Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.03.2023 – 19 CE 22.2465
Titel:

Erfolgloses Eilverfaren auf Ausstellung einer Fiktionsbescheingung

Normenketten:
VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
AufenthG § 28 Abs. 1 S.1 Nr. 3, S. 2, § 31, § 81 Abs. 4 S. 1, Abs. 5
ZustVAuslR § 3 Abs. 1 Nr. 3
GG Art. 6 Abs. 1, Abs. 2
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiäre Bindung des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, dh entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen, wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten ist, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Eltern-Kind-Beziehung unterfällt dem Schutzbereich des Art. 6 GG dann, wenn eine verantwortungsvoll gelebte, dem Schutzzweck der wertentscheidenden Grundsatznorm entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft besteht, die sich jedoch nicht allein quantitativ etwa nach Daten und Uhrzeiten des persönlichen Kontakts oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen lässt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fiktionsbescheinigung, Entfallen der Fortgeltungsfiktion, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, Eilbeschwerde, einstweilige Anordnung, Anordnungsanspruch, Ausländerrecht, Vietnam, Vaterschaftsanerkennung, Sorgerechtserklärung, Fürsorgebeziehung, Nähebeziehung, Kontakt
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 07.11.2022 – AN 5 E 22.2277
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6056

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
2
Die Prüfung der für die Begründetheit der Beschwerde streitenden Gründe ist im Grundsatz auf das in der Beschwerdebegründung Dargelegte beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Danach ergibt sich nicht, dass der Antragsgegner entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten wäre, dem am 26. Juni 1970 geborenen, am 14. Februar 2002 in die Bundesrepublik eingereisten, im Asylverfahren erfolglosen (Asylantrag vom 18.2.2002; ablehnender Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13.6.2002; Asylfolgeantrag vom 21.7.2020; ablehnender Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4.11.2020), ab dem 24. Juli 2002 zunächst geduldeten, in der Folge sich wiederholt erlaubt im Bundesgebiet aufhaltenden (nach Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen Aufenthaltsbefugnis von 17.7.2003 bis zum 22.11.2004 <Trennung von der Ehefrau am 1.7.2004>; nach der Geburt eines Sohnes mit deutscher Staatsangehörigkeit am 15. Juni 2005 Aufenthaltserlaubnisse nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ab dem 15.8.2005 bis zum 8.8.2014; in der Folge Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG bis zum 6.6.2020) Antragsteller, vietnamesischer Staatsangehöriger, eine Fiktionsbescheinigung auszustellen und hilfsweise, ihn vorläufig nicht abzuschieben.
3
Zur Begründung der Antragsablehnung führt das Verwaltungsgericht aus, der Haupt- wie auch der Hilfsantrag seien jeweils zulässig, aber unbegründet. Hinsichtlich des Antrages auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung fehle es jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches. Zwar könne sich der Antragsgegner nicht darauf berufen, für die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nicht zuständig zu sein. Aus § 3 Abs. 1 Nr. 3 ZustVAuslR ergebe sich, dass die Zentrale Ausländerbehörde selbst dann, wenn sie die Zuständigkeit zum Zwecke der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen an sich gezogen habe, auch z.B. über Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu entscheiden habe. Aus § 3 Abs. 2 ZustVAuslR ergebe sich, dass sie alle Aufgaben der Ausländerbehörde wahrnehme. Es bestehe daher kein Raum für die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung durch eine andere Behörde, solange die Zentrale Ausländerbehörde, wie vorliegend, zuständig sei. Entgegen dem Vortrag seines Bevollmächtigten habe der Antragsteller jedoch keinen Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 AufenthG. Vorliegend habe der Antragsteller jedoch seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zurückgenommen. Am 9. August 2011 habe er eine entsprechende Erklärung unterzeichnet. Entgegen der Ansicht seines Bevollmächtigten spreche auch der Wortlaut der Erklärung, der Antragsteller nehme „den Antrag“ auf Niederlassungserlaubnis zurück, nicht dagegen, dass auch der Antrag vom 7. Juli 2008 von der Antragsrücknahme mit umfasst sei. Der Antrag vom 19. Juli 2011, der nach Ansicht des Bevollmächtigten allein zurückgenommen sein solle, sei in der Erklärung genauso wenig erwähnt, wie der spätere Antrag vom 19. Juli 2011. Es sei bereits nicht plausibel, dass der Antragsteller die beiden Anträge auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als rechtlich selbständig angesehen habe und nicht mit seinem neuerlichen Antrag vom 19. Juli 2011 sein Begehren vom 7. Juli 2008 lediglich deklaratorisch wiederholt habe. Gründe, warum vom Vorliegen zweier unabhängig voneinander bestehender Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auszugehen sein könnte, seien nicht ersichtlich. Dementsprechend sei die Erklärung des Antragstellers, er nehme den Antrag auf Niederlassungserlaubnis zurück, so zu verstehen, dass er damit das entsprechende Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ohne Vorbehalte habe beenden wollen. Auch, dass er auf seine Erklärungen, eine Niederlassungserlaubnis beantragen zu wollen, zehn Jahre lang nicht Bezug genommen habe, spreche hierfür. Letztlich ergebe sich aber auch aus dem Zusatz in der Erklärung vom 9. August 2011, dass er mit einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre einverstanden sei, dass seine Erklärung der Antragsrücknahme das behördliche Verfahren hinsichtlich der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis umfassend beenden sollte. Denn sonst ergäbe das Festhalten der Folge, dass der Antragsteller statt einer Niederlassungserlaubnis nur eine Aufenthaltserlaubnis erhalte, keinen Sinn. Insofern sei, selbst wenn man dem Antrag vom 19. Juli 2011 einen rechtlich selbständigen, über denjenigen vom 7. Juli 2008 hinausgehenden Gehalt beimessen wollte, aus der Rücknahmeerklärung trotz der Formulierung „den Antrag“ ohne weiteres erkennbar, dass auch in diesem Fall sämtliche Anträge auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zurückgenommen werden sollten. Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet werden soll, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller zu unterlassen, sei unbegründet. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sei weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich. Der Bevollmächtigte des Antragstellers habe sich im Gerichtsverfahren auf die Übersendung der Vaterschaftsanerkennung und der Sorgerechtserklärung beschränkt. Eine tatsächliche Nähebeziehung habe er nicht dargelegt. Eine solche liege aufgrund der Entfernung des Antragstellers von seinem Sohn von 280 km (mehr als vier Stunden Fahrtzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln) seit dem Jahr 2020 und 470 km vor dem Wegzug aus R. eher fern. Bereits im Jahr 2014 habe der Antragsteller keine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG mehr erhalten, sondern ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG. Dies zeige, dass er schon damals keine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung mehr habe darlegen können. Auch die Tatsache, dass der Antragsteller bei der informatorischen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 7. Oktober 2020 angegeben habe, einen Sohn in Deutschland zu haben, der „8 oder 9 Jahre alt“ sei, obwohl der Sohn zu diesem Zeitpunkt bereits 15 Jahre alt gewesen sei, spreche weder dafür, dass der Antragsteller seinen Sohn in den letzten Jahren häufig gesehen habe, noch, dass er eine relevante Fürsorge- oder Nähebeziehung zu ihm habe.
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Zur Begründung seiner Beschwerde lässt der Antragsteller vortragen, die gesamten Umstände im Hinblick auf die Erklärung des Antragstellers vom 9. August 2011 sprächen im Hinblick auf die Auslegung von Willenserklärungen nach dem sog. Empfängerhorizont und auch was die Plausibilität anbelange, dafür, dass der Antrag vom 7. Juli 2018 schlichtweg vergessen worden sei. Zu unterstellen, dass der Antragsteller mit seinem „zweiten“ Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom 19. Juli 2011 seinen Antrag vom 7. Juli 2008 lediglich deklaratorisch habe wiederholen wollen, finde keinerlei Anhaltspunkt im Gesetz und auch nicht in den sich aus den Akten ergebenden Gesamtumständen des Sachverhaltes. Der Antragsteller sei juristischer Laie. Er habe am 7. Juli 2008 einen Antrag auf Niederlassungserlaubnis gestellt, in der Folge aber lediglich eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Aus den Umständen sowie dem Inhalt der Akte sei nicht ansatzweise zu entnehmen, dass der Antragsteller überhaupt juristisch einzuschätzen vermocht habe, was mit seinem Antrag vom 7. Juli 2008 geschehen sei. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Antragsteller wie auch immer überredet worden sei, sich mit der ihm erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnis zufrieden zu geben. Die Tatsache, dass auf den Antrag des Antragstellers vom 19. Juli 2011 schließlich in der Behördenakte mit der Erklärung vom 9. August 2022 niedergelegt worden sei, dass der Antragsteller seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis zurücknehme, resultiere offensichtlich aus einer aufgrund der o.g. Rechtsprechung veränderten Behördenpraxis. Da eben eine Fiktionswirkung (nur) dann nicht mehr bestehen könne, wenn der Antrag zurückgenommen wird, werde seitens der Behörden meist darauf geachtet, Anträge soweit sie nicht entschieden würden, im Übrigen von den Antragstellern zurücknehmen zu lassen. Den Akten sei gerade nicht zu entnehmen, dass mit der Erklärung vom 9. August 2011 „vorbehaltlos“ alle etwa noch anhängigen Anträge zurückgenommen werden sollten. Weder der Antragsteller noch die damals zuständige Ausländerbehörde hätten den noch anhängigen Antrag vom 7. August 2008 im Blick gehabt, als diese Erklärung abgefasst worden sei. Der Antragsteller habe auch aus gutem Grund bereits am 7. Juli 2008 die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragt. Nach Geburt seines (deutschen) Kindes sei ihm ab dem 15. August 2005 jährliche Aufenthaltserlaubnisse nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt worden. Die letzte dieser einjährigen Aufenthaltserlaubnisse habe am 14. August 2011 geendet, weswegen der Antragsteller rechtzeitig vor Ablauf dieser Aufenthaltserlaubnis einen neuen Antrag gestellt habe. Er habe die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG beantragt. In der Folge sei der Akte zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin bzw. die damals zuständige Ausländerbehörde diesen Antrag auch als Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis behandelt hätte. Unter dem 11. Juli 2008 seien seitens der Ausländerbehörde mehrere Anfragen an verschiedene Gerichte/Ämter versandt worden, die darauf abgezielt hätten, zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gegeben seien. Aus der Akte finde sich kein nachvollziehbarer Anhalt dafür, aus welchem Grund dem Antragsteller zum damaligen Zeitpunkt eine Niederlassungserlaubnis nicht erteilt worden sei. Rein faktisch sei jedoch die Erteilung einer nur befristeten Aufenthaltserlaubnis ab dem 14. August 2008 ein „Weniger“, als die vom Antragsteller beantragte Niederlassungserlaubnis. Für die Auffassung des Gerichtes, der Antragsteller habe dann am 19. Juli 2011 seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis rein deklaratorisch wiederholt, sei absolut nichts ersichtlich und sei dies nach Kenntnis der Verwaltungspraxis des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers auch nicht plausibel und nicht ansatzweise nachvollziehbar. Schon gar nicht könne dem Antragsteller als juristischem Laien gar unterstellt werden, er habe diese beiden Anträge als einheitlichen Verwaltungsvorgang betrachtet. Dies habe selbst die Antragsgegnerin nicht zu erkennen vermocht, also, dass überhaupt noch ein noch nicht verbeschiedener Antrag anhängig gewesen sei. Da jedoch über diesen Antrag zu keinem Zeitpunkt entschieden worden sei, sei im Hinblick auf die Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen (B.v. 20.2.2009 – 18 A 2620/08 – juris Rn. 17, 23) davon auszugehen, dass dieser Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach wie vor anhängig sei und Fiktionswirkung entfalte. Nach den gesamten Umständen und dem Inhalt der übersandten Behördenakte sei davon auszugehen, dass der Antragsteller nach Ablauf seiner bis 14. August 2008 befristeten Aufenthaltserlaubnis auch tatsächlich eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG hätte erhalten können, eine Entscheidung darüber ihm aber bis heute in rechtswidriger Weise vorenthalten werde. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis hätten ganz offensichtlich vorgelegen. Abzustellen sei hierbei auf den Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen vorlägen. Die Niederlassungserlaubnis könne somit auch für die Vergangenheit erteilt werden, wenn hierfür ein schützenswertes Interesse bestehe. Auch im Hinblick auf die Rechte des Antragstellers aus dem Grundsatz der Gewährleistung des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK begegne die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erheblichen rechtlichen Bedenken. Nach der Geburt seines Sohnes, welcher die deutsche Staatsangehörigkeit innehabe, sei dem Antragsteller von 15. Juni 2005 an bis Juli 2020 entsprechende Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden. Offenbar sei also innerhalb dieser 15 Jahre zu keinem Zeitpunkt daran gezweifelt worden, dass eine schützenswerte Vater-Kind Beziehung im Bundesgebiet gelebt werde. Dies sei auch bis heute so, wie sich aus der beigefügten Erklärung des Kindes selbst sowie dessen Mutter vom 27. November 2022 ergebe.
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Diese Rügen greifen nicht durch.
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1. Die verwaltungsgerichtliche Auffassung, hinsichtlich des Antrages auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung fehle es jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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Einem Ausländer, der vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt, ist eine Bescheinigung (Fiktionsbescheinigung) darüber auszustellen, dass sein bisheriger Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend gilt (§ 81 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 AufenthG).
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers gilt seine bis zum 14. August 2008 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AufenthG nicht deshalb als fortbestehend, weil über seinen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom 7. Juli 2008 noch nicht entschieden worden wäre, sodass ihm daher auch kein Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung zusteht.
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Ausweislich der vorliegenden Behördenakte ist zwar wohl zutreffend, dass der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht förmlich (ablehnend) verbeschieden worden ist. Über den Antrag vom 7. Juli 2008 ist aber offenkundig entschieden und das mit dem Antrag begonnene behördliche Verfahren auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beendet worden. Denn dem Antragsteller ist aufgrund seines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis von der damals zuständigen Ausländerbehörde am 14. August 2008 eine bis zum 14. August 2011 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt worden (ein entsprechender handschriftlicher Vermerk <„AE bis 14.8.2011“> befindet sich auf Blatt 4 des Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis des Antragstellers). Die damals zuständige Ausländerbehörde hat in diesem Zusammenhang den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis offensichtlich (zugunsten des Antragstellers) dahingehend ausgelegt, dass für den Fall, dass ein unbefristeter Aufenthaltstitel nicht erteilt werden kann, auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt worden ist. Hätte sie dies nicht getan, hätte dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gar nicht erteilt werden können, weil er einen ausdrücklichen Antrag gem. § 81 Abs. 1 AufenthG auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht gestellt hatte. Mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG am 14. August 2008 lehnte die damals zuständige Ausländerbehörde den Antrag auf Erlass einer Niederlassungserlaubnis vom 7. Juli 2008 daher konkludent ab (ein entsprechender handschriftlicher Vermerk <„kein deutsch, keine NL“> befindet sich auf Blatt 4 des Antrags). Da der Antragsteller die (mittlerweile bestandskräftige) Erteilung („nur“) einer Aufenthaltserlaubnis (im Beschwerdevorbringen wird die Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis ab dem 14.8.2008 als ein „Weniger“ als die vom Antragsteller beantragte Niederlassungserlaubnis bezeichnet) nicht angefochten hat, hat er sowohl die Auslegung der damals zuständigen Ausländerbehörde als auch die Erteilung eines befristeten statt eines unbefristeten Aufenthaltstitels – aus welchen Gründen auch immer – akzeptiert. Mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis endete folglich auch die Wirkung der Antragstellung nach § 81 Abs. 4 AufenthG. Ein Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung aufgrund des Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom 7. Juli 2008 kommt daher nicht mehr in Betracht.
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2. Soweit das Verwaltungsgericht die Auffassung vertritt, auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei unbegründet, weil eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich sei, begegnet diese keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK gewähren einen unmittelbaren Anspruch auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet. Die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiäre Bindung des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Es ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 7 m.w.N., B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 45).
12
Eine Eltern-Kind-Beziehung unterfällt dem Schutzbereich des Art. 6 GG dann, wenn eine verantwortungsvoll gelebte, dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft besteht (BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 31), die sich jedoch nicht allein quantitativ etwa nach Daten und Uhrzeiten des persönlichen Kontakts oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen lässt. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt (BVerfG, B.v. 8.12.2005- 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 21). Dies erfordert eine Untersuchung im Einzelfall, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Es ist zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 14). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 EMRK gilt insoweit nichts anderes, da auch insoweit ein tatsächlich gelebtes Näheverhältnis zwischen den Familienmitgliedern vorausgesetzt wird (EGMR, U.v. 13.6.1979 – Marckx/Belgien, Nr. 6833/74 – EuGRZ 1979, 454 Rn. 31).
13
Gemessen daran, sind die Ausführungen im angegriffenen Beschluss nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht führt insoweit aus, der Antragsteller habe eine tatsächliche Nähebeziehung zu seinem Sohn nicht dargelegt. Eine solche liege aufgrund der Entfernung des Antragstellers von seinem Sohn von 280 km (mehr als vier Stunden Fahrtzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln) seit dem Jahr 2020 und 470 km vor dem Wegzug aus R. eher fern. Bereits im Jahr 2014 habe der Antragsteller keine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG mehr erhalten, sondern ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG, was zeige, dass er schon damals keine schützenswerte Vater-Kind-Beziehung mehr habe darlegen können. Auch die Tatsache, dass der Antragsteller bei der informatorischen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 7. Oktober 2020 angegeben habe, einen Sohn in Deutschland zu haben, der „8 oder 9 Jahre alt“ sei, obwohl der Sohn zu diesem Zeitpunkt bereits 15 Jahre alt gewesen sei, spreche weder dafür, dass der Antragsteller seinen Sohn in den letzten Jahren häufig gesehen habe, noch, dass er eine relevante Fürsorge- oder Nähebeziehung zu ihm habe.
14
Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen des Antragstellers, ihm seien ab der Geburt seines die deutsche Staatsangehörigkeit besitzenden Sohnes am 15. Juni 2005 bis Juli 2020 entsprechende Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden, sodass offenbar innerhalb dieser 15 Jahre zu keinem Zeitpunkt daran gezweifelt worden sei, dass eine schützenswerte Vater-Kind Beziehung im Bundesgebiet gelebt werde, und dies ausweislich der beigefügten Erklärung des Kindes selbst sowie dessen Mutter vom 27. November 2022 bis heute so sei, vermag die verwaltungsgerichtliche Auffassung nicht in Zweifel zu ziehen.
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Zwar führt die Kindsmutter in der vorgelegten Erklärung aus, der Antragsteller habe telefonischen und einmal im Monat persönlichen Kontakt zu seinem Sohn und er mache ihm Geschenke zum Geburtstag sowie Weihnachten, Ostern und Nikolaus, und bittet der Sohn darin, den Kontakt mit seinem Vater weiterhin aufrechterhalten zu können. Eine relevante Fürsorge- oder Nähebeziehung lässt sich aus den sehr überschaubaren und wenig detaillierten Ausführungen in der Erklärung aber nicht herleiten. Der Senat schließt sich daher den diesbezüglichen Ausführungen im angegriffenen Beschluss an und ergänzt lediglich, dass der Sohn des Antragstellers im Juni diesen Jahres sein 18. Lebensjahr vollenden wird und keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Sohn des Antragstellers in irgendeiner Form auf die Hilfe des Antragstellers angewiesen ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).