Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.03.2023 – 2 N 21.1750
Titel:

Normenkontrolle gegen Bebauungsplan - Rüge von Abwägungsmängeln

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2
BauGB § 214 Abs. 3 S. 2, § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Nach § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB werden nach § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB beachtliche Mängel des Abwägungsvorgangs unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplans schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden sind. Dabei handelt es sich um eine strikte Ausschlussfrist ohne die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Abwägungsergebnis ist fehlerhaft, wenn eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägungsentscheidung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil andernfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht, mithin die Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten würde. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bebauungsplan, Abwägungsvorgang, unbeachtliche Mängel, Normenkontrollantrag, Ausschlussfrist, mangelhaftes Abwägungsergebnis, Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit, Umweltprüfung, Entwicklungsgebot
Fundstelle:
BeckRS 2023, 6039

Tenor

I. Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller zu 1 und 2 einerseits und die Antragstellerin zu 3 andererseits tragen die Kosten des Verfahrens zu je ½. Die Antragsteller zu 1 und 2 tragen die Kosten als Gesamtschuldner.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsteller können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Antragsgegnerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird auf 20.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
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Die Antragsteller wenden sich gegen den am 10. Januar 2020 als Satzung beschlossenen und am 25. Juni 2020 ortsüblich bekannt gemachten Bebauungsplan „An der U. … Straße“ der Antragsgegnerin. Die Antragsteller zu 1 und 2 sind Eigentümer der früheren Grundstücke FlNr. …4 und …61 der Gemarkung T. …, die im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegen. Der Bebauungsplan überplant eine Fläche von ca. 1,06 ha, die bislang im Außenbereich liegt. Kernziel der Festsetzungen des Bebauungsplans ist die Neugestaltung eines Wohngebiets mit einer gemischten Wohnbebauung, bestehend aus Einzel- und Doppelhäusern sowie der bestehenden Nutzung als Waldfläche im südlichen Teilbereich.
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Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 3 Abs. 1 BauGB wandten sich die Grundstückseigentümer mit Schriftsatz vom 22. März 2019 an die Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Sitzung vom 21. Oktober 2019 die Äußerungen geprüft und abgewogen. Der Gemeinderat beschloss die öffentliche Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB sowie die Beteiligung der Behörden nach § 4 Abs. 1 BauGB. Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2019 setzten sich die Antragsteller nochmals detailliert mit den Planungen der Antragsgegnerin auseinander. Diese wurden in der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats vom 27. Januar 2020 geprüft und abgewogen. Daraufhin wurde die erneute öffentliche Auslegung des Bebauungsplans sowie eine erneute Behördenbeteiligung nach § 4a Abs. 3 BauGB beschlossen.
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Mit Schriftsatz vom 16. März 2020 setzten sich die Antragsteller nochmal detailliert mit der Planung auseinander und rügten insbesondere, dass eine Auseinandersetzung mit den bisher ab dem Jahr 2010 umfangreich eingeholten Sachverständigengutachten und unterschiedlichen, bei der Gemeinde eingereichten Lösungsansätzen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nach § 3 Abs. 1 und 2 BauGB nicht erkennbar sei. Angesprochen wird unter anderem der Hochwasserschutz vor dem Dobelbach, Erschließungsgesichtspunkte, Stellungnahmen des Amtes für Landwirtschaft und Forsten in Krumbach zu vorgeschriebenen Sicherheitsstreifen, die zu beplanende Grundstücksfläche und die einzuhaltenden Sicherheitsabstände. Weiter wenden sie sich gegen die Ausrichtung der Gebäude, die Ergänzung eines fünf Meter breiten Gewässerrandstreifens als private Grünfläche und die Einschränkung der Bebauung auf dem unteren, südlichen Teil des Grundstücks. Als „materielle Verstöße“ werden gerügt, dass sich die Gemeinde im Rahmen der Umweltprüfung auf einen Bericht gestützt habe, welcher gegen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes verstoßen habe. Die Gemeinde verstoße durch die teilweise Festsetzung von Niederwald auf einer kleinen Grundstücksfläche gegen die festgesetzten Ziele der Raumordnung und Landesplanung. Der Bebauungsplan sei nicht aus dem Flächennutzungsplan entwickelt worden. Alle Belange seien nicht abgewogen worden. In ihrer Sitzung vom 27. April 2020 prüfte die Antragsgegnerin die Stellungnahme und wog sie ab.
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Der Bebauungsplan wurde am 15. Juni 2020 beschlossen und am 25. Juni 2020 bekannt gemacht. Mit Schriftsatz vom 23. Juni 2021 haben die Antragsteller einen Normenkontrollantrag gestellt und beantragen,
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Der Bebauungsplan der Gemeinde E. … „An der U. … Straße“, bekannt gegeben am 25. Juni 2020, ist unwirksam.
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Zur Begründung ihres Normenkontrollantrags wiederholen sie „schriftsatzstellvertretend“ wortwörtlich ihre Stellungnahme vom 16. März 2020.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie führt aus, dass die Antragsteller ihre im Rahmen der erneuten öffentlichen Auslegung gemäß § 4a Abs. 3 BauGB vorgebrachten Einwendungen wiederholen und keine neuen rechtliche Argumente vorbringen würden. Die Einwendungen seien im Rahmen der öffentlichen Sitzung des Gemeinderats vom 27. April 2020 entsprechend abgewogen worden. Gegen die insoweit erfolgte Abwägung würden klägerseits keine weiteren Argumente vorgebracht werden.
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Auf Anfrage des Senats mitzuteilen, ob die Verletzung von Vorschriften innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplans schriftlich gegenüber der Antragsgegnerin unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden seien, teilte die Antragstellerseite mit, dass der Eingang eines Schriftsatzes vom 15. Juni 2021 bei der Antragsgegnerin nicht nachgewiesen werden könne. Die Beteiligten waren mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
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Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die Entscheidung kann im Beschlussweg ergehen, weil der Senat eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Beteiligten waren zudem mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
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Der teilweise zulässige Normenkontrollantrag (§ 47 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO) ist unbegründet. Bedenken gegen die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bebauungsplans bestehen nicht.
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1. Die Anträge der Antragsteller zu 1 und 2 sind zulässig. Der Antrag der Antragstellerin zu 3 ist unzulässig.
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Antragsbefugt nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind natürliche oder juristische Personen, wenn sie geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt werden zu können. Dies setzt voraus, dass die Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Norm in ihren Rechten verletzt werden (ständige Rechtsprechung vgl. nur BVerwG, U.v. 18.11.2002 – 9 CN 1.02 – BVerwGE 117, 209).
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Als Grundstückseigentümer von im Geltungsbereich des Bebauungsplans gelegenen Grundstücken sind die Antragsteller zu 1 und zu 2 unmittelbar von den Festsetzungen des Bebauungsplans betroffen. Sie sind daher antragsbefugt. Demgegenüber wurde die Antragsbefugnis der Antragstellerin zu 3, die nicht Grundstückseigentümerin ist, nicht hinreichend dargelegt.
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2. Der Antrag ist unbegründet. Es sind weder formelle noch materielle Fehler erkennbar, welche zur Ungültigkeit des Bebauungsplans führen können.
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a) Die Antragsteller wiederholen zunächst ihre im Rahmen der öffentlichen Auslegung – also vor der Abwägungsentscheidung – vorgebrachten Einwendungen. Nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB werden nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB beachtliche Mängel des Abwägungsvorgangs unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplans schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden sind. Dabei handelt es sich um eine strikte Ausschlussfrist ohne die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ein Zugangsnachweis für ein entsprechendes Rügeschreiben lässt sich weder den Akten entnehmen noch konnte er von den Beteiligten vorgelegt werden. Die Antragstellerseite hat eingeräumt, dass der Eingang eines Schriftsatzes vom 15. Juni 2021, der gewisse Mängelrügen enthielt, von ihr nicht nachgewiesen werden könne. Die Feststellungslast für die Einhaltung der Frist trägt nach allgemeinen Regeln die Antragstellerseite. Mithin sind Mängel des Abwägungsvorgangs unbeachtlich geworden.
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Die Antragsteller tragen vor, dass die offensichtlichen Mängel und Fehler im Rahmen der Abwägungsergebnisse bis zur technischen Unausführbarkeit der angegriffenen Bauleitplanung substanziiert vorgetragen worden seien. Dieser pauschale Hinweis ohne nähere Darlegungen ist nicht ausreichend. Für den Senat ist auch nicht ersichtlich, dass das Abwägungsergebnis mangelhaft ist. Ein Abwägungsergebnis ist fehlerhaft, wenn eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägungsentscheidung schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil andernfalls der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen würde, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht, mithin die Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit überschritten würde (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – juris). Es muss sich mithin um Mängel handeln, die so schwerwiegend sind, dass das Ergebnis der Planung schlechterdings nicht haltbar ist (vgl. BT-Drs. 15/2250, S. 96). Bei Anlegung dieses strengen Maßstabs kann keine Rede davon sein, dass die aus Sicht der Antragsteller bestehenden Mängel, die sie etwa mit Schriftsatz vom 16. März 2020 gerügt haben, zu städtebaulichen Missständen führen würden oder vergleichbares Gewicht hätten.
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b) Soweit Mängel geltend gemacht wurden, die nicht unbeachtlich wurden, führen diese nicht zur Rechtswidrigkeit des Bebauungsplans.
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aa) Im Zusammenhang mit Vorschriften zur Umweltprüfung rügen die Antragsteller, dass die Antragsgegnerin gegen § 2 Abs. 4 Satz 2 BauGB verstoßen habe. Nach dieser Vorschrift legt die Gemeinde für jeden Bebauungsplan fest, in welchem Umfang und Detaillierungsgrad die Ermittlung der Belange für die Abwicklung erforderlich ist. Den Antragstellern zufolge habe sich die Antragsgegnerin dabei auf einen nach eigenem Bekunden den Datenschutz verletzenden Bericht gestützt.
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Das Verfahren hat gemäß § 13a BauGB einen Bebauungsplan der Innenentwicklung zum Gegenstand. Als Maßnahme der Innenentwicklung bei einer Größe der überbaubaren Grundstücksflächen von ca. 1.221 m² erfüllt das Vorhaben die vorgegebenen Kriterien nach § 13a Abs. 1 BauGB. Die Durchführung einer formalen Umweltprüfung gemäß § 2 Abs. 4 BauGB war daher nicht erforderlich. Mithin kann der von Antragstellerseite monierte Gesichtspunkt auf die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans keine Auswirkungen haben.
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bb) Der behauptete Verstoß gegen das Anpassungsgebot an die Ziele der Raumordnung nach § 1 Abs. 4 BauGB ist nicht erkennbar. Ziele i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind Festlegungen mit landesplanerischer Letztverbindlichkeit. Den Zielen kommt die Funktion zu, räumlich und sachlich die zur Verwirklichung der Grundsätze der Raumordnung notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. In ihnen spiegelt sich bereits eine Abwägung zwischen den durch die Grundsätze verkörperten unterschiedlichen raumordnerischen Belangen wider. Die planerischen Vorgaben, die sich ihnen entnehmen lassen, sind verbindlich (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2010 – 4 C 8.10 – BVerwGE 138, 301; BayVGH, U.v. 19.4.2004 – 15 B 99.2605 – VGH n.F. 57, 185; U.v. 20.4.2011 – 15 N 10.1320 – BayVBl 2012, 110; U.v. 25.11.2002 – 14 B 00.2137 – BayVBl 2003, 432). Nach Art. 2 Nr. 2, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayLPlG werden die Ziele in den Raumordnungsplänen festgelegt. Raumordnungspläne sind nach Art. 2 Nr. 7 BayLPlG das Landesentwicklungsprogramm (Art. 19 BayLPlG) und die Regionalpläne (Art. 21 BayLPlG).
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Den Antragstellern zufolge verstößt die Antragsgegnerin durch die teilweise Festsetzung von Niederwald auf einer kleinen Grundstücksfläche im Zusammenhang einer bebauten Ortschaft gegen die festgesetzten Ziele der Raumordnung und Landesplanung. Eine nähere Darlegung erfolgt jedoch nicht. Für den Senat ist deshalb nicht erkennbar, gegen welches Ziel der Raumordnung und Landesplanung hier verstoßen worden sein sollte.
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cc) Nach Ansicht der Antragsteller verstößt es gegen das Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB, wenn die Antragsgegnerin wesentliche Grundstücksflächen als unerschlossene, kleine Waldfläche im Innenbereich festsetzt. Unabhängig davon, dass dieser Fehler gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 214 Abs. 2 Nr. 2, 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB unbeachtlich geworden wäre, liegt er auch nicht vor. Denn der Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin stellt im Geltungsbereich des Bebauungsplans eine Wohnbaufläche dar. Mit dem Gebot, Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln, verlangt das Gesetz aber nicht die exakte Umsetzung der Darstellung eines Flächennutzungsplans in den Festsetzungen des Bebauungsplans; gemeint ist vielmehr eine planerische Ausgestaltung des im Flächennutzungsplan festgelegten Grundkonzepts (vgl. BVerwG, B.v. 12.2.2003 – 4 BN 9.03 – NVwZ-RR 2003, 408). Eine solche Entwicklung ist hier ohne weiteres möglich. Denn primäres Ziel des Bebauungsplans ist die Schaffung eines Wohngebiets. Dem ordnet sich die bereits bestehende Waldnutzung im südlichen Teilbereich unter.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
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Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.