Titel:
Abschalteinrichtung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Gerichtshof der Europäischen Union, Vorabentscheidungsersuchen, Aussetzung des Verfahrens, Sittenwidrigkeit, Behördliche Vorschriften, Verwaltungsgerichte, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Schlussanträge des Generalanwaltes, Streitwert, Kosten des Berufungsverfahrens, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Effektiver Rechtsschutz, Vorlageverfahren, Substantiierung, Konkrete Gefahr, mündlich Verhandlung, Beschlüsse
Schlagworte:
Berufung, Aussicht auf Erfolg, Substantiierung, Verspäteter Vortrag, Mündliche Verhandlung
Vorinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 13.12.2022 – 7 U 38/22
LG Aschaffenburg vom 11.07.2022 – 31 O 435/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 30.09.2025 – VIa ZR 354/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 57482
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 11.07.2022, Az.: 31 O 435/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Aschaffenburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 43.468,61 € festgesetzt.
Gründe
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 11.07.2022, Aktenzeichen 31 O 435/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 13.12.2022 Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Erklärung vom 10.02.2023 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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1. Der Senat sieht unbeschadet der in der Erklärung vom angeführten Gerichtsentscheidungen keinen Anlass, das vorliegende Verfahren gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) in dem dort anhängigen Verfahren C-100/21 auszusetzen. Die dem Gerichtshof vom Landgericht Ravensburg vorgelegten Fragen sind im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich, sodass das beim Gerichtshof anhängige Vorlageverfahren nicht vorgreiflich ist.
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Es entspricht der – für den Senat verbindlichen – höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die von der Klagepartei genannten Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind. Soweit der Generalanwalt S.. in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:ECLI:EU:C:2022:420) eine abweichende Ansicht vertritt, ist diese zum jetzigen Zeitpunkt weder für die deutschen Gerichte noch für den Gerichtshof der Europäischen Union rechtsverbindlich. Vielmehr erteilt der EuGH von sich aus den Hinweis: „Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin oder des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet“.
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Auch die Würdigung der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 104/2022 vom 01.07.2022 zum Verfahren VIa ZR 335/21 führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach sollen den Gerichten und den Berufungsgerichten, die nach Veröffentlichung der Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Rechtssache nunmehr auch aus Gründen der Gewähr effektiven Rechtsschutzes die vor ihnen eröffnete Tatsacheninstanz nicht schließen, sondern die Entscheidung des Gerichtshofs abwarten werden (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2022 – 4 W 4/22, juris Rn. 42 ff.), durch die auf den 21.11.2022 terminierte mündliche Verhandlung in der Sache (Az. VIa ZR 335/21) so bald als möglich im Anschluss an eine Entscheidung des Gerichtshofs höchstrichterliche Leitlinien an die Hand gegeben werden. Diese Mitteilung durch die Pressestelle des BGH signalisiert, dass der Bundesgerichtshof gewillt ist, das genannte Verfahren noch im Jahr 2022 zu verhandeln, und dabei davon ausgeht, dass in der Zwischenzeit eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorliege.
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2. In Bezug auf den Vortrag des Klägers zu rechtskräftigen Betrugsstrafen für Mitarbeiter der Beklagten hat der Senat bereits im Beschluss vom 13.12.2022 darauf hingewiesen, dass der entsprechende Vortrag verspätet ist. Im Übrigen ergibt sich auch aus den im Schriftsatz vom 10.02.2023 zitierten Strafbefehlen nicht, dass die erwähnte Strategie „A“ im Fahrzeug des Klägers verbaut ist. Insoweit genügt auch der erneute Vortrag, unabhängig von der Frage der Verspätung, nicht den Anforderungen ausreichender Substantiierung.
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3. Soweit der Kläger Ausführungen zum vorsätzlichen Handeln der Beklagten unter Bezugnahme auf eine Veröffentlichung von Dokumenten durch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) am 17.11.2022 macht, ist dieser Vortrag schon nicht ausreichend substantiiert. Darüber hinaus wäre fraglich, ob von eventuellen Äußerungen seitens B. auf einen Vorsatz der Beklagten geschlossen werden könnte. Aus den vom Kläger angeführten Zitaten (“Produktparameter (…) Auswirkungen auf (…) die Einhaltung behördlicher Vorschriften haben können.“ sowie „Auswirkungen auf die Einhaltung behördlicher Vorschriften (…) haben kann.“) ergibt sich dies jedenfalls nicht.
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4. Soweit der Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 08.11.2022, Rechtssache C-873/19, geltend macht, der Gerichtshof habe hier klargestellt, dass ein Thermofenster – wie es die Beklagte unbestritten in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut habe – eindeutig eine unzulässige Abschalteinrichtung sei, trifft dies so nicht zu. Der Gerichtshof hat vielmehr in diesem Verfahren, betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht mit Entscheidung vom 20. November 2019, Ausführungen dazu gemacht, unter welchen Voraussetzungen eine Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 zulässig ist.
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In Rdnr. 95 der Entscheidung heißt es insoweit: „Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung nur dann nach dieser Bestimmung zulässig sein kann, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Außerdem ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung, wenn zum Zeitpunkt der EG Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann.“ (vgl. EuGH, Urteil vom 08.11.2022, C-873/19, Celex-Nr. 62019CJ0873). Eine Änderung ergibt sich durch das genannte Urteil für den vorliegenden Fall aber bereits deshalb nicht, weil der Senat hat in seinem Hinweis vom 29.12.2022 gerade unterstellt hat, dass vorliegend das Thermofenster als eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung Nr. 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. S. 4 des Beschlusses). Der Senat hat aber weiter darauf hingewiesen, dass für die Annahme einer Sittenwidrigkeit weitere Umstände hinzukommen müssten. Diesbezüglich enthält die Erklärung nichts.
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5. Im Beschluss vom 13.12.2022 hat sich der Senat bereits unter Ziff. 3 mit einem möglichen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FG, Art. 5 VO 715/2007/EG oder Art. 12, 18 RL Nr. 2007/46/EG auseinandergesetzt. Der Vorwurf im Schriftsatz vom 10.02.2023 unter Ziff. VI. trifft daher nicht zu. Auf die Ausführungen im Beschluss vom 13.12.2022, S. 8 f. wird verwiesen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Generalanwalt S.. im Ergebnis zwar angenommen hat, dass das Unionsrecht auch die Interessen eines Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, schütze. Er hat diese Rechtsfolge jedoch von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, insbesondere, dass die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste (Rn. 48 der Schlussanträge). Es ist demnach erforderlich, dass der Genehmigungsbehörde die unzulässige Abschalteinrichtung nicht bekannt war, und dass diese Unkenntnis auf einer Täuschung der Genehmigungsbehörde beruht (vgl. OLG München, Beschluss vom 14.06.2022, 36 U 141/22). Für einen derartigen Sachverhalt ist aber, wie im Hinweisbeschluss vom 13.12.2022 ausgeführt, vorliegend nichts ersichtlich.
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6. Zu dem im Schriftsatz vom 10.02.2023 zitierten Beschluss des BGH vom 21. September 2022 – VII ZR 767/21 ist anzumerken, dass dort ein konkreter Vortrag in Bezug auf die im Fahrzeug verbaute Software zur Prüfstandserkennung gegeben war (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2022 – VII ZR 767/21 –, juris, Rdnr. 15). Ein derartiger Vortrag fehlt im verfahrensgegenständlichen Fall, worauf schon zutreffend im Ersturteil, S. 9 ff. hingewiesen wurde.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
15
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung der §§ 47 Abs. 1 i.V.m. 48 Abs. 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO bestimmt.