Inhalt

OLG München, Endurteil v. 11.09.2023 – 17 U 355/23 e
Titel:

Anforderungen an die Angaben über die Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung

Normenkette:
BGB § 502 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:
1. Die erforderliche Information über die Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung ist klar und verständlich, wenn der Darlehensgeber die für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlichen Parameter in groben Zügen benennt. Dem genügt eine Bank, wenn sie das zwischenzeitlich veränderte Zinsniveau, die für das Darlehen ursprünglich vereinbarten Zahlungsströme, den der Bank entgangenen Gewinn, die infolge der vorzeitigen Rückzahlung ersparten Risiko- und Verwaltungskosten und den mit der vorzeitigen Rückzahlung verbundenen Verwaltungsaufwand benennt. Der finanzmathematischen Bezeichnung "Aktiv-Aktiv-Methode" bedarf es daneben nicht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein laufzeitabhängiges Bearbeitungsentgelt ist zulässig. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Entschädigung nach Schadensgrundsätzen bei Beendigung eines Darlehensvertrages stellt keine unangemessene Benachteiligung nach § 307 BGB dar. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berechnung, Vorfälligkeitsentschädigung, Bank, Verwaltungsaufwand, Bearbeitungskosten, Rückzahlungspflicht, grundschuldgesicherter Darlehensvertrag, Sicherungsobjekt, Anspruch auf Auswechslung, laufzeitunabhängiges Bearbeitungsentgelt, laufzeitabhängiges Bearbeitungsentgelt, Entschädigung nach Schadensgrundsätzen, Darlehen, Verbraucher
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 29.12.2022 – 29 O 3563/22
Rechtsmittelinstanz:
BGH, Urteil vom 21.10.2025 – XI ZR 187/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 57689

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 29.12.2022, Az. 29 O 3563/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsrechtsstreits zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I und dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 33.183,70 festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um die Rückzahlungspflicht der Beklagten betreffend eine Vorfälligkeitsentschädigung im Rahmen der vorzeitigen Ablösung eines grundschuldgesicherten Darlehensvertrags vom 17.12.2018.
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Hinsichtlich der Tatsachen wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Feststellungen des LG München I in seinem Endurteil vom 29.12.2022 (Bl. 74/83 der erstinstanzlichen Akte; künftig: Erstakte) mit nachfolgenden Änderungen und Ergänzungen verwiesen.
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Das von der Klägerin vorgelegte ESIS-Merkblatt (vgl. Geheft Klägeranlagen) hat diese vor Vertragsabschluss erhalten.
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Auf Seite 7 von 16 des Darlehensvertrages zu Beginn der unteren Hälfte findet sich folgender Satz: „Daneben wird die Bank für den ihr im Zusammenhang mit der vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens entstehenden Verwaltungsaufwand angemessene Bearbeitungskosten im Rahmen des Schadensersatzes verlangen.“
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Im der Klägerin übergebenen ESIS-Merkblatt findet sich auf Seite 11 von 15, letzter Absatz folgender Text: „Bitte beachten Sie auch, dass der Kreditgeber im Rahmen des Schadensersatzes neben der Ablösungsentschädigung auch angemessene Bearbeitungskosten für den mit der vorzeitigen Ablösung des Kredits verbundenen Verwaltungsaufwand verlangt.“
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Die von der Klägerin bezahlte Vorfälligkeitsentschädigung selbst hat die Beklagte der Höhe nach korrekt berechnet.
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Die Klägerin behauptet, im Rahmen der beabsichtigten Veräußerung des beliehenen Sicherungsobjekts habe die Beklagte sie seit 27.01.2021 quasi am langen Arm treuwidrig verhungern lassen, weshalb sie zur vorzeitigen Ablösung des Darlehens bei der Beklagten gezwungen gewesen sei. Das besicherte Objekt (…) habe sie für € 520.000,00 verkauft, das der Beklagten angebotene Ersatzobjekt (…) für € 387.500,00 erworben. Die Beklagte habe ein Sicherungsbedürfnis in Höhe von 120% und damit maximal € 332.400,00 gehabt.
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Das LG München I hat mit Endurteil vom 29.12.2022 die Klage abgewiesen.
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Die Klägerin beantragt jetzt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I, Az.: 29 O 3563/22, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2022 am 29. Dezember 2022 verkündet,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 33.183,70 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 2. August 2021, hilfsweise seit Rechtshängigkeit, zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an die A…, weitere EUR 1.523,06 und an die Klägerin weitere EUR 350,00 als Nebenforderung zu zahlen, zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit  Rechtshängigkeit.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Hinsichtlich des Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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In der mündlichen Verhandlung am 31.07.2023 wurde der Klägerin auf deren Antrag hin Schriftsatzfrist zu den Hinweisen des Senats zur Frage des Objekttauschs bis zum 21.08.2023 gewährt. Am 10.08.2023 ging ein Schriftsatz der Klägerin bei Gericht ein, auf den verwiesen wird (Bl. 60/63 der Berufungsakte; künftig: d. A.).
II.
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Die zulässige Berufung (§§ 511, 517, 520 ZPO) ist nicht begründet, die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der von ihr geleisteten € 33.183,70 Vorfälligkeitsentschädigung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB):
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1. Auf den Rechtsstreit ist das am 17.12.2018 geltende Zivilrecht anzuwenden (Art. 229 § 53, §§ 58, 60, 63 EGBGB; künftig: a. F.).
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2. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung des EuGH (insbesondere das Urteil vom 09.09.2021, C-33/20 u.a., WM 2021, 1986) zu Verbraucherdarlehensverträgen hier im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 a RL 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der RL 87/102/EWG des Rates (künftig: RLEG 48/08) nicht relevant ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19.03.2019, XI ZR 44/18, WM 2019, 864, 866, Randziffer 17; Beschluss vom 31.03.2020, XI ZR 581/18, BKR 2020, 255, 256, Randziffer 4; Beschluss vom 14.09.2021, XI ZR 599/20 – nach juris; Beschluss vom 12.10.2021, XI ZR 655/20 – nach juris).
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3. Die Reichweite der Informationspflicht findet ihren Ausgangs- und Bezugspunkt in den materiell-rechtlichen Vorgaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung. § 502 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt, dass der Darlehensgeber im Falle der vorzeitigen Rückzahlung eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung für den unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Schaden verlangen kann, wenn der Darlehensnehmer zum Zeitpunkt der Rückzahlung Zinsen zu einem gebundenen Sollzinssatz schuldet (BGH, Urteil vom 05.11.2019, XI ZR 650/18, WM 2019, 2353, 2357, Randziffer 42). Die nach Art. 247 § 7 Nr. 3 EGBGB aF erforderliche Information über die Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung ist klar und verständlich, wenn der Darlehensgeber die für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlichen Parameter in groben Zügen benennt (BGH, Beschluss vom 23.06.2020, XI ZR 491/19, BKR 2021, 164, 166, Randziffer 12). Weitergehende Vorgaben zur Berechnungsmethode lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen. Entsprechend weist die Gesetzesbegründung zu § 502 BGB darauf hin, dass der Anspruch als nach den §§ 249 ff. BGB zu berechnender Schadensersatzanspruch ausgestaltet ist (BT-Drucks. 16/11643 S. 87). Diese Anbindung an allgemeine schadensrechtliche Grundsätze steht in Einklang mit Art. 16 Abs. 2 Verbraucherkreditrichtlinie, die in vergleichbarer Allgemeinheit bestimmt, der Darlehensgeber könne eine angemessene und objektiv gerechtfertigte Entschädigung für die möglicherweise entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten verlangen. Es ist geklärt, dass der Darlehensgeber den Schaden, der ihm durch die Nichtabnahme oder durch die vorzeitige Ablösung eines Darlehens entsteht, sowohl nach der Aktiv-Aktiv-Methode als auch nach der Aktiv-Passiv-Methode berechnen kann (BGH, Urteil vom 05.11.2019, XI ZR 650/18, WM 2019, 2353, 2357, Randziffer 43). Im Hinblick auf eine hinreichende Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Berechnungsmethode genügt es, wenn der Darlehensgeber die für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlichen Parameter in groben Zügen benennt (BGH, Urteil vom 05.11.2019, XI ZR 650/18, WM 2019, 2353, 2357, Randziffer 45). Dem genügt eine Bank durch die mit dem Wort insbesondere eingeleiteten Angaben zur Vorfälligkeitsentschädigung, indem sie die maßgeblichen Parameter benennt, nämlich das zwischenzeitlich veränderte Zinsniveau (als Ausgangspunkt für die Berechnung des Zinsverschlechterungsschadens), die für das Darlehen ursprünglich vereinbarten Zahlungsströme (als Grundlage der sogenannten Cash-Flow-Methode), den der Bank entgangenen Gewinn (als Ausgangspunkt für die Berechnung des Zinsmargenschadens), die infolge der vorzeitigen Rückzahlung ersparten Risiko- und Verwaltungskosten (als Abzugsposten) und den mit der vorzeitigen Rückzahlung verbundenen Verwaltungsaufwand (BGH, Urteil vom 05.11.2019, XI ZR 650/18, WM 2019, 2353, 2358, Randziffer 46). Der finanzmathematischen Bezeichnung Aktiv-Aktiv-Methode bedarf es daneben nicht, weil diese für den Verbraucher keinen Informationsmehrwert hat. Dass die Berechnung auf den Zeitpunkt der Rückzahlung abzustellen ist, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der Formulierung, dass der Darlehensgeber den mit der vorzeitigen Rückzahlung verbundenen Schaden verlangen kann (BGH, Urteil vom 05.11.2019, XI ZR 650/18, WM 2019, 2353, 2358, Randziffer 47; s.a. Beschluss vom 11.02.2020, XI ZR 648/18, Randziffer 16 – nach juris). Die finanzmathematischen Formeln, die der konkreten Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach der Aktiv-Aktiv- oder Aktiv-Passiv-Methode zu Grunde liegen, sind ihrer Natur nach nicht allgemein verständlich. Eine Darstellung würde daher zur Klarheit, Verständlichkeit und Prägnanz der Pflichtangabe nichts beitragen. Dies korrespondiert mit Erwägungsgrund 39 Verbraucherkreditrichtlinie, nach dem die Berechnung der … geschuldeten Entschädigung … transparent und für den Verbraucher verständlich sein soll. Im Hinblick auf eine hinreichende Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Berechnungsmethode genügt es, wenn der Darlehensgeber die für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlichen Parameter in groben Zügen benennt. Auch ohne Angabe eines Pauschalbetrages reicht die Wiedergabe der gesetzlichen Kappungsgrenze des § 502 Abs. 1 Satz 2 BGB in der bis zum 20. März 2016 geltenden Fassung (jetzt: § 502 Abs. 3 BGB) aus, um dem Verbraucher eine zuverlässige Abschätzung seiner finanziellen Belastung im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 11.02.2020, XI ZR 648/18, Randziffer 18 – nach juris). Die Darstellung von finanzmathematischen Formeln zur Berechnung der Höhe der Entschädigung hätte angesichts ihrer Komplexität auch für einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher, auf den abzustellen ist, keinen Informationsmehrwert. Instanzgerichte müssen sich bei Streitfragen betreffend die Ermittlung von Vorfälligkeitsentschädigungen grundsätzlich durch einen Sachverständigen beraten lassen. Eine einfache, für den verständigen Verbraucher nachvollziehbare finanzmathematische Formel zur Berechnung der Entschädigungshöhe gibt es nicht (BGH, Beschluss vom 11.02.2020, XI ZR 648/18, Randziffer 19 – nach juris).
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4. Die Komplexität der Bestimmung einer Vorfälligkeitsentschädigung im Hinblick auf der darlehensgebenden Bank entgangene (abzuzinsende) Zinsansprüche usw. erfordert zum wirklich vollkommenen Verständnis fast ein mehrjähriges (finanz) mathematisches Studium. Dass der Gesetzgeber von § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB bei „unzureichenden Angaben über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung“ nicht gemeint haben kann, es müsse die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung im Detail aufgelistet sein, liegt daher auf der Hand. Darüber hinaus sind die rechtlichen Aspekte dieser Angaben unter dem Blickwinkel zu sehen, dass deren vollständiges Verständnis zumindest den erfolgreichen Besuch eines entsprechenden juristischen Seminars erfordern würde. Auch dies war sicher nicht die Vorstellung des Gesetzgebers.
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5. Unter diesen Aspekten begegnet die Belehrung der Klägerin über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung auf den Seiten 6 und 7 des Darlehensvertragsformulars (siehe Geheft Klägeranlagen) keinen Bedenken:
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a) Auch für einen durchschnittlichen Verbraucher ist klar, dass die Bank ihre Zinserwartung zeitlich begrenzen muss bis zum Ende der Laufzeit bzw. bis zum Ende der Zinsbindung je nachdem, welcher Fall früher eintritt. Mit Letzterem ist, auch für einen Verbraucher verständlich, der Zeitraum der rechtlich geschützten Zinserwartung gemeint. Im Übrigen lässt sich dies aus dem ESIS-Merkblatt, dort unter Ziffer 8, Seiten 9 und 10 von 15 (vgl. Geheft Klägeranlagen), entnehmen.
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b) Falsch bzw. unvollständig ist demgegenüber die Darstellung der Klägerin, mit dem Ende der berechtigten Zinserwartung sei entweder der Tag der Tilgung des Darlehens oder der Zeitpunkt gemeint, zu dem der Verbraucher das Darlehen frühestens ordentlich kündigen könne. Letzteres kann er bei Vorliegen eines berechtigten Interesses zumindest wirtschaftlich grundsätzlich immer (§ 500 Abs. 2 Satz 2 BGB a. F.). Außerdem hat die Klägerin nicht die denkbare außerordentliche Kündigung sowohl des Darlehensgebers als auch des Darlehensnehmers im Auge. Es gibt derartig viele denkbare Möglichkeiten vorzeitiger Beendigung einer Zinsbindung, dass die genaue Darstellung zur vollständigen Aufklärung über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung jeden Rahmen sprengen würde.
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c) Die von der Klägerin herangezogene Entscheidung des BGH vom 07.11.2000 (XI ZR 27/00, WM 2021, 20) trägt zur Frage des Umfangs der Erläuterungen zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung gar nichts bei, weil es dort nur um die tatsächliche Berechnung und nicht um die entsprechenden Informationen hierüber ging. Wie oben unter Ziffern II 3 und II 4 dargelegt, sind aber nur die wesentlichen Parameter in groben Zügen darzustellen. Einer Klarstellung über die Berücksichtigung annuitätischer Tilgung sowie der Benennung der Informationen zur fiktiven Wiederanlage bedarf es daher nicht. Ersparte Risikovorsorge- und Verwaltungskosten können schon deshalb nicht benannt werden, weil sie erst zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung errechenbar sind, der aber bei Vertragsabschluss logischerweise noch nicht bekannt ist.
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d) Der Verweis der Klägerin auf die sogenannte Negativverzinsung in der Vergangenheit ist zwar für sich genommen richtig, trifft aber den vorliegenden Fall (zunächst) nicht: Hier hatte die Klägerin einen Sollzinssatz in Höhe von positiven 2,360% pro Jahr zu zahlen. Damit ist die Aufzinsung hier eine Nennbetragsvermehrung der heutigen Zahlung.
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Auch der (folgende) Satz der Abzinsung als Umkehrung der Aufzinsung ist richtig und nicht irreführend. Die Klägerin hat in ihrer Argumentation diesen Satz jedoch vorbehaltlos in einen Zusammenhang mit dem vorangegangenen Satz gesetzt. Damit hat sie sich jedoch der Erkenntnis eines aufmerksam lesenden Verbrauchers verschlossen, der aus dem Folgeabsatz entnehmen kann, dass der hier gemeinte Abzinsungszinssatz ein anderer ist als der vertraglich vereinbarte Sollzinssatz (was dann logischerweise auch für den „Aufzinsungssatz“ gelten muss).
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e) Auch die Erläuterungen zu den Renditen von Null-Kupon-Anleihen sind in diesem Zusammenhang ausreichend: Der verständige Verbraucher kann nämlich daraus entnehmen, dass Zinssatz etwas anderes sein muss als Rendite. Im Übrigen: Hätte die Beklagte diese Erläuterungen nicht im Vertragsformular abgedruckt, hätte sich die Klägerin mit Bestimmtheit über diese fehlenden Erläuterungen in ihrer Klage beschwert. Wie diese finanzmathematisch komplizierten Herleitungen für einen finanzmathematischen und juristischen Laien einfacher erläutert werden sollen, erklärt die Klägerin darüber hinaus ebenfalls nicht. Wie die Klägerin selbst feststellt: Je umfangreicher die Information zur Festlegung der Vorfälligkeitsentschädigung ist, um so komplizierter ist sie. Die Beklagte befindet sich damit in einem Informationsdilemma, in dessen Rahmen ihr ein gewisser Ermessensspielraum zugestanden werden muss. Andernfalls käme privater Neubau mangels Zurverfügungsstellung von Fremdkapital in Deutschland zum Erliegen.
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f) Falsch ist die Rüge der Klägerin, eine Information zu Kündigungsrechten fehle. Diese finden sich nämlich unter Ziffer 8 auf Seiten 9 und 10 von 15 des ESIS-Merkblatts (vgl. Geheft Klägeranlagen). Von einem verständigen Verbraucher muss erwartet werden, dass er den Darlehensvertrag schon vollständig liest und dazu gehört aus gutem Grund das ESIS-Merkblatt.
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g) Im Übrigen widerspricht sich die Klägerin selbst: Einerseits rügt sie die Unverständlichkeit der Information auch und ganz wesentlich wegen deren Umfangs um andererseits das Vorliegen unzureichender Informationen zu rügen im Sinne von „es hätte etwas mehr sein müssen“.
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h) Der Hinweis auf eine angemessene Vergütung des Verwaltungsaufwands bei vorzeitiger Abwicklung des Immobiliendarlehensvertrages (nicht für die Bekanntgabe der Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung!) ist nicht fehlerhaft. Allein die gesetzliche verpflichtende Auskunft über die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung besagt nichts über eine Vergütungspflicht des Verwaltungsaufwands der Beklagten im Rahmen vorzeitiger Abwicklung des Darlehensvertrags.
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Der BGH hat im Rahmen des Abschlusses eines Darlehensvertrages entschieden, dass ein laufzeitunabhängiges Bearbeitungsentgelt nicht verlangt werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.2014, XI ZR 405/12, WM 2014, 1224, 1231, Randziffer 63; Urteil vom 08.11.2016, XI ZR 552/15, WM 2017, 87, 90, Randziffer 31; Urteil vom 04.07.2017, XI ZR 562/15, WM 2017, 1643, 1646, Randziffer 37; Urteil vom 13.03.2018, XI ZR 291/16, WM 2018, 1046, 1048, Randziffer 28; Urteil vom 19.02.2019, XI ZR 562/17, WM 2019, 678, 680, Randziffer 26). Im Umkehrschluss ist daher ein laufzeitabhängiges Bearbeitungsentgelt zulässig.
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Hier geht es jedoch um eine Entschädigung nach Schadensgrundsätzen (vgl. Grüneberg-Weidenkaff, 82. Auflage, § 502, Randziffer 3) bei Beendigung eines Darlehensvertrages. Diese ist zwar zwingend immer laufzeitunabhängig, aber eben deshalb, weil es eine solche gar nicht (mehr) gibt, denn das Darlehen soll ja gerade vorzeitig abgelöst werden. Der Senat hat gegenüber einer derartigen Geltendmachung keine Bedenken. Eine Unangemessenheit einer solchen vertraglichen Vereinbarung nach § 307 BGB sieht der Senat nicht, sodass der diesbezügliche Entgeltanspruch durch die §§ 249 ff. BGB gedeckt wäre. Soweit einzelne Gerichte (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 07.07.2022, 2 U 43/21, WM 2022, 1829, 1832, Randziffer 66; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 14.12.2022, 17 U 132/21, NJW 2023, 851, 852, Randziffer 37) und Literatur (vgl. Beck-Online-Großkommentar, Stand: 15.01.2023, § 502 Randziffer 52; Münchener Kommentar-Weber, 9. Auflage. § 493 BGB, Randziffer 19) anderer Ansicht sein sollten, teilt der Senat diese Ansicht für den hier konkreten Sachverhalt nicht. Im Übrigen liegt ein Fall der Divergenz nicht vor, da die Sachverhalte der Oberlandesgerichte Schleswig (auch die Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung ist eine Art Saldenbestätigung) und Frankfurt a. M. (Erstellung der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unmittelbar und ausdrücklich bepreist) anders gelagert waren.
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i) Es erschließt sich dem Senat die Ansicht der Klägerin nicht, dass die vorzeitige Rückzahlung eines Restdarlehensrückzahlungsanspruchs keinen Zahlungsstrom darstellen soll.
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j) Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin einen Anspruch auf Auswechslung des das Darlehen sichernden Objektes hatte.
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Hierauf brauchte sich die Beklagte nicht einzulassen, weil eine solche Anfrage nur Sinn hat, wenn die bei der Klägerin vorhandenen Unterlagen über das neue sichernde Objekt gleichzeitig mit der Anfrage vorgelegt werden. Ferner bietet die Klägerin außer für den Eingang einer entsprechenden Anfrage bei der Beklagten per E-Mail keinerlei zulässigen Beweis für den weiteren Fortgang an, insbesondere zu der Frage, inwiefern die Beklagte treuwidrig einen Objektwechsel ohne Abschluss eines neuen Darlehensvertrages verhindert hätte. Für ihre eigene Einvernahme fehlt die Zustimmung der Beklagten (§ 447 ZPO).
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Außerdem kann der Senat selbst beurteilen, dass das angebotene Objekt nicht vergleichbar zum bisherigen Sicherungsobjekt war, was sich bereits aus der erheblichen Differenz von Verkaufspreis (nach Klägervortrag € 520.000,00) und Kaufpreis (nach Klägervortrag: € 387.500,00) ergibt. Ferner muss berücksichtigt werden, dass beim Sicherungsbedürfnis der Beklagten nicht nur die offene Darlehensvaluta (nach Klägervortrag: € 277.000,00) berücksichtigt werden muss, sondern auch die damit verbundene Zinslast (Restlaufzeit allein der Sollzinsbindung Mitte 2021: mehr als 30 Jahre), was überschlagsmäßig ein Gesamtsicherungsbedürfnis von (€ 277.000,00 + (€ 277.000,00 x 30 x 0,0236)) x 1,2 = € 567.739,20 ergäbe (eine Abzinsung auf Mitte 2021 ist nach Ansicht des Senats im vorliegenden Fall nicht zulässig, da im schlimmsten (Sicherungs-) Fall die Klägerin über diesen Zeitraum gar nichts getilgt und keine Zinsen bezahlt hätte, sodass Ende 2051 Verbindlichkeiten in Höhe von mehr als € 550.000,00 aufgelaufen wären bei Kündigung des Darlehensvertrags erst zum Schluss der vereinbarten Laufzeit, da dann die gesamten Zinsen aufgelaufen wären).
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k) Die Einwände der Klägerin hiergegen greifen nach Ansicht des Senats nicht:
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§ 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB hilft schon deshalb nicht weiter, da, notleidender Kredit im Hinblick auf die Sicherheit unterstellt, diese Vorschrift nicht verhindert, dass für den Fall nicht sofortiger vollständiger Tilgung Zinsen weiterhin anfallen (zumal in diesem Fall die Kündigung als nicht erfolgt gölte: § 489 Abs. 3 BGB!). Und Verzugszinsen für Immobiliardarlehen bewegen sich zwischenzeitlich (und damit musste man schon in der Vergangenheit rechnen) im Bereich von mehr als 5,5% (also mehr als doppelt so hoch wie der vertragliche Zinssatz).
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Im Übrigen geht die Klägerin bei ihren ganzen rechnerischen Überlegungen hierzu vom Fall ordnungsgemäßer Tilgung aus. Genau dafür wird die Sicherheit jedoch nicht benötigt. Für die Frage der Austauschbarkeit eines Sicherungsobjekts muss immer der Fall des notleidenden Darlehens betrachtet werden.
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Und wieso die Beklagte bei Austausch des Sicherungsobjektes günstiger gestanden haben sollte, wenn das bisherige Objekt durch die Klägerin für € 520.000,00 verkauft worden sein soll (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 03.02.2004, XI ZR 398/02, WM 2004, 780, 781, Ziffer II 2 a), entzieht sich angesichts des Werts der angebotenen neuen Sicherheit in Höhe von € 387.500,00 den Erkenntnismöglichkeiten des Senats.
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l) Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Fragen der Verständlichkeit eines Vertrages bzw. dessen Auslegung kommt als jeweils ureigenste Aufgabe eines Gerichts nicht in Betracht. Betreffend die Einvernahme des Klägervertreters bleibt unklar, über welche spezielle Sachkunde dieser verfügen sollte.
III.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen und dieses Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
41
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO kam eine Zulassung der Revision nicht in Betracht.