Titel:
Erfolgloser Eilantrag auf Erteilung einer (Verfahrens-)Duldung
Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4
AufenthG § 25 Abs. 5, § 25a Abs. 1, § 60a Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Verfahrensduldung kommt nur dann in Betracht, wenn zweifelsfrei ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels besteht und die Sicherung der aufrechtzuerhaltenden Voraussetzungen durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten ist (Anschluss an VGH München BeckRS 2022, 22251). (Rn. 32 – 33 und 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von § 25a Abs. 1 AufenthG ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (entgegen VGH München BeckRS 2018, 32942). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfahrensduldung, Voraussetzungen, entscheidungserheblicher Zeitpunkt
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.02.2023 – 10 CE 23.300
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6067
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert des Antragsverfahrens wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller und Kläger (im Folgenden: Kläger) begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, der Ausländerbehörde zu untersagen, den Kläger abzuschieben, solange das gerichtliche Verfahren anhängig ist bzw. die Ausländerbehörde dazu aufzufordern, eine Zusage abzugeben, dass der Kläger während des gerichtlichen Verfahrens nicht abgeschoben wird.
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Der Kläger ist nach eigenen Angaben gambischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens vom Volk der Sara/Serel. Seinen Angaben zufolge sei der Kläger am *. * 2002 geboren und reiste am 8. Juli 2018 auf dem Landweg mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 31. Juli 2018 einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 8. Oktober 2018 (Az.: *) als unzulässig abgelehnt wurde (Nr. 1 des Bescheids). Nr. 2 des Bescheides bestimmte, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) im Falle des Klägers nicht vorliegen. In Nr. 3 wurde gegenüber dem Kläger die Abschiebung nach Italien angeordnet. Nr. 4 setzte das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung fest.
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Am 11. Juli 2018 stellte der Landkreis A gem. § 42f SGB VIII nach einer Untersuchung des Klägers dessen Alter auf 19 Jahre mit Geburtsdatum *. * 2000 und somit dessen Volljährigkeit fest. Diese Feststellung beruhe auf dem Habitus des Klägers, dessen körperlichem Erscheinungsbild und dem Ergebnis einer Röntgenaufnahme seiner Handwurzelknochen. Im Laufe des Verwaltungsverfahrens legte der Kläger eine Geburtsurkunde und zwei gambische Reisepässe vor, die jeweils als Geburtsdatum das vom Kläger selbst angegebene Datum *. * 2002 benennen. Eine Untersuchung dieser Dokumente ergab keine erkennbaren Fälschungsmerkmale. Die Richtigkeit des Inhalts der Dokumente sei ausdrücklich nicht überprüft worden.
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Eine Überstellung nach Italien scheiterte am Widerstand des Klägers.
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Nach Ablauf der Überstellungsfrist führte die Beklagte das Asylbegehren des Klägers im nationalen Verfahren weiter.
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Das Bundesamt hob mit Bescheid vom 5. August 2019 (Gz. *), dem Kläger zugestellt laut Postzustellungsurkunde am 9 August 2020, den Bescheid vom 8. Oktober 2018 auf. Der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 2), auf Asylanerkennung (Ziff. 3) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziff. 4) wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziff. 5). Die Abschiebung nach Gambia wurde angedroht (Ziff. 6). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 7).
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Eine hiergegen durch den Kläger erhobene Klage vom 12. August 2019 wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 21. Oktober 2020 als offensichtlich unbegründet abgewiesen (Az. Au 5 K 19.31043), nachdem bereits der Antrag des Klägers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburgs vom 23. August 2019 abgelehnt wurde (Az. Au 5 S 19.31045).
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Mit Schriftsatz vom 1. September 2022 beantragte die Klägerbevollmächtigte bei der Ausländerbehörde des Landratsamtes B eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25a AufenthG, da dieser gut Deutsch spreche und sich bereits seit vier Jahren in Deutschland befinde. Er sei in der Lage, eine Ausbildung zu machen, wenn er die Genehmigung hierzu erhalten würde.
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Mit Bescheid vom 9. September 2022 wurde dieser Antrag von dem Beklagten abgelehnt. Zur Begründung führt der Beklagte im Wesentlichen aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits über 21 Jahre alt gewesen und daher der Antrag bereits zu spät gestellt worden sei. Darüber hinaus habe der Kläger keinen Schulbesuch nachgewiesen. Auch die Voraussetzungen der § 25 Abs. 5 AufenthG und § 25b AufenthG lägen nicht vor.
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Hiergegen erhob der Kläger über seine Bevollmächtigte am 14. Oktober 2022 Klage und beantragte, den Bescheid des Beklagten vom 9. September 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung erneut zu entscheiden. Zur Begründung führt die Klägerbevollmächtigte im Wesentlichen aus, dass der Kläger nachweislich am *. * 2002 geboren sei und daher die Antragstellung noch rechtzeitig erfolgt sei.
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Mit Schriftsatz vom 9. November 2022 beantragt die Klägerbevollmächtigte,
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im Wege der einstweiligen Anordnung, der Ausländerbehörde zu untersagen, den Kläger abzuschieben, solange das gerichtliche Verfahren anhängig ist bzw. die Ausländerbehörde aufzufordern, eine Zusage abzugeben, dass der Kläger während des gerichtlichen Verfahrens nicht abgeschoben wird.
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Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass ein erfolgreicher Schulbesuch lediglich als Richtwert für die Integration anzusehen, aber keine zwingende Voraussetzung für eine gute Integration sei. Da die Pässe des Klägers von dem Beklagten nicht anerkannt und ihm eine Ausbildung nicht erlaubt worden sei, seien die Integrationsversuche des Klägers an dem Verhalten des Beklagten gescheitert. Das Alter der Antragsteller im Rahmen des § 25a AufenthG sei zwischenzeitlich durch Gesetzesänderung auf 27 Jahre heraufgesetzt worden. Der Kläger habe daher den Antrag rechtzeitig gestellt. Darüber hinaus weise diese Gesetzesänderung darauf hin, dass der erfolgreiche Schulbesuch lediglich ein Indikator für die Integration und keine zwingende Voraussetzung sein könne, da so auch Personen, die im Alter von 24 Jahren eingereist seien, von der Regelung umfasst seien. Die Einholung eines Visums sei für eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25a AufenthG nicht erforderlich, da dieser Visumzwang den Zweck der für Kinder und Jugendlichen geschaffenen Norm des § 25a AufenthG konterkarieren würde.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen und den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen.
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Die Klägerbevollmächtigte habe keine tragfähigen Nachweise vorgetragen, die die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 4 AufenthG belegen könnten. Das Visumserfordernis des § 5 AufenthG gelte uneingeschränkt auch für die Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG. Zwischenzeitlich sei auch die Voraussetzung des „geduldeten Ausländers“ nicht mehr gegeben, da die Duldung des Klägers am 3. Februar 2023 abgelaufen sei und er auch keinen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Duldung habe.
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Der Kläger befindet sich seit dem 3. Februar 2023 in Abschiebehaft, die spätestens am 20. Februar 2023 endet (Amtsgericht C, B.v. 3.2.2023, Az. *).
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Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2023 übersandte die Klägerbevollmächtigte einen Hinweis des Landgerichts D im Haftbeschwerdeverfahren * vom 8. Februar 2023, in dem die Kammer vorläufig zum Vorliegen der Fluchtgefahr Stellung nimmt. In diesem Zusammenhang geht das Landgericht auch auf eine ggf. erfolgte Identitätstäuschung durch den Kläger ein. Der Kläger habe konstant als Geburtsdatum den *. * 2002 angegeben, der sich auch aus den vorgelegten – und als echt befundenen – Dokumenten (zwei Reisepässe und Geburtsurkunde) ergebe. Der sichere Schluss auf ein Geburtsjahr 2000 allein durch die getroffenen Feststellungen zur Altersbestimmung ohne Durchführung weiterer Untersuchungen wie beispielsweise eine zahnärztliche Untersuchung oder die Untersuchung der Schlüsselbeine sei fraglich. Ein nachprüfbares Gutachten liege der Kammer nicht vor. Es sei daher auch fraglich, ob der Kläger über seine Identität getäuscht habe. Es falle zudem auf, dass auch der Beklagte nach Vorlage des Reisepasses wohl davon ausgegangen sei, dass die Identität des Klägers mit dem Geburtsdatum *. * 2002 geklärt sei, da das Geburtsjahr des Klägers im AZR nach Prüfung des Reisepasses am 29. Juni 2020 auf 2002 korrigiert und das angenommene Geburtsjahr 2000 nunmehr unter den Aliaspersonalien des Klägers geführt werde. Erst nach Beantragung der Aufenthaltserlaubnis und der Ablehnung dieses Antrags sei am 29. September 2022 erneut eine Korrektur des Geburtsjahres im AZR vorgenommen worden, sodass das Geburtsjahr 2000 als zutreffendes Geburtsjahr und das Geburtsjahr 2002 erneut als Alias-Personalie erfasst gewesen sei.
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Die Klägerbevollmächtigte führt ergänzend aus, dass es an der Entscheidung des Beklagten läge, dass der Kläger aktuell nicht mehr geduldet sei, seitdem er in Abschiebehaft genommen worden sei, obwohl es kein Anzeichen für eine Fluchtgefahr gegeben habe. In den bayerischen Anwendungshinweisen bezüglich des neuen Bleiberechts hieße es, dass durch die Verweigerung der Duldungen nicht die Beantragung der Aufenthaltsgenehmigungen abgelehnt werden dürfe. Der Kläger verfüge über einen Ausbildungsplatz. Er habe die Schule nicht weiter besuchen dürfen und nicht weiterarbeiten dürfen, was auf der Nichtanerkennung seiner Identität und der Abänderung seines Geburtsdatums beruhe. Aus diesem Grund könnten keine Nachweise hinsichtlich eines Schulbesuchs vorgelegt werden, wobei es jedoch auf den Nachweis des Schulbesuchs nicht ankäme, wenn der Antrag bis zum Alter von 27 Jahren gestellt werden dürfe, da in diesem Alter die Betroffenen diese Schulen nicht mehr besuchen dürften. Dem Kläger stehe zudem ein Folgenbeseitigungsanspruch zu, da der Beklagte durch Abänderung des Geburtsdatums und Behandlung als Volljähriger anders behandelt worden sei als andere Ausländer, die Pässe und Geburtsurkunden vorgelegt hätten. Er habe weder arbeiten noch eine Ausbildung absolvieren dürfen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
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1. Der Antrag nach § 123 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.
22
a) Der Antrag nach § 123 VwGO ist zulässig.
23
b) Der Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet.
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Entscheidung über die Sach- und Rechtslage ist derjenige der gerichtlichen Entscheidung.
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aa) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Klägers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Kläger glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO).
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bb) Der Kläger hat im entscheidungserheblichen Zeitpunkt keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Weder ergibt sich ein Anspruch auf eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1, 3 AufenthG (unter (2)), noch sind die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Verfahrensduldung gegeben (unter (3)) .
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(1) Die Ausreisepflicht des Klägers wurde am 21. Oktober 2020 aufgrund seines rechtskräftigen ablehnenden Asylbescheids vollziehbar (§ 50 Abs. 1 AufenthG, § 58 Abs. 2 AufenthG).
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(2) Der Kläger hat nach summarischer Prüfung im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1, 3 AufenthG.
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(a) Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Ferner kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG).
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(b) Gründe, die die Annahme einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG rechtfertigen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere hat er im Bundesgebiet keine wesentlichen schutzwürdigen Bindungen. Ob er hypothetisch eine Schule hätte besuchen oder eine Ausbildung absolvieren können, wäre er von Anfang an als Minderjähriger behandelt worden, ist dabei unerheblich, da keine derartigen Bindungen aufgebaut wurden. Einen Folgenbeseitigungsanspruch, im Nachhinein so gestellt zu werden, als hätte er eine Schul- oder Berufsausbildung durchlaufen, hat der Kläger erst recht nicht. Wäre er bereits bei seiner Einreise nicht unter Verstoß gegen § 3 AufenthG ohne, sondern mit einem formal echten und inhaltlich wahren Reisepass seines Herkunftsstaats eingereist, wäre er voraussichtlich nach diesem Dokument behandelt worden. Die Ursache seiner Identitäts- und Alterszweifel hat der Kläger gesetzt, nicht der Beklagte.
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(c) Weitere Gründe, aus denen sich ein materieller Duldungsanspruch des volljährigen, erwerbs- und kinderlosen sowie alleinstehenden Klägers im entscheidungserheblichen Zeitpunkt ergeben sollte, sind weder hinreichend substantiiert vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Seiner Abschiebung stehen auch keine inlandsbezogenen tatsächlichen Abschiebehindernisse (z.B. fehlender Reisepass) entgegen.
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(3) Ferner kommt nach summarischer Prüfung auch kein Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung in Betracht.
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(a) Es widerspräche der durch §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG vorgegebenen Systematik und Konzeption des Aufenthaltsgesetzes, der zufolge für die Dauer eines Erteilungsverfahrens nur unter den in § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG geregelten Voraussetzungen ein vorläufiges Bleiberecht besteht, darüber hinaus derartige „Vorwirkungen“ anzuerkennen und für die Dauer eines Erteilungsverfahrens regelmäßig eine Duldung vorzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2022 – 19 CE 22.12 – juris Rn. 9).
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(b) Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist nach Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausnahme nur dann zu machen und kommt eine Verfahrensduldung in Betracht, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich bereits gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2022 – 19 CE 22.12 – juris Rn. 9).
Eine mithin lediglich ausnahmsweise mögliche Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG kommt also nur in Betracht, wenn zweifelsfrei ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels besteht und die Sicherung der aufrechtzuerhaltenden Voraussetzungen durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2022 – 19 CE 22.12 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 1.7.2022 – 19 CE 22.1262 – juris Rn. 8).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG sind aller Voraussicht nach ebenso wenig gegeben wie die einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
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Der Kläger hat nach summarischer Prüfung erstens keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG glaubhaft gemacht, da er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein geduldeter Ausländer im Sinne des § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist.
Tatbestandliche Voraussetzung des § 25a Abs. 1 AufenthG ist, dass es sich bei dem Kläger um einen jugendlichen oder jungen volljährigen Ausländer handelt, der Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG oder seit mindestens zwölf Monaten im Besitz einer Duldung ist. Insoweit ist hinsichtlich des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG a.F. anerkannt, dass der Ausländer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geduldet sein muss (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2022 – 10 CE 22.1925 – juris Rn. 6). Geduldet ist ein Ausländer, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat. Maßgeblicher Zeitpunkt ist nicht der Zeitpunkt der Antragstellung, sondern der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2022 – 10 CE 22.1925 –, Rn. 6, juris m.w.N.). Aufgrund der insoweit – sowohl in der alten als auch der neuen Fassung – wortlautgleichen Regelung des § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG („geduldeter Ausländer“) ist vorliegend ebenfalls auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (a.A. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 CE 17.2453 – juris Rn. 19 – Zeitpunkt der Antragstellung). Zu diesem Zeitpunkt ist der Kläger aber weder geduldet, noch liegen nach summarischer Prüfung materielle Duldungsgründe vor:
Der seit dem 7. Oktober 2019 nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG geduldete Kläger ist mit Ablauf des 3. Februar 2023 nicht mehr im Besitz einer Duldung. Er hat darüber hinaus auch keinen Anspruch auf Ausstellung einer solchen (vgl. oben).
Ein Anspruch auf Duldung entsteht auch nicht dadurch, dass er einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG gestellt hatte und ihm allein deswegen eine weitere Duldung hätte erteilt werden müssen, damit er die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen kann. Denn eine Verfahrensduldung wird zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG erteilt, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Verfahrens aufrechtzuerhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommen kann. Sie kann jedoch nicht dazu dienen, die bisher nicht erfüllten Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels überhaupt erst herbeizuführen (vgl. zu § 25b AufenthG BayVGH, B.v. 12.9.2022 – 10 CE 22.1925 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Ungeachtet dessen lagen sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung am 1. September 2022 als auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG notwendigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 AufenthG vor, insbesondere nicht die Einreise mit dem erforderlichen Visum nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Zwar kann nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in den übrigen Fällen der Erteilung eines (humanitären) Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 (also auch hinsichtlich des hier im Streit stehenden § 25a AufenthG) von der Anwendung der Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abgesehen werden. Insoweit ist jedoch eine Ermessensentscheidung erforderlich. Der Kläger hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Denn grundsätzlich kann vorläufiger Rechtsschutz zur Sicherung eines Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bei einer Einreise ohne das erforderliche Visum nur dann gewährt werden, wenn keine Zweifel am Anspruch auf die Titelerteilung oder der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens bestehen und keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können. Vorliegend ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht, dass gemäß § 5 Abs. 2 AufenthG vom Erfordernis des Sichtvermerkverfahrens abzusehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2022 – 19 CE 22.12 – juris Rn. 18 m.w.N. sowie VG Augsburg, U.v. 19.10.2022 – Au 6 K 22.469 – Rn. 46). § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ist entgegen des Vorbringens der Klägerbevollmächtigten auf die Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG uneingeschränkt anwendbar. Aus der Gesetzessystematik ergibt sich klar, dass jeweils ausdrücklich vom Erfordernis des Visumsverfahrens abgesehen ist, wenn dies gesetzgeberisch gewollt ist (vgl. beispielsweise den Wortlaut des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG: Einem Ausländer, …, soll abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn…“). Eine Anpassung des Gesetzes wortlautes im Rahmen der Gesetzesänderung, in der auch die Altersgrenze bei Antragstellung heraufgesetzt wurde, ist bewusst nicht erfolgt.
Darüber hinaus wurde vom Kläger weder ein dreijähriger Schulbesuch noch der Erwerb eines Berufsabschlusses gem. § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nachgewiesen. Ausweislich des Wortlautes kann hiervon lediglich dann abgesehen werden, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann. Abgesehen von diesem Ausnahmetatbestand stellt das Erfordernis des Schulbesuchs bzw. des Berufsabschlusses eine zwingende Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis dar. Aus welchen Gründen diese Voraussetzung nicht gegeben ist, spielt hierbei keine Rolle. Der Kläger hat lediglich vom 5. November 2018 bis 6. Mai 2019 einen Deutschkurs an Berufsschulen besucht. Einen weiteren Schulbesuch oder den Erwerb einer Berufsausbildung hat er nicht dargelegt. Hieran ändert auch die mit Schriftsatz vom 8. Februar 2023 vorgelegte E-Mail mit dem Inhalt eines Ausbildungsangebots für die Zukunft nichts.
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Zweitens scheidet nach summarischer Prüfung ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen eines Ausreisehindernisses aus.
Es liegen auch weder inlands- noch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote vor. Ein solches ergibt sich auch nicht aus Art. 6 GG, da der Kläger volljährig und ledig ist und keine Personensorge für eigene aufenthaltsberechtigte Kinder ausübt oder für andere betreuungsbedürfte Familienmitglieder im Bundesgebiet sorgen muss.
Die Ausreise ist auch nicht aus tatsächlichen Gründen unmöglich, da dem Kläger mit dem unbefristeten gambischen Heimreiseschein die Ausreise möglich ist. Auch eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise gem. Art. 8 EMRK ist nicht gegeben, da eine besondere Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet nicht glaubhaft gemacht wurde (vgl. oben).
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Ferner ist hinsichtlich des Absehens von den übrigen notwendigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 AufenthG im Ermessenswege (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) ebenfalls keine Ermessensreduktion auf Null glaubhaft gemacht (vgl. oben sowie BayVGH, B.v. 24.2.2022 – 19 CE 22.12 – juris Rn. 18 m.w.N.).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Antragsverfahren folgt aus §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.