Titel:
Aussetzung des Verfahrens, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nutzungsentschädigung, Kosten des Berufungsverfahrens, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorabentscheidungsersuchen, Klagepartei, Schlussanträge des Generalanwaltes, Verfahrensverzögerung, Verfahrensaussetzung, Abschalteinrichtung, Kostenentscheidung, Rechtsmittel, Sicherheitsleistung, Zug-um-Zug, Abänderung, Landgerichte, Streitwert, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Deliktsrecht
Schlagworte:
Dieselmotor-Haftung, Schadensersatzklage, Berufungsverfahren, Herstellerhaftung, Rückabwicklung Kaufvertrag
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth vom 22.12.2021 – 16 O 2197/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2025 – VIa ZR 260/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 57102
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.12.2021, Aktenzeichen 16 O 2197/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 62.537,63 € festgesetzt.
Gründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage der Haftung der Beklagten als Herstellerin eines Dieselmotors wegen der behaupteten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung.
2
Die Klagepartei nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr mit verbindlicher Bestellung vom 10.10.2012 als Neuwagen von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Händler erworbenen Pkw Audi A6 Limousine 3.0 TDI quattro (150 kW) in Anspruch. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 3.0-Liter-V6-Turbodieselmotor des Typs EA896Gen2 ausgestattet. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse EU5 erteilt.
3
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.12.2021 Bezug genommen.
4
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 70.607,00 EUR Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 8.069,37 EUR, Feststellung des Annahmeverzugs hinsichtlich der Rücknahme des Fahrzeugs sowie Freistellung von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.697,02 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen.
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Hinsichtlich der Antragstellung erster Instanz wird auf den Tatbestand und hinsichtlich der Begründung des Ersturteils auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie auf die zusammenfassende Darstellung unter Ziffer I. des Hinweises des Senats vom 31.01.2023 Bezug genommen.
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Die Klagepartei verfolgt ihre erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche im Wege der Berufung weiter. Hinsichtlich des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 28.03.2022 sowie auf die zusammenfassende Darstellung unter Ziffer I. des Hinweises des Senats vom 31.01.2023 Bezug genommen.
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Im Berufungsverfahren beantragt die Klagepartei:
1. Unter Abänderung des am 22.12.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az. 16 O 2197/21, die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi A6 3.0 TDI mit der Fahrgestellnummer … an die Klagepartei 70.607,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 20.02.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.069,37 Euro zu zahlen.
2. Unter Abänderung des am 22.12.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az. 16 O 2197/21, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes H. in Höhe von 2.697,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der Berufungserwiderung der Beklagten wird auf deren Schriftsatz vom 15.08.2022 Bezug genommen.
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Der Senat hat mit Hinweis vom 31.01.2023 begründet, warum er beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.
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Eine Gegenerklärung der Klagepartei ist fristgemäß mit Schriftsatz vom 15.02.2023 eingegangen.
11
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22.12.2021, Aktenzeichen 16 O 2197/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
13
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
14
Der Senat sieht sich zu einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV bzw. einer Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 nicht veranlasst. Es handelt sich vorliegend nicht um eine Rechtssache, die die Zulassung der Revision rechtfertigen würde.
15
Weder die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 01.07.2022 (Nr. 104/2022) noch die Schlussanträge des Generalanwalts R. in der Rechtssache C-100/21 vom 02.06.2022 haben eine Bindungswirkung. Die im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens erforderliche Abwägung zwischen einerseits den Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens (vgl. BGH NJW-RR 1992, 1149 (1150); OLG München BeckRS 2022, 23404; OLG Bamberg BeckRS 2022, 23415; Zöller/Greger, 34. Aufl. 2022, § 148 ZPO, Rn. 7; vgl. auch Skamel, NJW 2015, 2460 (2463); BeckOK ZPO/Wendtland, 47. Ed. 1.12.2022, § 148 ZPO, Rn. 13) und andererseits der mit der Aussetzung eintretenden Verfahrensverzögerung führt zu dem Ergebnis, dass eine Verfahrensaussetzung unterbleibt.
16
Der Senat versteht die Pressemitteilung vom 01.07.2022 lediglich dahingehend, dass der Bundesgerichtshof nur vorsorglich einen Termin bestimmt hat, um sich gegebenenfalls zeitnah mit einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 befassen zu können. Dem kann nach Auffassung des Senats aber jedenfalls nicht entnommen werden, dass der Bundesgerichtshof nunmehr davon ausginge, dass im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwalts in Deutschland keine Situation des „acte clair“ mehr vorläge.
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Die Voraussetzungen für die Einordnung einer Norm als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ergeben sich allein aus deutschem Recht und sind dort aus der Gesamtsystematik des Deliktsrechts zu entwickeln. Der EuGH kann im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nur die Zwecksetzung und Schutzrichtung einer unionsrechtlichen Norm bindend ermitteln. Für die Auslegung mitgliedstaatlichen Rechts ist er nicht zuständig (vgl. OLG München, Urteil vom 05.09.2022 – 28 U 1587/22, BeckRS 2022, 23404). Soweit Generalanwalt R. eine drittschützende Zielrichtung der Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46 Rahmenrichtlinie hinsichtlich des Interesses des Erwerbers, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, annimmt, steht dies der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2018 – C-668/16 –, juris Rz. 87) und des BGH zu den deutschen Umsetzungsvorschriften der EG-FGV (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179) entgegen. Hiernach besteht der Zweck der Übereinstimmungsbescheinigung nur darin, das Zulassungsverfahren zu erleichtern.
18
Nicht einmal Generalanwalt R. behauptet, dass die unionsrechtlichen Normen konkret die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Fahrzeugerwerber vor unerwünschten Kaufverträgen schützen. Gerade dies wäre aber erforderlich, um die deliktsrechtliche Haftung für Vermögensschäden nach deutschem Recht zu begründen. Auch der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verpflichtet deutsche Gerichte nicht zur Durchbrechung der zentralen Wertungen des deutschen Haftungsrechts, insbesondere nicht zur Einführung einer unmittelbaren Herstellerhaftung für fahrlässig herbeigeführte unerwünschte Vertragsschlüsse (Riehm, ZIP 2022, 2309, 2320). Konsequenterweise hat auch der BGH nach den Schlussanträgen des Generalanwalts R. in seinem Urteil vom 13.06.2022, VIa ZR 680/21 an seiner diesbezüglichen Rechtsprechung festgehalten.
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Soweit Generalanwalt R. in Rn. 55 der Schlussanträge zur Verwirklichung des Schutzes der Bürger wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen im nationalen Schadensersatzrecht als erforderlich ansieht, so sieht diese das deutsche Recht bereits vor. Hiernach bestehen – zum Teil verschuldensunabhängige – wirksame und abschreckende kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer innerhalb der zweijährigen Gewährleistungsfrist. Der Fahrzeughersteller unterliegt bereits in diesem Zeitraum im Rahmen der Gewährleistung gemäß § 445a BGB dem Rückgriff des Händlers (vgl. OLG München, Beschluss vom 01.07.2022 – 8 U 1671/22, Rn. 35, 36 bei juris).
20
Zudem fehlt es vorliegend an einer auch von Generalanwalt R. als erforderlich angesehenen Voraussetzung für die von ihm angenommene drittschützende Wirkung. Aus Rn. 48 der Schlussanträge ergibt sich, dass diese Rechtsfolge nur eintreten würde, wenn die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste. Eine Täuschung der Genehmigungsbehörde steht aber vorliegend gerade nicht fest.
21
Aufgrund der Eindeutigkeit der Rechtslage stellt sich keine entscheidungserhebliche, der einheitlichen Auslegung bedürfende Frage des Unionsrechts, die (anderenfalls) ein Vorabentscheidungsersuchen im Sinne des Art. 267 AEUV erforderlich mache (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 72 ff., 77 bei juris). Andere Senate haben sich der Beurteilung des 6. Zivilsenats in der Folge angeschlossen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 14. Februar 2022 – VIa ZR 204/21, juris; Beschluss vom 24. November 2021 – VII ZR 217/21, Rn. 1 ff bei juris).
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
23
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10 S. 2, 711 ZPO.
24
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der § 3 ZPO, §§ 47, 48 GKG bestimmt.