.a. e) der Antragsteller eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gemacht hat, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen, so dass die Begründung für seine Behauptung, dass er als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der RL 2011/95/EU anzusehen ist, offensichtlich nicht überzeugend ist.
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Antragsteller hat zentrale Teile des individuellen Verfolgungsgeschehens in stark widersprüchlicher und unsubstantiierter Weise i.S.v. § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG vorgetragen. Der Antragsteller hat im Verlauf seiner Anhörung nicht nur wechselnde Ausreisegründe geschildert (Streitigkeiten, Drohungen und Angriffe durch die Nachbarn, Bedrohungen des Bruders, fehlende Möglichkeit zur Ablegung des Abiturs, wirtschaftliche Situation), sondern auch in zentralen Teilen nicht nachvollziehbare und in sich stark widersprüchliche Angaben zu den zeitlichen und inhaltlichen Abläufen des dargestellten Verfolgungsgeschehens gemacht. Er konnte die Widersprüche, die ihm durch den Anhörenden vorgehalten wurden, auch nicht plausibel auflösen. Wegen der Begründung im Einzelnen folgt das Gericht dabei den Ausführungen in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid des Bundesamts vom 29. Dezember 2022 und sieht deshalb von einer Darstellung der weiteren Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Im Übrigen hat der Antragsteller selbst vorgetragen, dass er fünf bis sechs Monate vor seiner Ausreise in eine ca. 1.000 km weit entfernte Stadt gezogen sei und dass zwischen den letzten Streitigkeiten mit den Nachbarn und der Ausreise ca. sieben Monate vergangen seien (vgl. S. 10 des Anhörungsprotokolls), so dass insoweit - mangels eines substantiellen Vorbringens - in offenkundiger Weise jedenfalls von einer ihm zumutbaren, inländischen Fluchtalternative ausgegangen werden muss. Im gerichtlichen Verfahren hat der Antragsteller ebenfalls nichts weiter vorgetragen. Angesichts der so umschriebenen Lebenssituation des Antragstellers drängt sich in der Hauptsache eine Klageabweisung auf, weshalb der Asylantrag als offensichtlich nicht asyl-, flüchtlings- oder sonst schutzrelevant und deshalb als offensichtlich unbegründet anzusehen ist (vgl. § 30 AsylG).
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2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr politische Verfolgung drohen könnte, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland (VG Stuttgart, U.v. 27.1.2015 - A 5 K 4824/13 - juris). Eine betreffende Strafverfolgung verfolgt jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung, selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Bewährungsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden kann (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 22 f.). Zudem ist zweifelhaft, ob das Gesetz in der Praxis auch angewendet wird, da die algerischen Behörden erklärt haben, das Gesetz solle nur abschreckende Wirkung entfalten (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 16.12.2019, S. 29 f.). Aber selbst eine drohende Bestrafung, ohne dass diese an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpft (sog. Politmalus), wäre weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant.
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3. Ernstliche Zweifel ergeben sich für das Gericht - auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie - nicht im Hinblick auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
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Auch insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Das Gericht hat insbesondere keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Antragsteller im Anschluss an seine Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich eine Arbeit - z.B. im Bereich seiner Vortätigkeiten - zu suchen. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien sind die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 6, 8 f. und 21; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 29.9.2022, S. 21 ff.). Der Antragsteller ist jung, gesund sowie erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten, zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige in Algerien zurückzugreifen. Letztlich ist dem Antragsteller - auch unter Berücksichtigung dessen - eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (ebenso VG München, B.v. 2.7.2020 - M 26 S 20.31428 - juris; VG Frankfurt, U.v. 5.3.2020 - 3 K 2341/19.F.A - juris; SaarlOVG, B.v. 25.9.2019 - 2 A 284/18 - juris; VG Minden, B.v. 30.8.2019 - 10 L 370/19.A - juris; U.v. 28.3.2017 - 10 K 883/16.A - juris; U.v. 22.8.2016 - 10 K 821/16.A - juris; BVerwG, U.v. 25.4.2019 - 1 C 46/18 - InfAuslR 2019, 309; U.v. 27.3.2018 - 1 A 5/17 - Buchholz 402.242, § 58a AufenthG Nr. 12; VG Stade, U.v. 1.4.019 - 3 A 32/18 - juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 - 8 A 206/18 - juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 - 3 L 1612/16.A - juris).
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Des Weiteren wird angemerkt, dass auch die weltweite COVID-19-Pandemie kein Abschiebungshindernis begründet, weil nach den aktuellen Fallzahlen in Algerien - auch im Vergleich zu Deutschland - keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder gar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Algerien krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt gerade, wenn der Antragsteller die vom algerischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutzmasken usw.) beachtet und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt, zumal der algerische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfemaßnahmen getroffen hat (siehe Auswärtiges Amt, Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 5.10.2021; Deutsche Botschaft Algier, aktuelle Corona-Maßnahmen in Algerien; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage, vom 9.7.2020, S. 14 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien, vom 26.6.2020, S. 30 und vom 19.3.2021, S. 5; siehe auch VG München, B.v. 2.7.2020 - M 26 S 20.31428 - juris; vgl. zum Ganzen ausführlich VG Würzburg, B.v. 22.9.2020 - W 8 S 20.31066 - BeckRS 2020, 25104; B.v. 13.8.2020 - W 8 S 20.30940; B.v. 6.8.2020 - W 8 S 20.30912 - juris; jeweils m.w.N.).
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Abgesehen davon hat der Antragsteller keinerlei Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von COVID-19 in Algerien darstellt, insbesondere wie viele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger SARS-CoV 2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wie vielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen und welche Effektivität der algerische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welche Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Fall einer Rückkehr besteht.
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Das Gericht verkennt - auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie - nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Algerien. Diese betreffen jedoch algerische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
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4. Ernstliche Zweifel bestehen auch nicht an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der Ausreisefrist an sich.
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Die Abschiebungsandrohung und Ausreisefrist von einer Woche ab Ablehnung des Beschlusses im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO begegnet auch im Hinblick auf die europarechtlichen Anforderungen an einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (vgl. hierzu EuGH, U.v. 19.6.2018 - C-181/16 - juris; Rechtssache „Gnandi“) keinen rechtlichen Bedenken.
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Mit der Möglichkeit der Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO stand dem Antragsteller ein wirksamer Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung zur Verfügung, da bei rechtzeitiger Antragstellung eine Abschiebung des Antragstellers vor der Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG nicht zulässig ist.
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Dem Umstand, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, nicht zu laufen beginnen darf, solange der Betroffene ein Bleiberecht - wie hier während des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz - hat (EuGH, a.a.O.), wird durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung einschließlich des Laufs der Ausreisefrist bis zur Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ausreichend Rechnung getragen (so auch BVerwG, Ue.v. 20.2.2020 - 1 C 1.19; 1 C 19.19; 1 C 20.19; 1 C 21.19; 1 C 22.19 - juris für die hiesige Konstellation insbesondere 1 C 19.19 Rn. 55 ff.; so auch VG Ansbach, B.v. 11.2.2020 - AN 16 S 20.30165 - juris Rn. 30).
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5. Der Antrag war daher nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.