Titel:
Vorliegen einer Nutzungsaufgabe
Normenketten:
BauGB § 35
BayBO Art. 76
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Der Eintritt einer in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag geregelten Bedingung der Nutzungsaufgabe ist nach den allgemein im Baurecht geltenden Grundsätzen zu beurteilen, also im Wege einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht eines objektiven Dritten und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, nicht jedoch nach dem subjektiven Willen der Nutzer. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, öffentlich-rechtlicher Vertrag, Gartenhaus mit Freisitz, Duldung, Nutzungsaufgabe, Auslegung, Gesamtbetrachtung, Gartenhaus, Dauer
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 22.06.2022 – W 4 K 22.1023
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6063
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Kläger wenden sich gegen eine Beseitigungsanordnung für ein Gartenhaus mit Freisitz im Außenbereich.
2
Die Kläger schlossen als Miteigentümer der Grundstücke FlNr. ... und …, Gemarkung S. … am 7. Juli 2010 mit der Beklagten einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, in dem sie erklärten, dass Einigkeit darüber bestehe, dass die dort befindlichen baulichen Anlagen (u.a. das Gartenhaus mit Freisitz, eine Treppenanlage und eine Betonstützwand) von den Klägern zu beseitigen seien. Die Beklagte räumte ihnen allerdings einen Aufschub für die Dauer der persönlichen Nutzung ein. Mit Nutzungsaufgabe des letzten Eigentümers sei die Beseitigung durchzuführen. Die Beklagte behielt sich außerdem vor, bei Nichterfüllung von Verpflichtungen aus dem Vertrag entsprechende Anordnungen zu erlassen.
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Auf der Grundlage von zwei Baukontrollen und nach Anhörung der Kläger verpflichtete die Beklagte diese mit Bescheid vom 23. März 2020, die im Einzelnen bezeichneten Anlagen, vor allem das streitgegenständliche Gartenhaus mit Freisitz sowie die Treppenanlage und die Betonstützwand (Streitgegenstand in den Verfahren 9 ZB 22.2019 und 9 ZB 22.2020) zu beseitigen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf verwiesen, dass aufgrund des bei den Kontrollen festgestellten Zustands von einer Nutzungsaufgabe auszugehen sei. Der Beseitigungsaufschub sei damit erloschen.
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Nach Durchführung eines Augenscheins hat das Verwaltungsgericht Würzburg die gegen den Bescheid erhobene Anfechtungsklage mit Urteil vom 22. Juni 2022 abgewiesen. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
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Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt.
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Aus dem Vorbringen der Kläger ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 – 1 BvR 1521/17 – juris Rn. 10; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 8). Das ist hier nicht der Fall. Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass die Beseitigungsanordnung vom 23. März 2020 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt. Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren folgendes zu bemerken:
8
Mit dem Einwand, die Nutzung sei nicht aufgegeben worden, können die Kläger nicht durchdringen. Der Eintritt der im Vertrag geregelten Bedingung der Nutzungsaufgabe ist nach den allgemein im Baurecht geltenden Grundsätzen zu beurteilen (vgl. zu diesen NdsOVG, B.v. 25.3.2021 – 1 MN 20/21 – juris Rn. 21 ff. m.w.N.), also im Wege einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht eines objektiven Dritten und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, nicht jedoch nach dem subjektiven Willen der Nutzer, wie die Kläger meinen. In der vertraglichen Vereinbarung finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass abweichend von diesen Maßstäben entscheidend auf den (inneren) Willen der Eigentümer abzustellen sei, dass strengere Anforderungen in Bezug auf die Dauer einer Nutzungsaufgabe zu stellen seien oder dass es auf den vom Verwaltungsgericht als „völlig verwahrlost“ beschriebenen Zustand des Grundstücks nicht ankommen könne. Das Verwaltungsgericht hat auch nachvollziehbar dargelegt, warum es auf der Grundlage der beim Augenschein getroffenen Feststellungen zum Gesamtzustand des Grundstücks von einer Nutzungsaufgabe ausgeht und dass keine Anhaltspunkte für eine Bienenzucht erkennbar waren. Im Übrigen sind die in der Zulassungsbegründung gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts erhobenen Bedenken nicht berechtigt. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 31.10.2012 – 2 B 33.12 – juris Rn. 12), oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2012 – 10 B 27.12 – juris Rn. 8). Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist wegen einer fehlerhaften Beweiswürdigung demnach nur dann gegeben, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind und nicht bereits dann, wenn lediglich eine andere Bewertung der Beweisaufnahme möglich erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2013 – 8 ZB 11.2030 – juris Rn. 17 m.w.N.). Ein solcher zur Zulassung der Berufung führender Mangel der Beweiswürdigung lässt sich dem Vorbringen der Kläger nicht entnehmen. Insofern fehlt es an einem substantiierten Vortrag, etwa zur angeblichen Nutzung zum Zweck der Bienenzucht.
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Innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO haben die Kläger keine Einwendungen in Bezug auf vermeintliche Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot und auf die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht, so dass ihr Vortrag im Schriftsatz vom 16. Januar 2023 verspätet ist. Im Übrigen kann insofern auf den Beschluss im Verfahren 9 ZB 22.2019 verwiesen werden.
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Entgegen der klägerischen Rüge sind Ermessensfehler bei Erlass des Bescheids nicht ersichtlich. Es ist nicht nachvollziehbar, warum sich aus der vertraglichen Vereinbarung eine höhere Schutzwürdigkeit der Kläger ergeben sollte, die im Rahmen der Ermessensausübung hätte berücksichtigt werden müssen. Die Beklagte hat – ausweislich der Gründe des streitgegenständlichen Bescheids – ihr Ermessen zutreffend erkannt und auch die vertragliche Vereinbarung in ihre Erwägungen einbezogen. Im Übrigen geht der Vortrag, das Gericht habe bei seiner Ermessensentscheidung das Vertragsverhältnis nicht berücksichtigt, schon deshalb ins Leere, weil von Seiten des Verwaltungsgerichts – anders als etwa in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes – kein eigenständiges Ermessen auszuüben war. Vielmehr wurde der Verwaltungsakt zu Recht nur auf Ermessensfehler überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO)