Titel:
Erfolgreiches Normenkontrollverfahren gegen Ortsabrundungssatzung
Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
BauGB § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Liegt einer schalltechnischen Untersuchung nicht die insgesamt zulässige Nutzung, sondern ein konkretes Vorhaben zugrunde, und kann eine Lärmbetroffenheit deswegen nicht für alle zulässigen Nutzungen ausgeschlossen werden, genügt die Berufung auf mögliche Lärmimmissionen für die Antragsbefugnis gegen eine Einbeziehungssatzung, die eine gewerbliche und landwirtschaftliche Nutzung ermöglicht. (Rn. 24)
2. Eine „fingerartig“, erheblich in den Außenbereich hinauskragende Fläche ist i.R.d. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB regelmäßig nicht durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt. (Rn. 32)
1. Eine Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren gegen eine Satzung kann auch daraus folgen, dass sich eine Person darauf beruft, dass ihre abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist ein Bebauungsplan durch genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahmen vollständig verwirklicht, so wird der Antragsteller in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können (BVerwG BeckRS 2019, 1728) (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Einbeziehung von Außenbereichsflächen ist gem. § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB davon abhängig, dass die im Zusammenhang bebauten Ortsteile auch diese im Außenbereich gelegenen Flächen sachlich und räumlich prägen und deshalb auch insoweit eine Plan ersetzende Maßstabsfunktion entfalten können (vgl. BVerwG BeckRS 2009, 42535; BayVGH BeckRS 2021, 24898), dabei muss der baulichen Nutzung des angrenzenden Bereichs ein Maßstab zu entnehmen sein , der als Grundlage für die Prägung der einbezogenen Fläche herangezogen werden kann (vgl. BVerwG BeckRS 2022, 3519). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einbeziehungssatzung, Antragsbefugnis, Prägung der einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs, Normenkontrollverfahren, Abrundungssatzung, Bauplanungsrecht, Rechtsschutzinteresse, Außenbereichsflächen, fingerartige Fläche
Fundstellen:
LSK 2023, 5827
BeckRS 2023, 5827
DÖV 2023, 606
Tenor
I. Die am 3. August 2021 bekannt gemachte Ortsabrundungssatzung „Erweiterung der Einbeziehungssatzung W. Fl.-Nr. … Gmkg. W.“ der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Normenkontrollverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Erweiterung der Einbeziehungssatzung W. der Antragsgegnerin vom 22. Juli 2021, bekannt gemacht am 3. August 2021.
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In der Gemeinderatssitzung vom 25. Oktober 2005 beschloss die Antragsgegnerin die Aufstellung einer Ortsabrundungssatzung für eine nördliche Teilfläche des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung W. im Anschluss an die bisherige Bebauung des Grundstücks. Ziel der Planung war es, dem Grundstückseigentümer einen Hallenneubau zu gewerblicher Nutzung zu ermöglichen. Die Satzung über eine Ortsabrundung in W. (Ortsabrundungssatzung „W.“) wurde am 7. Februar 2006 beschlossen, am 20. Februar 2006 ausgefertigt und am 24. Februar 2006 bekannt gemacht. Mit Bescheid vom 13. April 2006 erteilte das Landratsamt A. Fr. die Baugenehmigung zur Errichtung einer Lagerhalle als Materiallager auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W. im Bereich dieser Satzung.
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Mit Schreiben vom 3. Juli 2020 beantragte der Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung W. eine Einbeziehungssatzung für einen weiteren Teilbereich in nördlicher Richtung. Die Antragsgegnerin beschloss am 21. Juli 2020 die Aufstellung einer Einbeziehungssatzung „zur Schaffung von Baurecht einer 400 m2 privilegierten landwirtschaftlichen Nutzfläche mit 320 m2 Erweiterung vorhandenen örtlichen Gewerbebetriebs“. Im Verfahren der Beteiligung öffentlicher Träger nahm das Landratsamt A. Fr., Sachgebiete Immissionsschutz und Bauleitplanung, Stellung und äußerte Bedenken hinsichtlich Lärm und Luftreinhaltung des Gesamtbetriebes sowie des Umfangs der Ortsabrundung. Die Antragstellerin, Eigentümerin des östlich angrenzenden Grundstücks FlNr. … Gemarkung W., erhob mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3. November 2020 Einwendungen im Hinblick auf eine fehlende landwirtschaftliche Nutzung und fehlende städtebauliche Erforderlichkeit. Über die eingegangenen Stellungnahmen und Einwendungen wurde seitens der Antragsgegnerin am 25. Februar 2021 beschlossen.
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Nach erneuter öffentlicher Auslegung des überarbeiteten Planentwurfs, in der keine Einwendungen mehr seitens der Antragstellerin erhoben wurden, beschloss die Antragsgegnerin am 22. Juli 2021 über die eingegangenen Stellungnahmen und fasste den Satzungsbeschluss. Die Satzung „Erweiterung der Einbeziehungssatzung W. Fl.-Nr. … Gmkg. W.“ wurde am 29. Juli 2021 ausgefertigt und am 3. August 2021 bekannt gemacht. Mit Bescheid vom 10. Februar 2022 erteilte das Landratsamt A. Fr. die Baugenehmigung zur Errichtung einer Maschinenhalle auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W., gegen die seitens der Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erhoben wurde, über die noch nicht entschieden ist (Az. Au 5 K 22.480).
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Gegen beide Satzungen erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 25. April 2022 Normenkontrollantrag. Mit gerichtlichem Schreiben vom 23. November 2022 wurden die Beteiligten zur Abtrennung der Normenkontrollverfahren und Entscheidung durch Beschluss über die Ortsabrundungssatzung „W.“, bekannt gemacht am 24. Februar 2006, angehört. Mit Beschluss vom 13. Dezember 2022 (Az. 15 N 22.1039) lehnte der Senat den Normenkontrollantrag gegen die Ortsabrundungssatzung „W.“, bekannt gemacht am 24. Februar 2006, wegen Verfristung als unzulässig ab.
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Die Antragstellerin beruft sich hinsichtlich der Ortsabrundungssatzung „Erweiterung der Einbeziehungssatzung W. Fl.-Nr. … Gmkg. W.“ vom 22. Juli 2021 auf ein Abwehrrecht rechtmäßiger Wohnbebauung gegen eine Bebauung, die über das zumutbare Maß der Lärmbeeinträchtigung hinausgehe. Zudem habe das Vorhaben eine erdrückende Wirkung, weil künftig drei gewerbliche Hallen in unmittelbarer Nachbarschaft stünden. Die Planung stelle auch einen planerischen Missgriff dar und verstoße gegen das Gebot der Konfliktbewältigung, da eine gewerbliche Nutzung unmittelbar neben Wohnbebauung erfolge und auch eine künftige Stallnutzung nicht ausgeschlossen sei. Eine schutzwürdige Stellung ergebe sich auch aufgrund der Grünflächen und ihrer angrenzenden Pferdekoppel; sie könne sich auf eine begünstigende Lebens- und Wohnqualität berufen.
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In materieller Hinsicht sei die Satzung nicht erforderlich. Es handle sich vielmehr um eine reine Gefälligkeitsplanung zugunsten des Grundstückseigentümers. Einleuchtende Allgemeininteressen würden nicht angeführt. Im Zusammenhang mit der bereits durch die vormalige Einbeziehungssatzung genehmigten Halle spreche viel für das Entstehen eines Gewerbegebiets; eine landwirtschaftliche Nutzung sei weder ersichtlich noch belegt. Alternativstandorte seien nicht geprüft worden. Das Bauvorhaben sei nicht privilegiert und die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 6 BauGB lägen nicht vor. Eine unorganisch massive Erweiterung von Gewerbeflächen am Rand einer Wohnbebauung sei unzulässig; es liege keine maßvolle Erweiterung des Innenbereichs mehr vor. Schließlich verstoße die Planung auch gegen das Abwägungsgebot, da die Planung rücksichtslos sei. Dem Bauvorhaben würden Immissionswertanteile zugerechnet, die in einem Wohngebiet nicht hinnehmbar seien. Der empfindlichere Hörsinn von Pferden sei nicht berücksichtigt worden. Die nahezu grenzständigen Gewerbehallen hätten eine erdrückende Wirkung und führten zu einer erheblichen Verschattung. Die Planung halte sich auch nicht an die Abstandsflächensatzung der Antragsgegnerin und verstoße gegen das Gebot der Konfliktbewältigung. Zudem dürften Eingrünungsflächen, die einen begünstigenden Erholungsraum darstellten, nicht einfach weggeplant werden.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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die Ortsabrundungssatzung „Erweiterung der Einbeziehungssatzung W. Fl.-Nr. … Gmkg. W.“ der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 3. August 2021, für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Antragstellerin fehle die Antragsbefugnis. Die allgemein gehaltenen Ausführungen ließen eine Verletzung privater Rechte nicht erkennen. Die Lärmschutzproblematik sei umfangreich behandelt worden und nach der schalltechnischen Untersuchung der Ingenieurbüro K. GmbH vom 21. Februar 2021 seien keine Lärmkonflikte zu erwarten. Die Auswirkungen auf Pferde seien nicht relevant. Ein eventuell fehlendes Planungserfordernis oder ein eventueller Verstoß gegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 4 BauGB begründeten keine subjektiven Rechte. Eine erdrückende Wirkung sei nicht dargelegt; das Interesse an der Aufrechterhaltung einer bestehenden Aussicht sei nicht abwägungserheblich.
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Im Übrigen sei der Antrag unbegründet. Die Antragsgegnerin könne sich bei der Planung an den Wünschen der Grundstückseigentümer orientieren. Die Antragsgegnerin habe einzelne Außenbereichsflächen einbezogen und die Fläche sei durch die unmittelbar angrenzende landwirtschaftliche und gewerbliche Nutzung vorgeprägt. Da eine privilegierte landwirtschaftliche Nutzung ohnehin möglich gewesen wäre, sollte die zu erwartende Bebauung mit einem gewerblichen Teil auf Basis eines ganzheitlichen Konzepts erfolgen. Die geplante Halle diene der Reparatur und dem Verkauf von alten Traktoren. Auch das Abwägungsgebot sei nicht verletzt, da entsprechend der schalltechnischen Untersuchung nicht mit Konflikten zu rechnen sei. Die Lärmimmissionen fänden auf der der Antragstellerin abgewandten Seite statt.
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Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat sich nicht am Verfahren beteiligt.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Planaufstellungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
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I. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.
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a) Der innerhalb der Jahresfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellte Normenkontrollantrag ist statthaft. Bei der angefochtenen Einbeziehungssatzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB handelt es sich um eine Satzung, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden ist (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
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b) Die Antragstellerin ist antragsbefugt.
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Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Hierzu müssen Tatsachen vorgetragen werden, die die geltend gemachte Rechtsverletzung möglich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 1.7.2020 – 4 BN 49.19 – juris Rn. 7). Ein Antragsteller, der von der Rechtsvorschrift nicht unmittelbar betroffen ist, kann sich im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Er muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den streitgegenständlichen Bebauungsplan in einem subjektiven Recht verletzt wird (vgl. BVerwG, B.v. 1.7.2020 – 4 BN 39.19 – juris Rn. 7 m.w.N.). Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (BVerwG, B.v. 16.6.2020 – 4 BN 53.19 – juris Rn. 9 m.w.N.).
21
Dieser Maßstab gilt für einen Normenkontrollantrag gegen eine Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB entsprechend (BayVGH, B.v. 8.6.2010 – 15 N 08.3172 – juris Rn. 32). Da sich die Antragstellerin gegen die Einbeziehung eines benachbarten Grundstücks in den im Zusammenhang bebauten Ortsteil wendet, muss sie geltend machen, gerade durch diese Einbeziehung in ihren Rechten, nämlich dem Recht auf fehlerfreie Abwägung ihrer Belange (§ 2 Abs. 3, § 1 Abs. 7 BauGB), verletzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2008 – 1 N 08.1393 – juris Rn. 16).
22
Antragsteller sind als Eigentümer eines Grundstücks im Geltungsbereich der angefochtenen Satzung regelmäßig antragsbefugt. Die deklaratorische oder konstitutive Festlegung der Grenzen des bauplanungsrechtlichen Innenbereichs über § 34 Abs. 4 BauGB betrifft unmittelbar die Rechtssphäre der Eigentümer von Grundstücken im Satzungsgebiet, weil damit Inhalt und Schranken des Eigentums von Grundstücken gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG geregelt werden. Eine reine Klarstellungssatzung, die die Grenze des im Zusammenhang bebauten Ortsteils ausschließlich gem. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB deklaratorisch, aber nach außen verbindlich festlegt, könnte ihren Zweck nicht erfüllen, einzelne Baugenehmigungsverfahren vom Streit über die Zugehörigkeit des Baugrundstücks zum Innenbereich zu entlasten, wenn nicht die betroffenen Eigentümer diesbezügliche Rechtsfragen über einen Normenkontrollantrag klären könnten (vgl. BVerwG, U.v. 22.9.2010 – 4 CN 2.10 – juris Rn. 19). Dies muss erst recht gelten, wenn über eine Satzung gem. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB, deren Erlass einen Vorgang bodenrechtlicher Planung darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 22.9.2010 a.a.O. Rn. 15), bisher im Außenbereich (§ 35 BauGB) gelegene Flächen konstitutiv in den Innenbereich (§ 34 Abs. 1 BauGB) einbezogen werden, denn die Reichweite des Satzungsumgriffs entscheidet darüber, ob bzw. welche Eigentümer untereinander Abwehransprüche oder Gebietserhaltungsansprüche gegen Einzelbauvorhaben geltend machen können (vgl. BayVGH, U.v. 13.1.2021 – 15 N 20.1018 – juris Rn. 16).
23
Im vorliegenden Fall ist zwar der Geltungsbereich der Satzung auf Teile des Grundstücks FlNr. … Gemarkung W. begrenzt, nämlich auf den Geltungsbereich der bisherigen Ortsabrundung „W.“, bekannt gemacht am 24. Februar 2006, zuzüglich der neu hinzukommenden Fläche zur Errichtung der geplanten Halle nebst Flächen zum Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern. Das Grundstück der Antragstellerin ist als unmittelbar östlich an die einbezogene Fläche grenzendes Nachbargrundstück trotz fehlender konkreter Abgrenzung und Beschreibung des Innenbereichs, von dem die Antragsgegnerin ausgeht, ausweislich der vorliegenden Licht- und Luftbilder sowie Lagepläne dem maßgeblichen Innenbereich, in den die Fläche einbezogen werden soll, zuzurechnen. Insoweit genügt die Feststellung, dass die Antragstellerin befugt ist, eine Baugenehmigung oder einen Bauvorbescheid für ein im Satzungsgebiet gelegenes Vorhaben anzufechten (vgl. BayVGH, U.v. 5.11.2019 – 15 N 16.1840 – juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 22.9.2010 – 4 CN 2.10 – juris Rn. 19).
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Die Antragstellerin macht ferner plausibel geltend, dass die Antragsgegnerin mögliche Immissionskonflikte zwischen ihrem Wohngebäude und der durch die Satzung in unmittelbarer Nachbarschaft ermöglichten gewerblichen und landwirtschaftlichen Nutzung nicht ausreichend berücksichtigt habe. Zwar ergibt sich aus der schalltechnischen Untersuchung der Ingenieurbüro K. GmbH vom 21. Februar 2021 u.a., dass der Immissionsrichtwertanteil für ein Dorfgebiet um 6 dB(A) und der Immissionsrichtwert um über 10 dB(A) unterschritten werde (vgl. auch Satzungsbegründung Nr. 6). Die schalltechnische Untersuchung ging jedoch von einem konkreten Vorhaben des Grundstückseigentümers aus, während die angefochtene Satzung darüber hinaus allgemein eine gewerbliche und landwirtschaftliche Nutzung ermöglicht. Es fehlt mithin an einer worst-case-Gesamtbetrachtung der insgesamt zulässigen möglichen Nutzungen in Folge der Einbeziehungssatzung; die bloße Betrachtung eines beabsichtigten konkreten Bauvorhabens greift insoweit zu kurz (vgl. BayVGH, U.v. 2.8.2016 – 9 N 15.2011 – juris Rn. 46 zum Angebotsbebauungsplan). Eine mögliche Lärmbetroffenheit durch die Satzung ist damit nicht von vornherein und unter jedem Gesichtspunkt auszuschließen, so dass hier die Berufung der Antragstellerin auf mögliche erhöhte Lärmimmissionen für deren Antragsbefugnis genügt (vgl. BayVGH, B.v. 8.6.2010 – 15 N 08.3172 – juris Rn. 32).
25
c) Die Antragstellerin hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis.
26
Bei bestehender Antragsbefugnis ist regelmäßig auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gegeben (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2002 – 4 CN 3.01 – juris Rn. 10). Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für die Antragstellerin wertlos ist, weil es ihre Rechtsstellung nicht verbessern kann. Es ist aber nicht erforderlich, dass die begehrte Erklärung einer Norm als unwirksam unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führt (vgl. BVerwG, U.v. 16.4.2015 – 4 CN 6.14 – juris Rn. 15). Wann die Inanspruchnahme des Gerichts nutzlos ist, richtet sich im Wesentlichen nach den jeweiligen Verhältnissen im Einzelfall (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2021 – 15 N 20.2639 – juris Rn. 17 m.w.N.).
27
Ist ein Bebauungsplan durch genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahmen vollständig verwirklicht, so wird der Antragsteller in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2019 – 4 BN 15.18 – juris Rn. 5). Dies ist hier aber nicht der Fall, denn die Antragstellerin hat die vom Landratsamt A. Fr. erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Maschinenhalle auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W. vom 10. Februar 2022 vor dem Verwaltungsgericht Augsburg (Az. Au 5 K 22.480) angefochten. Dass die Halle zwischenzeitlich – mangels aufschiebender Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung vom 10. Februar 2022 nach § 212a Abs. 1 BauGB – vollständig errichtet ist, ist dabei unerheblich. Denn die Ausnutzung einer angefochtenen und nicht bestandskräftigen Baugenehmigung fällt in die Risikosphäre des Bauherrn (vgl. Kalb/Külpmann in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 212a Rn. 29; BayVGH, B.v. 24.11.2021 – 15 CS 21.2546 – juris Rn. 16). Es ist auch nicht auf der Hand liegend und im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht weiter aufzuklären, dass bzw. ob die Klage der Antragstellerin unter jedem Gesichtspunkt erfolglos bleibt (vgl. BVerwG, B.v. 9.2.1989 – 4 NB 1.89 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 27.7.2021 – 15 N 20.2639 – juris Rn. 17).
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II. Der Normenkontrollantrag ist begründet.
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Die Einbeziehungssatzung der Antragsgegnerin entspricht nicht den Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Dieser Mangel, auf den die Planerhaltungsvorschriften gem. §§ 214, 215 BauGB keine Anwendung finden, begründet die Gesamtunwirksamkeit der Satzung „Erweiterung der Einbeziehungssatzung W. Fl.-Nr. … Gmkg. W.“, bekannt gemacht am 3. August 2021.
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Die Antragsgegnerin stützt die angefochtene Satzung auf § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB (vgl. Satzungstext – Einleitung, Satzungsbegründung Nr. 1, 5). Danach kann die Gemeinde durch Satzung einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind. Es kann offenbleiben, ob hier eine ausreichende Angrenzung an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil vorliegt. Zweifel könnten sich insoweit ergeben, da die einbezogene Fläche allein im Süden an eine vorhandene Lagerhalle angrenzt, die nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dient (vgl. BayVGH, U.v. 13.1.2021 – 15 N 20.1018 – juris Rn. 19) und ihrerseits bereits in den Außenbereich hinauskragt sowie Ausführungen der Antragsgegnerin i.R.d. Satzung, deren Begründung oder der Abwägung mit dem maßgeblichen im Zusammenhang bebauten Ortsteil, dem Gebietscharakter und dessen Umfang fehlen. Der bloße Hinweis auf § 34 BauGB in der Satzungsbegründung Nr. 5 und im Abwägungsbeschluss vom 22. Juli 2021 (S. 2, 5 f.) genügt hierfür nicht. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Fläche jedenfalls nicht durch die Bebauung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt ist.
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Die Einbeziehung von Außenbereichsflächen ist gem. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB davon abhängig, dass die im Zusammenhang bebauten Ortsteile auch diese im Außenbereich gelegenen Flächen sachlich und räumlich prägen und deshalb auch insoweit eine Plan ersetzende Maßstabsfunktion entfalten können (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2009 – 4 BN 31.09 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 5.8.2021 – 1 NE 21.1791 – juris Rn. 18). Der baulichen Nutzung des angrenzenden Bereichs muss ein Maßstab zu entnehmen sein, der als Grundlage für die Prägung der einbezogenen Fläche herangezogen werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 19.1.2022 – 4 BN 47.21 – juris Rn. 6). Dabei ist die schlichte Ausweisung einer vom bebauten Bereich räumlich abgesetzten Fläche durch Satzung als Baufläche nicht ausreichend. Es muss sich um Bereiche handeln, die zwar noch nicht in den „Zusammenhang“ i.S. des § 34 Abs. 1 BauGB gehören, aber nicht so weit von diesem entfernt sind, dass ihre Bebauung eindeutig „nicht mehr dazugehören kann“. Greift eine Einbeziehungssatzung demgegenüber nicht nur auf unmittelbar angrenzende Bereiche, sondern in einem größeren Umgriff auf Außenbereichsflächen zurück, ist von einer Prägung durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs allenfalls dann auszugehen, wenn es sachliche Gründe gibt – z.B. topografische Besonderheiten –, die einen solchen großzügigen Anschluss an den im Zusammenhang bebauten Ortsteil als eine geringfügige einleuchtende Fortschreibung der vorhandenen Bebauung erscheinen lassen (vgl. BayVGH, U.v. 13.3.2019 – 15 N 17.1194 – juris Rn. 32 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
32
Die einbezogene Teilfläche des Grundstücks FlNr. … Gemarkung W. grenzt im Süden an die mit Baugenehmigung vom 13. April 2006 genehmigte, bestehende Lagerhalle, die ihrerseits an ein Bestandsgebäude im Süden angrenzt und – hinsichtlich Zufahrt und Nutzung nach Westen hin ausgerichtet ist. Sie erstreckt sich vom Rand der bestehenden Lagerhalle, die ihrerseits schon zu ca. zwei Drittel in den Außenbereich hineinkragt, weitere ca. 70 m nach Norden. Der Abstand zur Bebauung auf dem Grundstück der Antragstellerin beträgt zwischen ca. 30 m (am Rand der bestehenden Lagerhalle) und über 90 m am nördlichen Geltungsrand der Satzung; zur südwestlich angrenzenden Bebauung auf dem Grundstück FlNr. …5 Gemarkung W. beträgt der Abstand zwischen ca. 70 m und deutlich über 120 m am nördlichen Rand. Da der Bebauungszusammenhang am Ortsrand regelmäßig – wie auch hier – mit dem letzten Baukörper endet (vgl. BayVGH, U.v. 29.7.2015 – 1 N 12.1189 – juris Rn. 16) und sich die der nunmehrigen Erweiterung zugrundeliegende Fläche nördlich der bestehenden Lagerhalle auf eine durch die Satzung Ortsabrundung „W.“, bekanntgemacht am 24. Februar 2006, festgesetzte private Grünfläche erstreckt und Richtung Norden weit darüber hinaus geht, wird die Fläche nicht mehr durch die bauliche Nutzung auf dem südlichen Teil des Grundstücks FlNr. … Gemarkung W. sowie dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil geprägt. Eine Prägung durch die östlich und westlich angrenzenden Grundstücksbereiche scheidet schon mangels dortiger Bebauung und deren Lage im Außenbereich aus. Die Fläche wird zudem neben der bisherigen Grünflächenabgrenzung im Süden auf den drei weiteren Seiten vollständig, was insbesondere die vorliegenden Luft- und Lichtbilder zeigen, durch die im Norden und Westen angrenzenden landwirtschaftlich bzw. im Osten durch die Antragstellerin als Pferdekoppel genutzten Außenbereichsflächen geprägt. Diesem „nasenartigen“ bzw. „fingerartigen“ Hineinschieben der einbezogenen Fläche in den Außenbereich ohne entsprechende topographische Besonderheiten fehlt es hier mithin an der entsprechenden Prägung durch eine bauliche Nutzung. Der Ortsrand wird hier vielmehr in städtebaulich nicht mehr vertretbarer Weise in den Außenbereich hinein ausgedehnt, ohne dass diese Fläche entsprechend vom angrenzenden Bereich geprägt wäre.
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Zwar genügt für eine Einbeziehung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB auch eine Prägung minderer Art; gleichwohl ist nur eine maßvolle Erweiterung des Innenbereichs in den Außenbereich hinein zulässig, die nicht wesentlich über eine bloße Abrundung hinausgeht (Rieger in Schrödter, BauGB, 9. Auflage 2019, § 34 Rn. 118). Dem entspricht die angefochtene Satzung nach den obigen Ausführungen nicht. Die Einbeziehungssatzung ist kein Instrument, um den Außenbereich zum nicht überplanten Innenbereich umzuwidmen (vgl. BayVGH, U.v. 13.3.2019 – 15 N 17.1194 – juris Rn. 26).
34
Der Mangel führt zur Gesamtnichtigkeit der Satzung. Das Fehlen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB ist nicht nach §§ 214, 215 BauGB unbeachtlich. Eine Umdeutung der Rechtsgrundlage der Einbeziehungssatzung in eine Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 BauGB kommt schon mangels Vorliegen derer Tatbestandsvoraussetzungen nicht in Betracht.
35
Auf die von der Antragstellerin geltend gemachten Abwägungsfehler kommt es damit ebenso wenig an, wie auf die Frage, ob die unter Nr. 1 der Satzungsbegründung als Planungsanlass lediglich angeführte Notwendigkeit zusätzlicher Fertigungs- und Lagerflächen für den ansässigen Betrieb eine ausreichende geordnete städtebauliche Entwicklung i.S.d. § 34 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BauGB aufzeigt oder vielmehr als Gefälligkeitsplanung anzusehen ist. Die von der Antragsgegnerin im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vom 14. März 2023 mit Schriftsatz vom gleichen Tag übermittelte E-Mail des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 15. Juli 2021 zur Einstufung des landwirtschaftlichen Betriebs des Eigentümers des Grundstücks FlNr. … Gemarkung W., die nicht Gegenstand der Planungsakten geworden ist, bietet deshalb auch keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
36
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
37
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
38
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
39
Die Antragsgegnerin muss die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre (§ 132 Abs. 2 VwGO).