Inhalt

VG München, Urteil v. 02.03.2023 – M 23 K 22.5806
Titel:

Freiwillige Zulassung von Elektro-Kleinkrafträdern, Identifizierung von Fahrzeugen, Ermessen der Behörde

Normenketten:
FZV § 3 Abs. 2 und 3
FZV § 6 Abs. 8
Schlagworte:
Freiwillige Zulassung von Elektro-Kleinkrafträdern, Identifizierung von Fahrzeugen, Ermessen der Behörde
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5960

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin erstrebt mit ihrer Klage die Verpflichtung des Beklagten, beantragte Zulassungen von Elektro-Kleinkrafträdern vorzunehmen.
2
Die Klägerin mit Sitz in G… ist in verschiedenen Geschäftszweigen tätig, u.a. im Verkauf, Vertrieb und Vermietung von Kfz. Die Klägerin kauft in Südostasien, insbesondere in China, Elektro-Kleinkrafträder, welche sie in Deutschland Kunden für einen gewissen Zeitraum für ein monatliches Entgelt überlässt. Diese Elektro-Kleinkrafträder unterliegen unstreitig nicht der Zulassungspflicht. Die Klägerin ist aber aus wirtschaftlichen Gründen (Erhalt der THG-Prämie) daran interessiert, diese Kleinkrafträder nach § 3 Abs. 3 FZV freiwillig zuzulassen.
3
Die Klägerin wendete sich deshalb (u.a.) an die Zulassungsstelle des Landratsamts Starnberg, damit dieses massenhaft freiwillig ihre Kleinkrafträder zulasse. Durch das Landratsamt wurden ab August 2022 deswegen Hunderte von Kennzeichen für die Klägerin reserviert und auch Zulassungen vorgenommen. Am … Oktober 2022 teilte das Landratsamt der Klägerin mit, dass ab sofort keine massenhaften Zulassungen mehr vorgenommen würden.
4
Mit Anwaltsschreiben vom … November 2022 verwies die Klägerin auf die Vielzahl von Kennzeichenreservierungen und bestand auf eine Fortsetzung der Zulassungsverfahren oder einen entsprechenden Ablehnungsbescheid. Mit Anwaltsschreiben vom … Dezember 2022 wurde ausgeführt, dass eine Vorführung der Fahrzeuge, wie gefordert, nicht möglich sei. Es werde angeboten, ein Fahrzeug aus der absolut identischen Serie von Fahrzeugen exemplarisch vorzuführen. Die Klägerin habe durch einen amtlich vereidigten Sachverständigen des TÜV die Fahrzeuge identifizieren lassen, um eine physikalische Vorführung der Fahrzeuge zu vermeiden. Es gebe keinen vernünftigen Grund dafür, die Einschaltung des TÜV auf Kosten der Klägerin abzulehnen.
5
Mit Schriftsatz vom 22. November 2022 ließ die Klägerin Klage erheben und einen entsprechenden Eilantrag stellen (M 23 E 22.5807).
6
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin habe bereits 3.500 Fahrzeuge gekauft und 5.000 bestellt, für das Jahr 2023 bestehe eine Option für 10.000 Fahrzeuge. Auf das Landratsamt Starnberg entfielen geschätzt 3.500 Fahrzeuge zur freiwilligen Zulassung, was dieses auch gewusst habe. Das bedeute ca. 3,5 Millionen Euro Kostenaufwand (abzüglich THG-Prämie) für die Klägerin. Die Klägerin habe nach § 3 Abs. 3 FZV einen Anspruch auf die begehrten Zulassungen, zumindest aber einen Anspruch auf einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Die Ablehnung stelle sich als willkürliche Schikane dar. Das Landratsamt habe aktiv auf die Klägerin eingewirkt, möglichst viele weitere Zulassungen vorzunehmen. Die Verweigerungshaltung bedeute die sichere Insolvenz der Klägerin, welche dann Regressansprüche gegenüber dem Beklagte geltend mache.
7
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2022 führte der Beklagte aus: In der Vergangenheit seien freiwillige Zulassungen an die Klägerin ausgegeben worden. Eine Vorführung der zugelassenen Fahrzeuge habe bisher nicht stattgefunden. Es seien außerdem eine Vielzahl von Kennzeichen für die Klägerin reserviert worden. Seit … Oktober 2022 würden keine massenhaften freiwilligen Zulassungen mehr vorgenommen wegen des Regel-Ausnahme-Verhältnis der Vorschriften über die Pflicht- und die freiwillige Zulassung. Die Klägerin könne die Fahrzeuge jederzeit zulassungsfrei in Verkehr bringen.
8
Vor dem … Oktober 2022 habe die Klägerin 155 Vorgänge bestimmter Elektro-Kleinkrafträder beim Landratsamt abgegeben; diese bewerte man als Anträge, welche im Rahmen der Zulassungsvorschriften und im Rahmen der Kapazitäten bearbeitet werden könnten. Voraussetzung für eine Zulassung dieser Fahrzeuge sei aber jedenfalls deren Vorführung nach § 6 Abs. 8 FZV. Weitere Vorgänge bzw. Anträge lägen bislang nicht vor. Am ... Dezember 2022 habe ein Gespräch wegen der Gewährung von Vertrauensschutz für die Klägerin im Einzelfall stattgefunden. Die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnis bzw. Sachbescheidungsinteresse bereits unzulässig. 155 Anträge könnten bearbeitet werden, weitere Anträge gebe es nicht; die Reservierung von Kennzeichen sei jedenfalls kein Antrag. Auf eine freiwillige Zulassung bestehe im Übrigen kein Anspruch, sondern es bestehe ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.
9
Mit Beschluss vom 6. Februar 2023 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Am 1. März 2023 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden. Der Bevollmächtigte der Klägerin stellte zuletzt den Antrag,
10
den Beklagten zu verpflichten, die von der Klägerin beantragten Zulassungen von Elektro-Kleinkrafträdern vorzunehmen,
11
hilfsweise: die Zulassungen nach Vorlage der Fahrzeugidentifizierungsnummer-Überprüfung des TÜV als Verwaltungshelfer vorzunehmen.
12
Der Beklagte beantragte
13
Klageabweisung.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die übermittelte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Die Klage hat keinen Erfolg.
16
1. Sie ist im Hauptantrag zwar zulässig, aber unbegründet.
17
1.1 Die Klage ist im Hauptantrag zunächst dahingehend auszulegen (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO), dass die Klägerin die freiwillige Zulassung von 155 Elektro-Kleinfahrzeugen begehrt. Nur bezüglich dieser 155 Vorgänge liegen dem Beklagten entsprechende Anträge vor, die im Zulassungsverfahren auch notwendig sind (§ 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Fahrzeug-Zulassungsverordnung – FZV). Kennzeichenreservierungen stellen dagegen noch keine Anträge dar, da diesbezüglich die notwendigen halter- und fahrzeugbezogenen Angaben (vgl. hierzu § 6 FZV) fehlen.
18
1.2 Die Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig, da die Dreimonatsfrist des § 75 Satz 2 VwGO abgelaufen ist. Nach dieser Norm kann (Verpflichtungs-) Klage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Die Anträge auf Zulassung von 155 Fahrzeugen datieren unstreitig vor dem … Oktober 2022, mithin sind seither bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung drei Monate verstrichen, ohne dass die Behörde über die Zulassung entschieden hat.
19
Es liegt kein zureichender Grund i.S.d § 75 Satz1 VwGO dafür vor, dass über die beantragten Zulassungen noch nicht entschieden worden ist. Ob dies der Fall ist, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 75 Rn. 13). Das Landratsamt führt hierzu sinngemäß aus, dass die Zulassungen im Rahmen der Kapazitäten bewältigt würden und jedenfalls zur Voraussetzung hätten, dass die Fahrzeuge vorgeführt würden. Diese Erwägungen stellen keinen zureichenden Grund im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO dar, denn bei der im vorliegenden Fall gegebenen Sachlage, bei der sich die Klägerin endgültig und unmissverständlich weigert, die antragsbefangenen Fahrzeuge körperlich vorzuführen, andererseits die Behörde auf der Vorführung besteht, muss die Behörde – ggf. bezüglich eines Musterverfahrens – die Zulassung ablehnen, damit im Sinne der Rechtssicherheit klare Verhältnisse geschaffen werden und ein rechtsmittelfähiger Bescheid vorliegt. In diesem Fall darf die bestimmte Weigerung der Klägerin, die Fahrzeuge vorzuführen, nicht zu einer Verzögerung der Bearbeitung der Anträge, sondern muss zur Antragsablehnung führen.
20
1.3. Die auch ansonsten zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf die begehrte freiwillige Zulassung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
21
1.3.1 Dabei kann offenbleiben, ob § 3 Abs. 3 FZV, wonach auf Antrag die nach Abs. 2 von den Vorschriften über das Zulassungsverfahren ausgenommen Fahrzeuge zugelassen werden können, auf der Rechtsfolgenseite der Behörde eine Ermessen einräumt, oder ob das „können“ in diesem Falle nicht das Ermessen, sondern nur die Kompetenz der Behörde anzeigt, die Fahrzeuge zuzulassen (in diesem Sinne Rebler, Die THG-Prämie und die freiwillige Zulassung, VD 1/2023, S. 3 ff.) oder ob es sich gar um eine Formulierung handelt, die die freiwillige Zulassung völlig ins Belieben des Antragstellers stellt, sodass ein gebundener Anspruch des Antragstellers auf die freiwillige Zulassung besteht.
22
1.3.2 im vorliegenden Fall scheitert die freiwillige Zulassung auf Tatbestandsebene (bislang) an dem Erfordernis des § 6 Abs. 8 FZV, wonach das Fahrzeug vor Erstellung der Zulassungsbescheinigung Teil II gemäß 12 Abs. 1 Satz 3 und vor der Zulassung von der Zulassungsbehörde zu identifizieren ist.
23
Über die Durchführung der Identifizierung im Einzelnen entscheidet die Zulassungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Grundsätzlich ist nach der Kommentarliteratur die Identität des Fahrzeuges bei Neufahrzeugen mit den Angaben in der Zulassungsbescheinigung Teil II festgestellt. Damit sind gelegentliche stichprobenartige Kontrollen der Zulassungsbehörde nicht ausgeschlossen (vgl. NK-GVR/Wohlfarth, § 6 FZV Rn. 12; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 6 FZV Rn. 10). Die Art und Weise der spätestens vor der Zulassung eines Fahrzeugs zwingenden Identifizierung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Zulassungsbehörde (vgl. OVG Bautzen, U.v. 5.10.2022 – 6 A 120/19 –, juris Rn 42).
24
Die Entscheidung des Landratsamts, die Zulassung der beantragten 155 Fahrzeuge von einer körperlichen Vorführung der Fahrzeuge abhängig zu machen, ist damit (nur) nach Maßgabe des § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar.
25
Die Klägerin macht gegen die körperliche Vorführung der Fahrzeuge geltend (Schreiben des Bevollmächtigten vom …12.2022), dass für die Anzahl an Fahrzeugen, die hier in Rede steht, jeweils mehrere Sattelzüge benötigt würden, die die Fahrzeuge aus den in Deutschland verteilten Lagern über Hunderte von Kilometern zur Zulassungsstelle nach Starnberg fahren müssten, wohingegen durch eine FahrgestellnummerÜberprüfung, ausgestellt durch den TÜV, der sich jeweils vor Ort befinde, sich dieser Aufwand vermeiden lasse. Diese Prüfung durch den TÜV als Verwaltungshelfer sei rechtssicher und im Übrigen bei der Zulassung von Fahrzeugen Gang und Gäbe.
26
Der Beklagte hat hiergegen mit Schreiben vom … Dezember 2022 an den Bevollmächtigten der Klägerin und in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass auf die Vorführung der Fahrzeuge bei der Zulassungsbehörde nicht verzichtet werde. Dadurch werde die Identifizierung der Fahrzeuge und die Einhaltung des Erfordernisses, dass sich die Fahrzeuge zum Zeitpunkt der Zulassung tatsächlich im Bundesgebiet befänden, sichergestellt. Ab dem … Dezember 2022 könnten pro Woche bis zu 40 Fahrzeuge vorgeführt und zugelassen werden.
27
Diese Ausführungen lassen Rechts- bzw. Ermessenfehler nicht erkennen (§ 114 Satz 1 VwGO). Laut dem Beklagten soll durch die körperliche Vorführung vermieden werden, dass Zulassungen ausgegeben werden für Fahrzeuge, die sich noch nicht im Bundesgebiet bzw. sich noch nicht zusammengebaut in Lagern befinden. Das sind sachliche Gründe, deren nähere Prüfung dem Gericht verwehrt ist. Insbesondere verstößt das Verlangen einer Vorführung der einzelnen Fahrzeuge nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Beklagte seine Verwaltungspraxis nicht gleichförmig handhabt. Der Beklagte nimmt grundsätzlich gemäß dem für alle bayerischen Zulassungsbehörden verbindlichen Schreiben des StMB vom 21. Oktober 2022 keine Massenzulassung von Elektro-Kleinkrafträdern mehr vor und lässt sich grundsätzlich die Fahrzeuge körperlich vorführen. Das Petitum des Beklagten nach körperlicher Vorführung besteht mithin in Anwendung dieser ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift, welche das Gericht zwar nicht bindet, wogegen aber im Zusammenhang mit der Vorführungsobliegenheit auch nichts einzuwenden ist.
28
Es wird nicht verkannt, dass die Obliegenheit der körperlichen Vorführung für die Klägerin einen logistischen und finanziellen Aufwand bedeutet. Dem steht aber auf der anderen Seite der finanzielle Aufwand zur Erlangung der TÜVBescheinigungen gegenüber sowie die Tatsache, dass die Klägerin zur Vorführung von 40 Fahrzeugen pro Woche logistisch ohne weiteres in der Lage sein dürfte. Ob dies im Hinblick auf die Umweltbelastungen oder andere objektive Gesichtspunkte ein vernünftiges Verfahren darstellt, hat das Gericht nicht zu beurteilen. Von einer unzulässigen Schikane, die nur den Zweck haben kann, der Klägerin Schaden zuzufügen (vgl. § 226 BGB), kann jedenfalls nicht gesprochen werden. Der Beklagte hat der Klägerin das Angebot gemacht, 40 Fahrzeuge pro Woche vorzuführen, so dass die Zulassungen bereits abgeschlossen sein würden.
29
2. Die Klage ist aus oben genannten Gründen auch im Hilfsantrag unbegründet. Wie ausgeführt, hat sich der Beklagte aus nicht zu beanstandeten Gründen im Rahmen seines Ermessen entschieden, die Zulassung der klägerischen Fahrzeuge nur nach physischer Vorführung vorzunehmen, sodass die Vorlage der Fahrzeugidentifizierungsnummer-Überprüfung durch den TÜV als Verwaltungshelfer nicht ausreichend ist.
30
Die Klage war deshalb mir der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
31
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO