Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.03.2023 – 9 ZB 22.2019
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag im baurechtlichen  Verfahren gegen eine Beseitigungsanordnung für eine im Außenbereich errichtete Treppenanlage.

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BayBO Art. 76
BauGB § 35
Leitsatz:
Der Eintritt der im Vertrag geregelten Bedingung der Nutzungsaufgabe ist nach den allgemein im Baurecht geltenden Grundsätzen zu beurteilen, also im Wege einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht eines objektiven Dritten und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, nicht jedoch nach dem subjektiven Willen der Nutzer. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, öffentlich-rechtlicher Vertrag, Treppenanlage, Duldung, Nutzungsaufgabe
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 22.06.2022 – W 4 K 22.1026
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6065

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger wenden sich gegen eine Beseitigungsanordnung für eine im Außenbereich aus Beton errichtete Treppenanlage.
2
Die Kläger schlossen als Miteigentümer der in einem FFH-Gebiet gelegenen Grundstücke FlNr. … … und …, Gemarkung S. am 7. Juli 2010 mit der Beklagten einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, in dem sie erklärten, dass Einigkeit darüber bestehe, dass die dort befindlichen baulichen Anlagen (u.a. ein Gartenhaus mit Freisitz, die Treppenanlage und eine Betonstützwand) von den Klägern zu beseitigen seien. Die Beklagte räumte ihnen allerdings einen Aufschub für die Dauer der persönlichen Nutzung ein. Mit Nutzungsaufgabe des letzten Eigentümers sei die Beseitigung durchzuführen. Die Beklagte behielt sich außerdem vor, bei Nichterfüllung von Verpflichtungen aus dem Vertrag entsprechende Anordnungen zu erlassen.
3
Auf der Grundlage von zwei Baukontrollen und nach Anhörung der Kläger verpflichtete die Beklagte diese mit Bescheid vom 23. März 2020, die im Einzelnen bezeichneten Anlagen, vor allem die streitgegenständliche Treppenanlage sowie das Gartenhaus mit Freisitz und die Betonstützwand (Streitgegenstand in den Verfahren 9 ZB 22.2018 und 9 ZB 22.2020) zu beseitigen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf verwiesen, dass aufgrund des bei den Kontrollen festgestellten Zustands von einer Nutzungsaufgabe auszugehen sei. Der Beseitigungsaufschub sei damit erloschen.
4
Nach Durchführung eines Augenscheins hat das Verwaltungsgericht Würzburg die gegen den Bescheid erhobene Anfechtungsklage mit Urteil vom 22. Juni 2022 abgewiesen. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
5
Bezüglich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
6
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt.
7
Aus dem Vorbringen der Kläger ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 – 1 BvR 1521/17 – juris Rn. 10; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 8). Ob dies der Fall ist, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Hieraus ergeben sich solche Zweifel nicht. Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass die Beseitigungsanordnung vom 23. März 2020 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt. Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren folgendes zu bemerken:
8
Mit dem Einwand, die Nutzung sei nicht aufgegeben worden, können die Kläger nicht durchdringen. Der Eintritt der im Vertrag geregelten Bedingung der Nutzungsaufgabe ist nach den allgemein im Baurecht geltenden Grundsätzen zu beurteilen (vgl. zu diesen NdsOVG, B.v. 25.3.2021 – 1 MN 20/21 – juris Rn. 21 ff. m.w.N.), also im Wege einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht eines objektiven Dritten und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, nicht jedoch nach dem subjektiven Willen der Nutzer, wie die Kläger meinen. In der vertraglichen Vereinbarung finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass abweichend von diesen Maßstäben entscheidend auf den (inneren) Willen der Eigentümer abzustellen sei, dass strengere Anforderungen in Bezug auf die Dauer einer Nutzungsaufgabe zu stellen seien oder dass es auf den vom Verwaltungsgericht als „recht verwahrlost“ beschriebenen Zustand des Grundstücks nicht ankommen könne. Das Verwaltungsgericht hat auch nachvollziehbar dargelegt, warum es auf der Grundlage der beim Augenschein getroffenen Feststellungen zum Gesamtzustand des Grundstücks von einer Nutzungsaufgabe ausgeht und dass keine Anhaltspunkte für eine Bienenzucht erkennbar waren. Im Übrigen sind die in der Zulassungsbegründung gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts erhobenen Bedenken nicht berechtigt. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 31.10.2012 – 2 B 33.12 – juris Rn. 12), oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2012 – 10 B 27.12 – juris Rn. 8). Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist wegen einer fehlerhaften Beweiswürdigung demnach nur dann gegeben, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind und nicht bereits dann, wenn lediglich eine andere Bewertung der Beweisaufnahme möglich erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2013 – 8 ZB 11.2030 – juris Rn. 17 m.w.N.). Ein solcher zur Zulassung der Berufung führender Mangel der Beweiswürdigung lässt sich dem Vorbringen der Kläger nicht entnehmen. Insofern fehlt es an einem substantiierten Vortrag, etwa zur angeblichen Nutzung zum Zweck der Bienenzucht.
9
Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf einen Gleichheitsverstoß berufen. Vielmehr hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, warum die angeführten Bezugsfälle nicht vergleichbar sind. Soweit sich auf den genannten Grundstücken Bebauung befindet und diese innerhalb des FFH-Gebiets liegen, seien entweder entsprechende vertragliche Vereinbarungen geschlossen worden oder es sei eine Beseitigungsanordnung ergangen. Im Abschluss einer Duldungsvereinbarung kann – entgegen dem Einwand der Kläger – keine Ungleichbehandlung gesehen werden, weil eine solche auch in Bezug auf die streitgegenständlichen Anlagen bestand. Dass die Nutzung nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts aufgegeben wurde, liegt allein in der klägerischen Sphäre.
10
Der Vortrag, die Beseitigung verursache unverhältnismäßige Kosten, und die Vermutung, dass der gesamte Hang des Grundstücks ins Rutschen gerate, lassen ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils aufkommen. Es fehlt an einem substantiierten, den Darlegungsanforderungen genügenden Vortrag zum Kostenaufwand und zu den möglichen Folgen der Beseitigung. Stattdessen wird die Unverhältnismäßigkeit der Beseitigungsanordnung lediglich behauptet. Anhand der beim Augenschein gefertigten Bilder sowie der zahlreichen weiteren, in den Akten vorhandenen Fotos sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass bei Beseitigung der Treppenanlage sowie der Betonstützmauern unzumutbare Folgen drohen oder konkrete Gefahren entstehen könnten. Allein der Umstand, dass die angelegten terrassenförmigen Bereiche nicht dauerhaft fortbestehen dürften, genügt dafür nicht. Dem entsprechend ist auch das Verwaltungsgericht – ungeachtet des allgemeinen Hinweises beim Augenschein auf ein mögliches Absinken von Hangteilen – im streitgegenständlichen Urteil von keinen unverhältnismäßigen Auswirkungen ausgegangen und hat – bezogen auf den öffentlichen Belang, den Außenbereich von Bebauung freizuhalten – eine Schutzwürdigkeit der Kläger verneint. Die Beklagte hat zudem zu Recht mehrfach darauf hingewiesen, dass die Kläger sich in der streitgegenständlichen Vereinbarung ausdrücklich zur Beseitigung verpflichtet haben sowie dazu, Maßnahmen an den Baulichkeiten, vor allem Erneuerungen der Bausubstanz, zu unterlassen. Insofern hätte es einer substantiierten Darlegung bedurft, warum die Beseitigung dennoch unzumutbar sein soll. Hierfür genügt auch der Verweis auf die erstinstanzlichen Schriftsätze nicht, weil auch diesen keine entsprechenden Ausführungen zu entnehmen sind.
11
Entgegen den klägerischen Einwendungen sind auch keine Ermessensfehler bei Erlass des Bescheids ersichtlich. Der Vortrag, das Verwaltungsgericht habe das ihm zustehende Ermessen nicht oder nur fehlerhaft betätigt, geht schon deshalb ins Leere, weil von Seiten des Gerichts – anders als etwa in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – kein eigenständiges Ermessen auszuüben war. Vielmehr wurde der Verwaltungsakt zu Recht nur auf Ermessensfehler überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
12
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO)