Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.03.2023 – 11 CE 23.43
Titel:

Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung wegen Drogenkonsums (Amphetamin) – einstweiliger Rechtsschutz

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
StVG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 4 S. 2, Abs. 6 S. 1 Nr. 2
FeV § 11 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 14 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 S. 1, § 22 Abs. 2 S. 1, S. 5, Anl. 4 Nr. Nr. 9.1, Nr. 9.5
Leitsätze:
1. Die medizinisch- psychologische Beurteilung bei der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach einem Entzug wegen Betäubungsmittelkonsum kann nicht durch bloße Abstinenznachweise ersetzt werden, da eine etwaige Abstinenz nichts über deren Stabilität besag. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wer Betäubungsmittel isd BtMG (ausgenommen Cannabis) einnimmt, ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, und zwar unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen. Der zur Wiedererlangung der Fahreignung erforderliche Nachweis, dass kein Konsum mehr vorliegt, ist erst geführt, wenn eine Abstinenz von idR einem Jahr und ein motivational gefestigter Verhaltens- und Einstellungswandel belegt werden, der es wahrscheinlich macht, dass der oder die Betroffene die notwendige Abstinenz auch in Zukunft einhält. Letzteres kann nur im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung festgestellt werden (vgl. VGH München BeckRS 2021, 24923 Rn. 9, Rn. 12). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es spricht viel dafür, dass die Herstellung der Fahreignung durch Beschränkungen bzw. Auflagen nach Drogenkonsum allenfalls ausnahmsweise in Betracht kommt und jedenfalls eine Entwöhnung mit ausreichendem Abstinenznachweis voraussetzt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens im Hauptsachverfahren (verneint), Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, vorangegangene Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Amphetaminkonsums, Notwendigkeit einer positiven medizinisch-psychologischen Begutachtung, Abstinenznachweise als ausreichender Beleg für die Wiedererlangung der Fahreignung (verneint), CTU-Kriterien, Wegfall der Kraftfahreignung wegen Drogenkonsums, Wiedererlangung der Fahreignung, einjährige Abstinenz, gefestigter Verhaltens- und Einstellungswandel, medizinisch-psychologische Untersuchung, bloße Abstinenznachweise, Beschränkungen bzw. Auflagen
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 19.12.2022 – RN 8 E 22.2689
Fundstellen:
BeckRS 2023, 6069
LSK 2023, 6069
DAR 2023, 523

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Stadt S.(Antragsgegnerin), ihm die Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L ohne (weitere) medizinisch-psychologische Untersuchung vorläufig neu zu erteilen.
2
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. Juli 2020 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis, nachdem er am 17. Januar 2020 nach Konsum von Amphetamin ein Kraftfahrzeug geführt hatte (Bußgeldbescheid vom 19.3.2020).
3
Am 20. April 2021 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin (Fahrerlaubnisbehörde) die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis.
4
Auf Anordnung der Antragsgegnerin legte der Antragsteller ein medizinisch-psychologisches Gutachten vom 7. Oktober 2021 vor. Dieses kommt zu dem Ergebnis, es könne nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller zukünftig Betäubungsmittel oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnehme und/oder ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln (Amphetamin) und deren Nachwirkungen führen werde. Der Antragsteller habe hinreichend plausibel dargestellt, dass er am 17. Januar 2020 einmalig Drogen konsumiert habe. Daher sei ein Drogenverzicht in einem Zeitraum von sechs Monaten ausreichend, aber auch erforderlich, um eine günstige Verhaltensprognose abgeben zu können. Der Beleg könne nur durch Urin- und/oder Haaranalysen nach den geltenden CTU-Kriterien geführt werden. Der Antragsteller habe aber nur die Analyse von Blutproben vorgelegt, die zudem zu selbstgewählten Zeitpunkten entnommen worden seien. Daher sei mit dem Antragsteller im Untersuchungstermin die Möglichkeit einer Haaranalyse besprochen worden. Diese habe der Antragsteller jedoch abgelehnt. Damit fehle auch aus psychologischer Sicht die notwendige Basis für eine ausreichend abgesicherte Verhaltensprognose.
5
Der Antragsteller erhielt seinen Antrag unter Verweis darauf, dass dieses Gutachten die Frage nicht hinreichend beantworte, aufrecht. In der Folgezeit legte er ergänzend das Ergebnis der Analysen zweier Urinproben vom 17. März 2022 sowie vom 27. Juni 2022 vor, bei denen keine der untersuchten Substanzgruppen festgestellt wurden.
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Die Antragsgegnerin verwies den Antragsteller mit Schreiben vom 18. Juni 2022 sowie 28. Juli 2022 darauf, die Eignung der vorliegenden Abstinenznachweise mit einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung abzuklären und bei Vorliegen des erforderlichen Abstinenzzeitraums ein neues medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen.
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Nachdem der Antragsteller erklären ließ, sich keiner weiteren Begutachtung zu stellen, lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit Bescheid vom 27. September 2022 ab.
8
Am 27. Oktober 2022 ließ der Antragsteller Verpflichtungsklage beim Verwaltungsgericht Regensburg erheben, über die noch nicht entschieden ist. Am 18. November 2022 beantragte er, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, ihm die beantragte Fahrerlaubnis vorläufig zu erteilen. Er habe seine Abstinenz nachgewiesen und sei damit als fahrgeeignet anzusehen, ohne dass es noch einer weiteren medizinisch-psychologischen Begutachtung bedürfe.
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Mit Beschluss vom 19. Dezember 2022 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Das vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten sei schlüssig zu dem Ergebnis gekommen, dass der Antragsteller keinen Nachweis über seine Drogenabstinenz erbracht habe. Einen hinreichenden Beleg für einen Drogenverzicht habe dieser auch im Nachgang dazu nicht vorgelegt. Es könne offenbleiben, ob zwei Urinuntersuchungen dazu genügen könnten, da jedenfalls der Untersuchungszeitraum keine sechs Monate abdecke.
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Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der die Antragsgegnerin entgegentritt.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen wäre.
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1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 Rn. 5 m.w.N.). Die begehrte Regelung muss zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sein und es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache sprechen (Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, § 123 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2018 – 11 CE 18.1170 – juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 – 11 CE 14.2358 – juris Rn. 18; ThürOVG, B.v. 15.1.2021 – 2 EO 147/20 – Blutalkohol 58, 111 = juris Rn. 14; s. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 20 FeV Rn. 6).
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2. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der beantragten vorläufigen Erteilung der Fahrerlaubnis nicht vor, da der Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen konnte. Es lässt sich nicht feststellen, dass ihm mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ohne Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens zustünde.
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a) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2023 (BGBl I Nr. 56), gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht die Vorschriften über die Ersterteilung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die solche Bedenken begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den §§ 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV). Das Vorliegen der Fahreignung wird vom Gesetz positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert. Die materielle Beweislast für die Fahreignung nach Verlust liegt somit im (Wieder-)Erteilungsverfahren bei dem Bewerber (vgl. § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG; Dauer, a.a.O. § 2 StVG Rn. 41). Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 13; VGH BW, U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – DAR 2015, 592 = juris Rn. 19).
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Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen an die körperliche und geistige Fahreignung insbesondere dann nicht erfüllt, wenn ein Mangel oder eine Erkrankung im Sinne von Anlage 4 oder 5 zur FeV vorliegt. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis), hier Amphetamin (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anl. III) einnimmt (Nr. 9.1 der Anl. 4 zur FeV). Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – Blutalkohol 55, 264 = juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 30.8.2021 – 11 CS 21.1933 – juris Rn. 9). Der zur Wiedererlangung der Fahreignung erforderliche Nachweis, dass kein Konsum mehr vorliegt, ist entsprechend Nr. 9.5 der Anl. 4 zur FeV erst geführt, wenn eine Abstinenz von in der Regel einem Jahr und ein motivational gefestigter Verhaltens- und Einstellungswandel belegt werden (vgl. Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [Verkehrsblatt S. 110] in der Fassung vom 17.2.2021 [Verkehrsblatt S. 198], die nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anl. 4a zur FeV Grundlage für die Beurteilung sind; s. auch BayVGH, B.v. 30.8.2021 – 11 CS 21.1933 – juris Rn. 12; B.v. 15.12.2021 – 11 CS 21.2414 – juris Rn. 28). Für eine positive Verkehrsprognose ist wesentlich, dass zur positiven Veränderung der körperlichen Befunde einschließlich der Laborbefunde ein tiefgreifender und stabiler Einstellungswandel hinzutritt, der es wahrscheinlich macht, dass der oder die Betroffene die notwendige Abstinenz auch in Zukunft einhält (vgl. Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien). Letzteres kann nur im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung festgestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2021, a.a.O. Rn. 12; BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – NJW 2005, 3081 = juris Rn. 24). Daher sieht § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV vor, dass zur Vorbereitung der Entscheidung über die Erteilung der Fahrerlaubnis ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen ist, wenn dem Betroffenen die Fahrerlaubnis wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV) entzogen worden war.
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b) Daran gemessen scheidet ein Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis derzeit schon deswegen aus, weil der Antragsteller kein medizinisch-psychologisches Gutachten mit positiver Prognose vorgelegt hat.
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aa) Dabei versteht der Senat bereits das beigebrachte Gutachten vom 7. Oktober 2021 dahin, dass dieses den Beleg eines Drogenverzichts über einen Mindestzeitraum von sechs Monaten nur als eine notwendige Bedingung sieht, um im Rahmen einer weiteren Begutachtung die Stabilität der Abstinenz bewerten zu können. Dass die Gutachter einen Abstinenznachweis – zu einem beliebig gewählten späteren Zeitpunkt – allein als hinreichend ansehen, um die Fahreignung unmittelbar wiederherzustellen, kann der Senat hingegen nicht erkennen. Wenn das Gutachten einen einmaligen Drogenkonsum annimmt und in diesem Zusammenhang auch von einer klaren Distanzierung vom anlassgebenden Drogenkonsum spricht, verhält es sich nach der Lesart des Senats allein zum Grad der früheren Drogengefährdung und der daraus abzuleitenden Mindestdauer des nachzuweisenden Drogenverzichts.
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bb) Doch selbst wenn dies den Gutachtern vor Augen gestanden haben sollte, könnte ein nachgereichter Beleg für eine sechsmonatige Drogenabstinenz hier nicht ohne weitere Begutachtung zur Bejahung der Kraftfahreignung führen. Das vorliegende Gutachten befasst sich jedenfalls im Wesentlichen, wie bereits erwähnt, mit den Kriterien für eine Drogengefährdung und deren Grad. An einer anhand der Beurteilungskriterien nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit einem stabilen Einstellungswandel bzw. einer angemessenen Problembewältigung fehlt es hingegen bislang (vgl. dazu Kriterien D 3.3 K bis D 3.5 K der Beurteilungskriterien [Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie – DGVP – und Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin – DGVM –, 3. Aufl. 2013, S. 189 ff. und 4. Aufl. 2022, S. 172 ff.]). Entgegen der Auffassung der Beschwerde kann diese medizinisch-psychologische Beurteilung auch nicht durch bloße Abstinenznachweise ersetzt werden, da eine etwaige Abstinenz nichts über deren Stabilität besagt (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2021 – 11 CS 21.1933 – juris Rn. 12).
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cc) Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht aber auch zutreffend angenommen, dass die im Zuge der Begutachtung und im Nachgang dazu beigebrachten Urinproben ungeeignet sind, um eine Abstinenz über den Zeitraum von sechs Monaten zu belegen, den das Gutachten im konkreten Fall für erforderlich erachtet hat. Anders als die Beschwerde meint, ist das Ergebnis der anlässlich der Begutachtung am 31. August 2021 abgegebenen Urinprobe insoweit nach den in den Beurteilungskriterien formulierten Kriterien für die chemisch-toxikologische Untersuchung (CTU-Kriterien) nicht verwertbar. Denn der Termin war, wie das Gutachten ausführt, nicht unvorhersehbar (vgl. dazu Kriterium CTU 1 Nr. 6 und 17 der 3. Aufl. der Beurteilungskriterien, a.a.O. S. 263; Kriterium CTU 1 Nr. 12 und 27 der 4. Aufl., a.a.O. S. 340, 345; Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 323). Mit dem Befund der Urinproben vom 17. März 2022 sowie vom 27. Juni 2022 ist ebenfalls kein Nachweis erbracht, der den CTU-Kriterien genügt. Abgesehen davon, dass kein Kontrollprogramm mit einem im Vorhinein festgelegten Kontrollzeitraum ersichtlich ist (vgl. dazu Kriterium CTU 1 Nr. 1 und 2 der 3. Aufl., a.a.O. S. 263; Kriterium CTU 1 Nr. 2 und 5 der 4. Aufl., a.a.O. S. 339), sind für einen Programmzeitraum von sechs Monaten mindestens vier unauffällige Urinproben vorzusehen (vgl. Kriterium CTU 1 Nr. 3 der 3. Aufl., a.a.O. S. 263; CTU 1 Nr. 7 der 4. Aufl., a.a.O. S. 339). Hier wurden nur zwei Proben vorgelegt.
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dd) Eine Erteilung der Fahrerlaubnis unter Auflagen, etwa der Verpflichtung zur Vorlage von Abstinenznachweisen, ist hier, anders als die Beschwerde meint, ausgeschlossen. Nach § 2 Abs. 4 Satz 2 StVG erteilt die Fahrerlaubnisbehörde, wenn der Bewerber auf Grund körperlicher oder geistiger Mängel nur bedingt zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, die Fahrerlaubnis mit Beschränkungen oder unter Auflagen, wenn dadurch das sichere Führen von Kraftfahrzeugen gewährleistet ist. Aus Sicht des Senats spricht viel dafür, dass die Herstellung der Fahreignung durch Beschränkungen bzw. Auflagen nach Drogenkonsum allenfalls ausnahmsweise in Betracht kommt und jedenfalls eine Entwöhnung mit ausreichendem Abstinenznachweis voraussetzt (siehe Nr. 9.5 der Anl. 4 zur FeV; vgl. zum Alkoholmissbrauch auch BayVGH, B.v. 28.6.2018 – 11 CS 17.2068 – juris Rn. 10). Abgesehen davon könnte eine bedingte Eignung ebenfalls nur angenommen werden, wenn diese in einer medizinisch-psychologischen Begutachtung festgestellt wird.
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ee) Wenn die Beschwerde einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rügt und dabei darauf verweist, der Antragsteller habe zumindest seine bedingte Fahreignung nachgewiesen, geht sie, wie dargelegt, von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, dass es bei einem dauerhaften, generell die Fahreignung ausschließenden Eignungsmangel verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, den Betroffenen vom Führen von Kraftfahrzeugen auszuschließen (vgl. BVerfG, B.v. 20.6.2002 – 1 BvR 2062/96 – NJW 2002, 2378 = juris Rn. 49).
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3. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über seinen Neuerteilungsantrag vom 20. April 2021 glaubhaft gemacht, der möglicherweise – als Minus zu der vor Gericht beantragten vorläufigen Neuerteilung – im Wege der einstweiligen Anordnung gesichert werden könnte (vgl. dazu Dombert in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 210 ff., 219; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 113; Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, 5. Aufl. 2021, § 123 Rn. 86). Ein Anspruch auf Neubescheidung käme allein in Betracht, wenn das vorgelegte negative Fahreignungsgutachten mangelhaft wäre und dies auf den darauf gestützten Bescheid vom 27. September 2022 durchschlüge. Das ist nicht ersichtlich.
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Wenn das Gutachten ausführt, dass die vorgelegten Blutanalysen keine Abstinenz belegen konnten, ist das nachvollziehbar. Das Kriterium CTU 1 sieht für Zwecke der Drogenabstinenzkontrolle nur Urinproben und alternativ eine Haaranalyse vor (Nr. 3 der 3. Aufl. der Beurteilungskriterien, a.a.O. S. 263; Nr. 7 der 4. Aufl., a.a.O. S. 339; vgl. auch Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, S. 324). Überdies waren die Termine zur Probenentnahme nach der im Gutachten wiedergegebenen Auskunft des Antragstellers aber auch selbst gewählt. Wenn dieser meint, er habe die angeforderte Haarprobe deswegen nicht vorgelegt, weil er eine Glatze habe, ist dies im Übrigen nicht in Einklang zu bringen mit der Angabe im Gutachten, der zufolge er am Untersuchungstag unbehandelte Haare im Stirnbereich von etwa fünf Zentimetern Länge hatte.
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4. Demnach hat die Antragsgegnerin den Antragsteller zutreffend auf eine weitere medizinisch-psychologische Begutachtung verwiesen und war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).