Inhalt

VGH München, Beschluss v. 21.03.2023 – 23 CS 22.2677
Titel:

Unionsrechtswidrigkeit des Mindestabstands von Wettannahmestellen zu Schulen

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
GlüStV 2021 § 4 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 1 S. 2, S. 3 Nr. 3
AGGlüStV Art. 7 Abs. 2 Nr. 4
AEUV Art. 56
Leitsätze:
1. Das in Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV für Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft normierte Abstandsgebot, wonach diese grundsätzlich 250 m Luftlinie Abstand zu bestehenden Schulen für Kinder und Jugendliche, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, die sich an Kinder im Alter von mindestens sechs Jahren richten, sowie Suchtberatungs- und -behandlungsstellen einhalten müssen, verstößt voraussichtlich gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot, da für Spielhallen trotz vergleichbarer Außenwirkung („Reiz des Verbotenen“) keine entsprechenden Vorgaben bestehen, obwohl das Gefährdungs- und Suchtpotenzial von Geldspielgeräten auch für Jugendliche als mindestens ebenso hoch wie das von Sportwetten anzusehen ist. (Rn. 58)
2. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts steht Art. 56 AEUV deshalb einer Anwendung von Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV auf Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft, in denen Sportwetten für einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Veranstalter, der über eine Erlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 zur Veranstaltung von Sportwetten verfügt, vermittelt werden, vorläufig entgegen. (Rn. 83)
Das Fehlen der erforderlichen Erlaubnis rechtfertigt grundsätzlich die Untersagung der Sportwettvermittlung, wenn diese mangels Erfüllung der Erlaubnisvoraussetzungen offensichtlich nicht erlaubnisfähig ist, sofern die Erlaubnisvoraussetzungen ihrerseits unionsrechtskonform sind (Anschluss an OVG Bautzen BeckRS 2022, 30341; OVG Münster BeckRS 2022, 16019). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Glücksspielrecht, Vermittlung von Sportwetten für einen im EU-Ausland ansässigen Veranstalter, Untersagung des Betriebs einer Wettvermittlungsstelle, Abstandsgebot, Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstands zu Schule, Jugend- und Spielerschutz, Inkohärenz im Hinblick auf Geldspielgeräte, Anwendungsvorrang des Unionsrechts, Dienstleistungsfreiheit, Vermittlung von Sportwetten, Erlaubnisvorbehalt, Gründe des Allgemeininteresses, Vorbeugung und Bekämpfung der Spielsucht
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 14.12.2022 – RN 5 S 22.1395
Fundstellen:
LSK 2023, 6061
GewA 2023, 243
BeckRS 2023, 6061
NVwZ-RR 2023, 662

Tenor

I. In Abänderung von Ziffer I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. Dezember 2022 wird die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Ziffern 2. und 3. des Bescheids des Antragsgegners vom 5. Mai 2022 angeordnet.
II. In Abänderung von Ziffer II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. Dezember 2022 trägt der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin verfolgt mit der Beschwerde ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Verfügungen des Antragsgegners anzuordnen, mit denen ihr die Vermittlung von Sportwetten am Standort S.straße … in P. unter Zwangsgeldandrohung untersagt wurde.
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Die Antragstellerin betreibt dort seit 2015 eine Wettvermittlungsstelle. Ab 2017 vermittelte sie in dieser Sportwetten für die in Österreich ansässige Firma B. ... (B. GmbH). Mit an die B. GmbH gerichtetem Bescheid der Regierung von N. (Regierung) vom 21. Dezember 2017 wurde die Wettvermittlungsstelle der Antragstellerin ausdrücklich geduldet. Nachdem die B. GmbH der Regierung am 21. August 2018 mitgeteilt hatte, dass seit Anfang Juli 2018 keine Wettannahmestellen mehr betrieben würden und der Wettbetrieb eingestellt worden sei, erklärte die Regierung mit Schreiben vom 22. August 2018 an die B. GmbH, dass die Duldung der Wettvermittlungsstelle der Antragstellerin nach Nr. 2 Satz 2 des Duldungsbescheids ende.
3
Die Firma T. ... … (T. Ltd.) mit Sitz in Malta ist als Veranstalterin von Sportwetten seit 2016 auf dem deutschen Markt tätig. Am 3. August 2018 beantragte sie bei der Regierung die Gestattung des Betriebs einer Wettvermittlungsstelle durch die Antragstellerin am streitgegenständlichen Standort. In der Folge wurde zwar keine formelle Duldung des Betriebs der Wettvermittlungsstelle ausgesprochen, gegen die Vermittlung von Sportwetten ohne Erlaubnis bzw. Duldung jedoch nicht eingeschritten.
4
Am 9. Oktober 2020 erhielt die T. Ltd. vom Regierungspräsidium D. eine Konzession zur Veranstaltung von Sportwetten. Am 3. November 2020 beantragte sie bei der Regierung für die Antragstellerin die Erteilung einer Erlaubnis für den Betrieb einer Wettvermittlungsstelle am streitgegenständlichen Standort.
5
Mit Schreiben vom 27. Januar 2022 hörte die Regierung die Antragstellerin zur beabsichtigten Versagung der beantragten Erlaubnis sowie zur Untersagung der künftigen Sportwettvermittlung am streitgegenständlichen Standort an.
6
Mit an die Antragstellerin adressiertem Bescheid vom 5. Mai 2022 lehnte die Regierung den Antrag der T. Ltd. auf Erteilung einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten durch die Antragstellerin in der Wettvermittlungsstelle am Standort S.straße … in … P. ab (Ziffer 1). Zudem wurde der Antragstellerin untersagt, weiter Sportwetten in der Wettvermittlungsstelle am Standort S.straße … in … P. zu vermitteln sowie hierfür zu werben (Ziffer 2). Der Abschluss und die Vermittlung neuer Wettverträge (Wettannahme) sei mit der Bekanntgabe des Bescheids sofort zu unterlassen (Ziffer 2.1). Die Abwicklung bereits geschlossener und vermittelter Wettverträge sei spätestens bis zum Ablauf von 90 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu unterlassen (Ziffer 2.2). Wettunterlagen, Werbeeinrichtungen, technische Einrichtungen und sonstige für den Wettbetrieb erforderliche Gegenstände seien spätestens bis zum Ablauf von 95 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids aus den Geschäftsräumen zu entfernen. Gesetzliche Aufbewahrungsfristen für Unterlagen blieben durch diesen Bescheid unberührt (Ziffer 2.3). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 2.1 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,- EUR (Ziffer 3.1), für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 2.2 ein solches in Höhe von 2.000,- EUR (Ziffer 3.2) und für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 2.3 ein solches in Höhe von 2.000,- EUR (Ziffer 3.3) angedroht. Der Antragstellerin wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt (Ziffern 4 und 5).
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Die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 erforderliche Erlaubnis könne nicht erteilt werden, da der Versagungsgrund des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV entgegenstehe. Die Wettvermittlungsstelle befinde sich in unmittelbarer Nachbarschaft (ca. 65 m Luftlinie) zur FOS/BOS P., sodass der Mindestabstand von 250 m zu einer bestehenden Schule für Kinder und Jugendliche nicht eingehalten werde. Die Übergangsregelung des Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 16 Abs. 2 AGGlüStV greife nicht ein, weil es zum Stichtag 16. Juni 2020 keinen Duldungsbescheid gebe. Eine Ausnahme komme nicht in Betracht. Der Betrieb der Wettvermittlungsstelle werde nach § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 3 GlüStV untersagt, weil er ohne Erlaubnis formell illegal sei und eine Erlaubnis wegen Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV nicht erteilt werden könne.
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Am 13. Mai 2022 ließ die Antragstellerin Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid, hilfsweise Versagungsgegenklage gegen dessen Ziffer 1 erheben (Az. ...) sowie hinsichtlich Ziffern 2 und 3 Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen.
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Mit Beschluss vom 14. Dezember 2022, den Bevollmächtigten der Antragstellerin zugestellt am 20. Dezember 2022, lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 22. Dezember 2022, die sie mit Schriftsatz vom 19. Januar 2023 begründet hat und mit der sie beantragt,
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unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. Dezember 2022 die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Ziffern 2 und 3 des Bescheids des Antragsgegners vom 5. Mai 2022 anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 17. Februar 2023,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
14
Die T. Ltd. verfügt nach der von der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) veröffentlichten gemeinsamen amtlichen Liste (Whitelist, Stand: 14.2.2023, aktuelle-white-list-ggl.pdf (gluecksspiel-behoerde.de)) aktuell über eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021.
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Zu Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
16
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist aufgrund des Beschwerdevorbringens (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Verfügungen in Ziffern 2 und 3 des angefochtenen Bescheids nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO anzuordnen, weil diese aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts (Art. 56 AEUV) voraussichtlich rechtswidrig sind und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sodass kein öffentliches Interesse an deren sofortiger Vollziehung besteht.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist statthaft, weil die Klage gegen die auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 3 des Staatsvertrags zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag 2021 – GlüStV 2021) vom 29. Oktober 2020 (GVBl 2021 S. 97, 288), in Kraft getreten am 1. Juli 2021, verfügte Untersagung der Sportwettvermittlung samt den damit zusammenhängenden Anordnungen sowie die damit verbundenen Zwangsgeldandrohungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 GlüStV 2021, Art. 21a Satz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) keine aufschiebende Wirkung hat.
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2. Der Antrag ist begründet, weil das in Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (AGGlüStV) vom 20. Dezember 2007 (GVBl S. 922) in der Fassung durch § 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (AGGlüStVÄndG 2020) vom 9. Juni 2020 (GVBl S. 287) für Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft normierte Abstandsgebot, auf das die Versagung der nach § 21a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 erforderlichen Erlaubnis sowie die Untersagung der Sportwettvermittlung samt Nebenanordnungen nach § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 3 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021 gestützt werden, voraussichtlich gegen Unionsrecht verstößt. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts steht Art. 56 AEUV deshalb einer Anwendung von Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV auf Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft, in denen – wie hier – Sportwetten für einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Veranstalter, der über eine Erlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 zur Veranstaltung von Sportwetten verfügt, vermittelt werden, vorläufig entgegen.
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2.1 Die Untersagung der Sportwettvermittlung steht zwar voraussichtlich mit den einfachgesetzlichen Vorgaben des nationalen Rechts im Einklang.
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a) Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 GlüStV 2021 kann die zuständige Behörde die erforderlichen Anordnungen im Einzelfall erlassen und insbesondere die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele und die Werbung hierfür untersagen. Öffentliche Glücksspiele dürfen nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde veranstaltet oder vermittelt werden (§ 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021). Das Veranstalten und Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) ist verboten (§ 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021). Die Vermittlung von Sportwetten in Wettvermittlungsstellen bedarf nach § 21a Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021 der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021. Die Erlaubnis für das Vermitteln von Sportwetten setzt eine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten durch die zuständige Behörde im ländereinheitlichen Verfahren nach § 9a Abs. 1 Nr. 3 GlüStV 2021 voraus (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 AGGlüStV). Die Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 für das Vermitteln von Sportwetten darf nur unter den in Art. 2 Abs. 1 AGGlüStV genannten Voraussetzungen erteilt werden. Der Betrieb einer Wettvermittlungsstelle im Hauptgeschäft (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 AGGlüStV) ist unzulässig und die Erlaubnis hierfür unbeschadet Art. 2 Abs. 1 AGGlüStV nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV auch zu versagen, wenn Sportwetten vermittelt werden ohne einen Mindestabstand von 250 m Luftlinie gemessen von Eingangstür zu Eingangstür zu bestehenden Schulen für Kinder und Jugendliche, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, die sich an Kinder im Alter von mindestens sechs Jahren richten, sowie Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstellen, wobei die zuständige Erlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts und der Lage des Einzelfalls Ausnahmen von dem Mindestabstand zulassen kann.
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b) Die Regierung als nach Art. 2 Abs. 4 Nr. 1 AGGlüStV zuständige Erlaubnisbehörde hat die Erteilung der nach § 21a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 erforderlichen Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten abgelehnt, weil dem Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV entgegensteht, da der Mindestabstand zur FOS/BOS P. nicht eingehalten ist und insoweit auch eine Ausnahme nicht in Betracht kommt, und die Sportwettvermittlung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 3 GlüStV 2021 untersagt, weil der Betrieb der Wettvermittlungsstelle am streitgegenständlichen Standort ohne die erforderliche Erlaubnis formell illegal und auch nicht erlaubnisfähig ist.
22
aa) Die Antragstellerin verfügt nicht über die erforderliche Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten. Zwar hat die T. Ltd., die aktuell im Besitz einer Erlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 zur Veranstaltung von Sportwetten ist, als Veranstalter, in dessen Vertriebsorganisation die Antragstellerin als Vermittlerin eingebunden ist, gemäß § 21a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. § 29 Abs. 2 Satz 2 GlüStV 2021 die neben der Veranstaltererlaubnis erforderliche Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten in der Wettvermittlungsstelle der Antragstellerin, die diese im Hauptgeschäft i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 AGGlüStV betreibt, beantragt. Die Regierung hat die Erteilung der Erlaubnis jedoch unter Hinweis auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV abgelehnt. Der gegen die Ablehnung erhobenen Anfechtungs- bzw. Versagungsgegenklage kommt insoweit auch keine aufschiebende Wirkung zu, weil durch die Versagung die Rechtsstellung der Antragstellerin nicht verschlechtert wird, da sie zu keinem Zeitpunkt über eine Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten verfügte und diese auch nicht erlaubnisfrei vermitteln konnte. Das bloße Absehen von einem repressiven Einschreiten gegen ein – möglicherweise – rechtswidriges Verhalten lässt sich mit einer behördlichen Genehmigung, die eine Legalisierungswirkung für die von ihr erlaubte Tätigkeit entfaltet, nicht gleichsetzen (vgl. BVerwG, B.v. 7.11.2018 – 8 B 29.18 – juris Rn. 14).
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bb) Dass der von Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV geforderte Mindestabstand zwischen der streitgegenständlichen Wettvermittlungsstelle und einer bestehenden Schule für Kinder und Jugendliche vorliegend tatsächlich nicht eingehalten wird, ist zwischen den Beteiligten jedenfalls im Ergebnis unstreitig. Die Wettvermittlungsstelle befindet sich in unmittelbarer Nähe in ca. 65 m Luftlinie Entfernung zur Fachoberschule und Berufsoberschule (FOS/BOS) P., wo nach den Angaben der Schulleitung überwiegend 11. und 12. Jahrgangsstufen unterrichtet werden, sodass ein Großteil der Schülerinnen und Schüler, die die Schule besuchen, minderjährig ist. Es ist auch davon auszugehen, dass insoweit keine Ausnahme vom Mindestabstandsgebot in Betracht kommt. Bereits nach dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV können nur örtliche Besonderheiten einen atypischen Fall begründen. Dies kann etwa bei zwischen der Wettvermittlungsstelle und der Schule befindlichen natürlichen Geländehindernissen oder anderen besonderen örtlichen Gegebenheiten wie einer Bahnstrecke der Fall sein, die eine andere Sichtweise als die pauschalisierende Bemessung des Mindestabstands mittels Luftlinie erfordern (vgl. SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 23 <zur entsprechenden Vorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 2 SächsGlüStVAG>). Ein derartiger atypischer Fall liegt hier ersichtlich nicht vor.
24
cc) Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV beansprucht in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen glücksspielrechtlichen Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 1.4.2011 – 10 CS 10.589 – juris Rn. 12; B.v. 27.1.2012 – 10 CS 11.2707 – juris Rn. 13) uneingeschränkt Geltung, und zwar unabhängig davon, ob die streitgegenständliche Wettvermittlungsstelle im Zeitpunkt der Behördenentscheidung aufgrund der Ende 2017 erklärten Duldung unter die Übergangsregelung des Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 16 Abs. 2 AGGlüStV fiel oder ob sie bisher nur faktisch geduldet wurde. Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV trat gemäß § 2 AGGlüStVÄndG 2020 am 17. Juni 2020 in Kraft. Zugleich wurde in Art. 14 Abs. 2 AGGlüStV bestimmt, dass für Wettvermittlungsstellen, für die am 16. Juni 2020 ein Duldungsbescheid bestand, der bis zum 10. Dezember 2019 beantragt worden war, Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV zunächst keine Anwendung finden sollte. Dadurch sollten zuverlässige Betreiber in ihren im Vertrauen auf den Bestand des Duldungsbescheides getätigten Investitionen geschützt und für eine Übergangszeit vom Abstandsgebot befreit werden (vgl. LT-Drs. 18/5861 S. 12). Nach Art. 15 Abs. 2 AGGlüStV sollte Art. 14 Abs. 2 AGGlüStV mit Ablauf des bisherigen Glücksspielstaatsvertrags zum 30. Juni 2021 außer Kraft treten. Durch § 1 Nr. 19 und 20 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland und des Spielbankgesetzes (AGGlüStVÄndG 2021) vom 23. Juni 2021 (GVBl S. 343), in Kraft getreten gemäß § 3 AGGlüStVÄndG 2021 am 1. Juli 2021, wurden die bisherigen Art. 14 und 15 zu Art. 15 und 16 und die Übergangsregelung entsprechend der in § 29 Abs. 3 Satz 1 GlüStV 2021 normierten Verlängerung der Geltungsdauer der Veranstaltererlaubnisse ebenfalls bis 31. Dezember 2022 verlängert (vgl. LT-Drs. 18/14870 S. 17). Demgemäß gilt Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV ab 1. Januar 2023 auch für bislang noch formell geduldete Wettvermittlungsstellen, sodass bei Nichteinhaltung des Abstandsgebots nunmehr in der Regel ein Versagungsgrund vorliegt (vgl. Heimerl/Reiter, BayVBl 2022, 837/840).
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dd) Da der Betrieb einer Wettvermittlungsstelle im Hauptgeschäft bei Nichteinhaltung des nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV erforderlichen Mindestabstands unzulässig und die Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten deshalb zu versagen ist, entspricht es dem Gesetzeszweck, im Rahmen der Ermessensausübung die weitere Durchführung eines formell illegalen und materiell nicht erlaubnisfähigen Glücksspiels im Regelfall zu untersagen (vgl. SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 25).
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2.2 Die Untersagung der Sportwettvermittlung verletzt indes voraussichtlich die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV).
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a) Die Antragstellerin kann sich auf die Verletzung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) berufen, weil sie Sportwetten für einen Veranstalter mit Sitz in Malta vermittelt, der über eine Erlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 zur Veranstaltung von Sportwetten verfügt, und somit ein grenzüberschreitender Sachverhalt inmitten steht (vgl. BayVGH, U.v. 18.4.2012 – 10 BV 10.2506 – juris Rn. 56 ff.). Ein für die Anwendbarkeit des Unionsrechts erforderlicher grenzüberschreitender Sachverhalt liegt zwar grundsätzlich nicht vor, wenn eine nach nationalem Recht gegründete juristische Person mit Sitz im Inland sich gegen sie belastende glückspielrechtliche Verwaltungsakte einer nationalen Behörde wehrt (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 juris Rn. 83; BayVGH, B.v. 2.6.2021 – 23 ZB 20.518 – juris Rn. 34 ff. <zu Spielhallen>). Art. 56 AEUV ist auf einen bestimmten Sachverhalt vielmehr nur dann anwendbar, wenn ein Auslandsbezug zu einem anderen Mitgliedstaat besteht. Sofern Wirtschaftsteilnehmer, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind und an ebenfalls in diesem Mitgliedstaat ansässige Personen Glückspielleistungen erbringen, ist dies unionsrechtlich als ein Sachverhalt zu betrachten, der in keiner Hinsicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist (vgl. EuGH, U.v. 13.6.2017 – C-591/15, The Gibraltar Betting and Gaming Association Limited u. The Queen – juris Rn. 33 m.w.N.). Auch die hypothetische Möglichkeit, dass Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten die von der Antragstellerin angebotenen Glücksspieldienstleistungen in Anspruch nehmen könnten, reicht nicht aus, um von einem grenzüberschreitenden Sachverhalt auszugehen (vgl. EuGH, B.v. 4.6.2019 – C-665/18, Pólus Vegas – n.v. Rn. 24; U.v. 3.12.2020 – C-311/19, Bonver Win – juris Rn. 24). Ein grenzüberschreitender Sachverhalt ist dagegen zu bejahen, wenn – wie hier – eine Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Tätigkeit der Wettannahme durch Vermittlung seitens eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Wirtschaftsteilnehmers nachgeht. Denn dann fallen die diesem Wirtschaftsteilnehmer auferlegten Beschränkungen seiner Tätigkeit in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit (stRspr, vgl. EuGH, U.v. 24.3.1994 – C-275/92, Schindler – juris Rn. 25 ff.; U.v. 21.10.1999 – C-67/98, Zenatti – juris Rn. 24; U.v. 6.11.2003 – C-243/01, Gambelli – juris Rn. 46; U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a., Stoß u.a. – juris Rn. 56; U.v. 8.9.2010 C-46/08, Carmen Media – juris Rn. 41; U.v. 15.9.2011 – C-347/09, Dickinger und Ömer – juris Rn. 37; U.v. 4.2.2016 – C-336/14, Ince – juris Rn. 43).
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b) Der Erlaubnisvorbehalt für die Vermittlung von Sportwetten nach § 21a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 als solcher ist zwar mit Unionsrecht vereinbar. Weder der Erlaubnisvorbehalt noch die Beschränkungen des Art. 2 Abs. 1 AGGlüStV unterliegen insoweit durchgreifenden Bedenken, weil sie – unabhängig von einer Unionsrechtswidrigkeit des früheren Sportwettmonopols – den unionsrechtlich legitimen Zielen des Jugend- und Spielerschutzes sowie der Kriminalitätsbekämpfung im Wege einer präventiven Prüfung der Erlaubnisvoraussetzungen dienen (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2010 – 8 C 13.09 – juris Rn. 73 ff.; B.v. 25.2.2015 – 8 B 36.14 – juris Rn. 23). Insbesondere verlangt das Unionsrecht selbst bei Rechtswidrigkeit des Monopols keine Öffnung des Markts für alle Anbieter ohne Kontrolle und vermittelt keinen Anspruch auf Duldung einer unerlaubten Tätigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 39.12 – juris Rn. 53). Anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Sache Ince (U.v. 4.2.2016 – C-336/14). Darin hat sich dieser ausdrücklich nur zur unionsrechtlichen Zulässigkeit der strafrechtlichen Ahndung von nicht erlaubtem und wegen des faktischen Fortbestehens des staatlichen Sportwettmonopols auch nicht erlaubnisfähigem Glücksspiel geäußert. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass der Erlaubnisvorbehalt auch ordnungsrechtlich unanwendbar gewesen wäre, sondern allenfalls, dass allein wegen der fehlenden Erlaubnis (d.h. aus formalen Gründen) auch keine ordnungsrechtlichen Sanktionen wie eine Betriebsuntersagung verhängt werden hätten dürfen (vgl. BVerwG, U.v. 15.6.2016 – 8 C 5.15 – juris Rn. 28). Aus der Entscheidung kann hingegen nicht abgeleitet werden, dass ein Mitgliedstaat – über den Verzicht auf repressive Sanktionen hinaus – verpflichtet gewesen wäre, die Wettvermittlung erlaubnisfrei zuzulassen (vgl. BVerwG, B.v. 7.11.2018 – 8 B 29.18 – juris Rn. 14). Im Übrigen ist die heutige Sach- und Rechtslage auch nicht mit der in dem Urteil vorausgesetzten vergleichbar, da derzeit weder rechtlich noch faktisch ein staatliches Sportwettmonopol (fort-) besteht, sondern Veranstalter und Vermittler von Sportwetten Erlaubnisse beantragen können, sodass ein ordnungsrechtliches Vorgehen gegen unerlaubte Sportwettvermittlung zulässig ist (vgl. OVG NW, B.v. 30.6.2022 – 4 B 1864/21 – juris Rn. 31). Das Fehlen der erforderlichen Erlaubnis rechtfertigt deshalb grundsätzlich die Untersagung der Sportwettvermittlung, wenn diese mangels Erfüllung der Erlaubnisvoraussetzungen offensichtlich nicht erlaubnisfähig ist (vgl. SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 45; OVG NW a.a.O. Rn. 65, 106 ff.), sofern die Erlaubnisvoraussetzungen ihrerseits unionsrechtskonform sind.
29
c) Die Untersagung der Sportwettvermittlung kann derzeit jedoch nicht auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV gestützt werden, weil das Abstandsgebot voraussichtlich gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) verstößt, sodass es aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts vorläufig unanwendbar ist.
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aa) In Ermangelung einer unionsrechtlichen Harmonisierung im Glücksspielbereich steht es den Mitgliedstaaten grundsätzlich frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und gegebenenfalls das angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen (vgl. EuGH, U.v. 11.6.2015 – C-98/14, Berlington Hungary u.a. – juris Rn. 56 m.w.N.). Insoweit bleibt es jedem Mitgliedstaat überlassen zu beurteilen sowie zu entscheiden, ob es erforderlich ist, bestimmte Tätigkeiten im Glücksspielbereich vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu kontrollieren. Dabei ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen allein im Hinblick auf das national angestrebte Schutzniveau sowie die verfolgten Ziele zu beurteilen (vgl. EuGH, U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a., Stoß u.a. – Rn. 91 und C-46/08, Carmen Media – Rn. 46). In diesem Kontext können die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, die mit Spielen und Wetten einhergehen, ein ausreichendes Ermessen der staatlichen Stellen rechtfertigen, festzulegen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben (vgl. EuGH, U.v. 15.9.2011 – C-347/09, Dickinger und Ömer – juris Rn. 45).
31
Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten sind gerechtfertigt, wenn die restriktive Maßnahme einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung (einschließlich der Bekämpfung der Spielsucht), der Betrugsvorbeugung oder der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen entspricht und geeignet ist, die Verwirklichung dieses Ziels dadurch zu gewährleisten, dass sie tatsächlich dazu beiträgt, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten im Glücksspiel in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, und sie nicht über das erforderliche Maß hinausgeht (vgl. EuGH, U.v. 21.10.1999 – C-67/98, Zenatti – juris Rn. 35 f., U.v. 6.11.2003 – C-243/01, Gambelli – juris Rn. 62 und 67; U.v. 6.3.2007 – C-338/04 u.a., Placanica – juris Rn. 52 f.; U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a., Stoß u.a. – juris Rn. 88; U.v. 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media – juris Rn. 55; U.v. 20.12.2017 – C-322/16, Global Starnet – juris Rn. 51).
32
Die Ziele, die von den Mitgliedstaaten mit den Glücksspielsektor beschränkenden Rechtsvorschriften regelmäßig verfolgt werden, gehören zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die Eingriffe in die Grundfreiheiten rechtfertigen können (vgl. EuGH, U.v. 6.3.2007 – C-338/04 u.a., Placanica – juris Rn. 46; U.v. 30.6.2011 – C-212/08, Zeturf – juris Rn. 38; U.v. 15.9.2011 – C-347/09, Dickinger und Ömer – juris Rn. 44). Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die nationale Regelung angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten tatsächlich den Zielen Rechnung trägt, die sie rechtfertigen könnten, und ob die mit ihr auferlegten Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen (vgl. EuGH, U.v. 6.11.2003 – C-243/01, Gambelli – juris Rn. 75; U.v. 3.6.2010 – C-258/08, Ladbrokes – juris Rn. 22; U.v. 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media – juris Rn. 58; U.v. 24.1.2013 – C-186/11 u.a., Stanleybet International u.a. – juris Rn. 31; U.v. 30.4.2014 – C-390/12, Pfleger u.a. – juris Rn. 47). Der Gesetzgeber darf dabei nicht „scheinheilig“ legitime Ziele vorgeben, in Wahrheit aber andere – namentlich fiskalische – Ziele anstreben, die die Beschränkung nicht legitimieren können (vgl. EuGH, U.v. 21.10.1999 – C-67/98, Zenatti – juris Rn. 36; U.v. 6.11.2003 – C-243/01, Gambelli – juris Rn. 67; U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a., Stoß u.a. – juris Rn. 88 und C-46/08, Carmen Media – juris Rn. 55). Dazu muss das nationale Gericht eine Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen, unter denen eine beschränkende Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird (vgl. EuGH, U.v. 30.4.2014 – C-390/12, Pfleger u.a. – juris Rn. 52).
33
Demgemäß hat der EuGH sowohl Mindestabstände zwischen Wettannahmestellen (vgl. U.v. 16.2.2012 – C-72/10 u.a., Costa und Cifone – juris Rn. 65 f.; U.v. 12.9.2013 – C-660/11 u.a., Biasci u.a. – juris Rn. 32) als auch Abstandsgebote von Spielhallen und anderen Spielstätten zu Schulen (vgl. EuGH, U.v. 11.9.2003 – C-6/01, Anomar – juris Rn. 25; U.v. 19.7.2012 – C-470/11, Garkalns – juris Rn. 10) als mit Unionsrecht vereinbar angesehen, sofern die Regelung verhältnismäßig ist und tatsächlich das Ziel hat, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen oder die öffentliche Ordnung zu gewährleisten (vgl. EuGH, U.v. 19.7.2012 – C-470/11, Garkalns – juris Rn. 48; ebenso zu Mindestabständen zwischen Betrieben in anderen Wirtschaftsbereichen auch EuGH, U.v. 11.3.2010 – C-384/08, Attanasio – juris Rn. 51 <Tankstellen>; U.v. 1.6.2010 – Rs. C-570/07 u.a., Pérez und Gómez – juris Rn. 94 <Apotheken>; U.v. 26.9.2013 – Rs. C-539/11, Ottica New Line – juris Rn. 56 <Optiker>; allgemein siehe auch EuGH, U.v. 10.3.2009 – C-169/07, Hartlauer – juris Rn. 55).
34
bb) Danach ist das Abstandsgebot des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV voraussichtlich per se nicht zu beanstanden. Es dient durch die Begrenzung der Sportwettvermittlung der Vorbeugung und Bekämpfung der Spielsucht als einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses und ist grundsätzlich auch geeignet, die Verwirklichung des mit ihm verfolgten Ziels des Jugend- und Spielerschutzes zu gewährleisten, indem es jedenfalls dazu beiträgt, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern.
35
(1) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. B.v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. – BVerfGE 145, 20 juris Rn. 118 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 16.12.2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 juris Rn. 41 ff.; 59 ff. und 8 C 4.16 – juris Rn. 17 ff.; U.v. 5.4.2017 – 8 C 16.16 – juris Rn. 30 ff., 36 ff.; B.v. 1.8.2022 – 8 B 15.22 – juris Rn. 5 ff.) ist geklärt, dass sowohl Abstandsregelungen zwischen Spielhallen als auch Abstandsgebote von Spielhallen zu Kinder- und Jugendeinrichtungen mit höherrangigem Recht im Einklang stehen. Sie sind mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und dem Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG sowie mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar (BVerfG a.a.O. Rn. 119) und werden auch den unionsrechtlichen Anforderungen an die staatliche Bekämpfung von Spielsucht im nicht monopolisierten Bereich gerecht (BVerfG a.a.O. Rn. 124). Sie dienen mit der Vermeidung und Abwehr der vom Glücksspiel in Spielhallen ausgehenden Suchtgefahren und dem Schutz von Kindern und Jugendlichen einem besonders wichtigen Gemeinwohlziel, da Spielsucht zu schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen, ihre Familien und die Gemeinschaft führen kann (BVerfG a.a.O. Rn. 133).
36
Zweck des Abstandsgebots zu anderen Spielhallen ist die Herbeiführung einer Begrenzung der Spielhallendichte und damit eine Beschränkung des Gesamtangebots an Spielhallen. Damit soll das Abstandsgebot – wie auch das Verbundverbot – zur Verhinderung und Bekämpfung von Spielsucht dadurch beitragen, dass ein Spieler auf dem Weg von einer Spielhalle zur nächsten „auf andere Gedanken“ kommt (BVerfG a.a.O. Rn. 135). Regelungen zum Abstand zu Schulen und anderen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche dienen demgegenüber der möglichst frühzeitigen Vorbeugung von Spielsucht. Gerade Spielhallen üben einen „Reiz des Verbotenen“ aus, der insbesondere auf Kinder und Jugendliche anziehend wirkt. Dadurch soll einem Gewöhnungseffekt des verbreiteten, stets verfügbaren Angebots von Spielhallen bei Kindern und Jugendlichen entgegengewirkt werden (BVerfG a.a.O. Rn. 136).
37
Solche Abstandsgebote sind zur Erreichung der legitimen Ziele des Jugend- und Spielerschutzes auch geeignet, erforderlich und angemessen. Die Anordnung von Abstandsgeboten zu anderen Spielhallen ist ein geeignetes Mittel zur Erreichung der verfolgten legitimen Gemeinwohlziele, da sie die Bekämpfung der Spielsucht jedenfalls fördern (BVerfG a.a.O. Rn. 148 f.). Auch entsprechende Abstandsgebote zu Kinder- und Jugendeinrichtungen sind der Erreichung eines verstärkten Jugendschutzes jedenfalls förderlich. Indem wenigstens in der Nähe der von ihnen besonders häufig aufgesuchten Einrichtungen Spielhallen aus dem alltäglichen Umfeld von Kindern und Jugendlichen herausgenommen werden, wird erreicht, dass diese in geringerem Maße Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit sind. Gerade bei besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen kann so ein Gewöhnungseffekt durch ein stets verfügbares Angebot vermieden werden (BVerfG a.a.O. Rn. 152). Die Abstandsgebote sind auch erforderlich, da ein milderes, gleich effektives Mittel nicht ersichtlich ist (BVerfG a.a.O. Rn. 153). Insbesondere das Zutrittsverbot für Minderjährige (§ 6 Abs. 1 JuSchG) stellt kein gleichermaßen wirksames Mittel wie das Abstandsgebot zu Kinder- und Jugendeinrichtungen dar, da der Werbe- und Gewöhnungseffekt dadurch nicht vermieden wird (BVerfG a.a.O. Rn. 154). Die Abstandsgebote sind auch angemessen. Der damit verfolgte Hauptzweck der Bekämpfung und Verhinderung von Glücksspielsucht wiegt besonders schwer, da es sich um ein besonders wichtiges Gemeinwohlziel handelt. Aufgrund der Einschätzung der Suchtwissenschaft und - beratungspraxis, wonach die Reduzierung der Verfügbarkeit von Spielmöglichkeiten eine besonders wirksame Maßnahme zur Verhinderung und Bekämpfung von Glücksspielsucht ist, ist davon auszugehen, dass gerade die mit den Abstandsgeboten einhergehende Angebotsreduzierung einen gewichtigen Beitrag zur Erreichung der verfolgten Ziele leisten wird. Dies gilt zumal mit Blick auf den Zweck der Vorbeugung von Spielsucht bei Kindern und Jugendlichen in einem möglichst frühen Stadium (BVerfG a.a.O. Rn. 158). Auch insgesamt stehen die damit verbundenen Belastungen nicht außer Verhältnis zum Nutzen der Regelungen (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 159).
38
(2) Diese Rechtsprechung lässt sich im Grundsatz auch auf Abstandsgebote von Wettvermittlungsstellen zu Schulen und Kinder- und Jugendeinrichtungen übertragen (vgl. SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 31 ff.; OVG NW, B.v. 30.6.2022 – 4 B 1864/21 – juris Rn. 65 ff.; OVG Berlin-Bbg., B.v. 8.12.2020 – OVG 1 S 82/20 – n.v. S. 15 ff.). Demgemäß begegnet auch das Abstandsgebot des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV als solches keinen durchgreifenden Bedenken.
39
(a) Laut Gesetzesbegründung (vgl. LT-Drs. 18/5861 S. 9) dient die Abstandsregelung der Suchtbekämpfung, da das Glücksspielangebot vor Ort und Anreize zum Spiel verringert werden. In einem Umkreis von 250 m zu Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstätten, Schulen für Kinder und Jugendliche sowie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind Wettvermittlungsstellen verboten. Abstände zu Kinder- bzw. Jugendeinrichtungen (insbesondere Schulen) sowie zu Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstätten verhindern den Werbe- und Gewöhnungseffekt auf vulnerable Bevölkerungsteile. Durch ihren starken Bezug zum Sport und deren Akteuren bergen Sportwetten die Gefahr, dass sportbegeisterte Kinder und Jugendliche schon früh an Sportwetten und die Markennamen verschiedener Wettveranstalter herangeführt werden und darüber die Sportwette als Gut des täglichen Lebens wahrgenommen wird. Daher sollen Kinder und Jugendliche im Umkreis von häufig aufgesuchten Einrichtungen nicht mit diesem Glücksspielangebot konfrontiert werden. Gleiches gilt auch für Einrichtungen, die der Suchtberatung bzw. -behandlung dienen. Abstände zu Kindertagesstätten, Kindergärten und anderen Einrichtungen für Kinder unter sechs Jahren sind nicht erforderlich, da bei diesen kein direkter Anreiz zum Glücksspiel angenommen werden kann (vgl. LT-Drs. 18/7805).
40
Dies hält sich im Rahmen des Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers. Ebenso wie Spielhallen haben auch Sportwetten ein hohes Gefährdungs- und Suchtpotenzial für besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche sowie suchtgefährdete und suchtkranke Personen und rechtfertigen deshalb vergleichbare Maßnahmen (vgl. SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 33; VG Leipzig, B.v. 31.1.2022 – 5 L 23/22 – juris Rn. 64). Mit der typisierenden Festlegung eines Mindestabstands von 250 m, innerhalb dessen Sportwetten regelmäßig nicht wahrgenommen werden sollen, soll eine Konfrontation mit Wettvermittlungsstellen verhindert werden, um vulnerable Personen vor einer Gewöhnung an die ständige Verfügbarkeit des Glücksspielangebots im täglichen Lebensumfeld zu schützen (SächsOVG a.a.O. Rn. 26). Das Abstandsgebot bezweckt dabei nicht nur, konkrete Gefährdungen durch Konsum von Glücksspiel zu verhindern, sondern soll bereits im Vorfeld einen entsprechenden Gewöhnungseffekt ausschließen (vgl. OVG NW, B.v. 27.9.2022 – 4 B 654/22 – juris Rn. 17, 21), und geht über Teilnahme- (§ 4 Abs. 3 Satz 2 GlüStV 2021) und Zutrittsverbote (§ 6 Abs. 1 JuSchG) hinaus (VG Leipzig, a.a.O.). Es trägt zur Verstärkung des Jugend- und Spielerschutzes bei und ist dem zumindest förderlich (OVG Berlin-Bbg., B.v. 8.12.2020 – OVG 1 S 82/20 – n.v. S. 15 f.).
41
(aa) Die in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommende Annahme eines hohen Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzials von Sportwetten für Kinder und Jugendliche sowie suchtgefährdete bzw. -kranke Personen wird durch wissenschaftliche Untersuchungen gestützt. So führt der Forschungsbericht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland – Ergebnisse des Surveys 2019 und Trends, Januar 2020) aus und begründet näher, dass neben Automaten- und Online-Casinospielen auch Sportwetten ein signifikant erhöhtes Risiko für problematisches Spielverhalten aufweisen (S. 13). Während sich bei Lotterien vergleichsweise geringe Risiken einer Glücksspielproblematik ergäben, seien deutliche Zusammenhänge zwischen Glücksspielautomaten, Casinospielen, Glücksspielen im Internet und Sportwetten zu finden (ebda. S. 160). Automaten- und Casinospiele seien als am gefährlichsten einzustufen, Sportwetten besäßen ebenfalls ein erhöhtes Gefahrenrisiko (ebda. S. 84, 90 f.). Auch beim Korrespondenzverhalten zeige sich das große Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzial von Automatenspielen und Sportwetten (ebda. S. 80). Für die besondere Vulnerabilität von Jugendlichen kommen neben Experimentierfreudigkeit und ausgeprägtem Risikoverhalten auch eine hohe Verführbarkeit durch verbreitete Glücksspielangebote im Internet oder im öffentlichen Raum in Betracht (ebda. S. 27). Laut Endbericht der Universität Hamburg vom September 2019 „Regulierungsoptionen für den deutschen Onlineglücksspielmarkt“ weisen Geldspielautomaten, Sportwetten und Casinospiele im Internet ein sehr hohes Gefährdungspotential auf (S. 64 und 137 f.); da Jugendliche im Hinblick auf die Entwicklung glücksspielbezogener Probleme besonders gefährdet seien, müssten geeignete Vorkehrungen getroffen werden, um sie vor den Gefahren des Glücksspiels zu schützen (ebda. S. 122). Die Studie der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) „Pathologisches Glücksspielen, Suchtmedizinische Reihe Band 6“ vom Juni 2020 sieht gewerbliche Geldspielgeräte, Online-Poker und Sportwetten als mit einem stark erhöhten Risiko für pathologisches Glücksspiel auch bei Jugendlichen verbunden an (S. 28). Gemäß der Studie der Universität Bremen „Glücksspielteilnahme und glücksspielbezogene Probleme in der Bevölkerung – Ergebnisse des Glücksspiel-Surveys 2021“ vom März 2022 sind Automatenspiele, Online-Casinospiele und Sportwetten als gegenüber Lotterien riskantere Glücksspielformen mit einem erhöhten Schweregrad an pathologischen Glücksspielproblemen u.a. auch für Jugendliche verbunden (S. 5, 24). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die sog. PAGE-Studie vom März 2011 (Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung, Komorbidität, Remission und Behandlung, S. 67).
42
Die Lebenszeitprävalenz hinsichtlich der Nutzung bestimmter Glücksspiele liegt laut BZgA (Survey 2019, S. 142) bei Lotterien mit 68,4% vor Automaten- (17,6%) und Casinospielen (12,4%) sowie Sportwetten (6,6%), die 12-Monatsprävalenz beträgt bei Automaten- und Casinospielen 4,1% und bei Sportwetten 2,2% (ebda. S. 143). Laut PAGE-Studie ist die 12-Monatsprävalenz bei Geldspielautomaten mit 4,5% und bei Sportwetten mit 4,2% in etwa gleich hoch (a.a.O. S. 69), ebenso laut Studie der Universität Bremen mit jeweils ca. 4-5% (a.a.O. S. 25). Was insbesondere die Nutzung von Glücksspielangeboten durch Kinder und Jugendliche angeht, stehen bei diesen Sofortlotterien bzw. Rubbellose und OnlineCasinospiele wie v.a. Poker an der Spitze, gefolgt von Sportwetten und Geldspielautomaten (vgl. Schütze/Kalke, Jugendschutz und jugendspezifische Suchtprävention im Glücksspielbereich, ZfWG 2015, 206/209). So liegt die Lebenszeitprävalenz laut BZgA in der Altersgruppe der 16- und 17-jährigen bei 2,6% für Geldspielautomaten und bei 2,8% für Sportwetten (Survey 2019, S. 146 f.). Gemäß PAGE-Studie beträgt die 12-Monatsprävalenz bei den 14- bis 17-jährigen 5,1% für Geldspielgeräte und 6,4% für Sportwetten (a.a.O. S. 69). Nach der Studie der Universität Bremen liegt diese bei den 16- und 17-jährigen bei 0,9% für Geldspielautomaten bzw. 1,1% für Sportwetten (a.a.O. S. 25). Die Studie „Konsum von Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen“ (2014) weist insgesamt eine 12-Monatsprävalenz von 10,9% für Geldspielgeräte sowie von 13,1% für Sportwetten aus, bei den 12- bis 17-jährigen beträgt das Verhältnis 8,6% zu 11,9% (S. 51); entsprechende Zahlen nennt der Abschlussbericht 2011 zur Studie „Konsum von Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen: Verbreitung und Prävention“ (S. 37). Die Studie „Social Gambling im Jugendalter: Nutzungsmuster und Risikofaktoren“ vom Juni 2017 (S. 6, 41) kommt auf 8,2% für Automatenspiele und 14,8% für Sportwetten. Bei den Spielorten zeigen sich folgende Tendenzen: In der Altersgruppe der 16- und 17-jährigen spielen laut BZgA (Survey 2019, S. 153) 3,5% in Lotto-Annahmestellen, 0,1% in Spielhallen, 1,1% in Gaststätten, 0,6% in Wettbüros oder auf der Rennbahn und 2,6% im Internet; auch nach der NRW-Studie (a.a.O. S. 53) sowie dem Abschlussbericht (a.a.O. S. 43) werden von den Jugendlichen an erster Stelle Wettannahmestellen genannt, gefolgt von Gaststätten, Spielhallen und dem Internet. Dabei gehen die Untersuchungen übereinstimmend davon aus, dass mit diesem Spielverhalten ein erhöhtes Gefährdungs- bzw. Suchtrisiko verbunden ist (vgl. BZgA, Survey 2019, S. 84; Endbericht der Universität Hamburg a.a.O., S. 137; DHS-Studie a.a.O., S. 28; Studie der Universität Bremen a.a.O., S. 39; PAGE-Studie a.a.O., S. 68), dies gilt auch für Jugendliche (vgl. Abschlussbericht a.a.O., S. 1 und passim).
43
(bb) Auch die Einschätzung, dass Kinder und Jugendliche sowie suchtgefährdete bzw. -kranke Personen durch die Abstandsregelung vor einer Gewöhnung an die ständige Verfügbarkeit des Glücksspielangebots in Form von Sportwetten in ihrem täglichen Lebensumfeld geschützt werden, wird durch wissenschaftliche Studien untermauert. Die Verfügbarkeit von Glücksspiel durch entsprechende Angebote im öffentlichen Raum wie Wettbüros o. dgl. spielt eine wesentliche Rolle bei der Herausbildung eines problematischen Spielverhaltens bei besonders vulnerablen Jugendlichen (vgl. BZgA, Survey 2019, S. 27). Die leichte Verfügbarkeit und Nähe eines Glücksspielangebots steht dabei in direkter Verbindung mit einer vermehrten Nachfrage sowie auch mit einer erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit problematischen Spielverhaltens bei entsprechend anfälligen Personen wie Minderjährigen oder Suchtgefährdeten bzw.
- kranken (vgl. Bayerische Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PTK), Stellungnahme vom 7.9.2017, S. 2 f.; Hayer/Meyer, Das Suchtpotential von Sportwetten, Sucht 2003, 49 (4), 212/217). Menschen, die in der Nähe einer Spielstätte leben, haben daher ein höheres Risiko für Glücksspielprobleme als solche, die weiter entfernt wohnen (vgl. Meyer/Bachmann, Spielsucht, 4. Auflage 2017, S. 120). Deshalb stellen Maßnahmen zur Begrenzung der Verfügbarkeit von Glücksspiel durch Beschränkung der Anzahl von Spielstätten und durch örtliche Beschränkungen von Spielstätten mittel bis hoch wirksame Ansätze zur Bekämpfung der Spielsucht dar (vgl. DHS, Pathologisches Glücksspielen, S. 72) und entsprechen der „Best Practice“ (vgl. Williams/West/ Simpson, Prevention of Problem Gambling: A Comprehensive Review of the Evidence and Identified Best Practises, 2012, S. 25, 90). Demgemäß sind aus fachlicher Sicht neben einem Ausschluss von Jugendlichen an der Teilnahme an Glücksspielen (u.a. durch Zutrittsverbote und Ausweiskontrollen) auch Verbote von Spielstätten in der Nähe von Schulen sowie sonstigen Kinder- und Jugendeinrichtungen (vgl. Stellungnahmen der Drogenbeauftragten von Bund und Ländern in der Anhörung zum Glücksspielstaatsvertrag 2008, Anlage zur LT-Drs. 15/8486, S. 5, 8; PTK, Stellungnahme vom 7.9.2017, S. 4; Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern, Stellungnahme vom 10.1.2020, S. 3) sowie Mindestabstände von Spielstätten zu Suchtberatungs- und -behandlungsstellen (vgl. Gemeinsame Stellungnahme der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwigs-Maximilians-Universität München und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Nürnberg vom 25.8.2017) erforderlich und geeignet, um negative Gewöhnungseffekte bei besonders vulnerablen Personen zu verhindern.
44
(cc) Die Annahme des Gesetzgebers, dass Abstandsgebote den Gewöhnungseffekt auf Kinder und Jugendliche verhindern, kann auch nicht mit dem Argument in Zweifel gezogen werden, angesichts einer allgegenwärtigen Werbung für Glücksspiele und insbesondere für Sportwetten auf Plakaten, in Sportstätten oder im Internet gehe von einer Konfrontation mit Wettvermittlungsstellen auf dem täglichen Schulweg kein zusätzlicher Gewöhnungseffekt aus, vor dem eine Abstandsregelung schützen könne. Orte, an denen Sportwetten vermittelt werden, werden von Kindern und Jugendlichen als Teil der unmittelbaren realen Umgebung anders wahrgenommen als mediale Sportwettwerbung. Auch sind nicht alle Kinder und Jugendlichen Sportwettwerbung im Internet oder in Sportstätten im gleichen Maße ausgesetzt wie Wettvermittlungsstellen in der Nähe von Schulen (vgl. SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 36). Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die Konfrontation mit einer Wettvermittlungsstelle im schulischen Umfeld zu einem negativen Gewöhnungseffekt führt, der durch das Abstandsgebot verhindert werden soll (zur Gewöhnung durch den „Mere-Exposure-Effect“ vgl. Abschlussbericht a.a.O., S. 134). Demgegenüber stellen Beschränkungen der Außendarstellung bzw. Öffnungszeiten von Wettvermittlungsstellen keine gleich wirksamen milderen Mittel zu dessen Verhinderung dar (SächsOVG a.a.O. Rn. 26).
45
(dd) Auch der pauschalierende Mindestabstand von 250 m hält sich im Rahmen des Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers und ist jedenfalls nicht unangemessen. Aus medizinischer Sicht werden sogar Abstände zwischen mindestens 500 m (vgl. PTK, Stellungnahme vom 7.9.2017, S. 4) und 1500 m (Gemeinsame Stellungnahme vom 25.8.2017) zu sensiblen Einrichtungen gefordert. Der EuGH hat vergleichbare pauschalierte Mindestabstände für zulässig gehalten (vgl. U.v. 1.6.2010 – Rs. C-570/07 u.a., Pérez und Gómez – juris Rn. 99: 250 m; U.v. 26.9.2013 – Rs. C-539/11, Ottica New Line – juris Rn. 14: 300 m), sofern durch eine entsprechende gesetzliche Regelung gewährleistet ist, dass in atypischen Fällen der Mindestabstand unterschritten werden kann (U.v. 1.6.2010 a.a.O. Rn. 100 f.). Dem trägt Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 Halbs. 2 AGGlüStV Rechnung, wonach die Erlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts und der Lage des Einzelfalls Ausnahmen von dem Mindestabstand zulassen kann. Eine Ausnahme wird dabei angesichts des mit der Mindestabstandsregelung verfolgten Zwecks, einen Gewöhnungseffekt bei vulnerablen Personen zu verhindern, umso näherliegen, je weniger wahrscheinlich es ist, dass diese mit der Wettvermittlungsstelle konfrontiert werden können (vgl. SächsOVG, 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 23).
46
(b) Es kann auch nicht unterstellt werden, dass das Abstandsgebot nur vorgeblich dem Spieler- und Jugendschutz dient und der Gesetzgeber damit in Wirklichkeit andere (fiskalische) Ziele verfolgt. Durch die örtliche Begrenzung von Wettvermittlungsstellen soll vielmehr die Nachfrage nach Sportwetten in kontrollierte Bahnen gelenkt werden (vgl. EuGH, U.v. 16.2.2012 – C-727/10 u.a., Costa und Cifone – juris Rn. 65). Laut Gesetzesbegründung (vgl. LT-Drs. 18/5861 S. 6) wurde aufgrund der nur begrenzten Anzahl konzessionierter Sportwettveranstalter die Anzahl von Wettvermittlungsstellen in Bayern zunächst auf 400 beschränkt. Im Hinblick auf die nunmehr nicht mehr beschränkte Erteilung von Erlaubnissen für die Veranstalter von Sportwetten wurde auch nicht mehr an der rein zahlenmäßigen Beschränkung für Wettvermittlungsstellen festgehalten. Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 sind die Länder jedoch weiterhin gehalten, eine Begrenzung der Wettvermittlungsstellen zur Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV 2021 vorzusehen. Zudem ist aufgrund der Zielsetzungen des Jugend- und Spielerschutzes die Vermittlung von Sportwetten Beschränkungen zu unterwerfen, um der Entstehung von Glücksspielsucht entgegenzuwirken. Um dem gerecht zu werden, soll deshalb die örtliche Verfügbarkeit von Sportwetten begrenzt werden. Die Umsetzung dieses Begrenzungsauftrags erfolgt insbesondere durch die qualitativen Kriterien des Art. 7 Abs. 2 AGGlüStV (vgl. Heimerl/Reiter, BayVBl 2022, 837/839).
47
(c) Die mit dem Abstandsgebot verbundenen Beschränkungen der Vermittlung von Sportwetten stehen auch nicht außer Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen des Spieler- und Jugendschutzes. Das wegen der schweren Folgen der Spielsucht und des erheblichen Gefährdungs- und Suchtpotenzials von Sportwetten hohe Gewicht der Suchtprävention überwiegt gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse der Betreiber von Wettvermittlungsstellen, von der Verpflichtung zur Einhaltung des Abstandsgebots verschont zu bleiben. Danach ist auch eine Begrenzung der Einnahmemöglichkeiten beim Betrieb von Wettvermittlungsstellen zugunsten der Verfolgung des überragend wichtigen Gemeinwohlziels der Bekämpfung der Spielsucht hinzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betrieb von Wettvermittlungsstellen durch das Abstandsgebot nicht generell, sondern nur an bestimmten Standorten untersagt wird, sodass der Betrieb grundsätzlich an anderer Stelle fortgeführt werden kann, sowie, dass zu bestehenden Kindertagesstätten, Kindergärten und ähnlichen Einrichtungen für Kinder unter sechs Jahren kein Mindestabstand einzuhalten ist und dass in atypischen Fällen auch Ausnahmen vom Abstandsgebot zulässig sind, sodass auch in Innenstadtbereichen kein faktisches Totalverbot der Sportwettvermittlung droht.
48
(d) Der Einführung des Abstandsgebots für Wettvermittlungsstellen durch Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV stehen auch Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht entgegen.
49
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, die bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Regelung, die geeignet ist, eine Grundfreiheit zu behindern, zu beachten ist (vgl. EuGH, U.v. 22.9.2022 – C-475/20 u.a., Admiral Gaming Network u.a. – juris Rn. 60 ff. m.w.N.). Bei der Abwägung des Gewichts des enttäuschten Vertrauens und der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe sind deren Vorhersehbarkeit und die Auswirkungen auf die Rentabilität getätigter Investitionen zu berücksichtigen. Je plötzlicher und unerwarteter eine Rechtsänderung ohne ausreichende Anpassungszeit eintritt, umso eher wird ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes in Betracht kommen (vgl. EuGH, U.v. 11.6.2015 – C-98/14, Berlington Hungary u.a.- juris Rn. 87 m.w.N.).
50
Gemessen daran ist das auf S. 8 dargestellte Übergangsregime, wonach für Wettvermittlungsstellen, für die am 16. Juni 2020 ein Duldungsbescheid bestand, der bis zum 10. Dezember 2019 beantragt worden war, Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV zunächst keine Anwendung fand, nicht zu beanstanden. Wettvermittlungsstellen wurden, nachdem die Unionsrechtswidrigkeit des bisherigen Sportwettenmonopols festgestellt worden war, erstmals mit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags 2012 einer Erlaubnispflicht unterworfen. Aufgrund des gerichtlich gestoppten Verfahrens zur Erteilung der Konzessionen für die Veranstalter konnten aber keine Erlaubnisse für Wettvermittlungsstellen erteilt werden. Um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben insbesondere zur Zuverlässigkeit des Betreibers und zum Spielerschutz überprüfen zu können, wurde im Interesse einer wirksamen Kontrolle der Wettvermittlung für Wettvermittlungsstellen derjenigen Veranstalter, die im Konzessionsverfahren die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben insbesondere zur Zuverlässigkeit und zum Spielerschutz bereits nachgewiesen hatten, deshalb die Möglichkeit eröffnet, eine formelle Duldung zu erhalten. Dadurch sollten Anbieter bzw. Betreiber der Wettvermittlungsstellen, die sich dem Duldungsverfahren unterworfen hatten und deren Wettvermittlungsstellen weiterhin einen zuverlässigen Betreiber aufwiesen, in ihren im Vertrauen auf den Bestand des Duldungsbescheides getätigten Investitionen geschützt und daher für eine Übergangszeit von den Regelungen zu Mindestabständen befreit werden (vgl. LT-Drs. 18/5861 S. 12).
51
Insoweit erscheint eine Frist von mehr als einem Jahr zwischen dem Inkrafttreten von Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV am 17. Juni 2020 und dem zunächst vorgesehenen Zeitpunkt des Auslaufens der Übergangsregelung am 30. Juni 2021 als angemessen (vgl. BVerfG, B.v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. – BVerfGE 145, 20 – juris Rn. 196 ff.). Innerhalb dieser Frist lassen sich regelmäßig die mit der Aufgabe oder Verlegung des Betriebs verbundenen Maßnahmen umsetzen. Überdies wurde die Geltungsdauer der Übergangsregelung für bereits bislang formell geduldete Wettvermittlungsstellen, die das Abstandsgebot des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV nicht einhalten, Mitte 2021 nochmals bis zum 31. Dezember 2022 verlängert, um einen Gleichlauf mit der Geltungsdauer der Veranstaltererlaubnisse nach § 29 Abs. 3 Satz 1 GlüStV 2021 zu gewährleisten und den wirtschaftlichen Interessen der Betreiber Rechnung zu tragen (vgl. LT-Drs. 18/14870 S. 2, 17). Eine weitere Verlängerung der Übergangsfrist war nicht geboten, um den Zweck des Abstandsgebots, Kinder und Jugendliche sowie suchtgefährdete bzw. -kranke Personen vor den von Sportwetten ausgehenden Gefahren zu schützen und das Angebot an Sportwettmöglichkeiten einzudämmen, durchsetzen zu können (vgl. Heimerl/Reiter, BayVBl 2022, 837/840). Demgemäß war auch die Geltungsdauer etwaiger erteilter Erlaubnisse längstens bis 31. Dezember 2022 zu befristen (vgl. VG München, U.v. 21.7.2022 – M 27 K 22.1646 – juris Rn. 19; U.v. 1.12.2022 – M 27 K 22.5829 – juris Rn. 15).
52
Demgegenüber konnte hinsichtlich Wettvermittlungsstellen, deren Betreiber sich nicht dem Duldungsverfahren unterworfen hatten und deren Betrieb deshalb lediglich faktisch geduldet worden war, weil gegen sie zunächst nicht eingeschritten wurde, ein schutzwürdiges Vertrauen auf einen weiteren Betrieb von vornherein nicht entstehen. Vielmehr mussten die Betreiber jederzeit, insbesondere auch bei der aufgrund der Laufzeit absehbaren Verabschiedung eines neuen Glücksspielstaatsvertrags, mit einer Änderung der Rechtslage und einer Verschärfung der Anforderungen an den Betrieb von Wettvermittlungsstellen rechnen. Soweit die Betreiber in dieser Situation längerfristige Verbindlichkeiten eingegangen sind oder größere Investitionen getätigt haben, geschah dies deshalb bewusst unter Inkaufnahme des Risikos zeitnaher Rechtsänderungen. Zudem besteht kein uneingeschränktes Recht auf Amortisierung getätigter Investitionen (vgl. Heimerl/Reiter, BayVBl 2022, 837/840). Im Übrigen gilt seit 1. Januar 2023 sowohl für formell als auch für lediglich faktisch geduldete (sowie für befristet erlaubte) Wettvermittlungsstellen dieselbe Rechtslage, da die Übergangsregelung mit Ablauf des 31. Dezember 2022 entfallen ist.
53
cc) Allerdings verstößt das Abstandsgebot des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV voraussichtlich gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot, weil Spielhallen im Gegensatz zu Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft – trotz vergleichbarer Außenwirkung – keinen entsprechenden Mindestabstand zu Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Suchtberatungs- und -behandlungsstellen einhalten müssen, obwohl das Gefährdungs- und Suchtpotenzial von Geldspielgeräten auch für Jugendliche als mindestens ebenso hoch wie das von Sportwetten anzusehen ist.
54
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union setzt die Geeignetheit einer die Dienstleistungsfreiheit beschränkenden Regelung neben den unter bb) bejahten Anforderungen zusätzlich voraus, dass diese zur Erreichung der mit ihr verfolgten Gemeinwohlzwecke in systematischer und kohärenter Weise beiträgt (sog. Kohärenzgebot, vgl. EuGH, U.v. 21.10.1999 – C-67/98, Zenatti – juris Rn. 35 f., U.v 6.11.2003 – C-243/01, Gambelli – juris Rn. 62 und 67; U.v. 6.3.2007 – C-338/04 u.a., Placanica – juris Rn. 52 f.; U.v. 3.6.2010 – C-258/08, Ladbrokes – juris Rn. 38; U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a., Stoß u.a. – juris Rn. 88 ff.; U.v. 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media – juris Rn. 55, 64 ff.; U.v. 19.7.2012 – C-470/11, Garkalns – juris Rn. 48). Diese Anforderung gilt nicht nur für die Rechtfertigung staatlicher Glücksspielmonopole, sondern für die Rechtfertigung von Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit allgemein (vgl. EuGH, U.v. 10.3.2009 – C-169/07, Hartlauer – juris Rn. 55 ff.), auch wenn bei der Anwendung dieser Kriterien nicht außer Acht gelassen werden darf, dass die Dienstleistungsfreiheit durch die Errichtung eines staatlichen Monopols ungleich stärker beschränkt wird als durch Regelungen, die lediglich bestimmte Vertriebs- und Vermarktungsformen verbieten (vgl. EuGH, U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a., Stoß u.a. – juris Rn. 74 ff. einerseits sowie Rn. 79 ff. andererseits; zum ganzen siehe BVerwG, U.v. 24.11.2010 – 8 C 14.09 – juris Rn. 77 ff.; U.v. 1.6.2011 – 8 C 5.10 – juris Rn. 35).
55
Danach muss der Mitgliedstaat zum einen die Gemeinwohlziele, denen die die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Regelung dienen soll und die diese legitimieren soll, im Anwendungsbereich der Regelung auch tatsächlich verfolgen; er darf nicht in Wahrheit andere Ziele – insbesondere solche finanzieller Art – anstreben, welche die Beschränkung nicht legitimieren könnten (vgl. EuGH, U.v. 21.10.1999 – C-67/98, Zenatti – juris Rn. 35 ff., U.v. 6.11.2003 – C-243/01, Gambelli – juris Rn. 67 ff.; U.v. 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media – juris Rn. 65).
56
Zum anderen darf die in Rede stehende Regelung nicht durch die Politik in anderen Glücksspielsektoren konterkariert werden (vgl. EuGH, U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a., Stoß u.a. – juris Rn. 97 ff.; U.v. 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media – juris Rn. 67 ff.; BVerwG, U.v. 24.11.2010 – 8 C 14.09 – juris Rn. 77 ff.; U.v. 1.6.2011 – 8 C 5.10 – juris Rn. 35; U.v. 20.6.2013 – 8 C 10.12 – juris Rn. 31 ff., 51 ff.; U.v. 16.12.2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 juris Rn. 84 f.; U.v. 26.10.2017 – 8 C 18.16 – juris Rn. 41). Dies verlangt zwar weder eine Uniformität der Regelungen noch eine Optimierung der Zielverwirklichung oder eine föderale Zuständigkeiten übergehende Gesamtkohärenz glücksspielrechtlicher Maßnahmen (vgl. EuGH, U.v. 10.3.2009 – C-169/07, Hartlauer – juris Rn. 60; U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a., Stoß u.a. – juris Rn. 95 f.; U.v. 8.9.2010 – C-46/08, Carmen Media – juris Rn. 62 f.). Das gewinnt Bedeutung namentlich in Mitgliedstaaten wie Deutschland, zu deren Verfassungsgrundsätzen eine bundesstaatliche Gliederung in Länder mit je eigener Gesetzgebungsautonomie (vgl. Art. 28 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3, Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG) gehört (vgl. EuGH, U.v. 12.6.2014 – C-156/13, Digibet und Albers – juris Rn. 33 ff.). Jedoch dürfen in anderen Glücksspielsektoren, auch wenn für sie andere Hoheitsträger desselben Mitgliedstaates zuständig sind, nicht Umstände durch entsprechende Vorschriften herbeigeführt werden, die – sektorenübergreifend – zur Folge haben, dass die in Rede stehende Regelung zur Verwirklichung der mit ihr verfolgten Ziele tatsächlich nicht beitragen kann, so dass ihre Eignung zur Zielerreichung aufgehoben wird (vgl. EuGH, U.v. 8.9.2010 – C-316/07 u.a., Stoß u.a. – juris Rn. 106 und – C-46/08, Carmen Media – juris Rn. 68). So kann in einem dualen System zur Organisation des Glücksspielmarkts, bei dem in einem Bereich nur eine Konzession vergeben wird, um Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, während für andere Bereiche mehrere Konzessionen vergeben werden und dabei eine Politik verfolgt wird, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern, das Ziel des Spielerschutzes nicht mehr wirksam verfolgt werden (vgl. EuGH, U.v. 28.2.2018 – C-3/17, Sporting Odds – juris Rn. 33; U.v. 19.12.2018 – C-357/17, Stanley International Betting und Stanleybet Malta – juris Rn. 50). Das Kohärenzgebot verlangt demnach, dass Regelungen, die die Dienstleistungsfreiheit in einem Bereich einschränken, zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels nicht durch eine gegenläufige Glücksspielpolitik in anderen Bereichen mit gleich hohem oder höherem Suchtpotenzial unterlaufen wird (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 juris Rn. 84 f.; SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 38).
57
Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung, ob Einschränkungen der Berufsfreiheit in einem Glücksspielbereich konsequent auf die Bekämpfung von Spielsucht ausgerichtet sind, andere Glücksspielformen zwar nur („insbesondere“) dann einbezogen, wenn der Gesetzgeber in einer Konfliktlage mit staatlicher Beteiligung am Spiel- und Wettmarkt (auch) eigene fiskalische Interessen verfolgt und die Glücksspielformen potentiell in Konkurrenz zueinander stehen (vgl. BVerfG, B.v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. – juris Rn. 122 f., 141 ff.; siehe auch BVerwG, B.v. 1.8.2022 – 8 B 15.22 – juris Rn. 6). Die Vereinbarkeit der Abstandsgebote für Spielhallen mit Art. 12 Abs. 1 GG wurde daher nur im Hinblick auf die Regulierung von Spielbanken, bei der nicht ausgeschlossen ist, dass die Abstandsvorgabe indirekt auch fiskalische Interessen der Länder durch Verlagerung auf das Angebot der Spielbanken fördert, näher untersucht, nicht aber im Hinblick auf die Regulierung zu Geldspielgeräten in Gaststätten, bei der keine gesteigerten fiskalischen Interessen auf Seiten der Länder erkennbar sind. In der Sache resultiert daraus indes kein anderer Prüfungsmaßstab bzw. keine geringere Prüfungsdichte mit potentiell abweichenden Ergebnissen, da die unionsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Kohärenz zu betrachtenden Glücksspielsegmente, in denen der Gesetzgeber trotz gleich hohen oder höheren Suchtpotentials auf Abstandsgebote verzichtet hat, verfassungsrechtlich jedenfalls auch auf ihre Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu prüfen sind (vgl. BVerfG, B.v. 7.3.2017 a.a.O. Rn. 170 ff.) und bei Vorliegen hinreichender Sachgründe für eine Ungleichbehandlung auch keine unionsrechtliche Inkohärenz angenommen werden kann (vgl. SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 38).
58
(2) Gemessen daran verstößt das Abstandsgebot des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV voraussichtlich gegen das Kohärenzgebot, weil es keine hinreichenden Sachgründe gibt, dass Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft einen Abstand von 250 m Luftlinie zu Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie zu Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstellen einzuhalten haben, während entsprechende Vorgaben für Spielhallen und sonstige Betriebe, in denen Geldspielgeräte aufgestellt sind, trotz vergleichbarer Außenwirkung („Reiz des Verbotenen“) nicht vorgesehen sind, obwohl Geldspielgeräte auch für Jugendliche ein mindestens gleich hohes Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzial wie Sportwetten aufweisen, sodass der Zweck des Abstandsgebots durch eine gegenläufige Glücksspielpolitik in einem anderen Bereich mit gleich hohem oder höherem Suchtpotenzial unterlaufen wird.
59
(a) Dem Glücksspielstaatsvertrag liegt die Einschätzung des Gesetzgebers zugrunde, dass Geldspielgeräte das höchste Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzial besitzen und dass mit Sportwetten ebenfalls ein hohes Suchtrisiko verbunden ist.
60
(aa) So geht der Glücksspielstaatsvertrag 2008 davon aus, dass bei weitem die meisten Spieler mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten an Automaten in Spielhallen und Gaststätten spielen und dass Sportwetten ebenfalls ein nicht unerhebliches Suchtpotenzial haben (vgl. LT-Drs. 15/8486 S. 10; siehe auch Anlage hierzu S. 2 f.). Auch der Glücksspielstaatsvertrag 2012 sieht ein hohes Suchtpotential des gewerblichen Automatenspiels in Spielhallen und Gaststätten, da sämtliche Studien belegen, dass das Suchtpotential bei Geldspielgeräten unter allen Glücksspielen am höchsten ist (vgl. LT-Drs. 16/11995 S. 20, 30; siehe auch LT-Drs. 16/12192 S. 13), wobei Sportwetten gleichfalls mit einer hohen Suchtgefahr verbunden sind (LT-Drs. 16/11995 S. 17, 26) und sowohl Sportwetten als auch Geldautomaten eine vergleichbare Attraktivität für pathologische und suchtgefährdete Spieler zeigen (ebda. S. 18). Laut Glücksspielstaatsvertrag 2021 geben die Mehrzahl der sich wegen pathologischen Glücksspiels in ambulanter oder stationärer Behandlung befindenden Personen weiterhin als Hauptglücksspielform das Automatenspiel in Spielhallen und Gaststätten an, wobei Geldspielgeräte den größten Anteil an problematischen Spielern aufweisen (vgl. LT-Drs. 18/11128 S. 50 f., 73; siehe auch LT-Drs. 18/17598 S. 6); zum Suchtpotential von Sportwetten verhält er sich nicht, doch sind Wettvermittlungsstellen zu begrenzen (vgl. LT-Drs. 18/11128 S. 136).
61
(bb) Für diese in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Einschätzung sprechen wissenschaftliche Studien (siehe oben S. 16 f.), wobei das Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzial von Geldspielgeräten in den Untersuchungen übereinstimmend als weitaus höher als das von Sportwetten bewertet wird (vgl. BZgA, Survey 2019, S. 84; Endbericht der Universität Hamburg a.a.O., S. 137; DHS-Studie a.a.O., S. 28; Studie der Universität Bremen a.a.O., S. 39; PAGE-Studie a.a.O., S. 68; Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern, Glücksspielsucht in Bayern – Zahlen, Daten, Fakten, S. 3; Banz/Becker, Glücksspielsucht in Deutschland: Häufigkeit und Bedeutung bei den einzelnen Glücksspielformen, ZfWG 2019, 212/217 ff., 219). Dieser Befund gilt auch im Hinblick auf Jugendliche (vgl. DHS-Studie a.a.O.; Studie der Universität Bremen a.a.O., S. 24 f.; Abschlussbericht a.a.O., S. 1, 3, 5, 51, 101; NRW-Studie a.a.O., S. 57).
62
Diese Einschätzung wird auch nicht dadurch relativiert, dass laut Tabelle T3.02. „Hauptsubstanz/-verhalten/-diagnose+Alter bei Betreuungsbeginn“ der Tabellenbände der Deutschen Suchthilfestatistik für das Jahr 2021 (IFT Institut für Therapieforschung, Forschungsgruppe Therapie und Versorgung: Deutsche Suchthilfestatisik 2021. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Einrichtungen (Typ 1), Bezugsgruppe Zugänge/Beender, Hauptglücksspielform terrestrisch) Sportwetten im stationären Bereich Geldspielautomaten in Spielhallen bei Jugendlichen zwischen 15 und 17 bzw. 18 bis 19 bereits überholt haben (0,4% zu 0,3% bzw. 2,9% zu 1,6%). Denn wenn man zu den genannten Zahlen für Geldspielautomaten in Spielhallen diejenigen für Geldspielgeräte in Gaststätten hinzurechnet (1,3% bzw. 2,6%), überwiegt – wie in den folgenden Altersgruppen (a.a.O.) – weiterhin das Spiel an Geldspielgeräten (1,6% zu 0,4% bzw. 4,2% zu 2,9%). Bei der entsprechenden Tabelle für stationäre Einrichtungen (a.a.O.) fällt der Befund noch eindeutiger aus: Während hier in den genannten Altersgruppen gar keine problematischen Spieler unter Sportwetten angeführt werden, ergeben sich beim Automatenspiel insgesamt 1,4% bzw. 2,4%, in den folgenden Altersgruppen überwiegen diese die Anzahl von gefährdeten Spielern bei Sportwetten deutlich. Hieraus ergibt sich insbesondere ein signifikanter Anstieg der problematischen Spieler unter jungen Erwachsenen, die an Geldspielgeräten spielen.
63
Diese Zahlen werden durch andere Untersuchungen bestätigt. So liegt laut Studie der Universität Bremen (a.a.O., S. 25) die 12-Monatsprävalenz bei den 16- bis 17-Jährigen, die legal nicht spielen dürfen, bei Geldspielautomaten (Spielhalle/Gaststätte) bei 0,9%, bei Live-Wetten bei 1,0% und bei Sportwetten mit festen Quoten bei 1,1%. Signifikante Unterschiede zwischen Geldspielgeräten und Sportwetten sind insoweit nicht zu erkennen. Bei den 18- bis 20-Jährigen, die legal an Glücksspielen teilnehmen dürfen, liegt die 12-Monatsprävalenz bei Geldspielautomaten (Spielhalle/Gaststätte) dagegen bei 4,2%, bei Live-Wetten bei 1,9% und bei Sportwetten mit festen Quoten bei 4,0%. Danach steigen die Zahlen sowohl für Geldspielautomaten als auch für Sportwetten jeweils mit Erreichen der Volljährigkeit an, der größte Anstieg ist allerdings wiederum bei Geldspielautomaten (Spielhalle/Gaststätte) zu beobachten. Auch laut BZgA (Survey 2019, S. 149 f.) liegt die 12-Monatsprävalenz der 16- bis 17-Jährigen bei Geldspielautomaten bei 1,2% und steigt dann mit Erreichen der Volljährigkeit signifikant auf 5,9% an. Bei Sportwetten liegt die 12-Monatsprävalenz der 16-17-Jährigen bei 1,7% und steigt dann mit dem Eintritt in die Volljährigkeit lediglich auf 3,7% an.
64
(cc) Diese Einschätzung kann auch nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass aufgrund aktueller Daten (vgl. BZgA, Survey 2019, S. 30; Jahresreport 2021 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder, S. 8, 23 f.; Schriftsatz der Landesanwaltschaft Bayern vom 17.2.2023 S. 14-17) infolge des Wegfalls des Staatsmonopols im Sportwettbereich und der damit verbundenen Ausweitung des Wettangebots von einer merklichen Steigerung des Umsatzes terrestrischer Sportwettvermittlungsstellen sowie einem stagnierenden bzw. rückläufigen Umsatz terrestrischer Spielhallen auszugehen ist. Zwar war dem Gesetzgeber 2007 ein abschließendes Urteil über das Suchtpotential von Sportwetten noch nicht möglich (vgl. LT-Drs. 15/8486 S. 10). Deshalb musste er die diesbezüglichen Entwicklungen auf dem Glücksspielmarkt beobachten und hatte aufgrund seines Schutzauftrags entsprechend zu reagieren, wobei der stark gestiegene Marktanteil der terrestrischen Vermittlung von Sportwetten und das erhebliche Wachstum des Sportwettmarkts die Annahme wachsender Gefahren für problematische Spieler durch Sportwetten rechtfertigen. Jedoch kann aus gesteigerten Spielerträgen aus Sportwetten nicht auch automatisch auf einen höheren Anteil an pathologischen Spielern durch Sportwetten geschlossen werden, zumal die Steigerung des Umsatzes aus Sportwetten und damit die höhere Ertragsquote der Wettvermittlungsstellen das Ergebnis verzerrt und bei der Bekämpfung der Glücksspielsucht auch nicht auf die rein mathematisch berechnete relative Gefährlichkeit von Sportwetten abzustellen ist (vgl. BVerfG, B.v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. – juris Rn. 140).
65
(b) Zudem stand dem Gesetzgeber nach Ergehen der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. September 2010 (Rs. C-316/07 – Markus Stoß und Rs. C-46/08 – Carmen Media) bei der Verabschiedung des Glücksspielstaatsvertrags 2012 auch vor Augen, dass die Kohärenz glücksspielrechtlicher Reglungen in einem Bereich in Frage gestellt sein kann, wenn ein Mitgliedstaat bei anderen Glücksspielen mit höherem Suchtpotential wie vor allem beim gewerblichen Automatenspiel auf eine Einnahmenmaximierung im Wege von Angebotserweiterung und Ermunterung zum Spiel abzielt (vgl. LT-Drs. 16/11995 S. 16). Dabei ging er auch davon aus, dass insbesondere das mit dem Glücksspielstaatsvertrag verfolgte Präventionsmodell u.a. im Bereich von Sportwetten unionsrechtlich nur Bestand haben kann, wenn in Glücksspielbereichen mit höherem Suchtpotenzial wie insbesondere dem gewerblichen Automatenspiel nicht gleichzeitig eine expansive Politik verfolgt wird (a.a.O. S. 20).
66
Dementsprechend haben die Bundesländer die im Zuge der Föderalismusreform nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG auf sie übergegangene Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Spielhallen genutzt, auch diesen Glücksspielbereich zu regulieren und (mit diversen Übergangsfristen sowie Ausnahme- bzw. Befreiungsbestimmungen für gewerberechtlich genehmigte Bestandsspielhallen) sowohl Mindestabstandsgebote zwischen Spielhallen als auch Verbundverbote für Spielhallen (vgl. §§ 24-26, § 29 Abs. 4 GlüStV 2012 i.V.m. Art. 10 ff. AGGlüStV) eingeführt, die – teilweise modifiziert – fortgelten (vgl. §§ 24-26, § 29 Abs. 4 GlüStV 2021 i.V.m. Art. 10 ff. AGGlüStV).
67
Dadurch soll aus Gründen der Suchtprävention eine Reduzierung des Angebots von suchtfördernden Geldspielgeräten erreicht, durch räumliche Separation sowie das Erfordernis der Überwindung einer Wegstrecke beim Spielhallenwechsel der übermäßigen Ausnutzung des Spieltriebs entgegengetreten sowie zur Bekämpfung der Spielsucht eine übermäßige Häufung von Spielhallen und Geldspielgeräten in bestimmten Vierteln vermieden werden (vgl. LT-Drs. 16/11995 S. 20, 30; LT-Drs. 16/12192 S. 13 f.). Dabei dienen die Abstandsgebote der „Abkühlung“ des Spielers nach dem Verlassen einer Spielhalle, was gefährdet würde, wenn er sich in unmittelbarer Umgebung einer weiteren Spielgelegenheit ausgesetzt sähe (vgl. LT-Drs. 18/11128 S. 73). Der Spieler soll sich nach dem Verlassen der Spielhalle so weit von ihrer Atmosphäre gelöst haben, dass ein selbständiger, neuer Entschluss zum Betreten einer weiteren Spielhalle erforderlich ist (vgl. BVerfG, B.v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. – juris Rn. 135).
68
Zusätzlich haben einzelne Bundesländer auch Abstandsgebote von Spielhallen zu Schulen und Kinder- und Jugendeinrichtungen eingeführt. Laut Gesetzesbegründung dient die Regelung der Verwirklichung eines effektiven Jugendschutzes und möchte Spielanreize vermeiden. Gerade Spielhallen üben einen „Reiz des Verbotenen“ aus, der insbesondere auf Kinder und Jugendliche anziehend wirkt. Die Regelung dient daher der Vorbeugung von Spielsucht in einem möglichst frühen Stadium (vgl. für Berlin AGH-Drs. 16/4027 S. 12). Insbesondere soll so eine Konfrontation mit dem Spielhallenbetrieb und dem daraus resultierenden Kundenverkehr im Umfeld von Schulen und ähnlichen Einrichtungen verhindert werden, um Minderjährige vor einer Gewöhnung an die ständige Verfügbarkeit des Glücksspielangebots im täglichen Lebensumfeld zu schützen (vgl. BVerfG, B.v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. – juris Rn. 136).
69
Aufgrund des (zumindest) vergleichbaren Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzials von Geldspielgeräten und Sportwetten für Kinder- und Jugendliche sowie der vergleichbaren Außenwirkung von Spielhallen und Wettvermittlungsstellen, die sich u.a. durch die Aufstellung von Geldspielgeräten und Wett-Terminals auch im Erscheinungsbild ähneln (vgl. OVG Berlin-Bbg., B.v. 8.12.2020 – OVG 1 S 82/20 – n.v. S. 13 f.), haben verschiedene Bundesländer zudem (im Wesentlichen) entsprechende Regelungen auch für Wettvermittlungsstellen erlassen (vgl. für Sachsen LT-Drs. 7/873 S. 8; für Berlin AGH-Drs. 17/2974 S. 3; für Rheinland-Pfalz LT-Drs. 16/4671 S. 21). Der vom Gesetzgeber beabsichtigte „Gleichklang“ der Abstandsregelungen bezieht sich dabei auf die damit jeweils verfolgten Ziele des Jugendschutzes und der möglichst frühzeitigen Vorbeugung von Spielsucht, indem die Gewöhnung Minderjähriger an die ständige Verfügbarkeit des Spielangebots durch eine Konfrontation mit diesem in ihrem täglichen Lebensumfeld um Schulen und ähnliche Einrichtungen vermieden werden soll (vgl. SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 33), wobei der Abstand zu Spielhallen aufgrund des größeren Suchtpotenzials auch weiter gezogen werden kann als zu Wettvermittlungsstellen (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2016 – 8 C 4.16 – juris Rn. 28). Sowohl Spielhallen (vgl. SächsOVG, B.v. 26.7.2021 – 6 B 262/21 – juris Rn. 23) als auch Wettvermittlungsstellen (vgl. SächsOVG, B.v. 17.10.2022 – 6 B 62/22 – juris Rn. 26) üben aufgrund ihrer vergleichbaren Außenwirkung einen „Reiz des Verbotenen“ aus, der insbesondere auf Kinder und Jugendliche anziehend wirkt.
70
Insoweit ergeben sich auch keine signifikanten Unterschiede zwischen Wettvermittlungsstellen und Spielhallen (siehe auch BayVGH, B.v. 7.5.2013 – 10 NE 13.226 – juris Rn. 26; B.v. 8.4.2014 – 22 CS 14.224 – juris Rn. 33), zumal es bei den Abstandsregelungen auch nicht darum geht, eine tatsächliche Teilnahme von Kindern und Jugendlichen an Glücksspielen zu verhindern, die schon durch die Betretens- (§ 6 Abs. 1 JuSchG) und Teilnahmeverbote (§ 4 Abs. 3 Satz 2 GlüStV 2021) rechtlich ausgeschlossen ist. Spielhallen wie auch Wettvermittlungsstellen im täglichen Umfeld von Kindern und Jugendlichen begründen vielmehr beide gleichermaßen die Gefahr, dass Glückspiel als alltäglicher Bestandteil des Lebens wahrgenommen wird. Gerade dieser Wirkung soll mit der Einführung von Abstandsgeboten entgegengetreten werden, wobei davon auszugehen ist, dass Kinder und Jugendliche Wettvermittlungsstellen in ihrem täglichen Umfeld in vergleichbarer Weise wahrnehmen, wie dies auch bei Spielhallen der Fall ist (vgl. VG Leipzig, B.v. 31.1.2022 – 5 L 23/22 – juris Rn. 64).
71
(c) Demgegenüber wurden in Bayern bislang keine mit Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV vergleichbaren Abstandsregeln für Spielhallen erlassen, obwohl dem Gesetzgeber die Problematik durchaus bewusst war. So wurde das Fehlen von Mindestabständen von Spielhallen im Gesetzgebungsverfahren zum AGGlüStVÄndG 2021 ausdrücklich thematisiert. Laut Änderungsantrag (vgl. LT-Drs. 18/15408) sollte ein entsprechender Mindestabstand auch für Spielhallen eingeführt werden, um Sportwettbüros und Spielhallen in Bezug auf Abstandsregeln gleichzustellen. Zur Begründung hierfür wurde angeführt, vor dem Hintergrund, dass Spielende, die in Suchthilfestellen Hilfe suchen, zum größten Teil Geldspielgeräte nutzen, sei eine „weichere“ Regelung als bei Sportwetten nicht angemessen (a.a.O. S. 2). Der Änderungsantrag wurde abgelehnt, weil dies zu einer einseitigen Schlechterstellung und zu einer Schließung bestehender Spielhallen führen würde (vgl. Plenarprotokoll vom 16.6.2021 Nr. 85, S. 11343, 11350). Hinreichende Sachgründe für eine unterschiedliche Behandlung von Spielhallen und Wettvermittlungsstellen in Bezug auf Mindestabstände zu Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie zu Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstellen trotz eines (zumindest) vergleichbaren Gefährdungs- und Suchtpotenzials von Geldspielgeräten und Sportwetten auch für Kinder und Jugendliche sowie einer vergleichbaren Außenwirkung von Spielhallen und Wettvermittlungsstellen auf Minderjährige („Reiz des Verbotenen“), die beide Glücksspielformen als „Gut des täglichen Lebens“ wahrnehmen, sind indes nicht ersichtlich, sodass das allein für Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft geltende Abstandsgebot des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV aller Voraussicht nach nicht systematisch und kohärent zur Bekämpfung der Spielsucht beiträgt, weil der mit ihm verfolgte Zweck durch eine gegenläufige Glücksspielpolitik im Bereich von Geldspielgeräten in Spielhallen mit gleich hohem oder höherem Suchtpotenzial wie dem von Sportwetten unterlaufen wird. Der Gesetzgeber setzt sich damit nicht nur in Widerspruch zu seiner eigenen Annahme hinsichtlich des gegenüber Sportwetten höheren Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzials von Geldspielgeräten auch für Jugendliche, wie sie dem Glücksspielstaatsvertrag und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen zugrunde liegt, sondern auch zu den auf dieser Grundlage erlassenen Abstandsregeln anderer Bundesländer. Eine unterschiedliche Regelung in einzelnen Bundesländern führt zwar nicht per se zur Inkohärenz. Die offenkundigen Wertungswidersprüche hinsichtlich der Abstandsvorschriften liegen hier aber auf der Hand, sodass das Vorgehen des Gesetzgebers voraussichtlich nicht mehr von der ihm zukommenden Einschätzungsprärogative gedeckt ist.
72
(aa) Soweit in diesem Zusammenhang angeführt wird, dass Spielhallen – anders als Wettvermittlungsstellen – bereits einen Mindestabstand zueinander einhalten müssen (vgl. Plenarprotokoll a.a.O. S. 11343), wird damit erkennbar ein anderer Zweck verfolgt als mit dem Abstandsgebot zu Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bzw. zu Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstellen. Während der Mindestabstand zu anderen Spielhallen – ebenso wie das Verbundverbot – der Begrenzung der Spielhallendichte und damit einer Beschränkung des Gesamtangebots an Spielhallen dient, um damit eine übermäßige Ausnutzung des Spieltriebs zu verhindern (vgl. BVerfG, B.v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a. – juris Rn. 135), soll das Abstandsgebot des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV zu einer möglichst frühzeitigen Vorbeugung von Spielsucht beitragen, indem die Gewöhnung vulnerabler Personen an die ständige Verfügbarkeit des Spielangebots in deren täglichem Lebensumfeld vermieden wird (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 136). Damit ist allerdings nicht gesagt, dass das Kohärenzgebot auch Mindestabstände zwischen Wettvermittlungsstellen erfordert.
73
(bb) Wenn diesbezüglich weiter argumentiert wird, dass gewerberechtlich genehmigte Altspielhallen – im Unterschied zu allenfalls geduldeten Wettvermittlungsstellen – Bestandsschutz genießen (vgl. Plenarprotokoll a.a.O. S. 11342 f., 11350), kann nicht davon ausgegangen werden, dass der durch § 33i Abs. 2 Nr. 3 GewO gewährleistete Schutz von Jugendlichen vor dem Betrieb von Spielhallen mit dem durch das Abstandsgebot verfolgten Zweck identisch ist. Das Abstandsgebot von Spielhallen (und Wettvermittlungsstellen) zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche soll diese vor einer Gewöhnung an die ständige Verfügbarkeit des Glücksspielangebots in ihrem täglichen Lebensumfeld schützen und einem „Reiz des Verbotenen“ für Minderjährige entgegenwirken. Es dient damit der Suchtprävention durch einen Schutz von Kindern und Jugendlichen im Vorfeld des Betretens einer Spielstätte und der Teilnahme am Automatenspiel, die bereits nach § 6 Abs. 1 JuSchG und § 4 Abs. 3 Satz 2 GlüStV 2021 verboten sind. Dieser Schutzzweck wird nicht schon durch den Erlaubnisversagungsgrund der Gefährdung der Jugend durch den Betrieb des Gewerbes nach § 33i Abs. 2 Nr. 3 GewO abgedeckt. Dieser dient regelmäßig der Abwehr der vom konkreten Spielhallenbetrieb am jeweiligen Standort ausgehenden Gefährdungen für Minderjährige (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2015 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 juris Rn. 59; a.A. wohl OVG NW, U.v. 30.6.2022 – 4 B 1846/21 – juris Rn. 84). Im Übrigen würde diese Argumentation jedenfalls nicht auf Neuspielhallen zutreffen, die sich nicht auf Bestandsschutz berufen können.
74
(cc) Auch kann das allein für Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft geltende Abstandsgebot des Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV nicht damit gerechtfertigt werden, dass Sportwetten – im Gegensatz zu Geldspielgeräten in Spielhallen – durch ihren starken Bezug zum Sport und deren Akteuren die Gefahr bergen, dass sportbegeisterte Kinder und Jugendliche schon früh an Sportwetten und die Markennamen verschiedener Wettveranstalter herangeführt werden und darüber die Sportwette als Gut des täglichen Lebens wahrgenommen wird (vgl. LT-Drs. 18/5861 S. 9). Der vom Gesetzgeber als Begründung für das auf Wettvermittlungsstellen beschränkte Abstandsgebot angeführte starke Sportbezug von Sportwetten und das daraus resultierende besondere Risiko von Sportwetten für sportbegeisterte Kinder und Jugendliche spiegelt sich nicht in den oben genannten Zahlen (S. 16 f., 26 f.) wider. Vielmehr sprechen diese dafür, dass Geldspielgeräte in Spielhallen und Gaststätten gerade auch für Kinder und Jugendliche mit einem höheren Gefährdungs- bzw. Suchtpotenzial verbunden sind als Sportwetten in Wettvermittlungsstellen. Hinzu kommt, dass aufgrund der oben (S. 30) erläuterten vergleichbaren Außenwirkung von Wettvermittlungsstellen und Spielhallen („Reiz des Verbotenen“) solche Spielstätten auch unabhängig von einer eventuellen Sportaffinität für Kinder und Jugendliche gleichermaßen anziehend sind.
75
Soweit der Antragsgegner unter Wiedergabe zweier Stellungnahmen der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern vom 16. Februar 2023 (Stellungnahme „Besondere Eigenschaften und das daraus resultierende Gefahrenpotential der Sportwette für Jugendliche“ sowie Ergänzende Stellungnahme „Besondere Eigenschaften der Sportwette“) darauf verweist (vgl. Schriftsatz der Landesanwaltschaft Bayern vom 17.2.2023 S. 13 und S.18-26), dass terrestrische Sportwetten im Unterschied zu anderen Glücksspielbereichen aufgrund spezifischer Besonderheiten eine erheblich gesteigerte Suchtgefahr sowie eine generelle Gefährlichkeit für Kinder, Jugendliche und suchtgefährdete bzw. -kranke Personen beinhalten, vermengt er dabei unterschiedliche Zielsetzungen von allgemeinem Spielerschutz und spezifischem Jugendschutz, von Vorschriften zur Werbung und zur Außengestaltung von Spielstätten, von Teilnahme- und Betretensverboten und von Regelungen für stationäres und Online-Glücksspiel gegenüber der hier allein im Streit stehenden Abstandsreglung zur Verhinderung von Gewöhnungseffekten bei vulnerablen Personen, ohne ein besonderes Risiko von Sportwetten für diese aufzeigen zu können.
76
So lässt sich zwar nicht von der Hand weisen, dass eine Kombination von Sport und Glücksspiel eine besondere Anziehungskraft auf sportbegeisterte Personen ausüben kann (Stellungnahme S. 1, Ergänzende Stellungnahme S. 2). Dies gilt aber nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern ebenso auch für Erwachsene (vgl. Premper/Sobottka, Besonderheiten und Herausforderungen bei der Behandlung pathologischer Glücksspielender, die bevorzugt an Sportwetten teilnehmen, Suchttherapie 2021, S. 37), sodass aus dem starken Sportbezug von Sportwetten keine hieraus resultierenden besonderen Gefahren von Sportwetten für Kinder und Jugendliche begründet werden können. Im Übrigen betrifft dieses Argument primär die – Kindern und Jugendlichen untersagte – Teilnahme an Sportwetten, wenn durch die Verbindung von Sport und Glücksspiel in geselliger Runde Sportwetten zur regulären Freizeitbeschäftigung auch für Jugendliche werden, und nicht die mögliche Gewöhnung von Kindern und Jugendlichen an die Verfügbarkeit von Sportwetten.
77
Auch die hohe Verfügbarkeit sowie die große soziale Akzeptanz von Sportwetten (Stellungnahme S. 1, Ergänzende Stellungnahme S. 2) ist nicht auf diese beschränkt, sondern ebenso bei anderen Glücksspielformen anzutreffen. So mag zwar die hohe Verfügbarkeit an Sportwettangeboten dazu führen, dass ein erheblicher Anteil an Kindern und Jugendlichen bereits an Sportwetten teilgenommen hat; entsprechendes gilt aber auch für das Spiel an Geldspielgeräten. Im Übrigen ist das Spielen durch Minderjährige primär eine Frage des Vollzugs von Teilnahme- und Betretensverboten, sagt aber nichts über eine mögliche Gewöhnung von Kindern und Jugendlichen an das Sportwettangebot in Wettvermittlungsstellen aus. Wenn auf eine expansive Werbung und Vermarktung von Sportwetten hingewiesen wird, die gerade auf Jugendliche als Zielgruppe abziele (Stellungnahme S. 1, Ergänzende Stellungnahme S. 2), ist dies primär ebenfalls eine Frage der Einhaltung bzw. Kontrolle des Werbeverbots gegenüber Minderjährigen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 3 und 4 GlüStV 2021), nicht jedoch die des Gewöhnungseffekts durch die Konfrontation mit Wettvermittlungsstellen in der Nähe von Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Zudem betrifft dies insbesondere die Werbung für Sportwetten im Fernsehen bzw. Internet und nicht die Außendarstellung von Wettvermittlungsstellen, hinsichtlich der durch Art. 7 Abs. 3 Nr. 5 AGGlÜStV die für Spielhallen geltenden Regelungen zur Beschränkung der Außenwerbung (vgl. § 26 Abs. 1 GlüStV 2021) auf den Bereich der Wettvermittlungsstellen übertragen wurden, um so eine Kohärenz zwischen beiden Glücksspielarten herzustellen (vgl. LT-Drs. 18/5861 S. 10).
78
Soweit darauf verwiesen wird, dass Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer entwicklungsbedingt höheren Risikobereitschaft und geringeren Selbstkontrolle besonders gefährdet für Sportwetten seien (Stellungnahme S. 1, Ergänzende Stellungnahme S. 1), trifft dies auf alle Glücksspielarten zu. Dabei werden kognitive Verzerrungen und die Überschätzung des Kompetenz- und Wissensanteils hinsichtlich Glücksspielen mit Geschicklichkeitsanteilen wie Sportwetten zwar bei männlichen Jugendlichen als besonders ausgeprägt eingeschätzt, doch werden diese auch bei Erwachsenen konstatiert (vgl. Hayer/Meyer, Das Suchtpotential von Sportwetten, Sucht 49 (4), 212/215 f.; Hayer/Kalke, Sportwetten: Spielanreize und Risikopotenziale, Suchttherapie 2020). Auch die hohen Gewinnmöglichkeiten, die Spielfrequenz, die Spielgeschwindigkeit sowie das Auszahlungsintervall bei Sportwetten (Ergänzende Stellungnahme S. 1) finden sich entsprechend bei Geldspielgeräten wieder (Abschlussbericht a.a.O., S. 5). Gleiches gilt für das Spielen und Prahlen mit Gewinnen bei Sportwetten in der „Peer-Group“ (Ergänzende Stellungnahme S. 3), das ebenso beim Automatenspiel anzutreffen ist (Abschlussbericht a.a.O., S. 49). Auch die Möglichkeit von „verdeckten Tippgemeinschaften“ (vgl. Schriftsatz vom 17.2.2023 S. 24 f.) ist ebenso beim Spiel in Spielhallen denkbar, wenn Minderjährige Volljährigen Geld mit dem Motiv, selbst zu gewinnen, mitgeben. Was die Möglichkeit angeht, dass – etwa in weiterführenden Schulen – volljährige Schüler Minderjährige zur Teilnahme an Sportwetten verleiten können (Ergänzende Stellungnahme S. 3), besteht dieses Risiko ebenso bei Spielhallen (vgl. OVG NW, U.v. 25.11.1985 – 4 A 768/83 – GewArch 1986, 369/370). Der Hinweis darauf, dass die glücksspielrechtlichen Probleme beim terrestrischen Wettangebot fast doppelt so hoch sind wie bei Online-Sportwetten (Ergänzende Stellungnahme S. 3), sagt nichts über das Verhältnis der Gefahren von Sportwetten für Jugendliche im Vergleich zu Geldspielgeräten aus. Auch aus der „sozialen Atmosphäre“ in Sportsbars usw. (Ergänzende Stellungnahme S. 3) kann nichts hinsichtlich des Gefährdungspotenzials von Spielhallen geschlossen werden.
79
Jedenfalls kann mit dem Argument, dass Sportwetten durch ihren starken Bezug zum Sport und deren Akteuren die Gefahr bergen, dass sportbegeisterte Kinder und Jugendliche schon früh an Sportwetten und die Markennamen verschiedener Wettveranstalter herangeführt werden, nicht gerechtfertigt werden, dass zwar Wettvermittlungsstellen, nicht aber Spielhallen auch einen Mindestabstand zu Suchtberatungs- und Suchtbehandlungsstätten, die überwiegend von Erwachsenen besucht werden dürften, einhalten müssen.
80
dd) Vor diesem Hintergrund kann im Ergebnis offenbleiben, ob mit dem Abstandsgebot der Jugend- und Spielerschutz im Übrigen systematisch und kohärent verfolgt wird.
81
(a) Allerdings erscheint bedenklich, dass für das Automatenspiel in Gaststätten weder ein Abstandsgebot noch sonstige Beschränkungen gelten. Aufgrund der fortgeltenden Spielverordnung dürfen in Gaststätten maximal zwei Geldspielgeräte aufgestellt werden (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 SpielV sowie Art. 5 der 6. Verordnung zur Änderung der SpielV vom 4. November 2014, BGBl. I S. 1678). Die Einhaltung des Verbots der Teilnahme von Minderjährigen am öffentlichen Glücksspiel (§ 6 Abs. 2 JuSchG, § 2 Abs. 4 i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 2 GlüStV 2021) ist dabei zwar durch ständige Aufsicht sicherzustellen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 SpielV). Der Zutritt zu Gaststätten ist jedoch für Minderjährige, anders als der Zutritt zu Spielhallen und Wettvermittlungsstellen, nicht generell verboten. Er kann Jugendlichen ab 16 Jahren zwischen 5:00 Uhr und 24:00 Uhr auch ohne Begleitung grundsätzlich gestattet werden (vgl. § 4 Abs. 1 JuSchG), sodass sie das Automatenspiel Erwachsener dort zumindest beobachten können. Der dadurch gewährleistete Jugend- und Spielerschutz im Bereich des Automatenspiels in Gaststätten ist damit geringer als in Wettvermittlungsstellen oder Spielhallen, obwohl Geldspielgeräte in Gaststätten im unmittelbaren Lebensumfeld potenzieller Spieler leicht zugänglich und auf dem Schulweg für Kinder und Jugendliche erreichbar sind. Angesichts der oben (S. 16 f., 26 f.) genannten Zahlen von Jugendlichen, die an Geldspielgeräten in Gaststätten spielen, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Spielanreize aufgrund des unterschiedlichen Gepräges der Spielstätten in Spielhallen bzw. Wettvermittlungsstellen typischerweise größer sind als in Gaststätten mit lediglich zwei erlaubten Geldspielgeräten. Auch wenn Wettvermittlungsstellen bzw. Spielhallen im Unterschied zu Gaststätten hauptsächlich dem Glücksspiel dienen, was ihr äußeres Erscheinungsbild bestimmt, während der Schwerpunkt der gewerblichen Tätigkeit von Gaststätten nicht im Aufstellen und Bereithalten von Spielgeräten liegt, sondern im entgeltlichen Anbieten von Speisen und Getränken, bestehen Zweifel, ob Jugendliche dort – anders als in Wettvermittlungsstellen bzw. Spielhallen, die sie nicht betreten dürfen – trotz des gleichfalls vorhandenen „Reiz des Verbotenen“ regelmäßig einer größeren Sozialkontrolle durch andere Gäste unterliegen (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2015 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 juris Rn. 79 f.). So hatten wegen des Suchtpotenzials von Geldspielgeräten in Gaststätten für Kinder und Jugendliche die Drogenreferenten der Länder bereits in der Anhörung zum Glücksspielstaatsvertrag 2008 deren vollständiges Verbot gefordert (vgl. Anlage zur LT-Drs. 15/8486, S. 4).
82
(b) Auch ist fraglich, ob Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV insoweit mit Unionsrecht vereinbar ist, als das Abstandsgebot nur für Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 AGGlüStV gilt, während (Lotto-) Annahmestellen im Nebengeschäft i.S.d. Art. 7a Abs. 1 Satz 1 AGGlüStV davon ausgenommen sind, auch wenn dort u.a. ODDSET-Sportwetten angeboten werden, mit deren Veranstaltung der Antragsgegner erkennbar auch eigene fiskalische Zwecke verfolgt. Die Begründung hierfür (vgl. LT-Drs. 18/5861 S. 9), bei (Lotto-) Annahmestellen rechtfertigten es das geringere Wettangebot (keine Live-Wetten), die zurückhaltende Außendarstellung und das Gesamtgepräge einer Sportwettvermittlung im Nebengeschäft (eingebunden in das jeweilige Hauptgewerbe wie z.B. Kiosk, Schreibwarengeschäft, Tankstelle usw.) auf Abstandsgebote zu verzichten, weil der Anziehungs- und Werbeeffekt einer solchen Wettvermittlungsstelle geringer sei als bei Wettvermittlungsstellen, deren Hauptzweck die Vermittlung von Glücksspielen sei, steht im Widerspruch dazu, dass durch das Abstandsgebot gerade verhindert werden soll, dass sportbegeisterte Kinder und Jugendliche sowie Suchtgefährdete bzw. Suchtkranke Sportwetten als Gut des täglichen Lebens wahrnehmen, obwohl wegen des Vertriebs von ODDSET in (Lotto-) Annahmestellen Sportwetten zu einem allerorts verfügbaren Gut des täglichen Lebens werden (vgl. BVerfG, U.v. 28.3.2006 – 1 BvR 1054/01 – BVerfGE 115, 276 juris Rn. 138). Hinzu kommt, dass (Lotto-) Annahmestellen in Schreibwarenläden usw., die von Minderjährigen betreten werden können und in denen Süßigkeiten, Schulhefte, Comics usw. erhältlich sind, einen größeren Anziehungseffekt auf diese haben dürften („Reiz des Verbotenen“) als Wettvermittlungsstellen, in denen sich Kinder und Jugendliche gemäß § 6 Abs. 1 JuSchG nicht aufhalten dürfen. Hierfür sprechen auch die Präferenzen der Spielorte, bei denen (Lotto-) Annahmestellen an der Spitze liegen (vgl. S. 17). Entgegen der Annahme des Gesetzgebers wird so auch kein „Gleichlauf mit dem Jugendschutzgesetz“ erzielt, sondern der Jugendschutz vermindert. So hatten Suchtexperten zum besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen bereits im Rahmen der Anhörung zum Glücksspielstaatsvertrag 2008 eine deutliche Abtrennung des Glücksspielangebots in (Lotto-) Annahmestellen unter Beachtung des Jugendschutzes verlangt (vgl. Anlage zur LT-Drs. 15/8486 S. 8). Allerdings ist der Vertrieb von ODDSET in den nach Art. 1 Abs. 3 Satz 2 AGGlüStV auf maximal 3700 beschränkten (Lotto-) Annahmestellen im Nebengeschäft gemäß § 29 Abs. 6 GlüStV 2021 i.V.m. Art. 16 Abs. 3 AGGlüStV nur noch übergangsweise bis zum 30. Juni 2024 zulässig, sodass sich diese danach nicht mehr in einem Konkurrenzverhältnis zu Wettvermittlungsstellen befinden werden (vgl. Heimerl/Reiter, BayVBl 2022, 837/840).
83
ee) Da Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV nach dem Ausgeführten voraussichtlich gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) verstößt, ist das Abstandsgebot aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts (vgl. EuGH, U.v. 8.9.2010 – C-409/06, Winner Wetten – juris Rn. 53 ff.; BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 10.12 – juris Rn. 58 ff.; BayVGH, U.v. 26.6.2012 – 10 BV 09.2259 – juris Rn. 54) auf Wettvermittlungsstellen im Hauptgeschäft, in denen Sportwetten für einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Veranstalter, der über eine Erlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 zur Veranstaltung von Sportwetten verfügt, vermittelt werden, vorläufig unanwendbar (vgl. OVG NW, B.v. 22.6.2017 – 13 B 238/17 – juris Rn. 136).
84
2.3 Da Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 AGGlüStV vorläufig unanwendbar ist und die Untersagung der Sportwettvermittlung hierauf gestützt ist, ist die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Untersagungsverfügung in Ziffer 2, 2.1 und 2.2 des angefochtenen Bescheids anzuordnen, weil den durch Art. 56 AEUV geschützten Interessen der Antragstellerin an der Sportwettvermittlung bei voraussichtlicher Unionsrechtswidrigkeit des Abstandsgebots schon im Ausgangspunkt kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagung entgegensteht (vgl. OVG NW, B.v. 22.6.2017 – 13 B 238/17 – juris Rn. 135).
85
2.4 Gleiches gilt auch für die Untersagung der Werbung für die Sportwettvermittlung in Ziffer 2 sowie für die mit der Untersagung der Sportwettvermittlung verbundene Anordnung in Ziffer 2.3 des angefochtenen Bescheids, wonach Wettunterlagen, Werbeeinrichtungen, technische Einrichtungen und sonstige für den Wettbetrieb erforderliche Gegenstände spätestens bis zum Ablauf von 95 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids aus den Geschäftsräumen zu entfernen sind. Denn ist die Untersagung der Vermittlung von Sportwetten voraussichtlich rechtswidrig, so erfasst dies auch damit verbundene Nebenanordnungen (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 CS 14.2669 – juris Rn. 64).
86
2.5 Entsprechendes gilt schließlich für die Zwangsgeldandrohungen nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 2, Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Art. 30 Abs. 1 Satz 1, Art. 31, Art. 36 VwZVG i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 2 GlüStV 2021 in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids, die als Annexanordnungen das rechtliche Schicksal derjenigen Verfügungen teilen, deren Durchsetzung sie nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwZVG erzwingen sollen (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 CS 14.2669 – juris Rn. 65).
87
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
88
4. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 GKG i.V.m. Nrn. 54.1, 1.5 und 1.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (wie Vorinstanz).
89
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).