Titel:
Beseitigungsanordnung für geschlossene Einfriedung
Normenkette:
BayBO Art. 76 S. 1
Leitsätze:
1. Geschlossene Einfriedungen auch in straßenabgewandten Bereichen stören ein (durch Einfriedungssatzung) angestrebtes aufgelockertes Ortsbild, weil sie die Freiflächen der einzelnen Grundstücke voneinander abschotten, den Durchblick verhindern und die freie Luftzirkulation einschränken. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Abweichung besteht nur dann, wenn objektbezogene Gründe vorliegen, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die ein solches Gewicht haben, dass jede andere Entscheidung mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Bauherrn ermessensfehlerhaft wäre, dh wenn das Ermessen aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles auf Null reduziert wäre. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung für eine 26 m hohe geschlossene Einfriedung, Beseitigungsanordnung für eine 2,6 m hohe geschlossene Einfriedung, Einfriedungssatzung, Abweichung, Ermessensreduktion auf Null
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5969
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine zwangsgeldbewehrte Beseitigungsanordnung für eine Einfriedung.
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Sie ist Eigentümerin des Grundstücks …allee 28, FlNr. …, Gem. … Nach einer in den Behördenakten befindlichen Baugenehmigung vom 2. Juli 1997 in der Fassung der Tektur vom 30. September 1998 wurde an der Grundstücksgrenze zur FlNr. … eine offene Einfriedung (Metallzaun auf einem Betonsockel und Mauerpfeilern) auf dem klägerischen Grundstück genehmigt. Eine geschlossene Einfriedung wurde in der Tektur vom 30. September 1998 abgelehnt.
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Nach einer Nachbarbeschwerde stellte die Beklagte im Jahr 2021 bei Durchführung einer Ortskontrolle fest, dass die Klägerin an der Grundstücksgrenze zur FlNr. … eine ca. 2,6 hohe und geschlossene Einfriedung errichtet hatte.
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Mit Schreiben vom 4. Februar 2021 hörte die Beklagte die Klägerin an und teilte mit, dass sie mit einer Beseitigungsverfügung rechnen müsse. Die Klägerin nahm hierzu mit Schreiben vom 8. März 2021 Stellung und wies insbesondere darauf hin, dass die angrenzende Einfahrt auf dem Grundstück FlNr. … eine überdurchschnittliche Lärm- und Schadstoffbelastung verursache. Aufgrund der vollständigen Versiegelung der Einfahrt komme es im Sommer zu hohen Temperaturen, die Bäume und Büsche beschädigten. Die Mauer füge sich in die nähere Umgebung ein.
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Mit Bescheid vom 22. März 2021 verpflichtete die Beklagte die Klägerin, die errichtete Einfriedung in Form der Mauer entlang der Grundstücksgrenze zur FlNr. … unverzüglich, spätestens innerhalb von einem Monat nach Unanfechtbarkeit zu beseitigen (1.). Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der in Ziff. 1 genannten Verpflichtung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- EUR angedroht (2.). Zudem wurden Kosten und Auslagen gem. beiliegender Kostenrechnung erhoben (3.).
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In den Gründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, die bauliche Anlage sei formell illegal, da weder eine Baugenehmigung noch eine Ausnahmegenehmigung vorliege. Die Herstellung rechtmäßiger Zustände sei auch nicht möglich, da die gegenständliche Einfriedung gegen § 2 Abs. 1 und 2 EinfriedungsS verstoße, wonach die Einfriedung offen zu gestalten und eine Höhe von 1,5 m nicht überschreiten dürfe. Die asphaltierte Fläche des Nachbarn bestehe seit über 40 Jahren. Nachweise über überdurchschnittliche Lärm- und Schadstoffbelastung lägen nicht vor. Die Einfriedung füge sich auch nicht in die nähere Umgebung ein, da sich dort keine Bezugsfälle zu oben genannten Verstößen befänden. Die Beklagte komme nach Abwägung aller Interessen zu dem Ergebnis, dass die Herstellung ordnungsgemäßer baulicher Zustände gegenüber den privaten Interessen der Klägerin überwiege.
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Am 21. April 2021 erhob die Klägerin Klage gegen den Bescheid vom 21. März 2021. Sie beantragt,
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Der Bescheid der Beklagten vom 22. März 2021 wird aufgehoben.
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Die Beseitigungsanordnung sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Die verfahrensgegenständliche Mauer nehme die Traufhöhe des Garagenbereichs des Nachbargrundstücks auf und füge sich in das Orts- und Straßenbild ein. Die Einfriedung sei erforderlich, da es aufgrund der angrenzenden Einfahrt auf der FlNr. … zu unzumutbaren Schadstoff- und Lärmbelastungen sowie zu überdurchschnittlich hohen Temperaturen komme. Die Erteilung einer Abweichung sei möglich. Der Bescheid sei auch ermessenfehlerhaft und unverhältnismäßig. Die Klägerin verweise außerdem auf Bezugsfälle in der …straße und der …allee.
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Die Beklagte beantragt
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Die Anlage sei formell rechtwidrig, da eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 7a BayBO nicht in Betracht komme. Eine Ausnahme oder Abweichung komme aufgrund der zu erwartenden negativen Bezugswirkung nicht in Betracht. Der Vortrag zur Schadstoff- und Lärmbelastung sei unsubstantiiert. Die Bezugsfälle würden geprüft, es sei maßgeblich, ob die Einfriedung vor Inkrafttreten der EinfriedungsS bestanden habe.
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Das Gericht hat Beweis durch Einnahme eines Augenscheines auf dem streitgegenständlichen Grundstück und in dessen Umgebung erhoben. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Augenscheins und der anschließenden mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie das schriftsätzliche Vorbringen im Einzelnen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig, sodass die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die Beseitigungsanordnung ist nicht zu beanstanden.
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Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Tatbestandlich ist daher Voraussetzung, dass die Anlage formell und materiell illegal ist.
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1.1 Die streitgegenständliche Einfriedung ist formell rechtswidrig, da sie einer Baugenehmigung bedarf, eine solche aber nicht vorliegt.
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Eine Baugenehmigung für die streitgegenständliche Einfriedung wurde unstreitig nicht erteilt. Die im Jahr 1998 erteilte Genehmigung für eine Einfriedung entspricht nicht dem derzeitigen Bestand, da diese weder 2,6 m hoch, noch geschlossen gestaltet war.
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Grundsätzlich bedarf die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von baulichen Anlagen der Baugenehmigung (vgl. Art. 55 Abs. 1 BayBO), soweit sich aus den Vorschriften der Art. 56 bis 58, 72 und 73 BayBO nichts anderes ergibt.
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Die streitgegenständliche Einfriedung ist nicht aufgrund von Art. 57 Abs. 1 Nr. 7a BayBO verfahrensfrei. Danach sind Mauern einschließlich Stützmauern und Einfriedungen, Sichtschutzzäunen und Terrassentrennwänden mit einer Höhe bis zu 2 m, außer im Außenbereich, verfahrensfrei. Die Einfriedung ist nach dem Ergebnis des Augenscheins – insoweit zwischen den Parteien auch unstreitig – 2,6 m hoch und fällt daher nicht unter Art. 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7a BayBO. Auch eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 2 Nr. 5 BayBO kommt nicht in Betracht, da die streitgegenständliche Einfriedung hierfür im Einklang mit den Festsetzungen einer Satzung, die Regelungen über die Zulässigkeit, den Standort und die Größe der Anlage enthält, bestehen müsste, was vorliegend nicht der Fall ist, da die Einfriedungssatzung der Landeshauptstadt München vom 18. April 1990 (bekanntgemacht am 30. April 1990, zuletzt geändert am 13. Januar 2009 (MüABl, S. 25) (EinfriedungsS)) wohl schon aufgrund fehlender Standortangabe keine Satzung i.S.d. Art. 57 Abs. 2 Nr. 5 BayBO ist und darüber hinaus die Vorgaben der EinfriedungsS nicht einhält (vgl. 1.2).
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1.2 Die Einfriedung steht auch nicht im Einklang mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften und ist daher materiell illegal.
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Nach § 2 Abs. 1 EinfriedungsS sind Einfriedungen offen herzustellen; geschlossene Einfriedungen sind ausdrücklich unzulässig. Weiter sollen Einfriedungen eine Höhe von 1,50 m nicht überschreiten. Diese Vorgaben gelten nach § 2 Abs. 4 Einfriedungssatzung für Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen sowie an den übrigen Grundstücksgrenzen und nach § 1 EinfriedungsS im gesamten Stadtgebiet, unabhängig davon, ob das eingefriedete Grundstück im planungsrechtlichen Innen- oder im Außenbereich liegt. Die Einfriedungssatzung dient einer aufgelockerten Gestaltung der Freiflächen bebauter Grundstücke um ein Ortsbild zu schaffen, in dem Freiflächen in erhöhtem Maße dem Zutritt von Licht und Luft geöffnet werden und prinzipiell allseitig einsehbar sind. Geschlossene Einfriedungen auch in den straßenabgewandten Bereichen würden das angestrebte aufgelockerte Ortsbild stören, weil sie die Freiflächen der einzelnen Grundstücke voneinander abschotten, den Durchblick verhindern und die freie Luftzirkulation einschränken (vgl. BayVGH, U.v. 22.2.2000 – 2 B 94.2587 – juris Rn. 19 m.w.N, Rn. 28).
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Diesen Vorhaben widerspricht die von der Klägerin errichtete Einfriedung, da sie geschlossen errichtet ist und eine Höhe von ca. 2,6 m aufweist.
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1.3 Rechtmäßige Zustände lassen sich auch nicht auf andere Weise als durch die Beseitigung wiederherstellen.
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Auf die Erteilung einer Ausnahme gem. § 2 Abs. 3 EinfriedungsS besteht kein Anspruch. Die Erteilung einer Ausnahme hängt nach § 2 Abs. 3 der Satzung davon ab, dass das Orts- und Straßenbild gewahrt wird. Dies wäre gegeben, wenn die Einfriedung sich positiv in das Orts- und Straßenbild einfügt (vgl. BayVGH, U.v. 22.2.2000 – 2 B 94.2587 – juris Rn. 32). Dass das Orts- und Straßenbild vorliegend durch über 2 m hohe, geschlossene Einfriedungen geprägt ist, konnte das Gericht nicht feststellen. Die Erteilung einer Ausnahme gem. § 2 Abs. 3 EinfriedungsS steht zudem im Ermessen der Beklagten. Dieses Ermessen ist vorliegend – selbst wenn unterstellt wird, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 3 EinfriedungsS vorlägen – nicht auf Null reduziert. Die Einwände der Klägerin wiegen nicht so schwer, dass die Beklagte von der mit der EinfriedungsS bezweckten Zielsetzung abrücken müsste.
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Die Klägerin hat auch keinen materiellen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung nach § 4 EinfriedungsS i.V.m. Art. 63 BayBO. Die Erteilung von Abweichungen nach § 4 EinfriedungsS i.V.m. Art. 63 BayBO steht – das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unterstellt – im Ermessen der Behörde. Ein Anspruch auf Erteilung einer Abweichung besteht nur dann, wenn objektbezogene Gründe vorliegen, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die ein solches Gewicht haben, dass jede andere Entscheidung mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Bauherrn ermessensfehlerhaft wäre, d.h., wenn das Ermessen aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles auf Null reduziert wäre (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2003 – 2 B 02.1487 – juris Rn. 5). Eine Ermessensreduktion auf Null liegt nicht vor. Auch die Einwände der Klägerin, ihr Grundstück sei aufgrund der angrenzenden Einfahrt des Nachbargrundstück besonderen Schadstoff- und Lärmbelastungen ausgesetzt, begründet keine grundstücksbezogene Besonderheit. Eine gepflasterte Einfahrt des Nachbargrundstücks an der gemeinsamen Grundstücksgrenze tritt gerade im innerstädtischen Bereich häufig auf. Eine besondere Belastung ist nicht erkennbar. Ein Anspruch auf Abweichung lässt sich hierdurch daher nicht begründen.
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1.4 Die Beseitigungsanordnung weist auch keine Ermessensfehler auf (§ 114 Satz 1 VwGO).
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Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde – wie hier – gegen eine formell und materiell rechtswidrige Anlage einschreitet. Dass vorliegend kein besonderer Einzelfall vorliegt, wurde bereits dargelegt. Der Klägerin konnte angesichts der Konstruktion ihrer betonierten und teils mit Backsteinpflaster gestalteten Einfriedung nicht aufgegeben werden, die Einfriedung auf eine Höhe von 1,50 m zu reduzieren und sie offen zu gestalten. Die Beklagte hat die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Einfriedung auch gesehen und hiervon bewusst keinen Gebrauch gemacht.
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Die Beseitigungsanordnung erging auch nicht willkürlich. Die Vertreterin der Beklagten gab insbesondere zu Protokoll, dass die Beklagte die im Augenschein, insbesondere die vermeintlichen Bezugsfälle an den Grundstücksgrenzen der …allee 30/32 und 32/34 prüfen und ggf. – sollten diese nicht vor Inkrafttreten der Einfriedungssatzung errichtet (und ggf. genehmigt) worden sein – bauaufsichtlich einzuschreiten wird.
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2. Die Zwangsgeldandrohung ist nicht zu beanstanden (vgl. Art. 29, 36 VwZVG). Insbesondere liegt das Zwangsgeld i.H.v. 500 € im unteren Rahmen (vgl. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG). Auch die gesetzte Frist ist ausreichend, um die Verpflichtung zu erfüllen, Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG.
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Die beigefügte Kostenrechnung ist ordnungsgemäß.
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3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.