Titel:
Kein Schadensersatzanspruch gegen Audi wegen des entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: Audi A6 Avant 3.0 TDI)
Normenketten:
BGB § 249, § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; OLG München BeckRS 2022, 43580; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; OLG München BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs setzt ein Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs voraus, dass dem Käufer durch die Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für mit dem Motor EA896Gen2 ausgestattete Fahrzeuge besteht die Gefahr eines Rückrufs und mithin der Stilllegung des Fahrzeugs nicht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es ist aus objektiver Sicht des Rechtsverkehrs nicht erkennbar, dass und gegebenenfalls warum das KBA trotz gegenteiliger amtlicher Auskünfte nunmehr doch zum gegenteiligen Ergebnis kommen sollte, dass in den V6-TDI Euro 5 Generation 2-Motoren eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut sein sollte, und deswegen einen amtlichen Rückruf und eine Betriebsuntersagung anordnen könnte. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, EA896Gen2, Audi, sittenwidrig, unzulässige Abschalteinrichtung, (kein) Schaden, KBA, (keine) drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung, (kein) Rückruf
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 21.09.2022 – 3 O 5357/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5894
Tenor
I. Der Senat weist nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 21.09.2022, Az. 3 O 5357/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO S. 1 zurückzuweisen.
II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte deliktische Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Diesel- bzw. Abgasskandal geltend.
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Er begehrt die Rückabwicklung des Kaufes eines gebraucht erworbenen Pkw, Marke Audi, Typ A6 Avant 3.0 T Dl 180 kW (im Folgenden: Pkw), ausgestattet mit einem Motor des Typs EA896Gen2 (Euro 5), vom 16.03.2018 (s. Anlage K la) bei TG Automobile, Inh. Tarik Günes, München, zu einem Bruttokaufpreis von 18.500 €.
3
Das Landgericht wies die Klage ab, da es an hinreichenden greifbaren Anhaltspunkten für eine sittenwidrige Schädigung des Klägers durch die Beklagte nach § 826 BGB fehle.
4
Andere deliktische Anspruchsgrundlagen seien nicht anwendbar. Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO auf das angegriffene Urteil des Landgerichts Bezug genommen, Dagegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 21.10.2022 (BI. 272 f. d.A.) eingelegte und mit Schriftsatz vom 22.12.2022 (BI. 281 ff. d.A.) begründete Berufung des Klägers. Zum Vorliegen eines deliktischen Schadenersatzanspruches gegen die Beklagte habe er hinreichend schlüssig vorgetragen. Auch habe er einen kausalen Schaden.
das Urteil des Landgerichts abzuändern und zu erkennen wie folgt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer ... an die Klagepartei 25.263,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich 9.198,27 € zu zahlen.
Hilfsweise wird wie folgt beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 14.439,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich 9.198,27 € zu zahlen und die Klagepartei von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der ... C. Bank AG aus dem Darlehensvertrag vom 16.03.2018 mit der Nr. ... D. C. und M. Ö. i.H,v. 10.824,13 € freizustellen, Zug-um-Zug gegen Über gabe des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer ... und Übertragung des der Klagepartei gegenüber der ... C. Bank AG zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer ... in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1 .489,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Zu den Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 22.12.2022 (BI. 281 ff. d.A.), die Berufungserwiderung vom 23.02.2023 (BI. 357 ff. d.A.) sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
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Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
9
Die angefochtene Entscheidung des Erstgerichts ist richtig. Das landgerichtliche Urteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Vielmehr rechtfertigen die Tatsachen, die der Senat im Rahmen des durch § 529 ZPO festgelegten Prüfungsumfangs der Beurteilung des Streitstoffes zugrunde zu legen hat, keine andere Entscheidung. Die Ausführungen der Klagepartei in der Berufungsinstanz vermögen dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen, da sie das Urteil des Landgerichts, auf das Bezug genommen wird, nicht erschüttern.
Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
10
Unabhängig davon, auf welche Anspruchsgrundlage das klägerische Schadenersatzbegehren gestützt wird, ist nach Ansicht des Senats bereits kein kausaler Schaden des Klägers gemäß §§ 249 ff. BGB in der Form eines ungewollten Vertrages ersichtlich (vgl. auch Senatsbeschluss v. 13.12.2022, Az. 19 U 2605/22, juris Rz. 14 ff.).
11
Dies gilt selbst bei unterstellter Einschlägigkeit von § 823 Abs. 2 BGB. Damit kommt es für den hiesigen Rechtsstreit auch nicht auf die Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023, Az. C-100/21, an, wonach Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.09.2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009 der Kommission vom 07.09.2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge dahin auszulegen sind, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist. Auch der EuGH betont in dieser Entscheidung mehrfach, dass Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs nur dann haben, falls ihnen durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (Rz. 91, 95
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1. Der Kläger macht diesbezüglich geltend, dass er den Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Pkw nicht abgeschlossen hätte, falls er zu diesem Zeitpunkt Kenntnis davon gehabt hätte, dass in dessen Motor durch die Beklagte eine unzulässige emissionsbezogene Abschalteinrichtung eingebaut gewesen sei.
13
Da die Beklagte dies dem zuständigen Kraftfahrtbundesamt (KBA) gegenüber nicht offengelegt habe, drohe permanent der Rückruf und die Stilllegung des Fahrzeugs. Daher müsse er – unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung – von der Beklagten so gestellt werden, als sei er den streitgegenständlichen Gebrauchtwagenkauf nie eingegangen.
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2. Nach der Rechtsprechung des BGH (z.B. Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rz. 49, 51) existiert ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebender Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Kraftfahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht.
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Namentlich bei einem zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeug ist dessen Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit für den Eigentümer von so großer Bedeutung, dass selbst die vorübergehende Entziehung eines Kraftfahrzeugs einen Vermögensschaden darstellt. Der Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs wirkt sich typischerweise als solcher auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant aus.
16
Das rechtfertigt die Annahme, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder „untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte.
17
3. Nach der von der Beklagten vorgelegten amtlichen Auskunft des KBA vom 03.01 .2022 (Anlage B 2) besteht die Gefahr eines Rückrufs und mithin der Stilllegung des Fahrzeugs des Klägers indes nicht.
18
Hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Fahrzeug- und Motortyps erläutert das KBA darin, dass dieser nach seinen Untersuchungen keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens aufweist. Die festgestellten emissionsbezogenen Abschaltstrategien sind zulässig zur Gewährleistung des Motorschutzes. Daher besteht kein behördlich angeordneter Rückruf und es drohe keine amtliche Betriebsuntersagung; auch sind deswegen keine Nebenstimmungen zu diesem Fahrzeug angeordnet worden.
19
In der Stellungnahme vom 11.09.2020 (Anlage B 1) erklärt dass KBA darüber hinausgehend, dass dies „allgemeingültig“ für die Gruppe an Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns mit dem V6-TDI Euro 5 Generation 2-Motoren gilt.
20
Gemäß der veröffentlichten Stellungnahme des KBA zum EuGH-Urteil vom 14.07.2022 (www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/stellungnahme_euGH_thermofen ster_inhalt.html, Stand: 23.03.2023]) hat das KBA dabei als Maßstab eine sehr enge Auslegung bei der Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen angesetzt und entsprechend der Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 zu Abschalteinrichtungen in der europäischen Verordnung (EG) Nr. 715/2007 agiert. Bereits in der Vergangenheit hat es die nunmehr in den Urteilen des EuGH vom 14.07.2022 (u.a. in der Rechtssache Az. C-145/20) vertretene Auffassung zur Unzulässigkeit von temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen für Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius angewandt und ist je nach verfügbarer Technologie darüber hinausgegangen. Die Genehmigungspraxis des KBA gewährleistet damit bereits die Maßstäbe des EuGH, dass die volle Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems überwiegend gewährleistet sein müsse.
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4. Somit fehlt es an der hinreichenden Darlegung eines Vermögensschadens des Klägers.
22
Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (z.B. BGH, Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rz. 46 m.w.N.).
23
Es ist aus objektiver Sicht des Rechtsverkehrs jedoch nicht erkennbar, dass und gegebenenfalls warum das KBA trotz der genannten amtlichen Auskünfte nunmehr doch zum gegenteiligen Ergebnis kommen sollte, dass in den Fahrzeug- und Motortyp des Klägers eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut sein sollte und deswegen einen amtlichen Rückruf und eine Betriebsuntersagung anordnen könnte, Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist dies nicht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit zu erwarten.
24
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitliChen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht oder die Zulassung der Revision (§§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
25
Wie dargestellt, liegen den vorstehenden Ausführungen die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Leitlinien zugrunde.
26
Dazu ist keine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO), da keine besonderen Gründe vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, bei denen nur die Durchführung einer mündlichen Verhandlung der prozessualen Fairness entspräche.
27
Bei dieser Sachlage wird schon aus Kostengründen empfohlen, die Berufung zurückzunehmen, was eine Ermäßigung der Gebühren für das „Verfahren im Allgemeinen“ von 4,0 (Nr. 1220 GKG-KV) auf 2,0 (Nr. 1222 GKG-KV) mit sich brächte.
28
Zu diesen Hinweisen besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses. Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zurückweisen, falls sich Änderungen nicht ergeben. Mit einer einmaligen Verlängerung dieser Frist um maximal drei weitere Wochen ist daher nur bei Glaubhaftmachung konkreter, triftiger Gründe zu rechnen (vgl. OLG Rostock, Beschluss v. 27.05.2003, Az. 6 U 43/03, juris Rz. 7 ff.). Eine Fristverlängerung um insgesamt mehr als einen Monat ist daneben entsprechend § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO nur mit Zustimmung des Gegners möglich.