Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 27.03.2023 – 17 U 1483/22
Titel:

Kein Schadensersatzanspruch gegen Audi wegen des entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: Audi A5 Cabrio S-line 3.0 TDI quatttr)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 138 Abs. 3
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
AEUV Art. 267
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; OLG München BeckRS 2022, 43580; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; OLG München BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Für den Motor EA897 ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit im Hinblick auf die Entwicklung und Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für einen Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs am 30.5.2020 jedenfalls aufgrund einer vor dem Kauf erfolgten maßgeblichen Verhaltensänderung der Herstellerin nicht (mehr) gerechtfertigt. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hinsichtlich der 3.0-Liter-V6-Dieselmotoren ist eine unterstellte objektive Sittenwidrigkeit im Hinblick auf die Entwicklung und Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung spätestens ab dem 25.1.2018 entfallen, als die Audi AG ihre Vertragshändler und Servicepartner nicht nur von den Rückrufanordnungen des KBA für die Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren unterrichtete, sondern hierbei zugleich eine ausdrücklich so bezeichnete sowie anhand eines Musterschreibens (sog. „Beipackzettel“) erläuterte Hinweispflicht gegenüber den Kunden statuierte. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Umstand, dass mit dem Update nicht nur eine unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern auch – solche unterstellt – anderweitig nachteilige Veränderungen verbunden sind, würde nicht ausreichen, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
5. Dass die europarechtlichen Normen konkret die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Fahrzeugerwerber vor unerwünschten Kaufverträgen schützen, ist auch dem Urteil des EuGH vom 21.3.2023 nicht zu entnehmen. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, EA897, Audi, sittenwidrig, unzulässige Abschalteinrichtung, schnelle Motoraufwärmfunktion, Manipulation der Schaltpunktsteuerung des Automatikgetriebes, KBA, wirtschaftliche Selbstbestimmung der Fahrzeugerwerber, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 19.05.2022 – 73 O 1956/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5895

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 19.05.2022, Az. 73 O 1956/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Regensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund beider Urteile insgesamt zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage der Haftung der Beklagten als Herstellerin eines Dieselmotors wegen der behaupteten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung.
2
1. Die Klagepartei nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr mit verbindlicher Bestellung vom 30.05.2020 als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 37.100 km von einer am Rechtsstreit nicht beteiligten Händlerin, der A1. GmbH, einer Audi Partnerin, erworbenen Pkw Audi A5 Cabrio S-line 3.0 TDI quatttro (160 kW) mit Erstzulassung am 05.10.2016 in Anspruch (Anklage K1). Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 3.0-Liter-V6-Turobodieselmotor des Typs EA897 ausgestattet. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse EU6 erteilt. Es verfügt über einen SCR-Katalysator, der mit „AdBlue“ betrieben wird. Das Fahrzeug war von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) im Zusammenhang mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, der sogenannten schnellen Motoraufwärmfunktion (sog. Strategie A), betroffen. Mittels des vom KBA für die Fahrzeuge des Typs Audi A5 am 13.09.2019 freigegebenen Software-Updates wurde am 29.10.2019 die Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs durchgeführt. Mit dem Erwerb des Fahrzeug erhielt die Klagepartei eine Bescheinigung über die Durchführung der Rückrufaktion „23X6“ (Anlage K2).
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Am 12.04.2022 hatte der streitgegenständliche Pkw einen Kilometerstand von 61.022 km.
4
In einer Pressemitteilung vom 21.07.2017 (Anlage B6) hatte die Beklagte unter anderem mitgeteilt, dass sie für Kunden in Europa und weiteren Märkten ein Nachrüstprogramm für EU5/EU6 Dieselfahrzeuge anbiete. Insgesamt könnten bis zu 850.000 Autos, die mit dem Sechszylinderund Achtzylinder-Dieselmotor ausgestattet seien (V6/V8 TDI, EU5/EU6), eine neue Software bekommen. Hierdurch werde das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb jenseits der bisherigen gesetzlichen Anforderungen weiter verbessert. Die Aktion werde in enger Abstimmung mit dem KBA erfolgen. Ihr, der Beklagten, sei bekannt, dass die laufenden KBA-Maßnahmen noch nicht abgeschlossen seien. Sollten sich hieraus weitere Konsequenzen ergeben, werde sie die erforderlichen technischen Lösungen als Teil des Nachrüstprogramms EU5/EU6 im Interesse der Kunden selbstverständlich zügig umsetzen.
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Das KBA gab in einer Pressemitteilung vom 23.01.2018 (Anlage B7) bekannt, dass bei seiner Überprüfung der Audi 3.0 l Euro 6, Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5 und Q7, unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen worden seien. Die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Motoraufwärmfunktion springe bei diesen Fahrzeugen nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibe diese NOx-Schadstoffminderung. Das KBA habe deshalb in den vergangenen Wochen verpflichtende Rückrufe dieser Fahrzeuge angeordnet, um die Vorschriftsmäßigkeit der produzierten Fahrzeuge wiederherzustellen.
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Auch in der Presse, wie bei SpiegelOnline am 21.07.2017 und am 21.01.2018, Handelsblatt online am 21.07.2017 und 21.01.2018, der Süddeutschen Zeitung vom 21.07.2017 und 24.01.2018, Bild am Sonntag vom 21.01.2018 und landesweiten Medien wurden Berichte zum Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps geschaltet.
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Die Beklagte informierte ihre Vertragshändler am 22.12.2017 erstmals über die für die Kommunikation mit diesen eingerichteten internetbasierten Plattform „AUDI Partner Portal“ (APP) unter der Überschrift „Kundeninformation beim Verkauf von Fahrzeugen V6/V8 EU5/6 Dieselmotoren aus Gebrauchtwagenbestand“ (Anlage B2) darüber, dass vom Kraftfahrtbundesamt für Audi Modelle mit V6- und V8 EU5 und EU6 Dieselmotoren ein Rückruf angeordnet worden sei. Insgesamt seien rund 850.000 Fahrzeuge für die V6/V8 EU5 und EU6 Dieselmotoren betroffen. Sie, die Beklagte, arbeite mit Hochdruck daran, die neue Software zu entwickeln, ausführlich zu testen und dann von den Behörden freigeben zu lassen. Sodann wurde gebeten, folgendes zu beachten: „Diese Fahrzeuge sind technisch sicher und fahrbereit. Die Fahrzeuge dürfen ohne vorherige Durchführung der Maßnahme verkauft werden. Beim Verkauf eines Fahrzeugs vor durchgeführter Maßnahme gilt eine Hinweispflicht. Bitte stellen Sie die Umsetzung dieser Hinweispflicht sicher und verwenden Sie das beigefügte Musterschreiben.“
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Ab dem 25.01.2018 unterrichtete die Beklagte ihre Vertragshändler und Servicepartner über die Plattform „AUDI Partner Portal“ (APP) unter der Überschrift „V6-/V8-TDI: Kundeninformation beim Verkauf von Fahrzeugen“ (Anlage B4) darüber, dass „vom Kraftfahrtbundesamt für Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren Rückrufe angeordnet“ worden seien. Insgesamt seien rund 127.000 Fahrzeuge mit der Abgasnorm EU6 betroffen. Die betroffenen Modelle könnten im Handel sicher identifiziert werden. Sie, die Beklagte, arbeite im Dialog mit dem Kraftfahrtbundesamt mit Hochdruck an der Abstimmung der Softwarelösungen. Sodann wurde gebeten, folgendes zu beachten: „Wenn ein betroffenes Fahrzeug ohne durchgeführtes Update verkauft wird, besteht eine Hinweispflicht an den Kunden. Es muss sichergestellt werden, dass diese Hinweispflicht bei Verkäufen aus dem Gebrauchtwagenbestand umgesetzt wird. […] Für die Hinweispflicht benutzen Sie bitte das folgende Musterschreiben: […]“.
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In dem Musterschreiben (sog. „Beipackzettel“; Anlage B5) heißt es unter anderem: „wir freuen uns, dass Sie Interesse am Kauf dieses Fahrzeugs Fahrgestellnummer […] der Marke Audi haben. Wie Sie sicherlich aus der Presse bereits entnommen haben, bietet Audi für Kunden ein Nachrüstprogramm für EU5/EU6 Dieselfahrzeuge an. Durch die Nachrüstung werde das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb weiter verbessert. Dies werde in enger Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) erfolgen. Damit will Audi dazu beitragen, die Gesamtemissionen in Innenstädten zu reduzieren. Für diese 850.000 Fahrzeuge werden in Absprache mit dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) Software-Updates durchgeführt, die zum Teil angeordnet, zum Teil freiwillig vorgenommen werden. Das vorliegende Fahrzeug gehört zu dieser Gruppe. Audi arbeitet mit Hochdruck daran, die neue Software zu entwickeln, ausführlich zu testen und dann von den Behörden freigeben zu lassen. […]“.
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Ferner stellte die Beklagte den Händlern Informationen zur Betroffenheit über sogenannte „Technische Produktinformationen“ (TPI) für das konkrete Fahrzeug zur Verfügung (Anlage B3). Entsprechend vertraglicher Verpflichtung sind Vertragshändler und Servicepartner angehalten, vor dem Verkauf eines Fahrzeugs alle das Fahrzeug betreffenden offenen Aktionen zu überprüfen und durchzuführen. Zu diesem Zweck war die FIN in das entsprechende elektronische Auskunftssystem Elsa Pro einzugeben, um die Betroffenheit des konkreten Fahrzeugs zu überprüfen.
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Daneben bestand zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags für alle Fahrzeughalter und Kaufinteressenten die Möglichkeit, mittels Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) auf einer Internetseite die Betroffenheit des Fahrzeugs von der vom KBA beanstandeten Bedatung der Motorsteuerungssoftware zu überprüfen.
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2. Die Klagepartei hat behauptet, neben der im Prüfzyklus „Neuer Europäischer Fahrzyklus“ (NEFZ) anspringenden, im realen Verkehr überwiegend nicht aktivierten sogenannten schadstoffmindernden „Aufheizstrategie“ (sog. Strategie A) werde bei Fahrzeugen mit SCR-Katalysator eine Strategie eingesetzt, die die Nutzung von „AdBlue“ unter bestimmten Bedingungen unzulässig einschränke. Die Motorsteuerungssoftware sei so programmiert, dass sie erkenne, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im NEFZ befinde oder im regulären Betrieb. Durch die Verwendung der beschriebenen Strategien würden auf dem Prüfstand geringere NOx-Werte erzielt als im normalen Fahrbetrieb. Die für die Einstufung des Fahrzeugs in die EU6-Norm einzuhaltenden Werte würden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Außerhalb des Prüfstandsmodus würden die Werte um ein Vielfaches überschritten. Sie, die Klagepartei, hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn sie von der Manipulation und der drohenden Betriebsuntersagung gewusst hätte. Die Beklagte müsse sich die Täuschungshandlung und die Irrtumserregung zurechnen lassen. Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis vom Einsatz der Abschalteinrichtungen gehabt. Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig gewesen.
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Das Software-Update sei nicht geeignet, den Schaden entfallen zu lassen oder zu mindern. Die Softwarelösung sei bereits emissionsseitig unzureichend. Zudem seien die Folgen des Software-Updates völlig unklar. Das Software-Update führe zu erhöhtem Kraftstoffverbrauch, verminderter Motorleistung, höheren Geräuschemissionen, einer Überbeanspruchung des Motors, einer Beeinträchtigung der Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen sowie zu einem erheblichen Mehrverbrauch an „AdBlue“.
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Das KBA habe das streitgegenständliche Fahrzeug lediglich wegen des Einsatzes der „Aufheizstrategie“ (sog. Strategie A) zurückgerufen. Hinsichtlich der Strategie B (“Vorkonditionierungserkennung“) und Strategie D (“Online- und Speichermodus des SCR-Katalysators“) habe das KBA von einem Rückruf abgesehen, da die Beklagte freiwillig auf diese Strategien habe verzichten wollen. Dies ändere jedoch nichts daran, dass diese Funktionen als unzulässige Abschalteinrichtungen implementiert und durch das Software-Update nicht entfernt worden seien, ebenso wie eine Manipulation der Schaltpunktsteuerung des Automatikgetriebes vorliege. Eine unterstellte Verhaltensänderung der Beklagten hätte sich daher lediglich auf die „Aufheizstrategie“ bezogen.
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Das Verhalten der Beklagten sei allerdings nicht ausreichend, um die Sittenwidrigkeit des Handelns für die Zukunft entfallen zu lassen. Die mediale Aufmerksamkeit bei den 3.0-Liter-TDI-Motoren sei nicht ansatzweise vergleichbar mit derjenigen bei der Manipulation der VW-Motorenbaureihe EA 189. Auch existiere nach dem Vorbringen der Beklagten keine Ad-hoc-Mitteilung, in der sich die Beklagte wegen des Einsatzes der Abschalteinrichtungen an die Öffentlichkeit gewendet habe. Eine Pressemitteilung der Beklagten zum Rückruf existiere ebenfalls nicht. Die Pressemitteilung des KBA vom 23.01.2018 sei kein Verhalten der Beklagten und dieser auch nicht im Rahmen der Beurteilung einer Verhaltensänderung zuzurechnen. Aus der Pressemitteilung der Beklagten vom 21.07.2017 ergebe sich gerade nicht, dass das KBA Bedenken hinsichtlich der Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge habe. Vielmehr betone die Beklagte, dass das Emissionsverhalten jenseits der bisherigen gesetzlichen Anforderungen verbessert werde. Die einzige Maßnahme, welche die Beklagte im Zusammenhang mit dem Rückruf geltend mache, sei eine Information ihrer Vertragshändler über das Portal „APP“. Angesichts dessen, dass sich die Verkäuferin offensichtlich nicht an die Vorgaben der Beklagten gehalten und das Portal für Kunden auch nicht zugänglich sei, sei dies keine geeignete Maßnahme, um den Wegfall der Sittenwidrigkeit zu begründen. Im Übrigen bestreite die Klagepartei dies mit Nichtwissen angesichts des Verlaufs der Vertragsverhandlungen und der unterbliebenen Übergabe des „Beipackzettels“. Selbiges gelte für das Vorbringen der Beklagten zur „TPI“. Die Klagepartei habe weder einen „Beipackzettel“ erhalten noch sei sie anderweitig im Rahmen des Verkaufs über die Rückrufbetroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs informiert worden. Die Website der Beklagten zur FIN-Abfrage sei niemals Bestandteil des regulären Internetauftritts der Beklagten gewesen sei. Deren Nutzung hänge daher maßgeblich davon ab, dass der Nutzer sie kenne.
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Die Klagepartei hat in erster Instanz zuletzt beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 28.208,53 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageeinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 350.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A5 Cabriolet mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ...
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.501,19 € freizustellen.
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Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
18
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags eingewandt, ein Anspruch der Klagepartei scheide aus, weil die vom KBA beanstandete Bedatung der Motorsteuerungssoftware zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses aufgrund vorheriger Aktualisierung in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht mehr vorhanden gewesen sei. In der Freigabebestätigung bezüglich des Software-Updates habe das KBA ausdrücklich bestätigt, dass nach dessen Durchführung keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Die Klagepartei habe genau das Fahrzeug erworben, das sie nach eigenem Vortrag von Anfang an habe erwerben wollen. Daher sei nicht ersichtlich, worin ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten liege und worüber die Klagepartei getäuscht worden sein solle. Auch ein Schaden der Klagepartei scheide unter jeglichem Gesichtspunkt aus. Zudem habe das KBA nach Prüfung des Software-Updates die Emissions- und Verbrauchsneutralität bestätigt. Es führe nicht zu negativen Auswirkungen im Hinblick auf Motorleistung, maximales Drehmoment, Geräuschemissionen und Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen. Der durch das Software-Update entstehende geringfügige Mehrverbrauch an „AdBlue“ werde vom Hersteller des streitgegenständlichen Fahrzeugs ausgeglichen.
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Unbeschadet dessen könne der Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs kein sittenwidriges Verhalten vorgeworfen werden. Die Klagepartei habe das Fahrzeug zu einem Zeitpunkt erworben, als sie, die Beklagte, bereits konkrete Schritte zur Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware eingeleitet, sich im Austausch mit dem KBA zur Abstimmung der Softwarelösungen befunden und ihre Vertragshändler angewiesen gehabt habe, Fahrzeuge des betreffenden Fahrzeugtyps ohne Software-Update nur nach vorheriger Aufklärung durch Übergabe eines „Beipackzettels“ zu verkaufen.
20
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
21
3. Das Landgericht Regensburg hat nach mündlicher Verhandlung am 14.04.2022 mit Endurteil vom 19.05.2022, das am 20.05.2022 an die Klägervertreter zugestellt wurde, die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen.
22
Das Landgericht hat dies damit begründet, dass die Hauptforderung nach Ziffer 1. des Klageantrags unschlüssig sei. Die Klagepartei habe keine Angaben zu den gefahrenen Kilometern im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gemacht, weshalb eine Berechnung der Höhe des Schadensersatzanspruchs nicht möglich gewesen sei. Nach den Ausführungen des Landgerichts habe daher offen bleiben können, ob ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei gegen die Beklagte bestehe. Die Klagepartei habe den Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 14.04.2022 nicht vorgetragen, sondern nur den Kilometerstand zum 12.04.2022. Eine Schätzung gemäß § 287 ZPO der weiteren Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt des vorgetragenen Kilometerstands bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung sei mangels Anknüpfungstatsachen nicht möglich. Insbesondere scheide eine Schätzung auf Grundlage einer Berechnung einer durchschnittlichen Tagesnutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Nutzungszeitraum der Klagepartei aus.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Klagepartei mit ihrer am 01.06.2022 eingegangenen Berufung, die mit am 20.07.2022 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag begründet wurde und mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt.
24
Der Klagepartei stünden die geltend gemachten deliktischen Ansprüche zu. Die Argumentation des Landgerichts sei nicht haltbar. Es verkenne die grundlegende Darlegungs- und Beweislastverteilung. Das Landgericht hätte den Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ohne weiteres gemäß § 287 ZPO schätzen können und müssen. Die weiteren Klageanträge seien hinsichtlich ihrer Voraussetzungen nicht von der Schlüssigkeit des Klageantrags Ziffer 1. abhängig gewesen, weshalb die Begründung des Landgerichts die Klageabweisung hinsichtlich der weiteren Klageanträge nicht rechtfertige. Die Auffassung des Landgerichts verletze sowohl zivilprozessuale als auch materiell-rechtliche Vorschriften.
25
Die Klagepartei beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 28.208,53 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageeinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 350.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A5 Cabriolet mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.501,19 € freizustellen.
26
Ferner beantragt die Klagepartei die Zulassung der Revision.
27
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
28
Die Beklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die ergangene Entscheidung. In seiner Freigabebestätigung habe das KBA ausdrücklich bestätigt, dass nach Durchführung des Software-Updates keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Vor diesem Hintergrund seien die Behauptungen der Klagepartei, auch nach dem Software-Update komme eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz, vollkommen unsubstantiiert. Der Beklagten sei im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs kein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen. Die Klagepartei habe das Fahrzeug zu einem Zeitpunkt erworben, als die Beklagte bereits konkrete Schritte zur Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware eingeleitet, sich im Austausch mit dem KBA zur Abstimmung der Softwarelösungen befunden und ihre Vertragshändler angewiesen gehabt habe, Fahrzeuge des betreffenden Fahrzeugtyps ohne Software-Update nur nach vorheriger Aufklärung durch Übergabe eines „Beipackzettels“ zu verkaufen. Die Klagepartei verkenne den Maßstab des Bundesgerichtshofs zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit zum Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
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Der Senat hat über den Rechtsstreit am 13.03.2023 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird ferner Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 20.07.2022 sowie die Berufungserwiderung vom 16.11.2022.
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Die gemäß §§ 511 ff ZPO statthafte und zulässige Berufung war als unbegründet zurückzuweisen.
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1. Zwar hat das Landgericht bei der Klageabweisung nur darauf abgestellt, dass die Hauptforderung nach Ziffer 1. des Klageantrags unschlüssig sei. Jedoch kann dahingestellt bleiben, ob vorliegend bei der Berechnung der Höhe eines etwaigen Schadensersatzanspruchs der Klagepartei eine Schätzung des im Wege der Anrechnung in Abzug zu bringenden Nutzungsvorteils gemäß § 287 ZPO unter Berücksichtigung des zum 12.04.2022 (zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung am 14.04.2022) mitgeteilten, unstreitigen Kilometerstandes des streitgegenständlichen Fahrzeugs möglich gewesen wäre.
32
Denn die Berufung hat – wenn auch aus anderen Gründen – keine Aussicht auf Erfolg. Jedenfalls im Ergebnis hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen.
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2. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu.
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Dabei kann dahinstehen und bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob die Beklagte analog zu den Feststellungen zur Gesinnung und zum Verhalten der V. AG gegenüber Käufern, die vor dem 22.09.2015 ein Fahrzeug mit einem Motor des Typs EA189 erwarben (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19 = BGHZ 225, 316 – juris, Rn. 16 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 33 ff), ebenfalls ursprünglich aufgrund einer für ihr Unternehmen getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in großem Umfang Fahrzeuge mit Motoren mit unzulässiger Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht habe, womit eine erhöhte Belastung der Umwelt sowie die Gefahr einhergegangen seien, dass bei einer Aufdeckung des Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte.
35
Denn selbst wenn dies entsprechend unterstellt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 28), war der Vorwurf der Sittenwidrigkeit im Hinblick auf die Entwicklung und Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei am 30.05.2020 jedenfalls aufgrund einer vor dem Kauf erfolgten maßgeblichen Verhaltensänderung der Beklagten nicht (mehr) gerechtfertigt (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 27 ff; vorgehend OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, Az. 16a U 1305/20 – juris, Rn. 85 ff [Erwerb am 06.04.2018]; sowie OLG Bamberg, Urteil vom 22.12.2021, Az. 3 U 299/21 = MDR 2022, 635 – juris, Rn. 32 ff [Erwerb am 25.04.2018]; OLG München, Beschluss vom 01.07.2022, Az. 8 U 1671/22 = ZIP 2022, 1928 – juris, Rn. 12 ff [Erwerb am 03.01.2019]; OLG München, Beschluss vom 06.12.2022, Az. 8 U 5012/22 = BeckRS 2022, 38415 – beck-online, Rn. 14 f [Erwerb am 27.12.2018]; OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 07.10.2021 und 18.11.2021, Az. 19 U 118 /21 – juris [Erwerb am 26.10.2018]; OLG Hamm, Urteil vom 22.07.2022, Az. 25 U 97/21 – juris, Rn. 29 ff [Erwerb am 28.03.2018]; OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.3021, Az. 3 U 1438/20 – juris, Rn. 40 ff [Erwerb am 11.06.2018]; OLG Koblenz, Beschluss vom 03.08.2022, Az. 2 U 21/22 – juris, Rn. 23 f [Erwerb am 15.08.2020]; jeweils betreffend A2. AG).
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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19 = BGHZ 225, 316 – juris, Rn. 15; BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 29; BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. ZR 433/19 = NJW 2021, 921 – juris, Rn. 14; BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. ZR 889/20 = NJW 2021, 1814 – juris, Rn. 12; BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 25).
37
Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig ist in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, weshalb ihr das gesamte Verhalten des Schädigers bis zu Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist. Dies ist insbesondere dann bedeutsam, wenn, wie hier, die erste potenziell schadensursächliche Handlung und ein möglicher Schadenseintritt zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat. Im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit dem Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten begründet, weil der haftungsbegründende Tatbestand des § 826 BGB die Zufügung eines Schadens zwingend voraussetzt. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des konkreten Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber nicht als sittenwidrig zu bewerten sein. Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn wesentliche Elemente, die das bisherige Verhalten des Schädigers gegenüber dem zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als besonders verwerflich erscheinen ließen, durch die Änderung seines Verhaltens derart relativiert werden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf sein Gesamtverhalten gegenüber dem später betroffenen Geschädigten und gerade im Hinblick auf den Schaden, der bei diesem entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 30, 31 und 34; BGH, Urteil vom 08.12.2020, Az.ZR 244/20 = MDR 2021, 165 – juris, Rn. 12 und 14; BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az.ZR 889/20 = NJW 2021, 1814 – juris, Rn. 13 und 17; BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az.ZR 391/21 – juris, Rn. 26).
38
Ob ein Verhalten als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB zu qualifizieren ist, ist dabei eine Rechtsfrage (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19 = BGHZ 225, 316 – juris, Rn. 14; BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 15; BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. ZR 889/20 = NJW 2021, 1814 – juris, Rn. 14; BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. ZR 433/19 = NJW 2021, 921 – juris, Rn. 15).
39
b) Bei der demnach gebotenen Gesamtbetrachtung ist das Verhalten der Beklagten jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs durch die Klagepartei nicht als sittenwidrig zu beurteilen.
40
Zwar hatte die V. AG, die Muttergesellschaft der Beklagten, nach Bekanntwerden des sogenannten „Dieselskandals“ ab September 2015 ihr Verhalten durch öffentliche Bekanntgabe der Problematik im Wege einer Ad-hoc- und einer Pressemitteilung vom 22.09.2015 geändert. Denn hierdurch wurde die strategisch unternehmerische Entscheidung, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse das KBA und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, ersetzt durch die Strategie, an die Öffentlichkeit zu treten, Unregelmäßigkeiten einzuräumen und in Zusammenarbeit mit dem KBA Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes zu erarbeiten, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen. Ab diesem Zeitpunkt war daher nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von Fahrzeugen mit VW-Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit war damit kein Raum mehr. Hierauf konnte das geänderte Verhalten nicht mehr gerichtet sein (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 37). Auch erstreckte sich diese Verhaltensänderung nicht nur auf die Kernmarke Volkswagen, sondern generell auf alle Konzernmarken aller Tochtergesellschaften, zu denen auch die Beklagte gehört (vgl. BGH, Urteil vom 08.12.2020, Az. ZR 244/20 = MDR 2021, 165 – juris, Rn. 17; BGH, Urteil vom 23.03.2021, Az. ZR 1180/20 = ZIP 2021, 959 – juris, Rn. 15; BGH, Urteil vom 13.01.2022, Az. ZR 205/20 = MDR 2022, 762 – juris, Rn. 20). Jedoch betraf dieses geänderte Verhalten lediglich den 2.0-Liter-Dieselmotor vom Typ EA189. Denn allein dieser Motor wurde in der Ad-hoc- bzw. Pressemitteilung genannt, so dass auch nur insoweit bei potenziellen Kunden das Vertrauen in die Ordnungsgemäßheit der verbauten Abgastechnik zerstört werden konnte (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, Az. 3 U 1438/20 – juris, Rn. 38).
41
Allerdings war hinsichtlich des streitgegenständlichen 3.0-Liter-V6-Dieselmotors eine unterstellte objektive Sittenwidrigkeit im Hinblick auf die Entwicklung und Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung spätestens ab dem 25.01.2018 entfallen, als die Beklagte ihre Vertragshändler und Servicepartner nicht nur von den Rückrufanordnungen des KBA für die Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren unterrichtete, sondern hierbei zugleich eine ausdrücklich so bezeichnete sowie anhand eines Musterschreibens (sog. „Beipackzettel“) erläuterte Hinweispflicht gegenüber den Kunden statuierte. Jedenfalls hierdurch hatte die Beklagte einen Strategiewechsel vollzogen und auch nach außen erkennbar ihr Verhalten so grundlegend geändert, dass ab diesem Zeitpunkt der auf das Gesamtverhalten bezogene Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht mehr gerechtfertigt ist. Vor allem enthält der „Beipackzettel“ auch keine Beschränkung auf eine bestimmte, im Emissionskontrollsystem verwendete Strategie, wie etwa die „Aufheizstrategie“ (sog. Strategie A). Vielmehr lässt die Beklagte allgemein auf die Entwicklung eines Software-Updates in enger Zusammenarbeit mit dem KBA hinweisen, unabhängig von der Art einer möglichen Manipulation.
42
Dabei mag es zwar zutreffen, dass sich eine solche grundlegende Verhaltensänderung noch nicht aus der Pressemitteilung der Beklagten vom 21.07.2017 ergibt und auch die nachfolgende Pressemitteilung des KBA vom 23.01.2018 nicht geeignet ist, einen Strategiewechsel oder eine Verhaltensänderung der Beklagten zu belegen. Denn einerseits enthielt zwar in der Pressemitteilung der Beklagten vom 21.07.2017 eine Information der Öffentlichkeit über ein umfangreiches „Nachrüstprogramm für insgesamt bis zu 850.000 Fahrzeuge“. Es war auch von einer Befassung des KBA die Rede. Allerdings fehlte jeder Hinweis auf Beanstandungen des KBA oder gar einen (drohenden) Rückruf durch dieses, den Einsatz (vermeintlich) unzulässiger Abschalteinrichtungen oder auch nur den „Dieselskandal“ im Allgemeinen. Andererseits handelte es sich bei der Pressemitteilung des KBA vom 23.01.2018 nicht um eine Handlung der Beklagten selbst, mithin nicht um eine solche des etwaigen Schädigers (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 22.12.2021, Az. 3 U 299/21 – juris, Rn. 27, 29 und 30; anders wohl OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.10.2021, Az. 19 U 118/21 – juris, Rn. 33, 34, 36 und 40; offen gelassen OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, Az. 3 U 1438/20 – juris, Rn. 41).
43
In der gebotenen Gesamtschau hat die Beklagte jedoch durch die von ihr ergriffenen anschließenden Maßnahmen eine grundlegende Verhaltensänderung vollzogen, indem sie ab dem 25.01.2018 ihre Vertragshändler und Servicepartner über den Rückruf des KBA informierte und sie anwies, potenzielle Fahrzeugkäufer hierüber und die Erforderlichkeit eines Software-Updates schriftlich aufzuklären. Damit hat die Beklagte durch ihr Verhalten gezeigt, dass es ihr, wie unterstellt, nicht (mehr) darauf ankam, die Fahrzeugkäufer im eigenen Kosten- und Gewinninteresse zu täuschen. Sie hat vielmehr ausreichende, schon im Vorfeld eines Vertragsschlusses angesiedelte Veranlassungen getroffen, um eine solche durch ihre Vertragshändler vermittelte Täuschung der Käufer zu verhindern. Aufgrund der verpflichtenden internen Anweisung auf der für die Kommunikation mit den Händlern maßgeblichen Plattform konnte und durfte die Beklagte unbeschadet dessen, dass das Portal für Kunden nicht unmittelbar zugänglich sein mag, davon ausgehen, dass Fahrzeugkäufer von ihren Vertragshändlern grundsätzlich Kenntnis von der unzulässigen Abschalteinrichtung erhielten. Sie durfte also davon ausgehen, dass die Arglosigkeit der potenziellen Käufer beseitigt würde. Zudem hat die Beklagte in Zusammenarbeit mit dem KBA ein Software-Update für die betroffenen Fahrzeuge entwickelt (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 29; vorgehend OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, Az. 16a U 1305/20 – juris, Rn. 90 und 91; vgl. auch OLG Bamberg, Urteil vom 22.12.2021, Az. 3 U 299/21 = MDR 2022, 635 – juris, Rn. 35 und 37; OLG Hamm, Urteil vom 22.07.2022, Az. 25 U 97/21 – juris, Rn. 30; OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, Az. 3 U 1438/20 – juris, Rn. 41; OLG Koblenz, Beschluss vom 03.08.2022, Az. 2 U 21/22 – juris, Rn. 24; OLG München, Beschluss vom 06.12.2022, Az. 8 U 5012/22 = BeckRS 2022, 38415 – beck-online, Rn. 15).
44
Eine andere Beurteilung gebietet nicht der Umstand, dass die Beklagte, anders als die V. AG bezüglich des von dieser entwickelten Motortyps EA189, keine Ad-hoc- bzw. Pressemitteilung über den Rückruf veröffentlicht hat, und selbst wenn sie keine Suchmaschine freigeschaltet hätte, mit der anhand der FIN hätte kontrolliert werden können, ob ein Fahrzeug von einem Rückruf betroffen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 30; vorgehend OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, Az. 16a U 1305/20 – juris, Rn. 90).
45
Soweit die Klagepartei darauf verweist, dass die Website der Beklagten zur FIN-Abfrage niemals Bestandteil des regulären Internetauftritts der Beklagten gewesen sei und deren Nutzung daher maßgeblich davon abhänge, dass der Nutzer sie kenne, ist dieses Vorbringen jedenfalls bereits deshalb ohne Relevanz, weil der Annahme einer grundlegenden Verhaltensänderung der Beklagten nicht entgegengestanden hätte, wenn sie eine Suchmaschine zur Kontrolle der Betroffenheit eines Fahrzeug durch Eingabe der FIN im Internet erst gar nicht zur Verfügung gestellt hätte, wie es auch keine Rolle spielt, wenn das in Rede stehende Fahrzeug bei einer Recherche nicht als betroffen gefunden worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 30; vorgehend OLG Stuttgart, Urteil vom 20.04.2021, Az. 16a U 1305/20 – juris, Rn. 90; OLG München, Beschluss vom 06.12.2022, Az. 8 U 5012/22 = BeckRS 2022, 38415 – beck-online, Rn. 15).
46
Ferner mag zwar das Musterschreiben (sog. „Beipackzettel“) beschönigende Tendenzen aufweisen, etwa dadurch, dass ausgeführt wird, dass durch die Nachrüstung das Emissionsverhalten im realen Fahrbetrieb weiter verbessert werde und Audi dazu beitragen wolle, die Gesamtemissionen in Innenstädten zu reduzieren. Auch mag das Musterschreiben insoweit irreführend sein, als Fahrzeuge, für die zum Teil Software-Updates angeordnet, zum Teil freiwillig vorgenommen werden, einer einzigen Fahrzeuggruppe zugeordnet werden. Diese Gesichtspunkte sind jedoch ebenfalls nicht geeignet, einen grundlegenden Strategiewechsel der Beklagten in Frage zu stellen. Denn zum einen ist dem Musterschreiben mit hinreichender Transparenz zu entnehmen, dass von einer hohen Anzahl von Fahrzeugen ein Teil von einem behördlichen Rückruf betroffen war und es zur Behebung dieser Beanstandungen erforderlich ist, eine Software zu entwickeln, die vom KBA geprüft und freigegeben werden muss, wodurch zugleich eine enge Einbindung der zuständigen Behörden offengelegt wurde (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 22.12.2021, Az. 3 U 299/21 = MDR 2022, 635 – juris, Rn. 36 und 38; OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.3021, Az. 3 U 1438/20 – juris, Rn. 45, 46 und 47; BGH, Urteil vom 28.10.2021, Az. ZR 261/20 = NJW-RR 2022, 243 – juris, Rn. 18 und 19).
47
Zum anderen reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber späteren Käufern nicht aus, dass die Beklagte eine bewusste Manipulation geleugnet hat und dass sie möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können. Insbesondere war ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten der Beklagten oder eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potenziellen Kunden erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis einer Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall sicher verhindert, zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Käufern, die sich, wie die Klagepartei, erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihr Verhalten geändert hatte, wurde – unabhängig von ihren Kenntnissen vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen – nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 30; BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 38; BGH, Beschluss vom 14.09.2021, Az. ZR 491/20 = VRS 141, 22 – juris, Rn. 12; BGH, Urteil vom 08.12.2020, Az. ZR 244/20 = MDR 2021, 165 – juris, Rn. 16; BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. ZR 889/20 = NJW 2021, 1814 – juris, Rn. 22; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, Az. 3 U 1438/20 – juris, Rn. 49).
48
Daher ist es in diesem Zusammenhang auch unerheblich, wenn die Klagepartei nicht entsprechend aufgeklärt wurde, oder sie sogar unzutreffend dahingehend informiert worden wäre, das streitgegenständliche Fahrzeug sei nicht von einem Rückruf betroffen, ebenso wie es nicht darauf ankommt, ob Fahrzeugkäufern der sog. „Beipackzettel“ ausgehändigt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 31; BGH, Urteil vom 08.12.2020, Az. ZR 244/20 = MDR 2021, 165 – juris, Rn. 19; OLG Koblenz, Urteil vom 30.03.2021, Az. 3 U 1438/20 – juris, Rn. 50; OLG Hamm, Urteil vom 22.07.2022, Az. 25 U 97/21 – juris, Rn. 31).
49
Nach allgemeinen Grundsätzen trägt grundsätzlich die Klagepartei die volle Darlegungs- und gegebenenfalls Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen einer Haftung nach § 826 BGB, mithin unter anderem für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus einem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen. Die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag ist dabei immer zunächst Sache der darlegungsund beweispflichtigen Partei (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19 = BGHZ 225, 316 – juris, Rn. 35 und 36).
50
Die Beklagte hat bereits erstinstanzlich mit der Klageerwiderung umfassend die ergriffenen Maßnahmen dargelegt, insbesondere auch hinsichtlich der Unterrichtung der Vertragshändler und Servicepartner über den bestehenden Rückruf verbunden mit der verpflichtenden Anweisung, betroffene Fahrzeuge ohne durchgeführtes Software-Update nur unter Verwendung des sog. „Beipackzettels“ zu verkaufen. Dem ist die hinsichtlich des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit bzw. seines Fortbestehens darlegungspflichtige Klagepartei nicht substantiiert entgegengetreten. Dieser Vortrag gilt damit als zugestanden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO und damit unstreitig. Im Übrigen sind die von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen durch die vorgelegten Unterlagen belegt. Letztlich bestreitet die Klagepartei lediglich pauschal die Geeignetheit der vorgenannten Maßnahme, um den Wegfall der Sittenwidrigkeit zu begründen. Soweit die Klagepartei in diesem Zusammenhang auf den Verlauf der Vertragsverhandlungen verweist und ausführt, dass sich die Verkäuferin offensichtlich nicht an die Vorgaben gehalten habe, da sie, die Klagepartei, weder den „Beipackzettel“ erhalten habe noch anderweitig über die Rückrufbetroffenheit informiert worden sei, liegt dieses Vorbringen neben der Sache. Nachdem das streitgegenständliche Fahrzeug nach Durchführung des Software-Updates erworben wurde, war die Aushändigung des sog. „Beipackzettels“ obsolet. Eine Information über ein noch ausstehendes Update hätte keinen Sinn mehr gemacht. Stattdessen hat die Klagepartei nach eigenem Vortrag eine von ihr selbst vorgelegte Bescheinigung über die Durchführung der Rückrufaktion „23X6“ erhalten (Anlage K2). Sie war daher sehr wohl über die Rückrufbetroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Kenntnis gesetzt worden.
51
c) Die Bedeutung der dargestellten Maßnahmen der Beklagten wird für das Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung nicht dadurch relativiert, dass diese ihre Bemühungen, den gesetzeswidrigen Zustand zu beseitigen, lediglich vorgespiegelt, eine Täuschung durch eine andere ersetzt und damit verwerfliches Verhalten nur in veränderter Weise fortgesetzt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. ZR 889/20 = NJW 2021, 1814 – juris, Rn. 23).
52
Das Vorbringen der Klagepartei, nach Durchführung der Maßnahme seien in dem streitgegenständlichen Fahrzeug weiterhin unzulässige Abschalteinrichtungen (Strategien B und D) sowie eine Manipulation der Schaltpunktsteuerung des Automatikgetriebes implementiert, vermag der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Von einer (neuerlichen) Täuschung des KBA durch die Beklagte bei der Entwicklung des Software-Updates kann nicht ausgegangen werden. Unstreitig hat das KBA, das die unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet und die Beklagte verpflichtet hatte, einen vorschriftsmäßigen Zustand herzustellen, das Software-Update freigegeben und damit die von der Beklagten entwickelte technische Lösung in Form des Software-Updates genehmigt und die Beklagte aufgefordert, das Update aufzuspielen. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass sich das KBA ein weiteres Mal über die Arbeitsweise des für den streitgegenständlichen Motor entwickelten Emissionskontrollsystems im Irrtum befunden hätte, sind nicht dargetan. Um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren, bedürfte es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates für eine (gegebenenfalls erneute) Täuschung des KBA (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. ZR 889/20 = NJW 2021, 1814 – juris, Rn. 23 ff; BGH, Urteil vom 13.01.2022, Az. ZR 205/20 – juris, Rn. 21 ff; BGH, Urteil vom 21.04.2022, Az. ZR 70/21 – juris, Rn. 18), die nicht substantiiert behauptet sind.
53
Zum einen hat die Klagepartei keine Ausführungen dazu vorgenommen, inwiefern sich Verantwortliche der Beklagten gerade im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates verwerflich verhalten haben sollen. Der klägerische Vortrag zu Umständen und Kenntnis maßgeblicher verantwortlicher Personen der Beklagten bezieht sich ersichtlich auf die zurückliegende Entwicklung und den ursprünglichen Einsatz der von der Klagepartei behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen und Manipulation der Schaltpunktsteuerung des Automatikgetriebes. Zum anderen hat die Beklagte vorgetragen, dass das KBA in der Freigabebestätigung ausdrücklich bestätigt habe, dass nach Durchführung des Software-Updates keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Zudem habe es bestätigt, dass nach Durchführung der angeordneten Maßnahmen alle geltenden Grenzwerte bezüglich der Schadstoffemissionen sowie die sonstigen Anforderungen eingehalten werden. Unter Berücksichtigung dieses substantiierten Gegenvortrags ist wiederum die Behauptung der Klagepartei, die von ihr angeführten Funktionen seien nicht beseitigt worden, zu pauschal. Es fehlt an der Darlegung greifbarer Anhaltspunkte, weshalb diese Funktionen beim streitgegenständlichen Fahrzeug gleichwohl vorhanden sein sollen.
54
Hinzukommt, dass die Klagepartei selbst auf den von ihr vorgelegten Rückrufbescheid (Anlage R1) zum streitgegenständlichen Fahrzeugmodell verweist, aus dessen Begründung sich ergibt, dass das KBA zwar die Strategie A als unzulässige Abschalteinrichtung betrachtet, bei den Strategien B, C und D hingegen seitens des KBA nur Zweifel hinsichtlich ihrer Zulässigkeit bestehen, sich die Beklagte aber im Verwaltungsverfahren bereit erklärt hat, auf die letztgenannten Strategien freiwillig zu verzichten und diese aus der Motorsteuerungssoftware zu entfernen. Diese Strategien im Emissionskontrollsystem waren somit dem KBA auch bekannt. Auch die zum sogenannten Warmlaufprogramm betreffend die Getriebeschaltung klägerseits vorgelegten internen Unterlagen der V. AG (Anlage R2) lassen erkennen, dass die Warmlaufstrategie in Deutschland bereits im Jahr 2016 gegenüber dem KBA erläutert wurde und dort sogar die Rechtsauffassung geteilt worden sei, dass der Warmlaufmodus keine Abschalteinrichtung darstelle. Dies indiziert gerade eine Kenntnis des KBA von den genannten Funktionen, so dass eine Täuschung der Behörde fernliegt, und stellt erst recht keinen greifbaren Anhaltspunkt für das Vorhandensein weiterer, dem KBA nicht bekannter Abschalteinrichtungen dar.
55
Folgerichtig kann entgegen der Auffassung der Klagepartei auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Verhaltensänderung der Beklagten lediglich auf die „Aufheizstrategie“ bezogen hätte.
56
d) Ferner würden auch die von der Klagepartei behaupteten negativen Auswirkungen des Software-Updates den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht rechtfertigen. Der Umstand, dass mit dem Update nicht nur eine unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern auch – solche unterstellt – anderweitig nachteilige Veränderungen verbunden sind, würde nicht ausreichen, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. ZR 889/20 = NJW 2021, 1814 – juris, Rn. 30; BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 222/21 – juris, Rn. 27; BGH, Urteil vom 21.04.2022, Az. ZR 70/21 – juris, Rn. 20).
57
3. Deliktische Ansprüche – die in der vorliegenden Konstellation einzig in Betracht kommen – ergeben sich auch nicht unter sonstigen Gesichtspunkten.
58
a) Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sind nicht schlüssig dargetan. An die obigen Ausführungen anknüpfend ist festzuhalten, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine bewusste, der Beklagten zuzurechnende und für eine auf eine rechtswidrige Bereicherung abzielende Absicht vorliegen. Im Übrigen würde der in Rede stehende Anspruch, da es hier um einen Gebrauchtwagenkauf geht, auch am Fehlen der erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden scheitern (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 17; BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. ZR 190/20 = NJW 2021, 3721 – juris, Rn. 40).
59
b) Die Beklagte haftet auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Normen der RL 2007/46/EG und der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt festgehalten, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, mithin die allgemeine Handlungsfreiheit und speziell das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Käufer nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen liegt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19 = BGHZ 225, 316 – juris, Rn. 76; BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 11; BGH, Beschluss vom 01.09.2021, Az. ZR 59/21 – juris, Rn. 3; BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. ZR 190/20 = NJW 2021, 3721 – juris, Rn. 36; BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. ZR 391/21 – juris, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 10.02.2022, Az. ZR 87/21 = MDR 2022, 700 – juris, Rn. 14).
60
Das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 21.03.2023 in der Rechtssache C-100/21 verlasst keine von dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichende rechtliche Beurteilung. Hatte schon Generalanwalt Rantos mit seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 nicht behauptet, dass die europarechtlichen Normen konkret die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Fahrzeugerwerber vor unerwünschten Kaufverträgen schützen, ist dies auch dem Urteil des EuGH vom 21.03.2023 nicht zu entnehmen.
61
Nach der Entscheidung des EuGH sind die in Rede stehenden europarechtlichen Vorschriften dahin auszulegen, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern, insbesondere einem hohen Umweltschutzniveau, die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist. Der EuGH begründet dies im Wesentlichen damit, dass die nach Erteilung der EG-Typgenehmigung entdeckte Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung, mit der ein Fahrzeug ausgerüstet ist, die Gültigkeit dieser Genehmigung und daran anschließend die der eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellende Übereinstimmungsbescheinigung in Frage stellen könne, wobei letztere insbesondere ermögliche, den Käufer davor zu schützen, dass der Hersteller seine Pflicht, im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 auf den Markt zu bringen, nicht einhält. Mithin habe ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne dieser Bestimmung ausgestattet ist. Daran anknüpfend stellt der EuGH sodann fest, dass die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung bzw. im Zusammenhang mit deren Einbau tatsächlich ein Schaden entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023, Az. C-100/21, Rn. 71, 82, 84, 85, 88, 89, 91, 95 und 96).
62
Jedenfalls eine Verletzung seines Interesses im vorgenannten Sinn macht die Klagepartei jedoch gerade nicht geltend. Vielmehr beruft sich die Klagepartei als verletztes Schutzgut auf ihr wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und erhebt den Vorwurf, von der Beklagten zu der Übernahme einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst worden zu sein. Dementsprechend verlangt die Klagepartei von der Beklagten die (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrages durch Erstattung des von ihm an den Verkäufer entrichteten Kaufpreises (unter Anrechnung des erlangten Nutzungsvorteils) Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Mit einer Haftung der Beklagten in Form der (Rück-)Abwicklung eines ungewollt abgeschlossenen Kaufvertrages würde die Klagepartei ihr wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht durchsetzen, das durch die in Rede stehenden europarechtlichen Vorschriften unverändert nicht geschützt ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19 = BGHZ 225, 316 – juris, Rn. 76; BGH, Beschluss vom 10.02.2022, Az. ZR 87/21 = MDR 2022, 700 – juris, Rn. 13 und 14; BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20 = NJW 2020, 2798 – juris, Rn. 11 und 15).
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Im Ergebnis kommt dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des EuGH vom 21.03.2023 somit auch keine Entscheidungserheblichkeit für den vorliegenden Fall zu. Wenngleich einzig die nationalen Gerichte zur Auslegung mitgliedstaatlichen Rechts berufen sind, während der EuGH im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nur die Zwecksetzung und Schutzrichtung einer unionsrechtlichen Norm bindend ermitteln kann (vgl. OLG München, Urteil vom 05.09.2022, Az. 28 U 1587/22 = BeckRS 2022, 23404 – beck-online, Rn. 29), besteht mangels Entscheidungserheblichkeit für den Senat vorliegend auch kein Anlass zur Prüfung, ob ausgehend von dem durch den EuGH angenommenen Schutz auch von Einzelinteressen durch die Bestimmungen der RL 2007/46/EG in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 den betreffenden EU-Vorschriften Schutzgesetzcharakter nach inländischem Recht und mit welcher Reichweite jenseits des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zuzuschreiben sein könnte, mithin ob sie insoweit gegebenenfalls unter das Konzept einer drittschützenden Norm im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zu subsumieren wären (vgl. Grüneberg/Sprau, 82. Aufl. 2023, § 823 BGB, Rdnr. 56 bis 59).
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4. Jenseits etwaiger, hier mangels vertraglicher Beziehungen zwischen der Klagepartei und der Beklagten von vornherein nicht zu prüfender Gewährleistungsansprüche würde ein Anspruch gerade bezogen auf die Beklagte schließlich auch deshalb entfallen, da es an einem Schaden in Form eines ungewollten Vertragsschlusses, wie ihn die Klagepartei geltend macht, fehlt.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Grundlage für den deliktischen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Hersteller die Erwägung, dass ein Käufer kein Fahrzeug erwerben würde, bei dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob, wann und wie dieses Problem behoben werden kann, so dass, wenn auch nur abstrakt, die Gefahr einer vorübergehenden Entziehung des Kraftfahrzeugs besteht (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19 = BGHZ 225, 316 – juris, Rn. 48 bis 52). Vorliegend bestand aber gerade kein Risiko der Nichtbenutzbarkeit (mehr), da bei Abschluss des Kaufvertrags weder ein Widerruf der Typgenehmigung noch eine Stilllegung des Fahrzeugs drohte, nachdem die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug zu einem Zeitpunkt erworben hat, in dem das zur Beseitigung der Abschalteinrichtung entwickelte Software-Update vom KBA als Genehmigungsbehörde bereits geprüft und freigegeben und auch die Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware längst durchgeführt war. Die Behebung des Problems der unzulässigen Abschalteinrichtung war daher gerade nicht (mehr) unabsehbar.
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Insofern fehlt es hinsichtlich jeglicher deliktischen Ansprüche an einem normativen Schaden. Die vorstehenden Ausführungen greifen nicht nur im Rahmen von § 826 BGB, sondern gleichermaßen für die Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 2 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Ausspruch zu vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
69
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Der vorliegende Fall wirft keine neuen Fragen auf, die von grundsätzlicher Bedeutung sind. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind sowohl allgemein als auch speziell mit Bezug auf die Entwicklung und den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung wie auch zur Frage der Beurteilung der Sittenwidrigkeit vor dem Hintergrund einer grundlegenden Verhaltensänderung höchstrichterlich geklärt. Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Ob jeweils im konkreten Fall die Voraussetzungen für eine Haftung vorliegen, hängt stets durch die tatrichterlichen Instanzen unter Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen ab und kann ohnehin nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21; Rn. 13 bei juris m.w.N.).
V.
70
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der § 3 ZPO, §§ 47, 48 GKG bestimmt.