Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.02.2023 – 9 ZB 22.266
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen Rollsport-Erlebnisanlage

Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 3
BImSchG § 3, § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ist die Sachlage zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung ausschlaggebend, so dass sich dem Nachbarn günstige Änderungen nicht zulasten des Bauherrn auswirken. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die durch bestimmungswidrigen Gebrauch verursachten erheblichen Belästigungen ist der Betreiber einer Anlage nur dann verantwortlich, wenn er durch die Einrichtung dafür einen besonderen Anreiz geschaffen hat und wenn er derartigen Anreizen nicht mit zumutbaren angemessenen Mitteln entgegenwirkt. Allein die Eignung einer missbräuchlichen Nutzung genügt insoweit nicht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Außenbereich, Gebietsart, Rücksichtnahmegebot., Rücksichtnahmegebot, Lärmbelästigung, Zeitpunkt für Beurteilung der Rechtmäßigkeit, Nachbar, Einzäunung, erhebliche Belästigungen, missbräuchliche Nutzung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 28.10.2021 – AN 17 K 20.907
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6051

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich als Eigentümerin zweier Grundstücke gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Rollsport-Erlebnisanlage. Das Baugrundstück der Beigeladenen ist etwa 160 m von den klägerischen Grundstücken entfernt.
2
Das Verwaltungsgericht hat die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage abgewiesen. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletze keine Rechte der Klägerin. Das im Außenbereich vorgesehene Vorhaben verstoße insbesondere nicht wegen unzumutbarer Lärmbelästigung gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, da es keine der Beigeladenen zuzurechnenden schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG auf das Grundstück der Klägerin hervorrufe.
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter und macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend. Der Beklagte – Landesanwaltschaft B. – verteidigt das angefochtene Urteil. Die Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen weder ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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1. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Baugenehmigung für das nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vorhaben keine Rechte der Klägerin verletzt. Vor allem hat es eine Beeinträchtigung der drittschützenden Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB unter Bezugnahme auf das im Genehmigungsverfahren eingeholte Gutachten zu den schalltechnischen Auswirkungen der Anlage verneint. Die dagegen im Zulassungsverfahren erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.
7
Die Klägerin macht – wie schon im erstinstanzlichen Verfahren – geltend, das Urteil sei unrichtig, weil ihre Grundstücke tatsächlich nicht, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, in einem Mischgebiet, sondern in einem (reinen) Wohngebiet lägen, für das strengere Immissionsrichtwerte heranzuziehen sind. Die durch die geplante Rollsport-Erlebnisanlage entstehende Lärmbelästigung sei ihr deshalb nicht zumutbar und das entsprechende Sachverständigengutachten, das insoweit an eine falsche Tatsache anknüpfe und dem Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Rechtsansicht gedient habe, „unbrauchbar“. Dieses Vorbringen überzeugt nicht. Denn das Verwaltungsgericht hat vor dem Hintergrund des von ihm durchgeführten Augenscheins ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass die Umgebung der Grundstücke der Klägerin nicht einem (allgemeinen) Wohngebiet, sondern einem faktischen Mischgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO) entspricht. Zur Begründung seiner Einschätzung hat es auf den vorhandenen Bauhof der Beigeladenen, die bestehenden Vertriebe für Drucker und Tonerkartuschen, Gartenbewässerungsanlagen und - bauartikel sowie eine Kfz-Werkstatt und den Kreisbauhof verwiesen, welche überwiegend jedenfalls mangels ihres gebietsversorgenden Charakters in einem Wohngebiet so nicht zulässig wären (UA S. 24). Diesen nachvollziehbaren Ausführungen tritt die Klägerin nicht substantiiert entgegen, sondern beschränkt sich auf die Behauptung, es lasse sich hier deutlich feststellen, dass ein reines Wohngebiet vorliege und die gewerbliche oder anderweitige Nutzung in der Umgebung eine deutlich untergeordnete Rolle spiele bzw. zu vernachlässigen sei. Auch ihr Hinweis, das gesamte Gebiet befinde sich in einem stetigen Wandel und anlässlich des Augenscheins hätten sich weder eine gewerbliche Tätigkeit noch Parteiverkehr oder Arbeitsgeräusche feststellen lassen, verhilft ihrem Zulassungsbegehren nicht zum Erfolg. Allein der Umstand fehlenden Parteiverkehrs oder mangelnder Arbeitsgeräusche deutet noch nicht auf die Aufgabe betrieblicher Nutzungen hin, zumal selbst eine (kurzfristige) Unterbrechung einer Tätigkeit nicht zwingend dazu führt, dass der bisherigen Nutzung keine prägende Wirkung für die nähere Umgebung mehr zukommt (Spannowsky in Beck'scher Online-Kommentar VwGO, Stand 1.5.2022, § 34 Rn. 74). Im Übrigen ist – worauf bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat – ausschlaggebend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung die Sachlage zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung, so dass sich dem Nachbarn günstige Änderungen nicht zulasten des Bauherrn auswirken (BayVGH, U.v. 28.4.2015 – 15 B 13.2262 – juris Rn. 37; BVerwG, B.v. 11.1.1991 – 7 B 102.90 – juris Rn. 3), weshalb seit Erlass der Baugenehmigung gewandelte Gebietsverhältnisse, die zudem nicht belegt sind, hier irrelevant sind.
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Der weitere Vortrag der Klägerin, das Verwaltungsgericht „stellt hier lediglich auf ein Rücksichtnahmegebot ab und prüft die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 BauGB überhaupt nicht“, trifft ersichtlich nicht zu. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht ausführlich sowohl die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 35 Abs. 2 BauGB (UA S. 19) als auch das vorliegend aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG hergeleitete Verbot der Herbeiführung einer unzumutbaren Lärmbeeinträchtigung geprüft. Die Klägerin setzt sich mit dem von dem Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang herangezogenen gutachterlichen Bericht vom 28. Oktober 2019, ergänzt am 16. Dezember 2019 sowie am 13. Februar 2020 allerdings nicht auseinander und zeigt keine Fehler der dortigen Berechnung oder der vom Gericht gezogenen Schlussfolgerungen auf.
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Und schließlich begründet auch die Auffassung der Klägerin, „die einzige wirksame Maßnahme sei eine Einzäunung und ein entsprechendes Öffnen der Anlage zu den entsprechenden Betriebszeiten“, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Unabhängig von der möglichen Wirksamkeit einer derartigen Maßnahme ist die Beklagte zum Erlass einer solchen Auflage nicht verpflichtet, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es in den Ruhezeiten zu unerlaubtem Spielbetrieb, der der Beigeladenen zuzurechnen wäre, kommt. Die Zurechenbarkeit missbräuchlicher Nutzungen einer Anlage stellt einen Ausnahmefall dar. Für die durch bestimmungswidrigen Gebrauch verursachten erheblichen Belästigungen ist der Betreiber einer Anlage nur dann verantwortlich, wenn er durch die Einrichtung dafür einen besonderen Anreiz geschaffen hat und wenn er derartigen Anreizen nicht mit zumutbaren angemessenen Mitteln entgegenwirkt (BayVGH, U.v. 6.2.2015 – 22 B 12.269 – juris; U.v. 30.11.1987 – 26 B 82 A.2088 – BayVBl 1988, 241 = juris). Allein die Eignung einer missbräuchlichen Nutzung genügt insoweit nicht (BVerwG, B.v. 29.5.1989 – 4 B 26.89 – juris). Das Verwaltungsgericht ist in diesem Zusammenhang nachvollziehbar zu der Auffassung gelangt, dass geeignete Maßnahmen gegen mögliche missbräuchliche Nutzungen der streitgegenständlichen Anlage vorliegen und diese im Übrigen auch nicht per se zu einer regelwidrigen Nutzung einlädt. Diesen Darlegungen ist die Klägerin ebenfalls nicht substantiiert entgegengetreten. Sie hat lediglich die Vermutung aufgestellt, dass die Benutzungsregeln der Anlage nicht eingehalten werden könnten, da die Betriebszeiten schlichtweg nicht zu kontrollieren seien und bereits jetzt Befürchtungen bestünden, dass eine „sogenannte Fremdnutzung durch Party-/Drogenbesucher erfolgen“ werde. Mit diesem Vorbringen wiederholt die Klägerin lediglich ihre bereits im erstinstanzlichen Verfahren geäußerten Befürchtungen und stellt ihre eigene Rechtsauffassung derjenigen des Verwaltungsgerichts gegenüber, ohne jedoch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise darzulegen.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ist der Sachverhalt geklärt und kann anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften rechtlich beurteilt werden. Insbesondere bestehen nicht die von der Klägerin geltend gemachten „größeren Schwierigkeiten, den Gebietscharakter (Wohngebiet, Mischgebiet usw.) festzustellen“.
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3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Da sich die Beigeladene im Zulassungsverfahren nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).