Titel:
Keine Haftung von VW und/oder Audi für den entwickelten und hergestellten bzw. eingebauten 3,0-Liter-Motor (hier: VW Touareg 3.0 TDI)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
AEUV Art. 267
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; OLG München BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch dem Urteil des EuGH vom 21.03.2023 ist nicht zu entnehmen, dass die europarechtlichen Normen konkret die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Fahrzeugerwerber vor unerwünschten Kaufverträgen schützen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, EA896Gen2 Monoturbo, Audi, unzulässige Abschalteinrichtung, Schlussanträge des Generalanwalts, wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht, Schutz vor unerwünschten Kaufverträgen, (Rück-)Abwicklung eines ungewollt abgeschlossenen Kaufvertrages, Schutzgesetzcharakter
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 22.02.2022 – 82 O 785/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5896
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 22.02.2022, Aktenzeichen 82 O 785/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Regensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 24.590,81 € festgesetzt.
Gründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage der Haftung der Beklagten als Motor- bzw. Fahrzeugherstellerin wegen der behaupteten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung.
2
Die Klagepartei nimmt die Beklagten hinsichtlich eines von ihr am 31.03.2016 als Gebrauchtwagen von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Händler erworbenen, von der Beklagten zu 1) hergestellten Pkw Volkswagen Touareg 3.0 TDI mit Erstzulassung am 28.10.2011 in Anspruch. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten zu 2) entwickelten und hergestellten 3.0-Liter-V6-Turbodieselmotor des Typs EA896Gen2 Monoturbo ausgestattet. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse EU5 erteilt.
3
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Regensburg vom 22.02.2022 Bezug genommen.
4
Das Landgericht hat die auf gesamtschuldnerische Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 33.147,92 EUR Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 8.557,11 EUR, Feststellung des Annahmeverzugs hinsichtlich der Rücknahme des Fahrzeugs sowie Freistellung von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.711,70 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen.
5
Hinsichtlich der Antragstellung erster Instanz wird auf den Tatbestand und hinsichtlich der Begründung des Ersturteils auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie auf die zusammenfassende Darstellung unter Ziffer des Hinweises des Senats vom 21.02.2022 Bezug genommen.
6
Die Klagepartei verfolgt ihre erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche im Wege der Berufung weiter. Hinsichtlich des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 22.03.2022 sowie auf die zusammenfassende Darstellung unter Ziffer des Hinweises des Senats vom 21.02.2023 Bezug genommen.
7
Im Berufungsverfahren beantragt die Klagepartei:
1. Unter Abänderung des am 22.02.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Regensburg, Az. 82 O 785/21, die Beklagten zu 1) und 2) gesamtschuldnerisch zu verurteilen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Touareg mit der Fahrgestellnummer an die Klagepartei 33.147,92 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 26.01.2021 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.557,11 Euro zu zahlen.
2. Unter Abänderung des am 22.02.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Regensburg, Az. 82 O 785/21, die Beklagten zu 1) und 2) gesamtschuldnerisch zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes M. H. in Höhe von 1.711,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
8
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
9
Wegen der Berufungserwiderung der Beklagten wird auf deren Schriftsatz vom 26.09.2022 Bezug genommen.
10
Der Senat hat mit Hinweis vom 21.02.2023 begründet, warum er beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.
11
Eine Gegenerklärung der Klagepartei ist fristgemäß mit Schriftsatz vom 23.03.2023 eingegangen.
12
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 22.02.2022, Aktenzeichen 82 O 785/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Ferner handelt sich vorliegend nicht um eine Rechtssache, die die Zulassung der Revision rechtfertigen würde.
13
Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
14
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass. Es bleibt dabei, dass eine deliktische Haftung der Beklagten nicht in Betracht kommt.
15
Die Beklagte haftet insbesondere auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Normen der RL 2007/46/EG und der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Der Bundesgerichtshof hat, wie bereits im Hinweis des Senats vom 21.02.2023 ausgeführt, wiederholt festgehalten, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, mithin die allgemeine Handlungsfreiheit und speziell das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Käufer nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen liegt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19 = BGHZ 225, 316 – juris, Rn. 76; BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 11; BGH, Beschluss vom 01.09.2021, Az. ZR 59/21 – juris, Rn. 3; BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. ZR 190/20 = NJW 2021, 3721 – juris, Rn. 36; BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 10.02.2022, Az. ZR 87/21 = MDR 2022, 700 – juris, Rn. 14).
16
Das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 21.03.2023 in der Rechtssache C-100/21 veranlasst keine von dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichende rechtliche Beurteilung. Hatte schon Generalanwalt R. mit seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 nicht behauptet, dass die europarechtlichen Normen konkret die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Fahrzeugerwerber vor unerwünschten Kaufverträgen schützen, ist dies auch dem Urteil des EuGH vom 21.03.2023 nicht zu entnehmen.
17
Nach der Entscheidung des EuGH sind die in Rede stehenden europarechtlichen Vorschriften dahin auszulegen, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern, insbesondere einem hohen Umweltschutzniveau, die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist. Der EuGH begründet dies im Wesentlichen damit, dass die nach Erteilung der EG-Typgenehmigung entdeckte Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung, mit der ein Fahrzeug ausgerüstet ist, die Gültigkeit dieser Genehmigung und daran anschließend die der eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellende Übereinstimmungsbescheinigung in Frage stellen könne, wobei letztere insbesondere ermögliche, den Käufer davor zu schützen, dass der Hersteller seine Pflicht, im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 auf den Markt zu bringen, nicht einhält. Mithin habe ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne dieser Bestimmung ausgestattet ist. Daran anknüpfend stellt der EuGH sodann fest, dass die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung bzw. im Zusammenhang mit deren Einbau tatsächlich ein Schaden entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023, Az. C-100/21, Rn. 71, 82, 84, 85, 88, 89, 91, 95 und 96).
18
Jedenfalls eine Verletzung seines Interesses im vorgenannten Sinn macht die Klagepartei jedoch gerade nicht geltend. Vielmehr beruft sich die Klagepartei als verletztes Schutzgut auf ihr wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und erhebt den Vorwurf, von der Beklagten zu der Übernahme einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst worden zu sein. Dementsprechend verlangt die Klagepartei von der Beklagten die (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrages durch Erstattung des von ihm an den Verkäufer entrichteten Kaufpreises (unter Anrechnung des erlangten Nutzungsvorteils) Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Mit einer Haftung der Beklagten in Form der (Rück-)Abwicklung eines ungewollt abgeschlossenen Kaufvertrages würde die Klagepartei ihr wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht durchsetzen, das durch die in Rede stehenden europarechtlichen Vorschriften unverändert nicht geschützt ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19 = BGHZ 225, 316 – juris, Rn. 76; BGH, Beschluss vom 10.02.2022, Az. ZR 87/21 = MDR 2022, 700 – juris, Rn. 13 und 14; BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 11 und 15; sowie OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2023, Az. 7 U 113/22 = BeckRS 2023, 4904 – beck-online, Rn. 20 ff).
19
Im Ergebnis kommt dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des EuGH vom 21.03.2023 somit auch keine Entscheidungserheblichkeit für den vorliegenden Fall zu. Wenngleich einzig die nationalen Gerichte zur Auslegung mitgliedstaatlichen Rechts berufen sind, während der EuGH im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nur die Zwecksetzung und Schutzrichtung einer unionsrechtlichen Norm bindend ermitteln kann (vgl. OLG München, Urteil vom 05.09.2022, Az. 28 U 1587/22 = BeckRS 2022, 23404 – beck-online, Rn. 29), besteht mangels Entscheidungserheblichkeit für den Senat vorliegend auch kein Anlass zur Prüfung, ob ausgehend von dem durch den EuGH angenommenen Schutz auch von Einzelinteressen durch die Bestimmungen der RL 2007/46/EG in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 den betreffenden EU-Vorschriften Schutzgesetzcharakter nach inländischem Recht und mit welcher Reichweite jenseits des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zuzuschreiben sein könnte, mithin ob sie insoweit gegebenenfalls unter das Konzept einer drittschützenden Norm im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zu subsumieren wären (vgl. Grüneberg/Sprau, 82. Aufl. 2023, § 823 BGB, Rdnr. 56 bis 59).
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
21
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10 S. 2, 711 ZPO.
22
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der § 3 ZPO, §§ 47, 48 GKG bestimmt.