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OLG München, Hinweisbeschluss v. 22.03.2023 – 15 U 5354/22
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288

Normenketten:
BGB § 249, § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG München BeckRS 2022, 36076 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Es fehlt mangels drohender Betriebsbeschränkung oder -untersagung für das streitgegenständliche Fahrzeug – das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor vom Typ EA288 ausgestattet ist, der der Schadstoffnorm Euro 6 unterfällt – jedenfalls an einem Schaden des Käufers. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es kann dahinstehen, ob die Haltung des Kraftfahrt-Bundesamtes den maßgeblichen Normen entspricht, da allein entscheidend ist, dass es sich um die Auffassung der zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörde handelt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
4. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs setzt ein Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs voraus, dass dem Käufer durch die Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, (kein) Schaden, KBA, (keine) drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung, kleiner Schadensersatz, (kein) Rückruf
Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 16.08.2022 – 24 O 1415/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 5887

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 16.08.2022, Az. 24 O 1415/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 5.400,00 € festzusetzen.
3. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
Die Berufung erscheint unbegründet. Die Prüfung der Berufung durch den Senat hat weder ergeben, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO beruht, noch dass die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen würden, § 513 Abs. 1 ZPO. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Ersturteil hält den Berufungsangriffen stand.
2
Dem Kläger stehen im Zusammenhang mit dem Fahrzeugkauf vom 07.11.2021 unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu.
3
1. Es fehlt mangels drohender Betriebsbeschränkung oder -untersagung für das streitgegenständliche Fahrzeug – das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor vom Typ EA288 ausgestattet ist, der der Schadstoffnorm Euro 6 unterfällt – jedenfalls an einem Schaden des Klägers.
4
a) Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – ZR 252/19, BGHZ 225, 316, Rn. 46 bei juris mwN). Eine Fallgestaltung, in dem ein Schaden jedenfalls deshalb eingetreten ist, weil der Vertragsschluss als unvernünftig anzusehen ist, da der Kläger durch einen ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten hat, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (BGH aaO Rn. 48), lässt sich vorliegend nicht annehmen. Nach einem sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts ergebenden Erfahrungssatz ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH aaO Rn. 49). Ein solcher Erfahrungssatz besteht hier schon deshalb nicht, weil dem Fahrzeug des Klägers zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohte. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat keine Regelungen zur Typengenehmigung – etwa in Form von Nebenbestimmungen – getroffen, die Einfluss auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenraum gehabt hätten. Der Kläger konnte und kann sein Fahrzeug nutzen. Anders als etwa bei Fahrzeugen mit dem Dieselmotor EA189 ist kein Software-Update notwendig, um den Bestand der Betriebserlaubnis nicht zu gefährden (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.04.2022 – 8 U 245/21, Rn. 46 bei juris mwN).
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Ausweislich der von der Beklagten vorgelegten amtlichen Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) gegenüber dem Oberlandesgericht Celle vom 09.03.2021 betreffend den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp (Anlage B48, erneut vorgelegt mit Schriftsatz vom 14.02.2023) hat das KBA insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe EA288 durchgeführt, wobei die Analyse des Abgasnachbehandlungssystems und seiner Komponenten sowie die Motorsteuerungssoftware im Fokus der Untersuchungen standen. Zwar sei der streitgegenständliche Fahrzeugtyp VW Tiguan 2,0 l TDI, 176 kW, in dieser Ausführung nicht untersucht worden; es hätten jedoch Untersuchungen an technisch vergleichbaren Fahrzeugen des Herstellers stattgefunden, die über das gleiche SCR-Abgasnachbehandlungssystem verfügen und deren Ergebnisse auf den vorliegenden Fall übertragen werden könnten. Es sei bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA288 aufweise und durch das KBA untersucht worden sei, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden. Dementsprechend wird in der amtlichen Auskunft in Bezug auf das im dortigen Verfahren des Oberlandesgerichts Celle streitgegenständliche Fahrzeug festgestellt, dass es nach den Untersuchungen des KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise und keine Nebenbestimmungen angeordnet worden seien (Anlage B48, S. 2).
6
Da das Kraftfahrt-Bundesamt trotz umfassender Prüfungen bislang keinen Anlass für eine Rückrufanordnung betreffend den streitgegenständlichen Fahrzeug- bzw. Motortyp oder für einen Widerruf der EG-Typgenehmigung gesehen hat, muss der Senat davon ausgehen, dass das Fahrzeug des Klägers seit dem Kauf im November 2021 objektiv nicht von einer solchen Maßnahme bedroht gewesen ist und der Vertragsschluss daher nicht als unvernünftig anzusehen ist. Dabei kann dahinstehen, ob die Haltung des Kraftfahrt-Bundesamtes den maßgeblichen Normen entspricht. Entscheidend ist, dass es sich um die Auffassung der zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörde handelt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11.04.2022 – 8 U 179/21, vorgelegt mit Schriftsatz vom 14.02.2023). Das (abstrakte) Risiko eines künftigen Rückrufs oder Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschalteinrichtung festzustellen vermag. In dem Fall sind auch Betriebsuntersagungen durch die Straßenverkehrsbehörden nicht zu erwarten, da die Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs nicht in Frage steht.
7
b) Für den Fall, dass der Kläger – wie hier – nicht die Rückgängigmachung des Kaufvertrags verlangt, sondern Erstattung des Minderwerts (sog. kleiner Schadensersatz), ist aus Sicht des Senats keine abweichende Beurteilung geboten. Denn auch insoweit wird ein Schaden geltend gemacht, der in dem Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug liegt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 44). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Geschädigte, der durch ein sittenwidriges Verhalten eines Dritten zu einem Vertragsschluss bewegt worden ist, den er ohne das sittenwidrige Verhalten nicht geschlossen hätte, die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten der Schadensberechnung. Er kann wirtschaftlich gesehen Rückgängigmachung des Vertrages gegenüber dem Dritten verlangen (= Kaufpreiserstattung abzüglich Nutzungsersatz Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs) oder, wenn er nunmehr am Vertrag festhalten will, Erstattung des objektiven Minderwerts zwischen Leistung und Gegenleistung (BGH, Urteil vom 06.07.2021 – ZR 40/20, BGHZ 230, 224, Rn. 21 bei juris). Liegt die Schädigung in dem Abschluss eines Kaufvertrags über ein bemakeltes Kraftfahrzeug, ist der Geschädigte nicht darauf beschränkt, gegen die Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und sonstiger Vorteile die Kaufsache herauszugeben. Er kann die Kaufsache behalten. Als Schaden kann er dann den Betrag ersetzt verlangen, um den er den Kaufgegenstand – gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung – zu teuer erworben hat. Der Geschädigte wird damit so behandelt, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen (BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rn. 9 bei juris). Dies setzt nach den oben genannten Grundsätzen allerdings voraus, dass dem Kläger überhaupt ein Schaden durch einen als unvernünftig anzusehenden Vertragsschluss entstanden ist. Hieran fehlt es vorliegend aus den genannten Gründen.
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2. Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen zur Schadensbegründung hält der Senat die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO unabhängig von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/21 für gegeben. Auf die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 14.02.2023 vorgelegten Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 23.01.2023 – VIa ZR 724/22 und vom 30.01.2023 – VIa ZR 663/22 wird verwiesen. Im Übrigen setzt auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs voraus, dass dem Käufer durch die Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rn. 91). Dies ist vorliegend wie ausgeführt nicht der Fall.
9
Da die Berufung hiernach keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG). gez.