Inhalt

LG Augsburg, Endurteil v. 09.01.2023 – 065 O 2058/22
Titel:

Wahl des kleinen Schadensersatzes und Wertminderung beim Restschadensersatzanspruch in Dieselfall

Normenkette:
BGB § 826, § 852 S. 1
Leitsätze:
1. Da es sich bei dem Restschadensersatzanspruch aus § 852 S. 1 BGB um die (lediglich der Höhe nach auf das Erlangte gedeckelte) Fortsetzung des ursprünglichen Schadensersatzanspruchs handelt, muss dem Geschädigten auch in diesem Rahmen die Wahl des „kleinen“ statt des „großen“ Schadensersatzes freistehen; andererseits ist der „kleine“ Schadensersatzanspruch im Rahmen des § 852 S. 1 BGB genauso zu berechnen wie es vor Eintritt der Verjährung im Rahmen des § 826 BGB. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Bemessung des kleinen Schadensersatzes in sogenannten Dieselfällen ist grundsätzlich zunächst der Vergleich der Werte von Leistung (Fahrzeug) und Gegenleistung (Kaufpreis) im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Dabei hat die Bemessung vom objektiven Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auszugehen, bei dessen Bestimmung die mit der Prüfstandserkennungssoftware verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko nachteiliger behördlicher Anordnungen, zu berücksichtigen sind. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Kfz-Hersteller, Restschadensersatzanspruch, Herausgabe des Erlangten, kleiner Schadensersatz, Wertminderung, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA189
Fundstelle:
BeckRS 2023, 595

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei - bezüglich des Fahrzeuges der Marke Volkswagen, Typ Tiguan mit der Fahrgestellnummer... - einen Betrag in Höhe von 3.255,08 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.07.2022 zu zahlen.
2.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Die Klägerin und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens zu jeweils 50 Prozent.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.510,15 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Ersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sog. Dieselskandal betroffenen PKW VW Tiguan 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer ... (nachfolgend: das Fahrzeug) geltend, welcher mit dem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattet ist.
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Die Klägerin behauptet, dass ihr Ehemann ... am 14.02.2014 bei der ... bei der durch Bestellung gegenüber der Volkswagen AG den PKW VW Tiguan 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer ... als Neuwagen mit einer Laufleistung von O Kilometern zu einem Bruttokaufpreis von 32.550,75 EUR erworben habe und dass die Klägerin in Rechtsnachfolge zu ihrem Ehemann Eigentümerin des PKW geworden sei.
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Der Kilometerstand des Fahrzeugs bei Klageerhebung betrug 87.635 km; zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs nach Behauptung der Klagepartei 96.742 km.
4
Das Fahrzeug ist mit dem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet, welcher eine illegale prüfstandserkennende Umschaltlogik enthielt. Aus diesem Grunde unterlag das Fahrzeug einem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt/KBA (Anlage K 2). Das von der Beklagten angebotene Software-Update wurde auf das gegenständliche Fahrzeug installiert (S. 46 SS des Klägervertreters v. 21.10.2022).
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Im Hinblick auf die bei Erwerb des Fahrzeugs vorhandene prüfstandserkennende Abschalteinrichtung, durch welches der Stickoxidausstoß des Fahrzeugs im Prüfmodus geringer ausfällt als im normalen Straßenverkehr, macht die Klägerin einen deliktischen Anspruch aus S. 826 BGB in Verbindung mit §. 31 BGB gegen die Beklagte geltend oder hilfsweise einen Anspruch aus §. 852 S. 1  BGB.
Die Klägerin ist der Ansicht:
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Der deliktische Schadensersatzanspruch nach S. 826 BGB sei noch nicht verjährt. Schließlich bestreite die Beklagte bis heute die Kenntnis ihrer Vorstandsmitglieder über die Entwicklung und den Einsatz der Umschaltlog ik.
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Bei Verjährung des deliktischen Anspruchs sei bei einem Neuwagenkauf ein Anspruch aus § 852 S. I BGB gegeben. Nach dieser Vorschrift seien die Vorteile aus einer deliktischen Tat auch noch 10 Jahre nach Tatbegehung herauszugeben.
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Bei einem Neuwagenkauf sei ein Anspruch aus § 852 S. I BGB gegeben. Herauszugeben sei insoweit grundsätzlich der volle Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Hilfsweise sei zusätzlich die Händlermarge abzuziehen, welche nicht mehr als 10% des Verkaufspreises betrage.
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Die Klägerin könne neben der Herausgabe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung und möglicherweise unter weiterem Abzug einer nicht mehr als 10% betragenden Händermarge auch den sog. kleinen Schadensersatz geltend machen und anstatt der Rückabwicklung des Kaufvertrages den Ausgleich des Mangel-Mindewerts verlangen, was hier konkret verfolgt werde.
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Die Wertminderung aufgrund der von der Beklagten installierten illegalen Abschalteinrichtungen beim streitgegenständlichen Fahrzeug betrage mindestens 20 %. Der Mangel-Minderwert entspreche bei dem Kaufpreis in Höhe von 32.550,75 EUR einem Betrag in Höhe von 6.510,15 EUR, was der Mindestsumme der Klageforderung entspreche.
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Die Klagepartei beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei - bezüglich des Fahrzeuges der Marke Volkswagen, Typ Tiguan mit der Fahrgestellnummer ... - einen Betrag, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens EUR 6.510,15 betragen muss, zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Die Verjährung habe mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen begonnen, spätestens aber mit Ablauf des Jahres 2016, da die Beklagte die Fahrzeughalter der betroffenen Fahrzeuge durch Schreiben im Februar 2016 über die Abgasproblematik informiert habe.
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Die Beklagte bestreitet weiterhin die Kenntnis der damals amtierenden Vorstandsmitglieder von der Verwendung der Umschaltlogik in Dieselfahrzeugen mit dem Motortyp EA189 und einen endkundenbezogenen Schädigungsvorsatz.
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Die Vorschrift des § 852 Satz 1 BGB sei nicht anwendbar. Die Beklagte könne sich auf den Abzug von Aufinendungen zur Schdensminderung und -beseitigung im Interesse des Verletzten berufen.
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Bezüglich der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
1. Aktivlegitimation der Klägerin
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Zur Überzeugung des Gerichts steht angesichts der vorliegenden Unterlagen fest, dass die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns und ursprünglichen Käufers und Eigentümers des gegenständlichen PKW, ... die Sachbefugnis zur Geltendmachung der vorliegenden Ansprüche besitzt und der PKW tatsächlich wie von Klägerseite angegeben erworben worden ist. So ergibt sich aus der Auftragsbestätigung der Volkswagen AG vom 14.02.2014 (Anlage Klb) eine Bestellung des ... über den gegenständlichen PKW, die inhaltlich mit der Rechnung vom 23.05.2014 (Anlage KI) übereinstimmt. Weiter steht die Eigentümerstellung der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemanns zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund einer Zusammenschau der Zulassungsbescheinigung Teil II, die die Klägerin als Halterin seit dem 24.07.2018 ausweist (Anlage K la), der Sterbeurkunde bezüglich des Ablebens des Herrn ... (Anlage K IC) und der sich aus dem Erbvertragsnachtrag vom 26.01.2015 (Anlage K Id) ergebenden Alleinerbenstellung der Klägerin nach ihrem Ehemann.
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Auch wenn von Klägerseite in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2022 erklärt worden ist, dass die Bestellung „wohl direkt bei Volkswagen“ erfolgt sei, geht das Gericht entsprechend dem Vortrag der Klägerseite in der Klageschrift davon aus, dass die Bestellung am 14.02.2014 zumindest unter Beteiligung des erfolgt ist. Dies ergibt sich neben dem konkreten Vortrag hierzu in der Klageschrift für das Gericht insbesondere daraus, dass in der Rechnung (S. 2 d. Anlage K 1) bei Rückfragen auf die Firma ... verwiesen wird.
2. Kein Anspruch aus SS 826, 31 BGB aufgrund Verjährung
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a) Nach der Grundsatzentscheidung des BGH vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962) steht der Klägerin, die ein Fahrzeug mit dem von der Beklagten hergestellten Motor EA189 erworben hat, dem Grunde nach ein deliktischer Schadensersatzanspruch nach SS 826, 31 BGB zu.
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Angesichts der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteile jeweils vom 30.07.2020, Az. VI ZR 354/19, VI ZR 367/19, VI ZR 397/19, VI ZR 5/20) bedarf es insoweit keiner weiteren Erörterung mehr (so auch OLG München, Urteil v. 19.05.2022, Az. 24 U 4614/2, BeckRS 2022, 15118).
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b) Diesem Schadensersatzanspruch steht aber die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung (S. 214 Abs. I BGB) entgegen.
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Gemäß S. 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch nach SS 826, 31 BGB drei Jahre. Sie beginnt gem. S. 199 Abs. I BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (S. 199 Abs. I Nr. I BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (S. 199 Abs. I Nr. 2 BGB).
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Darauf, ob die Klägerin bereits im Jahr 2015 (Publikwerden des Dieselskandals) positive Kenntnis der Betroffenheit ihres Fahrzeugs hatte, kommt es nicht entscheidungserheblich an. Denn auf Seiten der Klägerin - wobei ihr aufgrund der Universalsukzessionswirkung ihrer Alleinerbenstellung das Handeln und die Kenntnis ihres Ehemanns ... zuzurechnen ist - lag zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls bis Ende 2016 grob fahrlässige Unkenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vor.
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We der BGH bereits wiederholt entschieden hat, genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gem. S. 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. BGH, NJW 2022, 1311, Rn. 17 mwN).
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Nach diesen Grundsätzen ist von einer grob fahrlässigen Unkenntnis der Klägerin von diesen anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners iSv. S. 199 Abs. I Nr. 2 Alt. 2 BGB jedenfalls bis Ende 2016 auszugehen. Seit dem Jahr 2015 wurde in sämtlichen Medien von dem sogenannten Dieselskandal und der Betroffenheit der Beklagten bzw. deren Konzernmarken hiervon berichtet, so dass die Klägerin spätestens bis Ende 2016 Veranlassung gehabt hatte, die Betroffenheit ihres eigenen Fahrzeugs zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil v. 14.07.2022, NJW 2022, 3284). Über die freigeschaltete Online-Plattform bestand seit Oktober 2015 ohne Weiteres die Möglichkeit, die tatsächliche Betroffenheit eines Fahrzeugs leicht in Erfahrung zu bringen (vgl. BGH aaO.). Daneben bestand die Möglichkeit, sich in direktem (schriftlichem oder telefonischem) Kontakt mit der Beklagten zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist (vgl. BGH aaO.). Die Klägerin hat damit auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht hätten, nicht ausgenutzt (vgl. BGH, BeckRS 2022, 4167 Rn. 31 mwN). Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verstrichenen Zeitraums bestand für die Klägerin danach spätestens bis Ende 2016 Anlass, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren (vgl. BGH, BeckRS 2022, 4167, Rn. 32). Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig (vgl. BGH, Urteil v. 14.07.2022, NJW 2022, 3284).
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Der Klägerin bzw. ihrem Ehemann (s.o.) war es unter diesen Umständen auch schon im Jahr 2016 zumutbar, Klage zu erheben und ihren Anspruch gegen die Beklagte aus SS 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. BGH, BeckRS 2022, 4167, Rn. 33 ff.).
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Die dreijährige Verjährungsfrist für den mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzanspruch begann folglich mit dem Schluss des Jahres 2016 zu laufen und endete mit Ablauf des Jahres 2019. Bei Klageerhebung im Jahre 2022 war daher bereits Verjährung eingetreten.
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Schließlich kann auch ein rechtsmissbräuchliches Handeln der Beklagten, nach dem die Erhebung der Verjährungseinrede nach S. 242 BGB treuwidrig und unwirksam wäre, aus ihrem Verhalten, insbesondere ihrer Mitteilungspraxis im Zeitraum seit 2015, nicht festgestellt werden (vgl. BGH, Urteil v. 14.07.2022, NJW 2022, 3284).
3. Anspruch auf Restschadensersatzanspruch gem. § 852 BGB gegeben
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a) Da es sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug um einen Neuwagen handelt, kann die Klägerin allerdings den sog. Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB geltend machen (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2022, Az. Via ZR 8/21, NJW-RR 2022, 740).
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Über § 852 Satz 1 BGB bleibt der verjährte Deliktsanspruch als solcher bestehen und wird nur in seinem durchsetzbaren Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt, soweit diese Handlung nach Maßgabe der bereicherungsrechtlichen Vorschriften zu einer Vermögensmehrung des Ersatzpflichtigen geführt hat (vgl. BGH aaO., Rn. 53) . Dieses erlangte Etwas ist vorliegend in dem der Beklagten zugeflossenen Entgelt zur Erfüllung des Kaufpreisanspruchs zu sehen, unabhängig davon, ob diese Zahlung direkt von der Klagepartei an die Beklagte oder aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung des zwischengeschalteten Händlers gegenüber der Beklagten im Sinne einer mittelbaren Vermögensverschiebung erfolgte (vgl. BGH, Urteil v. 21.02.2022, Via ZR 57/21, NJW-RR 2022, 850). Insoweit kann an dieser Stelle offen bleiben, wie die konkrete Bestell- und Zahlungsabwicklung, d.h. ob direkt über die Volkswagen AG oder über den Händler ... erfolgt ist. Dafür, dass es sich vorliegend um ein bereits beim Händler vorhandenes Fahrzeug gehandelt haben könnte und damit das Absatzrisiko von der Beklagten auf den Händler übergegangen wäre (vgl. zu dieser Konstellation BGH, Urteil v. 25.07.2022, NJW 2022, 2752), liegen vorliegend - insbesondere auch angesichts der Bestellunterlagen gegenüber der Volkswagen AG in Bezug auf den konkreten PKW der Klägerseite - keinerlei Anhaltspunkte vor.
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Handelt es sich bei dem Restschadensersatzanspruch aus § 852 Satz I BGB danach um die (lediglich der Höhe nach auf das Erlangte gedeckelte) Fortsetzung des ursprünglichen Schadensersatzanspruchs, muss dem Geschädigten auch in diesem Rahmen die Wahl des „kleinen“ statt des „großen“ Schadensersatzes freistehen; andererseits ist der „kleine“ Schadensersatzanspruch im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB genauso zu berechnen wie es vor Eintritt der Verjährung im Rahmen des S. 826 BGB der Fall war (vgl. OLG München, BeckRS 2022, 15118 Rz. 12 mwN.). Auch die Entscheidung des BGH vom 24.01.2022 (Az. Via ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033) spricht für eine entsprechende Wahlmöglichkeit des Geschädigten im Rahmen des § 852 BGB, da dort ein Anspruch nach S. 826 BGB auf „kleinen“ Schadensersatz gleichberechtigt neben einem solchen auf „großen“ Schadensersatz festgestellt wird und auch dieser als verbliebener Vertrauensschaden qualifiziert wird. Das Gericht hält danach an seiner in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung, dass nach der Rechtsprechung des BGH ein Anspruch im Rahmen des Restschadensersatzanspruches wohl nur Zug-um-Zug gegen Rückgabe des PKW zustehe, nicht weiter fest. Insbesondere haben die insoweit in Bezug genommenen Entscheidungen des BGH vom 21.02.2022 jeweils Konstellationen zum Gegenstand, in denen von Klägerseite der sog. „große“ Schadensersatz verlangt worden ist, so dass die Frage nach der Möglichkeit einer Geltendmachung des „kleinen“ Schadensersatzes in der konkreten Konstellation nicht zu beantworten war und sich daher auch nicht der Schluss auf eine Unmöglichkeit dessen Geltendmachung im Rahmen des § 852 BGB ziehen lässt. Nachdem das rein rechtliche Argument einer Verurteilung zum Schadensersatz nur Zug-um-Zug gegen Rückgabe des PKW bereits von Beklagtenseite in den terminsvorbereitenden Schriftsätzen vorgebracht worden war und zu dem Hinweis im Rahmen der mündlichen Verhandlung lediglich die Klägerseite eine Schriftsatzfrist beantragt hat, war eine Wiedereröffnung der Verhandlung mit erneutem Hinweis nicht erforderlich.
b) Höhe des Anspruchs auf kleinen Schadensersatz
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Nach den Entscheidungen des BGH vom 06.07.2021, Az. VI ZR 40/20 (vgl. NJW 2021, 3041) und vom 24.01.2022 (Az. Via ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033) ist für die Bemessung des kleinen Schadensersatzes grundsätzlich zunächst der Vergleich der Werte von Leistung (Fahrzeug) und Gegenleistung (Kaufpreis) im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Dabei hat die Bemessung vom objektiven Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auszugehen, bei dessen Bestimmung die mit der Prüfstandserkennungssofiware verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko nachteiliger behördlicher Anordnungen, zu berücksichtigen sind (vgl. BGH aaO.).
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Insoweit schätzt das Gericht den Minderwert des Fahrzeuges aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung auch unter Berücksichtigung einer möglichen Aufwertung des Fahrzeugs durch das installierte Softwareupdate in Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung des hiesigen Gerichtsbezirks (vgl. OLG München, BeckRS 2022, 15118, Rz. 13) auf 10% des Bruttokaufpreisest also auf 32.550,75 € x 3.255,08 C.
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Gleichsam spiegelbildlich dazu betrug der tatsächliche Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages also 29.295,67 C.
c) Keine Aufzehrung des Anspruchs auf kleinen Schadensersatz durch Vorteilsanrechnung
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Nach der Entscheidung des BGH vom 24.01.2022 (Az. Via ZR 100/21 NJW-RR 2022, 1033) sind bei der Bemessung des kleinen Schadensersatzes die vom Käufer gezogenen Nutzungen und der Restwert des Fahrzeugs schadensmindernd anzurechnen, allerdings nur dann und insofern, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages übersteigen.
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Der tatsächliche Wert des Fahrzeugs betrug bei Abschluss des Kaufvertrages entsprechend der vorstehenden Ausführungen 29.295,67 G.
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Dieser Wert ist den gezogenen Nutzungen und dem Restwert des Fahrzeuges gegenüberzustellen.
39
Der von der Klägerin gezogene Nutzungsvorteil ergibt sich aus dem Bruttokaufpreis, multipliziert mit der gefahrenen Strecke seit Erwerb und zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, geteilt durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (vgl. BGH aaO.). Bezüglich der bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gefahrenen Strecke Kilometern ist das Gericht angesichts des vorgelegten Lichtbilds vom Kilometerstand mit Tageszeitung vom Tag der mündlichen Verhandlung überzeugt, dass der dort ausgewiesene Kilometerstand von 96742 der tatsächlichen Laufleistung des Fahrzeugs entspricht. Hinsichtlich der Restlaufleistung geht das Gericht - wie vom BGH gebilligt (vgl. BGH, NJW 2020, 2796 Rz. 15) - angesichts der Laufleistung von O Kilometern bei Erwerb von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km aus.
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Diese Berechnung ergibt danach:
32.550,75 EUR Bruttokaufpreis x 96742 km gefahrene Strecke seit Erwerb, geteilt durch 250.000 km, somit einen Nutzungsvorteil von 12.596,10 C.
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Der Restwert des Fahrzeugs wurde aufgrund einer Recherche auf der Internetseite der „Deutschen Autotreuhand“ ermittelt (vgl. OLG München, BeckRS 2022, 15118, dort Rn. 16). Die dortige Wertermittlung berücksichtigt den Wohnort des Eigentümers (Postleitzahl), die Erstzulassung und Laufleistung des Fahrzeugs sowie den Fahrzeugtyp mit den spezifischen Ausstattungsvarianten.
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Nach S. 287 ZPO schätzt das Gericht den Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs danach auf 11.700,- €.
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Addiert man den Nutzungsvorteil (12.596,10 G) und den Restwert (11.700 C), so ergibt sich ein Gesamtwert dieser beiden Vorteile von 24.296,10 €.
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Der Wert der beim Kläger entstandenen Vorteile (24.296, 10 €) unterschreitet damit den tatsächlichen Wert des Fahrzeuges bei Abschluss des Kaufvertrages (29.295,67 C) um einen Betrag von 4.999,57 €. Danach hat insoweit keine - auch nur anteilige - Anrechnung der gezogenen Nutzungen und des verbleibenden Restwerts auf den festgestellten Anspruch der Klägerin auf „kleinen“
45
Schadensersatz in Höhe des Minderwerts von 3.255,08 € (vgl. oben unter a). zu erfolgen.
46
d) Keine wirtschaftliche Besserstellung der Klägerin durch Wahl des „kleinen“ Schadensersatzes Die Wahlmöglichkeit zwischen „kleinem“ und „großem“ Schadensersatz soll nur der Dispositionsfreiheit der Klägerin mit Blick auf die Frage, ob sie das erworbene Auto behalten oder zurückgeben will, dienen (vgl. OLG München, BeckRS 2022, 15118 Rz. 21). Die Klägerin soll danach durch die Wahl des „kleinen“ Schadensersatzes nicht wirtschaftlich besser gestellt werden, als sie bei Wahl des „großen“ Schadensersatzes stünde (vgl. OLG München aaO.), weshalb dessen Höhe nach Auffassung des Gerichts eine weitere Limitierung des „kleinen“ Schadensersatzanspruchs darstellt.
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Hätte die Klägerin den „großen“ Schadensersatz gewählt, wäre vom Bruttokaufpreis (maßgeblich ist nach BGH v. 25.07.2022, Az. Via 601/21, NJW 2022, 2752, der Bruttokaufpreis ohne Abzug von Nebenkosten wie Überführungs- und Zulassungskosten) in Höhe von 32.550,75 € neben dem Wert der gezogenen Nutzungen in Höhe von 12.596,10 € (s.o.) auch noch eine Händlermarge von bis zu 15% - was dem oberen Wert des nach den vorliegenden Unterlagen und Ausführungen nach S. 278 ZPO zu schätzenden Betrages entsprechend würde - des Bruttokaufpreises und damit 4.882,61 abzuziehen gewesen, so dass die Klägerin zumindest noch eine Zahlung in Höhe von 15.072,55 € hätte beanspruchen können. Allerdings hätte die Klägerin Zug um Zug gegen diese Zahlung das streitgegenständliche Auto mit einem Restwert von 11.700,-€ an die Beklagte herausgeben und übereignen müssen, so dass sie im Ergebnis wirtschaftlich betrachtet einen Anspruch in Höhe von 3.372,55 € gegenüber der Beklagten hätte geltend machen können. Nachdem dieser Wert über dem hier als zutreffenden kleinen Schadensersatz festgestellten Betrag in Höhe von 3.255,57 € liegt, ist in dessen Wahl keine Besserstellung der Klägerin zu sehen, so dass auch insoweit keine Reduzierung des festgestellten Anspruchs auf kleinen Schadensersatz zu erfolgen hat.
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Danach kann vorliegend auch dahingestellt bleiben, ob im Rahmen des „großen“ Schadensersatzanspruchs angesichts der Bestellumstände tatsächlich eine Händlermarge abzuziehen wäre - wofür angesichts der Involvierung und einer typischerweise eigenen Gewinnerzielungsabsicht des Autohauses W. GmbH & Co. KG vieles spricht -, da sich der Zahlungsanspruch andernfalls nur erhöhen würde und damit erst recht keine Limitierung des geltend gemachten „kleinen“ Schadensersatzanspruchs in dem hier festgestellten Umfang bewirken könnte.
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Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch bei Annahme eines höheren Minderwerts des Fahrzeugs bei Vertragsschluss (teilweise wird auch eine Wertreduzierung von 20% vertreten, vgl. Syrbe, Die zivilgerichtliche Aufarbeitung des „Diesel-Abgasskandals“ - ein aktualisierter Zwischenstand, NZV 2022, 153, Ziff. XVII) nach der hier vertretenen Auffassung - unter Annahme eines Abzugs einer Händlermarge von 15% (s.o.) - gleichwohl nur ein auf die Höhe des wirtschaftlichen Wertes des „großen“ Schadensersatzanspruchs (hier 3.372,55 C) begrenzter Anspruch auf „kleinen“ Schadensersatz gegeben wäre.
4. Zinsanspruch
50
Der Anspruch der Klägerin auf Prozesszinsen beruht auf SS 288, 291, 187 analog BGB.
5. Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung beruht auf SS 91, 92 ZPO.
52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus S. 709 ZPO.
53
Die Streitwertfestsetzung erfolgte nach S. 48 Abs. I GKG iVm S. 3 ZPO.