Inhalt

OLG München, Beschluss v. 23.03.2023 – 5 W 194/23 e
Titel:

PKH-Antrag – Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung bei streitiger, höchstrichterlich nicht entschiedener Rechtsfrage

Normenketten:
ZPO § 114 Abs. 1
DS-GVO Art. 82 Abs. 1
Leitsatz:
Im PKH-Bewilligungsverfahren darf die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung nicht verneint werden, wenn eine streitige, höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfrage maßgeblich ist (hier: Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO). (Rn. 3 – 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung, streitige, höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfrage, DS-GVO-Verstoß, Schadensersatzanspruch, Schaden
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 25.01.2023 – 29 O 13114/21
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Beschluss vom 26.04.2023 – 29 O 13114/21
Fundstellen:
MDR 2023, 869
LSK 2023, 5803
BeckRS 2023, 5803
r+s 2023, 419
ZD 2023, 618

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 25.01.2023, Az. 29 0 13114/21, aufgehoben, soweit darin der Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde.
2. Der Beklagten wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe auch für die mit Schriftsatz vom 07.12.2021 angekündigte widerklagende Verfolgung immaterieller Schadensersatzansprüche bewilligt (SS 1 14, 1 19 Abs. 1 ZPO).

Gründe

1
Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß S. 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO statthaft. Die gemäß SS 127 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2, 51 1 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Beschwer liegt vor; insofern ist auf den Streitwert der Hauptsache abzustellen (OLG Hamm, Beschluss vom 3. März 2015 – 1I-14 WF 34/15 –, juris). Die sofortige Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt, S. 569 Abs. 2 ZPO sowie S. 569 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO in Verbindung mit S. 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO.
2
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig, S. 1 14 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
3
An die hinreichende Erfolgsaussicht sind keine strengen Anforderungen zu stellen; insbesondere darf Erfolgsaussicht nicht verneint werden, wenn eine streitige, höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfrage entscheidend ist (Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 43. Aufl. 2022, S. 114 Rn. 3 mwN).
4
Die Frage, ob ein Verstoß gegen die DS-GVO für das Entstehen eines Schadensersatzanspruchs gemäß Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ausreicht oder es darüber hinaus der Darlegung und des Nachweises eines konkreten Schadens bedarf, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (BeckOK DatenschutzR/Quaas, 42. Ed. 1.8.2022, DS-GVO Art. 82 Rn. 23.1). In der Kommentarliteratur wird zum Teil vertreten, dass mit der Verletzung datenschutzrechtlicher Normen letztlich immer ein immaterieller Schaden einhergeht, soweit es nicht um reine Formfehler wie Verstöße gegen Dokumentationspflichten geht (Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 18a). Nach anderer Ansicht reicht der Verstoß alleine nicht aus, sondern muss auch ein Schaden eingetreten sein, der schlüssig darzulegen ist, wobei bloße Unannehmlichkeiten oder Bagatellschäden auszuschließen sind (Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 10). Auch in der Rechtsprechung gibt es hierzu divergierende Entscheidungen (Cola/Heckmann/G01a/PiItz, 3. Aufl. 2022, DS-GVO Art. 82 Rn. 16 mwN). Das Bundesverfassungsgericht hat vor diesem Hintergrund festgestellt, dass es mangels Klärung des Schadensbegriffs in Art. 82 Abs. 1 DS-GVO mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) unvereinbar ist, wenn ein letztinstanzliches Gericht bei Entscheidungserheblichkeit dieser Frage seiner Vorlagepflicht an den EuGH entgegen Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht nachkommt. (Beschluss vom 14.01.2021, 1 BvR 2853/19, NJW 2021, 1005). Das Bundesarbeitsgericht hat zwischenzeitlich unter anderem im Hinblick auf Art. 82 Abs. 1 DS-GVO den EuGH um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV ersucht und hierbei die Ansicht vertreten, dass bereits die Verletzung der DS-GVO selbst zu einem auszugleichenden immateriellen Schaden führt (BAG, Beschluss vom 26.08.2021, 8 AZR 253/20 (A), ZD 2022, 56, Rn. 33).
5
Vorliegend durfte daher der Beklagten Prozesskostenhilfe im Hinblick auf die mit Schriftsatz vom 07.12.2021 angekündigte widerklagende Verfolgung immaterieller Schadensersatzansprüche nicht versagt werden. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 25.01.2023 war daher im Umfang der sofortigen Beschwerde aufzuheben und Prozesskostenhilfe auch insoweit zu bewilligen, S. 572 ZPO.