Inhalt

LG München I, Endurteil v. 01.03.2023 – 8 HK O 2572/22
Titel:

Ermittlung des Auseinandersetzungsguthabens, Jahresabschluß, Gesellschafterbeschluss, Gesellschaftsvertrag, Übertragung des Kommanditanteils, Rechtliches Interesse, ausgeschiedener Kommanditist, Verlustübernahme, Einsichtsrecht, Gesellschaftsunterlagen, Schriftliche Abstimmung, Kapitalkonto, Beschlussgegenstand, Elektronisches Dokument, Verjährungsfrist, Auskunftsanspruch, Einsichtnahme, Abfindungsanspruch, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Gesonderte und einheitliche Feststellung

Schlagworte:
Aktivlegitimation, Nachlassinsolvenz, Auseinandersetzungsguthaben, Einsichtsrecht, Auskunftsanspruch, Verjährung, Verwirkung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 06.08.2025 – 7 U 1479/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 57065

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Einsicht in die Gesellschaftsunterlagen zu gewähren, soweit sie Gesellschafterbeschlüsse seit dem 27.11.2009 enthalten, die einen oder mehrere der folgenden Beschlussgegenstände betreffen: (i) die Feststellung der Jahresabschlüsse der Beklagten oder (ii) die Verwendung des Jahresergebnisses der Beklagten. Dies gilt nicht für die folgenden Unterlagen, die dem Kläger schon vorliegen:
1.1 Schreiben der Beklagten vom 28.08.2015 (Betreff: … berichtigte Jahresabschlüsse 2010, 2011, 2012, 2013; Jahresabschluss 2014; Schriftliche Abstimmung;
1.2 Stimmabgaben von … für … von … und von … „Schriftliches Abstimmungsverfahren … betreffend die Jahresabschlüsse 2010, 2011, 2012, 2013, 2014;
1.3 Schreiben der Beklagten vom 05.10.2015 (Betreff: … berichtigte Jahresabschlüsse 2010, 2011, 2012 und 2013; Jahresabschluss 2014; Ergebnis der schriftlichen Abstimmung;
1.4 Schreiben der Beklagten vom 15.03.2016 (Betreff: … Jahresabschluss 2015; Schriftliche Abstimmung;
1.5 Schreiben der Beklagten vom 21.04.2016 (Betreff: … Jahresabschluss 2015; Schriftliche Abstimmung.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über die folgenden Angelegenheiten der Gesellschaft zu erteilen:
2.1 sofern nicht bereits nach Ziffer 1 Einsicht zu gewähren ist: Beschlussdatum und Beschlussinhalt aller Gesellschafterbeschlüsse bei der Beklagten seit dem 27.11.2009, die einen oder mehrere der folgenden Beschlussgegenstände betreffen: (i) die Feststellung der Jahresabschlüsse der Beklagten oder (ii) die Verwendung des Jahresergebnisses der Beklagten;
2.2 Informationen zum Hintergrund und zur Berechnung der auf S. 5/6 der Berechnung des Finanzamts … über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15 a Abs. 4 EStG für das Geschäftsjahr 2012 für den Kommanditisten … bezeichneten Position „handelsrechtliche Entnahmen“ in Höhe von 824.537,60 €;
2.3 Informationen über die im Jahresabschluss zum 31.12.2009 ausgewiesenen „Aufwendungen aus Verlustübernahme“ in Höhe von 534.706,59 €;
2.4 Informationen darüber, wieso trotz Vorhandenseins eines ausweislich der letzten im elektronischen Bundesanzeiger abrufbaren Bilanz der Beklagten zum 31.12.2019 bestehenden nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Verlustanteils von Kommanditisten in Höhe von 2.920.323,56 € kein Insolvenzantrag über das Vermögen der Beklagten gestellt wurde.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 14.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Einsichts- und Auskunftsansprüche geltend.
2
Durch Beschluss des Amtsgerichts … vom 10.05.2019 (Anlage K 5) wurde über den Nachlass des am 23.10.2016 verstorbenen Herrn … das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Gleichzeitig wurde der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
3
… war Kommanditist bei der Beklagten. Den Kommanditanteil mit einem Nominalbetrag von 400.000,00 € hatte jedenfalls ab dem 27.11.2009 der Sohn des … – … – gehalten. Dieser übertrug seinen Kommanditanteil mit der als Anlage K 3 vorgelegten Übertragungserklärung auf seinen Vater. Der Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten erklärte mit Schreiben vom 05.08.2020, er stimme der bisher schwebend unwirksamen Anteilsübertragung des Kommanditisten … an seinen Vater … vom 15.04.2015 zu. … sei damit ab diesem Tag Kommanditist der Beklagten geworden. Wegen des Wortlauts des Schreibens vom 05.08.2020 wird auf die K 4 verwiesen. Dennoch blieb … im Handelsregister als Kommanditist eingetragen (Anlage K 1).
4
Mit Schreiben vom 16.07.2019 (Anlage K 9) informierte der Kläger die Komplementärin der Beklagten über den Tod des … und darüber, dass dieser vom Land Baden-Württemberg beerbt wurde.
5
Die Beklagte reagierte mit Schreiben vom 16.09.2019 (Anlage K 10), in dem unter Hinweis auf § 25 Abs. 2 d des Gesellschaftsvertrags der Beklagten mitgeteilt wurde, es sei beabsichtigt, die Ausschließung des Herrn … bzw seines Erben aus der Gesellschaft zu beschließen. Das Kapitalkonto habe einen negativen Saldo in Höhe von 386.239,80 € per 31.12.2017. In 2018 habe sich dieser Stand nur unwesentlich verändert, da die Gesellschaft aktuell ruhe. Ein Auseinandersetzungsguthaben bestehe daher nicht.
6
Wegen des Wortlauts des Gesellschaftsvertrags wird auf die Anlage K 2 Bezug genommen.
7
Mit Schreiben vom 05.08.2020 (Anlage K 4) teilte die Beklagte mit, sie gehe nunmehr davon aus, dass Herr … aufgrund der Regelung im Gesellschaftsvertrag automatisch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Gesellschaft ausgeschieden sei.
8
In der Zeit vom 08.10.2019 bis zum 02.06.2021 verlangte der Kläger immer wieder von der Beklagten Auskunft und Einsichtnahme in Gesellschaftsunterlagen, ohne alle gewünschten Informationen zu bekommen. Dem Kläger wurde von der Beklagten u.a. mitgeteilt, das Kapitalkonto … sei maßgeblich durch Entnahmen in Höhe von 824.537,60 € geprägt. Außerdem habe die Gesellschaft Gegenforderungen gegen Herrn … in Höhe von 843.800,00 €. Selbst wenn ein Abfindungsanspruch bestehen sollte, wäre dieser aufgrund der bestehenden Gegenansprüche bereits erfüllt. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf das Schreiben vom 08.10.2019 (Anlage K 34) und den als Anlagen K 11 bis K 23 vorgelegten Schriftverkehr Bezug genommen.
9
Die behaupteten Gegenansprüche gegen … wurden von der Beklagten nicht zur Insolvenztabelle angemeldet.
10
Im Juli 2021 wurde ein Beschluss über den Ausschluss des Kommanditanteils … aus der Beklagten gefasst und dem Kläger mit Schreiben vom 26.07.2021 (Anlage B 2) bekanntgegeben.
11
Mit seiner am 21.07.2021 eingereichten Klage verlangt der Kläger, der sich im Besitz der im Klageantrag Ziffer 1 a bis e bezeichneten Unterlagen befindet, Einsicht in Gesellschaftsunterlagen für die Zeit ab 27.11.2009 und Auskunft.
12
Zur Begründung führt er zuletzt aus … sei von Beginn an wirtschaftlicher Eigentümer in Bezug auf die streitgegenständliche Kommanditbeteiligung gewesen. Mit dem Tod des … sei dessen Kommanditanteil in den Nachlass gefallen. Mit Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens sei nach § 25 (2) d des Gesellschaftsvertrags lediglich ein Ausschlussgrund eingetreten. Der Ausschluss sei erst mit dem entsprechenden Beschluss und der Mitteilung des Beschlussergebnisses am 26.07.2021 wirksam geworden. Der mit diesem Ausschluss entstandene Abfindungsanspruch, der auf Grundlage des Jahresabschlusses zum 31.12.2020 zu berechnen sei, falle in die Insolvenzmasse.
13
Es bestünden erhebliche Zweifel, ob die im Nachlass des … befindliche Kommanditbeteiligung zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich wertlos und das Kapitalkonto zu dem für die Abfindung maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich negativ gewesen sei. Die im elektronischen Bundesanzeiger hinterlegten Bilanzen und Jahresabschlüsse der Beklagten, die von 2014 bis einschließlich 2019 nicht durch Vermögenseinlagen gedeckte Fehlbeträge in Höhe von stets weit über 2 Mio € auswiesen (zu den Einzelheiten wird auf die Seite 4 der Klageschrift, Bl. 6 d.A. verwiesen), enthielten eine Vielzahl von Lücken, Unstimmigkeiten und Verstöße gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und seien im Detail für den Kläger nicht nachvollziehbar. Obgleich sie aufeinander aufbauen sollten, wiesen sie zum Teil für die gleichen Stichtage unterschiedliche Beträge aus. So sei im Jahresabschluss zum 31.12.2013 (Bundesanzeiger) noch kein nicht durch Vermögenseinlagen gedeckter Fehlbetrag ausgewiesen, im Jahresabschluss zum 31.122014 (Bundesanzeiger) werde unter der Spalte „Vorjahr“ zum 31.12.2013 jedoch ein nicht durch Vermögenseinalgen gedeckter Fehlbetrag in Höhe von 2.505.183,30 € ausgewiesen. Zugleich habe der Kläger durch eigene Recherchen einen weiteren Jahresabschluss der Beklagten zum 31.12.2013 vorliegen, der einen nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 2.433.103,69 € – also einen nochmals anderen Betrag – ausweise.
14
Die Zahlen im veröffentlichten Jahresabschluss zum 31.12.2009 (Anlage K 6) stimmten nicht überein mit den Zahlen in dem Jahresabschluss zum 31.12.2009, der den Gesellschaftern übermittelt worden sei und dem Kläger vorliege (Anlage K 8).
15
Für die im Jahresabschluss zum 31.12.2009 ausgewiesenen Aufwendungen aus Verlustübernahme (vgl. hierzu Anlage K 29) sei keine Grundlage ersichtlich. Zu wessen Gunsten und auf welcher Rechtsgrundlage diese Verlustübernahme erfolgt sein soll, sei dem Kläger auf Nachfrage nie mitgeteilt worden.
16
Für angeblich im Geschäftsjahr 2012 zugunsten von … bzw … getätigte Entnahmen in Höhe von 824.537,60 € (vgl. Anlage K 30) lägen keinerlei Nachweise vor.
17
Auch woraus die Beklagte herleite, dass trotz der in den Jahresabschlüssen ausgewiesenen nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Fehlbeträge niemals eine Insolvenzantragspflicht bestanden habe, sei dem Kläger auf Nachfrage nicht mitgeteilt worden.
18
Die bisher zur wirtschaftlichen Situation der Beklagten erteilten Auskünfte seien unvollständig und widersprüchlich und als Berechnungsgrundlage für den Abfindungsanspruch untauglich. Wegen weiterer Einzelheiten hierzu wird auf die Seiten 4 ff der Klageschrift (Bl. 4 ff d.A.) und die Seiten 4 ff des Schriftsatzes vom 05.05.2022 (Bl. 71 ff. d.A.) verwiesen.
19
Der Kläger benötige die angefragten Informationen insbesondere, um die Unregelmäßigkeiten in den Jahresabschlüssen bis 2015 aufdecken, die Entwicklung des Kapitalanteils und damit die Höhe der Abfindung ermitteln zu können. Aus diesem Grund stünden ihm ab Bekantgabe des Ausschlusses Einsichts- und Auskunftsrechte nach §§ 810, 242 BGB zu.
20
Daneben habe der Kläger fortwirkende Informationsrechte nach § 166 HGB und § 242 BGB/§§ 161 II, 105 III HGB i.V.m. §§ 713, 666 BGB gegen die Beklagte, denn Informationsansprüche, die als Gesellschafter geltend gemacht worden seien, könnten nach dem Ausscheiden des Gesellschafters weiterverfolgt werden. Nachdem der Kläger diese Rechte gegenüber der Beklagten seit 2019 und damit lange vor dem Ausscheiden aus der Gesellschaft geltend gemacht habe und die Beklagte die Informationserteilung verweigert und keine einzige tragfähige Information erteilt habe, müsse sie diese Informationsansprüche trotz des zwischenzeitlich erfolgten Ausscheidens auch jetzt noch erfüllen. Alles andere würde zu dem untragbaren Ergebnis führen, dass die Beklagte allein durch die jahrelange pflichtwidrige Weigerung, dem Kläger Informationen zu erteilen, gravierende Unregelmäßigkeiten vertuschen und damit dem Kläger nicht nur sein Recht auf Information, sondern auch auf eine faire Abfindungsberechnung folgenlos nehmen könne.
21
Außerdem sei der Kläger auf die begehrten Informationen angewiesen, um ein Mindestmaß an nachwirkenden Gesellschafterrechten ausüben zu können, insbesondere in Bezug auf Ansprüche gegen die Geschäftsführung der Beklagten oder Dritte wegen Insolvenzverschleppung und auf etwaige Schadensersatzansprüche wegen verdeckter Gewinnausschüttungen, Entnahmen etc.
22
Vorsorglich hätten sowohl … als auch das Land Baden-Württemberg den Kläger zur Geltendmachung der streitgegenständlichen Informationsrechte ermächtigt. Hierzu legt der Kläger die Anlagen K 26 und die Anlagen K 33 sowie K 35 vor.
23
Der Kläger beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Einsicht in die Gesellschaftsunterlagen zu gewähren, soweit sie Gesellschafterbeschlüsse seit dem 27.11.2009 enthalten, die einen oder mehrere der folgenden Beschlussgegenstände betreffen: (i) die Feststellung der Jahresabschlüsse der Beklagten oder (ii) die Verwendung des Jahresergebnisses der Beklagten. Dies gilt nicht für die folgenden Unterlagen, die dem Kläger schon vorliegen:
a)
Schreiben der Beklagten vom 28.08.2015 (Betreff: … berichtigte Jahresabschlüsse 2010, 2011, 2012, 2013; Jahresabschluss 2014; Schriftliche Abstimmung;
b)
Stimmabgaben von … für …, von … und von … „Schriftliches Abstimmungsverfahren … betreffend die Jahresabschlüsse 2010, 2011, 2012, 2013, 2014;
c)
Schreiben der Beklagten vom 05.10.2015 (Betreff: … berichtigte Jahresabschlüsse 2010, 2011, 2012 und 2013; Jahresabschluss 2014; Ergebnis der schriftlichen Abstimmung;
d)
Schreiben der Beklagten vom 15.03.2016 (Betreff: … Jahresabschluss 2015; Schriftliche Abstimmung;
e)
Schreiben der Beklagten vom 21.04.2016 (Betreff: … Jahresabschluss 2015; Schriftliche Abstimmung.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über die folgenden Angelegenheiten der Gesellschaft zu erteilen:
a)
sofern nicht bereits nach Ziffer 1 Einsicht zu gewähren ist: Beschlussdatum und Beschlussinhalt aller Gesellschafterbeschlüsse bei der Beklagten seit dem 27.11.2009, die einen oder mehrere der folgenden Beschlussgegenstände betreffen: (i) die Feststellung der Jahresabschlüsse der Beklagten oder (ii) die Verwendung des Jahresergebnisses der Beklagten;
b)
Informationen zum Hintergrund und zur Berechnung der auf S. 5/6 der Berechnung des Finanzamts … über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15 a Abs. 4 EStG für das Geschäftsjahr 2012 für den Kommanditisten … bezeichneten Position „handelsrechtliche Entnahmen“ in Höhe von 824.537,60 €;
c)
Informationen über die im Jahresabschluss zum 31.12.2009 ausgewiesenen „Aufwendungen aus Verlustübernahme“ in Höhe von 534.706,59 €;
d)
Informationen darüber, wieso trotz Vorhandenseins eines ausweislich der letzten im elektronischen Bundesanzeiger abrufbaren Bilanz der Beklagten zum 31.12.2019 bestehenden nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Verlustanteils von Kommanditisten in Höhe von 2.920.323,56 € kein Insolvenzantrag über das Vermögen der Beklagten gestellt wurde.
24
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
25
Sie führt aus, um den Wert eines möglichen Auseinandersetzungsguthabens ermitteln zu können, müsse der Kläger wegen der Regelung in § 26 (1) des Gesellschaftsvertrags lediglich die Buchwerte der Gesellschafterkonten von … kennen. Maßgeblich sei hierfür der Jahresabschluss zum 31.12.2018, denn Herr … sei schon mit Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens über seinen Nachlass am 10.05.2019 aus der Gesellschaft ausgeschieden. Der Wert zum 31.12.2017 werde sich nach Abschluss einer noch immer laufenden Betriebsprüfung durch das Finanzamt … für den Zeitraum 2013 bis 2017 ergeben. Das Kapitalkonto könne dann unproblematisch auf den 31.12.2018 fortgeschrieben werden.
26
Die Informationsrechte aus §§ 166 HGB und 242 BGB stünden dem Kläger nicht mehr zu, da der Kommanditanteil … schon vor Rechtshängigkeit der hiesigen Klage aus der Beklagten ausgeschieden sei.
27
Aufgrund von §§ 810, 242 BGB kämen Informationsansprüche allenfalls in Bezug auf Bücher und Papiere aus der Zeit der Zugehörigkeit des … zur Gesellschaft in Betracht. Keinesfalls könne der Kläger die Beklagte umfassend für einen Zeitraum von über 10 Jahren ausforschen. Im Hinblick auf die verlangte Einsichtnahme betreffend die Zeit vor der Gesellschafterstellung des … wendet die Beklagte ferner Verwirkung und Verjährung ein.
28
Die Klage wurde am 21.07.2021 beim Landgericht Düsseldorf eingereicht und am 22.01.2022 in München zugestellt. Zum Zeitpunkt der Klageeinreichung lagen ausweislich des Handelsregisters Sitz und Geschäftsanschrift der Beklagten in Düsseldorf. Die Verlegung von Sitz und Geschäftsadresse nach München wurde erst am 09.11.2021 im Handelsregister eingetragen. Mit Beschluss vom 18.02.2022 erklärte sich das Landgericht Düsseldorf für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht München I. Die Parteien haben sich am 18.01.2023 mit weiterer Verhandlung und Entscheidung durch die Vorsitzende allein einverstanden erklärt (Bl. 99 d.A.). Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die gerichtlichen Beschlüsse und Verfügungen sowie die Sitzungsprotokolle vom 10.08.2022 (Bl. 81/82 d.A.) und 18.01.2023 (Bl. 97/99 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
29
Die zulässige Klage erweist sich in vollem Umfang als begründet.
30
I. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
31
1. Aufgrund der von der Beklagten unstreitig mit Schreiben vom 05.08.2020 rückwirkend zum 15.05.2015 genehmigten und gemäß § 23 (1) Satz 1 des Gesellschaftsvertrags damit zum 01.01.2016 wirksamen Übertragung des Kommanditanteils war … zum Zeitpunkt seines Versterbens am 23.10.2016 Kommanditist der Beklagten. Gemäß § 177 HGB und § 24 des Gesellschaftsvertrags wurde die Beklagte zwar mit den Erben des … also dem Land Baden-Württemberg – fortgesetzt. Dennoch gehörte der Kommanditanteil zum Nachlass des … und fiel somit in die Nachlassinsolvenzmasse, vgl. BGH, Beschluss vom 10.01.1996, Az. IV ZB 21/91 und BGH, Urteil vom 04.05.1983, Az IV a ZR 229/81.
32
2. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass des … am 10.05.2019 führte nach § 25 (2) d) zweiter Spiegelstrich des Gesellschaftsvertrags nicht automatisch zum Ausscheiden aus der Beklagten. Der Ausschluss erfolgte vielmehr gemäß § 25 (3) des Gesellschaftsvertrags erst mit Beschlussfassung über die Ausschließung und Bekanntgabe an den Kläger, die unstreitig am 26.07.2021 erfolgte.
33
3. Gleichzeitig mit dem Ausschluss des Kommanditanteils … aus der Beklagten am 26.07.2021 entstand gemäß § 26 des Gesellschaftsvertrags dem Grunde nach ein Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben. Dieser Anspruch fiel wiederum in die Insolvenzmasse.
34
4. Da die streitgegenständlichen Informationsrechte nach dem Vorbringen der Ermittlung des Auseinandersetzungsguthabens dienen, ist der Kläger zur Geltendmachung dieser Ansprüche aktivlegitimiert.
35
II. Die Klage ist in Klageantrag Ziffer 1 begründet.
36
Der Kläger hat – in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über den Nachlass des … gemäß § 810 BGB einen Anspruch auf Einsichtnahme in Gesellschaftsunterlagen, soweit sie Gesellschafterbeschlüsse seit dem 27.11.2009 über die Beschlussgegenstände „Feststellung der Jahresabschlüsse der Beklagten“ und „Verwendung des Jahresergebnisses der Beklagten“ betreffen.
37
Zwar ist der Kommanditanteil … seit 26.07.2021 aus der Beklagten ausgeschieden; nach BGH, Urteil vom 17.04.89, Az 258/88 mit Hinweisen auf weitere Senatsurteile hat jedoch auch ein ausgeschiedener Kommanditist „auf der Grundlage der §§ 810, 242 BGB bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses Anspruch darauf, die Bücher und Papiere aus der Zeit seiner Zugehörigkeit zur Gesellschaft einzusehen, insbesondere diejenigen, die für die Berechnung seines Abfindungsguthabens von Bedeutung sind“.
38
1. In Bezug auf ab dem 01.01.2016 gefasste Gesellschafterbeschlüsse der Beklagten, die die Feststellung der Jahresabschlüsse und die Verwendung des Jahresergebnisses betreffen, sind die vom BGH im oben genannten Urteil definierten Voraussetzungen des § 810 BGB erfüllt.
39
a. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der begehrten Einsicht. Ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme besteht, wenn diese zur Förderung, Erhaltung oder Verteidigung einer rechtlich geschützten Position benötigt wird, z.B. weil sich der Berechtigte über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts Gewissheit verschaffen will (Grüneberg, BGB, 81. Auflage, 2022, § 810, Rn. 2).
40
b. Nach § 26 des Gesellschaftsvertrags ist für die Ermittlung des Auseinandersetzungsguthabens zwar ausschließlich der Jahresabschluss des Geschäftsjahres maßgebend, das dem Ausscheiden des Gesellschafters vorausgeht – hier also der Jahresabschluss zum 31.12.2020. Dies bedeutet aber nicht, dass der Kläger lediglich Einsicht in Beschlüsse zur Feststellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2020 begehren kann. Nach der oben zitierten Entscheidung des BGH kann er vielmehr grundsätzlich die Bücher und Papiere aus der Zeit seiner Zugehörigkeit zur Gesellschaft einsehen, sofern diese für die Berechnung seines Abfindungsguthabens von Bedeutung sind.
41
Nachdem der Kläger von der Beklagten die Auskunft erhalten hat, dass es kein positives Auseinandersetzungsguthaben gebe, hat er im vorliegenden Fall aufgrund der vorliegenden Umstände ein rechtliches Interesse daran, die Richtigkeit dieser Auskunft zu überprüfen. Dass der Kläger an der Richtigkeit dieser Auskunft wegen diverser Unstimmigkeiten in den Jahresabschlüssen aus der Zeit ab 2009 aufgrund von diversen konkret dargelegten Umständen berechtigte Zweifel haben kann – insbesondere wegen der von der Beklagten nicht, jedenfalls nicht wirksam bestrittenen voneinander abweichenden Zahlen in ihren jeweiligen Jahresabschlüssen –, hat er umfassend dargelegt. In Bezug auf keinen dieser konkreten zweifelhaften Punkte ergaben die Ausführungen der Beklagten im Vorfeld des hiesigen Rechtsstreits und im Rahmen des Prozesses irgendeine Klarheit mit der Folge, dass das rechtliche Interesse an der begehrten Einsichtnahme zu bejahen ist. Dies gilt nach der oben genannten Entscheidung des BGH jedenfalls in Bezug auf die in der Zeit von 01.01.2016 bis zum 26.07.2021 (= die Zeit der Zugehörigkeit des … zur Beklagten) gefassten Beschlüsse.
42
2. Aus Sicht der Kammer ist das Einsichtsrecht jedoch nicht auf Unterlagen aus der Zeit der Zugehörigkeit des … zur Gesellschaft beschränkt. Maßgeblich für den Umfang des Einsichtsrechts bzw. für das hierfür erforderliche rechtliche Interesse ist vielmehr, welche Unterlagen erforderlich sind, um den Umfang des Auseinandersetzungsguthabens ermitteln zu können. Aufgrund der vom Kläger dargetanen konkreten Anhaltspunkte für zweifelhafte Vorgänge und Unstimmigkeiten in den Jahren ab 2009 kann die Richtigkeit des maßgeblichen Jahresabschlusses und damit der Umfang des Auseinandersetzungsguthabens nur ermittelt werden, wenn diese zweifelhaften Vorgänge anhand der begehrten Einsichtnahme in die Gesellschafterbeschlüsse der Beklagten, die die Feststellung der Jahresabschlüsse und die Verwendung des Jahresergebnisses der Beklagten aus der Zeit ab dem 27.11.2009 betreffen, nachvollzogen werden können.
43
Dies folgt auch aus der Entscheidung des BGH vom 23.02.1961, Az II ZR 102/60, in der der BGH das Prüfungsrecht eines ausgeschiedenen Gesellschafters aus § 810 BGB ausdrücklich „auf den Zeitraum seiner Zugehörigkeit zur Gesellschaft oder der Zugehörigkeit seines Rechtsvorgängers (Anmerkung: die Unterstreichung wurde eingefügt) erstreckt“.
44
Nachdem der Rechtsvorgänger des … den Kommanditanteil unstreitig am 27.11.2009 schon innehatte und die vom Kläger dargetanen Unstimmigkeiten auch aus dieser Zeit resultieren, ist ein rechtliches Interesse an einer Einsichtnahme in die streitgegenständlichen Beschlüsse, die in der Zeit ab 27.11.2009 gefasst wurden, zu bejahen.
45
3. Der Anspruch aus § 810 BGB ist nicht verjährt. Dies ergibt sich bereits aus folgender Überlegung:
46
Bei dem Anspruch aus § 810 BGB handelt es sich um einen Hilfsanspruch zum Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben nach § 26 des Gesellschaftsvertrags. Der Anspruch aus § 26 des Gesellschaftsvertrags, der erst mit dem Ausscheiden des Kommanditanteils … aus der Gesellschaft – und damit erst am 26.07.2021 entstanden ist, verjährt nach §§ 195, 199 I BGB frühestens mit Ablauf des Jahres 2024, wegen der in § 26 (2) des Gesellschaftsvertrags enthaltenen Fälligkeitsregelung sogar erst mit Ablauf des Jahres 2025.
47
Da ein Hilfsanspruch nicht vor dem Hauptanspruch, zu dessen Berechnung oder Durchsetzung er dienen soll, verjährt (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 25.07.2017, Az. VI ZR 222/16), kann der hier streitgegenständliche Anspruch aus § 810 BGB nicht vor dem 31.12.2025 verjähren mit der weiteren Folge, dass die noch laufende Verjährungsfrist durch Klageerhebung gemäß § 204 Nr. 1 BGB gehemmt wurde.
48
4. Ausreichende Tatsachen für eine Verwirkung hat die hierfür darlegungspflichtige Beklagte nicht vorgetragen. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat und sich auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde. Berechtigter des Einsichtsrechts ist hier der Kläger in seiner Eigenschaft als Nachlassinsolvenzverwalter. Da das Einsichtsrecht erst mit dem Ausscheiden des Kommanditanteils … aus der Gesellschaft und somit erst lange nach dem Tod des … entstanden ist, ist bei der Prüfung der Verwirkung auf den Kläger und nicht auf … oder gar dessen Sohn abzustellen. Irgendwelche tatsächlichen Umstände, aufgrund derer aufgrund eines Verhaltens des Klägers Verwirkung eingetreten sein könnte, sind weder ersichtlich noch dargetan.
49
5. Da der Kläger die begehrte Einsicht bereits aufgrund von § 810 BGB verlangen kann, kommt es auf die Frage, ob es dafür noch andere Anspruchsgrundlagen gibt, nicht mehr entscheidend an.
50
III. Die Klage ist auch in Klageantrag Ziffer 2. begründet.
51
Dem Kläger steht gemäß § 242 BGB ein Anspruch auf die begehrten Auskünfte zu. Aus § 242 BGB ergibt sich eine Auskunftspflicht, wenn die zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung es mit sich bringt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann (Grüneberg, BGB, 82. Auflage, 2023, § 260 BGB, Rn. 4 ff). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
52
1. Der Kläger hat als Nachlassverwalter des … gemäß § 26 des Gesellschaftsvertrags einen Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben, über dessen Höhe er ohne sein Verschulden im Ungewissen ist. Aufgrund der vom Kläger dargetanen konkreten Unstimmigkeiten in den Jahresabschlüssen seit dem 27.11.2009 und der bisher von der Beklagten nicht aufgeklärten Fragen
-
zu der Position „handelsrechtliche Entnahmen“ des Rechtsvorgängers von … in Höhe von 824.537,60 € für das Geschäftsjahr 2012,
-
zu den im Jahresabschluss zum 31.12.2009 ausgewiesenen „Aufwendungen aus Verlustübernahme“ und
-
wieso trotz Vorhandenseins eines ausweislich der letzten, im elektronischen Bundesanzeiger abrufbaren Bilanz der Beklagten zum 31.12.2019 bestehenden nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Verlustanteils von Kommanditisten in Höhe von 2.920.323,56 € kein Insolvenzantrag gestellt wurde,
kann der Kläger bisher nicht nachvollziehen, ob und in welcher Höhe ihm ein Auseinandersetzungsguthaben zusteht bzw ob und inwieweit zwischen dem nach § 26 (1) Satz 1 und 2 des Gesellschaftsvertrags und dem tatsächlichen Unternehmenswert zum Zeitpunkt des Ausscheidens ein unzumutbares Missverhältnis besteht, das wiederum einen Anpassungsanspruch nach § 26 (1) Satz 3 begründen könnte.
53
2. Die Beklagte, vertreten durch ihre Komplementärin und diese wiederum vertreten durch ihren Geschäftsführer kann die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderlichen Auskünfte unschwer erteilen.
54
3. Der Auskunftsanspruch ist weder verjährt noch verwirkt. Wegen der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in obige Ziffer A. II. 3. und 4. Bezug genommen.
55
4. Ob der Kläger die begehrte Auskunft auch aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen verlangen kann, konnte dahinstehen.
B.
56
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO. Für die Höhe der Sicherheitsleistung wurde in Bezug auf die Ziffern 1 und 2 des Tenors auf den voraussichtlichen Aufwand an Zeit und Kosten für Einsichtgewährung und Auskunftserteilung abgestellt (vgl. hierzu Zöller, ZPO, 33. Auflage, 2020, § 709 ZPO, Rn. 6). Dieser wurde auf 10.000,00 € geschätzt.
C.
57
Für die Streitwertbestimmung wurde das Interesse des Klägers an den begehrten Informationen abgestellt.