Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 10.03.2023 – AN 14 K 22.50426
Titel:

Zur Lage Asylsuchender und international Schutzberechtigter in Dänemark 

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. c
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Dänemark systemische Schwachstellen gem. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung iSv Art. 4 GRCh mit sich bringen. (Rn. 31 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. International Schutzberechtigten droht in Dänemark nicht die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden  Behandlung iSd Art. 4 GRCh oder des Art. 3 EMRK. (Rn. 46 – 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Urteil ohne mündliche Verhandlung, Unzulässigkeit des Asylantrags, Zuständigkeit Dänemarks nach Dublin III-VO, Frühgeburt, Kein Nachweis fehlender Reisefähigkeit, Dublin-Verfahren, Zuständigkeit Dänemarks, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen, Lage international Schutzberechtigter, kein Nachweis fehlender Reisefähigkeit, VO (EU) Nr. 604/2013
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5936

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), mit dem sein in Deutschland gestellter Asylantrag als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Dänemark angeordnet wurde.
2
Der Kläger ist belarusischer Staatsangehöriger und eigenen Angaben zufolge ukrainischer Volkszugehörigkeit. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 11. Juli 2022 in das Bundesgebiet ein und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am gleichen Tag Kenntnis erlangte. Bei einer am gleichen Tag durchgeführten Eurodac-Recherche wurde ein Treffer der Kategorie 1 für Dänemark (Antragstellung am 21. März 2022) festgestellt.
3
Aufgrund dessen richtete das Bundesamt am 29. August 2022 ein Wiederaufnahmegesuch an Dänemark, das von den dänischen Behörden am 9. September 2022 auf der Grundlage des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO akzeptiert wurde.
4
Am 28. September 2022 hat der Kläger einen förmlichen Asylantrag gestellt. Beim persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am gleichen Tag gab er an, dass seine Mutter, sein Bruder und eine Schwester sich in Deutschland aufhielten. Er habe Belarus am 6. März 2022 verlassen und sei zunächst nach Polen eingereist, wo er sich 4 Monate in einem Flüchtlingscamp für ukrainische Kriegsflüchtlinge in … aufgehalten habe.
5
Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 9. November 2022 gab er an, seine mit ihm in Deutschland befindliche Lebensgefährtin bei einer Familienfeier, aber nicht offiziell geheiratet zu haben. Er sei in der Ukraine geboren worden und habe sich dort seitdem aufgehalten, habe aber allein die belarusische Staatsangehörigkeit. Als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen sei seien sie (seine Frau und er) zunächst mit dem Bus nach Polen und dann weiter mit dem Zug nach Dänemark gefahren. Dort hätten sie erfahren, dass seine Mutter und weitere Verwandte sich in Deutschland aufhielten. Daraufhin hätten sie den dänischen Behörden erklärt, dass sie das Asylverfahren nicht weiter betreiben wollten, ihre Personaldokumente zurückerhalten und seien mit dem Zug nach Deutschland gefahren. In Dänemark seien sie in einem Lager für Asylbewerber untergebracht gewesen, in dem hauptsächlich Ukrainer gewesen wären. Dort seien sie versorgt worden. Gegen eine Abschiebung nach Dänemark spreche, dass sich seine Familie in Deutschland aufhalte. Seine Frau sei schwanger.
6
Mit Bescheid vom 10. November 2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Dänemark an (Ziffer 3). In Ziffer 4 des Bescheides wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheids, der dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 17. November 2022 zugestellt wurde, wird Bezug genommen.
7
Hiergegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten, der am 21. November 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach einging, die vorliegende Klage erheben und stellte zugleich einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (AN 14 S 22.50425). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Asylverfahren des Klägers in Dänemark vollständig negativ abgeschlossen sei. Er habe dort alle seine Dokumente zurückerhalten, Dänemark werde sein Asylverfahren nicht bearbeiten. Er habe einen 7-monatigen Sohn …, der eine Frühgeburt und krank sei. Er befinde sich aktuell im Krankenhaus in der klimatisierten Kammer und sei voraussichtlich nicht reisefähig. Außerdem habe er in Deutschland eine alte pflegebedürftige Mutter, die an Asthma und sonstigen Erkrankungen leide. Nachgereicht wurde eine vom 24. November 2022 datierende Aufenthaltsbescheinigung des Universitätsklinikums …, wonach der am 12. November 2022 geborene … sich seit dem gleichen Tag in stationärer Behandlung in der Klinik befinde.
8
Das Gericht hat den Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 29. November 2022 um Vorlage einer aussagekräftigen Bescheinigung der Uniklinik … gebeten, aus der die Erkrankung des Sohnes des Klägers und die Gefahren für ihn bei einer Verlegung nach Dänemark hervorgingen. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
9
Der Kläger beantragt,
1.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2022 (AZ: …), dem Kläger am 17.11.2022 zugestellt, wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verpflichtet, das Asylverfahren des Klägers in Deutschland durchzuführen.
3.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft dem Kläger gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass die Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
10
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
11
Sie bezieht sich zur Begründung einerseits auf die angefochtene Entscheidung. Andererseits führt sie aus, aus dem vorgelegten Dokument gehe über den Zustand des Kindes nichts hervor, es sei daher von dessen Reisefähigkeit auszugehen. Daneben entspreche die Gesundheitsversorgung in Dänemark dem deutschen Niveau, sodass eine entsprechende medizinische Versorgung einer Frühgeburt gewährleistet sei. Selbst bei Annahme einer Reiseunfähigkeit sei der Eintritt der Reisefähigkeit innerhalb der Überstellungsfrist nicht auszuschließen.
12
Der Asylantrag der Ehefrau bzw. Lebensgefährtin des Klägers wurde mit Bescheid vom 10. November 2022 ebenfalls als unzulässig abgelehnt. Aufgrund analoger Anwendung von § 3 Abs. 1 und Abs. 2 MuSchG wurde von einem temporären Abschiebungshindernis während der Mutterschutzfrist ausgegangen und der Bescheid nach § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG nicht mit einer Abschiebungsanordnung, sondern einer Abschiebungsandrohung hinsichtlich Dänemark versehen. Hiergegen wurde Klage erhoben (AN 14 K 22.50441).
13
Das Gericht hat mit Beschluss vom 6. Februar 2023, auf den hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird, den Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Klage abgelehnt (AN 14 S 22.50425).
14
Mit Schreiben vom 9. Februar 2023 hat das Gericht die Beteiligten auf die Bestimmung des § 77 Abs. 2 AsylG in der seit dem 1. Januar 2023 geltenden Fassung hingewiesen und die Möglichkeit zu einer Stellungnahme bis zum 6. März 2023 gegeben. Die Beklagte hat daraufhin mit Schreiben vom 9. Februar 2023 auf mündliche Verhandlung verzichtet, eine Reaktion der Klägerseite ist nicht erfolgt.
15
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Bundesamtsakten in diesem und dem Verfahren der Ehefrau/Lebensgefährtin des Klägers und die diesbezüglichen Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16
Über die Klage konnte gemäß § 77 Abs. 2 AsylG ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Nach dieser Bestimmung in ihrer seit dem 1. Januar 2023 geltenden Fassung (BGBl. 2022 I S. 2817) kann das Gericht außer in den Fällen des § 38 Abs. 1 und § 73b Abs. 7 AsylG bei Klagen gegen Entscheidungen nach dem AsylG im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer – wie hier – anwaltlich vertreten ist. Nach § 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG sind die Beteiligten hierauf und auf die Bestimmung des § 77 Abs. 2 Satz 2 AsylG, wonach auf Antrag eines Beteiligten mündlich verhandelt werden muss, hinzuweisen. Dieser Hinweis ist hier mit Schreiben vom 9. Februar 2023 erfolgt und innerhalb der gesetzten Frist ging kein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht ein.
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Eine mündliche Verhandlung ist im vorliegenden Fall auch nicht geboten: Der Kläger wurde vor Erlass der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz auf die Notwendigkeit der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, aus der die nach seinem Vortrag bei seinem Kind vorliegenden gesundheitlichen Beschwerden hervorgehen, hingewiesen. Eine solche wurde jedoch nicht vorgelegt, auch nicht nachdem das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Klage abgelehnt hatte. Gründe, nach denen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung angezeigt wäre, wurden weder vorgebracht noch sind sie von Amts wegen erkennbar.
18
Die Klage ist hinsichtlich des unter Ziffer 1 gestellten Antrags auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids und des unter Ziffer 3 „weiter hilfsweise“ gestellten Antrags auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zulässig, im Übrigen unzulässig (hierzu 1.). Soweit die Klage zulässig ist ist sie jedoch unbegründet (hierzu 2. bis 5.).
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1. Mit dem unter 1 Ziffer gestellten Klageantrag wurde eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO erhoben. Dabei handelt es sich um die im vorliegenden Fall statthafte Klageart. Mit dem angefochtenen Bescheid lehnte das Bundesamt den durch den Kläger in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag wegen der Zuständigkeit Dänemarks für das Asylverfahren nach der Dublin III-VO als unzulässig ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ((BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris LS 1 und Rn. 13 f.), der das Gericht folgt, ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart gegen durch das Bundesamt getroffene Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG wie hier. Rechtsfolge der Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts ist, dass dieses den gestellten Asylantrag im nationalen Verfahren sachlich bearbeiten muss (BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 34/19 – juris LS 1). Der unter Ziffer 2 gestellte Antrag geht daher bei sachgerechter (§ 88 VwGO) Auslegung im Anfechtungsantrag auf.
20
Der Kläger hat daneben unter Ziffer 3 der Klageschrift noch weitere Klageanträge mit dem Ziel der Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung als Asylberechtigter, zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus gestellt. Diese sind jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht statthaft, da der Asylantrag vom Bundesamt inhaltlich nicht geprüft, sondern allein nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG abgelehnt wurde.
21
Statthaft ist dagegen der am Ende der Ziffer 2 gestellte Hilfsantrag auf Feststellung (von) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Nach § 31 Abs. 3 AsylG hat das Bundesamt in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Da sich diese Feststellung bei Unzulässigkeitsentscheidungen auf den europäischen Zielstaat der Abschiebung bezieht ist der Klageantrag nach dem wohlverstandenen Interesse des Klägers (§ 88 VwGO) dahingehend auszulegen, dass die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung dieser Abschiebungshindernisse in Bezug auf Dänemark beantragt wird (vgl. BVerwG, U.v.14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 20).
22
Die Klage ist fristgerecht erhoben worden und auch im Übrigen zulässig.
23
Sie ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 10. November 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Dänemark (§ 113 Abs. 5 VwGO).
24
2. Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist rechtmäßig.
25
a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
26
aa) Die Dublin III-VO findet im Verhältnis zwischen der Beklagten und Dänemark Anwendung. Zwar gilt diese Verordnung nicht unmittelbar (vgl. Art. 1 Abs. 1 des Protokolls [Nr. 22] über die Position Dänemarks [ABl. Nr. C 326, S. 299 ff.] und Erwägungsgrund 42 der Dublin III-VO). Das dänische Recht erklärt die Verordnung aber als nationales Recht gemäß § 29a Abs. 2 und §§ 58b ff. des dänischen Ausländergesetzes für anwendbar. Die Anwendbarkeit zwischen Dänemark und der Europäischen Union ist durch bilaterale Rechtsakte gegeben (vgl. Art. 2 Abs. 1 des Abkommens vom 13.03.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Staates, der für die Prüfung eines in Dänemark oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellten Asylantrags zuständig ist, sowie über „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens [ABl. Nr. L 66, S. 38] und Art. 1 des Beschlusses des Rates vom 21.02.2006 [Abl. Nr. L 66, S. 37]). Danach fand zunächst die vorausgehende Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO) Anwendung. Entsprechend der bilateralen Regelungen hat Dänemark durch den nationalen Anwendungsbefehl auch die nachfolgende Verordnung (EU) Nr. 604/2013 als Änderung zur Geltung notifiziert (vgl. Art. 3 Abs. 2 des Abkommens).
27
bb) Der Kläger hat ausweislich des vom Bundesamt festgestellten Eurodac-Treffers in Dänemark einen ersten Asylantrag gestellt. Zwar hat er beim Bundesamt angegeben, nach seiner Ausreise aus Belarus am 6. März 2022 sich zunächst vier Monate lang in einem Lager für ukrainische Kriegsflüchtlinge in Polen aufgehalten zu haben. Dies passt aber nicht mit seinem durch den Eurodac-Treffer dokumentierten Aufenthalt mit Asylantragstellung jedenfalls seit dem 21. März 2022 in Dänemark zusammen. Zudem wurde kein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Polen festgestellt, so dass der Kläger zur Überzeugung des Gerichts in Polen auch keinen Asylantrag gestellt hat.
28
Dänemark hat das Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO akzeptiert. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zufolge ist das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates für den Asylantrag des Klägers demnach in Dänemark durchgeführt und abgeschlossen worden (vgl. EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17 u.a. – juris Rn. 67). Mithin kommen die Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels III der Dublin III-VO nicht mehr zur Anwendung (vgl. EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17 u.a. – juris Rn. 80). Nachdem Dänemark folglich das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren bereits durchgeführt und die eigene Zuständigkeit bejaht hat, ist Dänemark der nach der Dublin III-VO für das Asylverfahren des Klägers zuständige Mitgliedstaat.
29
Anhaltspunkte dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO, der nach der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausnahmsweise eine andere Zuständigkeit begründen kann, wenn insoweit eindeutige Belege vom Kläger vorgelegt werden (EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17 u.a. – juris Rn. 81 ff.), zuständig wäre, liegen nicht vor.
30
Die Bundesrepublik Deutschland ist auch nicht wegen Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig geworden. Diese wurde durch den fristgerecht gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage unterbrochen und lief erst mit der Ablehnung des Antrags mit Beschluss vom 6. Februar 2023 erneut an (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO a.E.).
31
b) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Dänemark systemische Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung des Klägers im Sinne von Art. 4 GRCh mit sich bringen und welche der Zuständigkeit Dänemarks für das Asylverfahren des Klägers entgegenstehen könnten.
32
aa) Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylsuchenden in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht.
33
Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011, a.a.O.). An diese Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße der zuständigen Mitgliedstaaten gegen Art. 3 EMRK genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende derart defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B. v. 6.6.2014 – 10 B 25/14 – juris).
34
Mit Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – hat der Europäische Gerichtshof – wegen des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 GRCh gleichermaßen für Asylsuchende und Anerkannte – die Maßstäbe für Rückführungen im Dublin-Raum präzisiert. Aufgrund des fundamental bedeutsamen EU-Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens darf ein Asylsuchender hiernach grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin III-VO für die Bearbeitung seines Antrages zuständig ist bzw. ihm bereits Schutz gewährt hat, es sei denn, er würde dort ausnahmsweise aufgrund der voraussichtlichen Lebensumstände für längere Zeit dem „real risk“ einer Lage extremer materieller Not ausgesetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. des insoweit inhaltlich gleichen Art. 3 EMRK verstößt, das heißt seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. dazu VGH BW, U. v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 38).
35
Die vom Europäischen Gerichtshof geforderte besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U. v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U. v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland; vgl. auch BVerwG, B. v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris).
36
Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 93.). Es lässt sich allerdings nicht völlig ausschließen, dass ein Asylsuchender oder Schutzberechtigter nachweisen kann, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die im Fall der Überstellung bedeuten würden, dass er sich aufgrund besonderer Verletzlichkeit unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019, a.a.O).
37
bb) In Dänemark existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeit (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Dänemark, Stand: 29.6.2021, S. 7). Bei Dublin-Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Dänemark einen Asylantrag gestellt haben, über den aber noch nicht entschieden wurde, wird das begonnene Asylverfahren bei der Rückkehr an dem Punkt wiederaufgenommen, an dem es unterbrochen wurde (Raphaelswerk, Dänemark: Informationen für Geflüchtete, die nach Dänemark rücküberstellt werden, Stand 2/2019, S. 3).
38
Die Lebenshaltungskosten der Asylbewerber werden bei Mittellosigkeit in der Regel von der dänischen Einwanderungsbehörde gedeckt. Asylbewerber erhalten Unterbringung und je nach Bedarf notwendige medizinische und soziale Versorgungsleistungen. Zusätzlich gibt es finanzielle Beihilfen für Kleidung, Hygieneartikel und Transport. Wenn im Unterbringungszentrum keine kostenlosen Mahlzeiten serviert werden gibt es auch dafür eine Beihilfe (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Dänemark, Stand: 29.6.2021, S. 9). Alleinstehende Erwachsene, die nicht in ihrer Unterkunft verpflegt werden, erhalten 52,35 DKK pro Tag, Paare erhalten 41,44 DKK pro Tag pro Person; für Kinder gibt es zusätzliche Leistungen. Über 18-jährige schließen einen Vertrag mit der Unterkunft ab, in dem sie sich verpflichten, an bestimmten Aktivitäten und Kursen teilzunehmen und Arbeiten in der Unterkunft auszuführen. Dafür erhalten sie eine zusätzliche Leistung von 8,73 DKK pro Tag in der Anfangsphase und bis zu 30,55 DKK wenn feststeht, dass ihr Asylantrag in Dänemark bearbeitet wird (Raphaelswerk, Dänemark: Informationen für Geflüchtete, die nach Dänemark rücküberstellt werden, Stand 2/2019, S. 8).
39
In den Unterkünften für Asylsuchende bestehen Krankenstationen, in denen Untersuchungen durch Allgemeinärzte, Hebammen oder HNO-Ärzte vorgenommen werden können. Grundsätzlich haben Asylsuchende aber keinen Zugang zum nationalen Gesundheitssystem. Behandlungskosten werden von der dänischen Einwanderungsbehörde getragen, wenn es sich um dringende bzw. schmerzlindernde Behandlungen handelt. Notwendige Medikamente werden dann kostenfrei ausgegeben. Minderjährige Asylsuchende haben dagegen Anspruch auf Gesundheitsversorgung wie in Dänemark ansässige Kinder. (Raphaelswerk, Dänemark: Informationen für Geflüchtete, die nach Dänemark rücküberstellt werden, S. 8). In der Praxis muss der Betreiber des Asylzentrums die Kosten einer medizinischen Behandlung von der Einwanderungsbehörde in jedem Einzelfall bewilligen lassen. Für bestimmte Behandlungen wie die Konsultation eines praktischen Arztes oder Facharztes oder einer Hebamme, Erstkonsultation eines Psychologen/Psychiaters ist eine direkte Überweisung durch das medizinische Personal der Zentren möglich (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Dänemark, Stand: 29.6.2021, S. 11).
40
In größeren Unterkünften für Asylsuchende befinden sich Kindergärten, die von Kindern zwischen 3 und 5 Jahren besucht werden können. Die dänische Schulpflicht für Kinder im Alter von 6-16 Jahren gilt auch für Asylsuchende. Nach ihrer Ankunft werden die Kinder meist zunächst in der Unterkunft für Asylsuchende unterrichtet, später besuchen sie entweder eine spezielle Schule für Asylsuchende oder eine staatliche Schule vor Ort. Personen über 18 Jahren werden in den Unterkünften Einführungskurse in dänischer Sprache, Kultur und Gesellschaft angeboten. Diese Kurse informieren auch über den dänischen Arbeitsmarkt und das Bildungssystem (Raphaelswerk, Dänemark: Informationen für Geflüchtete, die nach Dänemark rücküberstellt werden, Stand 2/2019, S. 9).
41
Frühestens nach 6 Monaten ab der Asylantragstellung können Asylbewerber eine Arbeitserlaubnis bei der dänischen Einwanderungsbehörde beantragen. Eine selbständige Tätigkeit dürfen sie nicht aufnehmen (Raphaelswerk, Dänemark: Informationen für Geflüchtete, die nach Dänemark rücküberstellt werden, Stand 2/2019, S. 9; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Dänemark, Stand: 29.6.2021, S. 10).
42
Im Juni 2021 wurde in Dänemark zwar eine Änderung des Ausländergesetzes verabschiedet, wodurch Asylzentren außerhalb Dänemarks ermöglicht werden. Dem Gesetz zufolge sollen Asylbewerber, die in Drittländer ausgeflogen werden, auch dann, wenn ihnen ein Schutzstatus zugesprochen wird, in dem Drittland bleiben oder anderswo in ein UN-Flüchtlingslager verlegt werden. Die Änderung wurde u.a. von der EU-Kommission und vom UNHCR stark kritisiert. Die Änderungen werden sich dann auswirken, wenn Dänemark ein formelles Abkommen mit einem Drittland abschließt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Dänemark, Stand: 29.6.2021, S. 7). Dies ist bislang jedoch noch nicht erfolgt.
43
cc) Daher ist davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Überstellung nach Dänemark sein Asylverfahren dort fortsetzen könnte. Entgegen der Argumentation im Antragsschriftsatz steht aufgrund der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Dänemark auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO (Drittstaatsangehöriger hat Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen) gerade fest, dass das Asylverfahren des Klägers in Dänemark noch nicht negativ abgeschlossen wurde. Vielmehr hat Dänemark anerkannt, dass es für den Asylantrag des Klägers zuständig ist, daher wird es diesen nach Überstellung dorthin auch weiter prüfen.
44
Während des Asylverfahrens wäre er in einer Unterkunft für Asylsuchende untergebracht und würde dort auch materiell versorgt.
45
Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen, die den Kläger der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh aussetzen würden sind daher nicht erkennbar.
46
c) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Dänemark auch im Fall der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Dänemark nicht die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK.
47
aa) Aufgrund des allgemeinen und absoluten Verbotscharakters des Art. 4 GRCh soll die Überstellung von Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens auch in all den Situationen ausgeschlossen sein, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Asylsuchenden bei ihrer Überstellung oder infolge ihrer Überstellung Gefahr laufen werden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 85 ff.).
48
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es daher für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung oder während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffenden Personen aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-III-VO einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 f.). Das Asylsystem des nach der Dublin-III-VO zuständigen Mitgliedstaates darf zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür geben, dass den Rücküberstellten bei einer Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 88). Demgemäß ist nicht lediglich die Situation von Asylsuchenden als Dublin-Rückkehrende in den Blick zu nehmen, sondern es ist eine zusätzliche Abschätzung der Situation bei einer Zuerkennung internationalen Schutzes im zuständigen Mitgliedstaat erforderlich (VGH BW, U. v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 42; VG Würzburg, B. v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50301 – juris Rn. 19).
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Wie für Dublin-Rückkehrende bereits dargelegt, kann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den vorherrschenden humanitären Bedingungen erst gesehen werden, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht ist. Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn der Kläger sich aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U. v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; U. v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; VG Ansbach, U. v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22).
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Dafür genügt es nicht, dass in dem Mitgliedstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U. v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97; VG Ansbach, U. v. 21.5.2021 – AN 17 K 18.50704 – BeckRS 2021, 12738, Rn. 22).
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Im Rahmen der diesbezüglich zu treffenden Prognoseentscheidung ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich; die Gefahr einer Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss auf Grund aller Umstände des Einzelfalles hinreichend sicher bestehen und nicht nur hypothetisch sein (OVG RhPf, U. v. 15.12.2020 – 7 A 11038/18.OVG – BeckRS 2020, 37249, Rn. 34).
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bb) Wird in Dänemark ein Schutzstatus gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt, beträgt die Dauer der Aufenthaltsbewilligung bis zu 2 Jahre. Bei Gewährung subsidiären Schutzes nach dem dänischen Ausländergesetz beträgt die Dauer der Aufenthaltsbewilligung zuerst ein Jahr und nach 3 Jahren maximal 2 Jahre (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Dänemark, Stand: 29.6.2021, S. 12).
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Schutzberechtigte haben Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie werden einer Gemeinde zugewiesen, in der sie wohnen werden. Die Auswahl erfolgt grundsätzlich nach einer Quote, die neben der Zahl der bereits in der Kommune lebenden Flüchtlingen u.a. auch dortige Beschäftigungsmöglichkeiten berücksichtigt. Mit dieser Kommune schließen die anerkannten Schutzberechtigten einen Integrationsvertrag, der über 3 Jahre läuft und dessen Programm in der Verantwortung der Kommune liegt. Diese vermittelt Wohnraum und unterstützt bei der Ersteinrichtung, gewährt Sprachunterricht und unterstützt bei der Arbeitssuche (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Dänemark, Stand: 29.6.2021, S. 12; Raphaelswerk, Dänemark: Informationen für Geflüchtete, die nach Dänemark rücküberstellt werden, S. 9). Für anerkannte Flüchtlinge werden bereits in den Unterkünften für Asylsuchende Dänisch-Intensivkurse angeboten, bevor sie in die für sie zuständige Wohnsitzgemeinde verlegt werden (Raphaelswerk, Dänemark: Informationen für Geflüchtete, die nach Dänemark rücküberstellt werden, S. 9).
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Anerkannte Flüchtlinge haben Zugang zur nationalen Gesundheitsversorgung, sobald sie ihre persönliche Identifikationsnummer, die bei Eintragung im zentralen Personenregister erteilt wird, haben und beim Einwohnermeldeamt registriert sind (Raphaelswerk, Dänemark: Informationen für Geflüchtete, die nach Dänemark rücküberstellt werden, Stand 2/2019, S. 7/8).
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Flüchtlinge, die noch keine Arbeit gefunden haben, erhalten eine finanzielle Integrationshilfe, die nur etwa die Hälfte der dänischen Sozialhilfe beträgt. Die Kommunen entscheiden, ob sie zusätzliche Hilfen für öffentliche Verkehrsmittel und andere Ausgaben zahlen. Familien mit Kindern können dänisches Kindergeld beantragen, dessen Höhe nach der Aufenthaltsdauer in Dänemark gestaffelt ist, sodass man in den ersten Jahren nicht den vollen Betrag erhält (Raphaelswerk, Dänemark: Informationen für Geflüchtete, die nach Dänemark rücküberstellt werden, Stand 2/2019, S. 9/10).
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cc) Vor diesem Hintergrund bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle seiner Anerkennung als international Schutzberechtigter in Dänemark eine gegen Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung drohen könnte.
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Dem Kläger würde in diesem Falle eine Aufenthaltserlaubnis für Dänemark ausgestellt und er dürfte dort arbeiten. Daneben würde er für 3 Jahre einen Integrationsvertrag mit einer dänischen Gemeinde abschließen und hätte in dieser Zeit Anspruch auf die oben dargestellten Leistungen. Da der Kläger nach seinen eigenen Angaben gesund ist ist nicht ersichtlich, dass es ihm in Dänemark nicht möglich sein könnte, durch seine Arbeitskraft ein Auskommen zu finden.
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Dies gilt auch für den Fall, dass der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau/Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind nach Dänemark zurückkehren würde. Auch wenn die Ehefrau/Lebensgefährtin des Klägers aufgrund der notwendigen Betreuung des gemeinsamen Kindes zunächst nicht in der Lage sein dürfte, selbst zu arbeiten, steht der dänische Staat dieser Situation nicht mit Gleichgültigkeit gegenüber. Vielmehr existieren, wenn auch in gegenüber den Leistungen für dänische Staatsangehörige reduzierten Ausmaß, Sozialleistungen für Schutzberechtigte, die noch keine Arbeit gefunden haben. Daneben kann auch Kindergeld beantragt werden. Dass trotz dieser Leistungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung drohen würde ist nicht ersichtlich.
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d) Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten, sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist insoweit irrelevant, dass die Mutter, eine Schwester und ein Bruder des Klägers sich in Deutschland aufhalten. Denn einerseits handelt es sich bei diesen Personen nicht um Familienangehörige im Sinne von Art. 2 Buchst. g) Dublin III-VO. Daneben ist aber auch nicht glaubhaft gemacht, dass eine dieser Personen oder der Kläger auf die wechselseitige Anwesenheit im Bundesgebiet angewiesen wäre. Die Behauptung, dass die Mutter des Klägers pflegebedürftig sei und an Asthma und sonstigen Erkrankungen leide, ist durch nichts belegt. Darüber hinaus halten sich auch nach dem Vortrag des Klägers gerade sein Bruder und seine Schwester in Bundesgebiet auf und können die Mutter betreuen. Dass darüber hinaus auch die Anwesenheit des Klägers erforderlich wäre ist nicht erkennbar.
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Gleiches gilt im Bezug auf die Anwesenheit der Ehefrau/Lebensgefährtin des Klägers und das gemeinsame Kind. Auch die Ehefrau/Lebensgefährtin des Klägers ist aufgrund der Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig ausreisepflichtig, ihre Abschiebung nach Dänemark wurde ihr nach § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG angedroht. Die hier gegen erhobene Klage wurde mit Urteil vom heutigen Tage (AN 14 K 22.50441) abgewiesen. Das gemeinsame Kind ist nach Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO ebenso wie die Mutter zu behandeln. Dementsprechend kann für die Zuständigkeit Deutschlands für das Asylverfahren des Klägers hieraus nichts abgeleitet werden.
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3. Auch die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Abschiebungsanordnung nach Dänemark ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Voraussetzung hierfür ist insbesondere, dass keine Abschiebungsverbote in Bezug auf den Zielstaat der Abschiebung nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bestehen und auch keine innerstaatlichen Vollstreckungshindernisse vorliegen.
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Nach den obigen Feststellungen droht dem Kläger bei einer Abschiebung nach Dänemark dort keine gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegt daher nicht vor. Nachdem der Kläger nach eigenen Angaben auch gesund ist fehlt es auch an den Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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Auch für das Vorliegen innerstaatlicher Vollstreckungshindernisse gibt es keine Anhaltspunkte. Der Kläger ist nach eigenen Angaben gesund, sodass er auch reisefähig ist.
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Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) droht auch keine Trennung des Klägers von seinem Kind … oder dessen Mutter, der Lebensgefährtin des Klägers. Der Asylantrag der Lebensgefährtin des Klägers wurde ebenfalls vom Bundesamt als unzulässig abgelehnt und ihr wurde – aufgrund der damals bestehenden Schwangerschaft – die Abschiebung nach Dänemark nach § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG angedroht. Ihre hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom heutigen Tage abgewiesen (AN 14 K 22.50441). Sie ist daher ebenso wie der Kläger ausreisepflichtig und kann daher zusammen mit ihm das Land verlassen. Dass das gemeinsame Kind des Klägers und seiner Lebensgefährtin im maßgeblichen Zeitung der gerichtlichen Entscheidung aufgrund der Tatsache, dass es sich bei ihm um eine Frühgeburt handelt, (weiterhin) nicht reisefähig ist, ist nicht nachgewiesen. Das Kind des Klägers kam offenbar 6 Wochen zu früh auf die Welt. Dies ergibt sich aus einem Vergleich der des errechneten Geburtstermins aus der Bundesamtsakte der Lebensgefährtin des Klägers (28.12.2022) und dem tatsächlichen Geburtstermin, wie es sich aus der Bescheinigung des Universitätsklinikums … ergibt (12.11.2022). Seit der Geburt des Kindes sind inzwischen nahezu ... Monate vergangen. Erfahrungsgemäß sind die gesundheitlichen Auswirkungen einer Frühgeburt, die 6 Wochen vor dem errechneten Termin erfolgt in einem derartigen Zeitraum abgeklungen. Dass tatsächlich noch die Reisefähigkeit ausschließende gesundheitliche Beschwerden bei dem Kind vorliegen wurde trotz Aufforderung des Gerichts klägerseits nicht durch aussagekräftige ärztliche Unterlagen belegt.
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4. Schließlich ist auch die in Ziffer 4 des Bescheids vom 10. November 2022 verfügte Anordnung des Einreiseund Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG und die Befristung auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung rechtmäßig.
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Nach § 75 Nr. 12 AufenthG hat das Bundesamt im Fall einer Abschiebungsanordnung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anzuordnen. Nach § 11 Abs. 3 AufenthG wird über die Länge der Frist des Einreiseund Arbeitsverbots nach Ermessen entschieden. Die Festsetzung der Dauer auf 10 Monate im vorliegenden Fall ist angesichts der Tatsache, dass sich weitere Familienangehörige des Klägers im Bundesgebiet aufhalten ermessensgerecht und jedenfalls nicht zu kurz.
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5. Nachdem, wie bereits oben unter Ziffer 3. ausgeführt wurde, keine Abschiebungsverbote hinsichtlich Dänemarks vorliegen ist auch die Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten unbegründet, da der Kläger hierauf keinen Anspruch hat.
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Die Klage war daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG abzuweisen.