Inhalt

LG Landshut, Beschluss v. 08.02.2023 – 62 T 251/23, 62 T 252/23, 62 T 253/23
Titel:

Verfahrensbevollmächtigter, Begründung der Rechtsbeschwerde, Rechtsbeschwerdegrund, Unerlaubte Einreise, Haftantrag, Verfahrenskostenhilfe, Fluchtgefahr, Vollziehbar Ausreisepflichtige, Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht, Ausreisepflichtiger, Freiheitsentziehungsverfahren, Vorläufige Freiheitsentziehung, Sicherungshaft, Zurückschiebungshaft, Feststellungsantrag, Einstweilige Anordnung, Betroffenheit, Persönliche Anhörung, Elektronisches Dokument, Beschlüsse des Amtsgerichts

Schlagworte:
Zurückschiebungshaft, Fluchtgefahr, Verhältnismäßigkeit, Anhörungsverfahren, Abschiebehaftanstalt, Beschleunigungsgrundsatz, Fair-trial-Prinzip
Vorinstanzen:
AG Erding, Beschluss vom 03.01.2023 – 309 XIV 395/22 (B)
AG Erding, Beschluss vom 21.12.2022 – 309 XIV 381/22 (B)
AG Passau, Beschluss vom 23.11.2022 – XIV 430/22 (B)
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 29.07.2025 – XIII ZB 17/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 57047

Tenor

1. Der Antrag des Betroffenen festzustellen, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 23.11.2022, Az. XIV 430/22 (B) AG Passau und 309 XIV 344/22 (B) AG Erding, in seinen Rechten verletzt hat, wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag des Betroffenen festzustellen, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 21.12.2022, Az. 309 XIV 381/22 (B), in seinen Rechten verletzt hat, wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag des Betroffenen festzustellen, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 03.01.2023, Az. 309 XIV 395/22 (B), in seinen Rechten verletzt hat, wird zurückgewiesen.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird in Bezug auf jedes der drei Beschwerdeverfahren abgelehnt.
5. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird für jedes der drei Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Betroffene ist syrischer Staatsangehöriger.
2
Aufgrund mehrerer Bürgerhinweise wurde der Betroffene am 22.11.2022 gegen 12:30 Uhr mit zwölf anderen Personen im Bereich der B388 bei Wegscheid, bzw. auf dem Parkplatz zwischen Rannasee und Rannasäge, in einem Pkw festgestellt. Bei der durchgeführten polizeilichen Kontrolle verfügte der Betroffene über keine aufenthaltslegitimierenden Papiere. Auch sonst wurden beim Betroffenen keinerlei Ausweisdokumente festgestellt.
3
In seiner polizeilichen Vernehmung gab der Betroffene an, dass er im Jahr 2013 Syrien verlassen und zunächst einige Zeit in der Türkei gelebt habe. Am 17.10.2022 sei er dann von Bulgarien über Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland geschleust worden. Für diese Schleusung habe er 6.000,- EUR bezahlt. Bezüglich seiner vollständigen Einlassung wird auf den Inhalt der beigezogenen Ausländerakte Bezug genommen.
4
Zuvor ist der Betroffene in Deutschland noch nicht in Erscheinung getreten.
5
1. Betrifft die Verfahrensakten XIV 430/22 (B) AG Passau und 309 XIV 344/22 (B) AG Erding = 62 T 253/22 Mit Schreiben vom 23.11.2022, Bl. 3/9 des Verfahrens 62 T 253/22, beantragte die Bundespolizeiinspektion Passau beim Amtsgericht Passau die Anordnung einer vorläufigen Freiheitsentziehung gegen den Betroffenen zur Sicherung seiner Zurückschiebung für längstens 4 Wochen. Auf das Antragsschreiben wird vollumfänglich Bezug genommen.
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In dem Schreiben führt die Behörde zur vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen aus, die sich aus der unerlaubten Einreise ohne die nötigen Papiere ergebe. Es wird mitgeteilt, dass sich im Rahmen der Ermittlungen ein EURODAC-Treffer für den Staat Bulgarien (Datum 11.11.2022) ergeben habe. Nach Bekanntwerden dieses Umstandes strebte die BPI nach Prüfung durch das BAMF die Zurückschiebung nach Bulgarien nach der Dublin IIIVerordnung an.
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Der Antrag enthält auch Ausführungen zur Erforderlichkeit der Haft und der grds. Durchführbarkeit der Zurückschiebung.
8
Auf S.5 des Antrages finden sich umfangreiche Ausführungen zur erforderlichen Haftdauer, die zunächst mit 4 Wochen angenommen worden war. 1 Woche wurde für die Bearbeitungszeit bei der Bundespolizei und dem BAMF veranschlagt und 2 Wochen wegen der Antwortfrist des Zielstaates Bulgarien iSv Art. 25 Abs. 1 S.2 der VO EU 604/2013 (Dublin IIIVO). 1 weitere Woche wurde für das weitere Prozedere, insbesondere die tatsächliche Organisation der Überstellung (Flugbuch, etc.) veranschlagt.
9
Es wurde aber auch bereits ausgeführt, dass ggfs. 2 weitere Wochen benötigt würden, die sich aus einer Rechtsmittelfrist nach § 34a AsylG ergäben.
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Der Antrag enthält auch Ausführungen zum Haftgrund. Die Behörde nennt dabei den Umstand, dass der Betroffene 6.000,- EUR für seine Schleusung bezahlt habe, dass er sich dem Asylverfahren in Bulgarien entzogen habe und dass der Betroffene auch keine familiären oder sozialen Beziehungen in Deutschland habe.
11
Letztlich enthält der Antrag auch Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Haft, dem Beteiligungserfordernis der Staatsanwaltschaft und dem Haftort.
12
Die BPI Passau hat mit dem Haftantrag ihre gesamten Aktenbestandteile vorgelegt.
13
Am 23.11.2022 hat das Amtsgericht Passau den Betroffenen persönlich angehört. Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk, Bl. 20/24 d. A., Bezug genommen.
14
Mit Beschluss vom 23.11.2022 ordnete das Amtsgericht Passau dann durch einstweilige Anordnung die vorläufige Sicherungshaft gegen den Betroffenen bis längstens 21.12.2022 an. Auf den Beschluss und seine Begründung, Bl. 25/30 d. A., wird vollumfänglich Bezug genommen.
15
Mit Beschluss vom 24.11.2022, Bl. 15 d. A. des Verfahrens 309 XIV 344/22 (B), übernahm das Amtsgericht Erding das Verfahren, nachdem die Haft in der Abschiebehafteinrichtung am Flughafen München vollstreckt wurde.
16
Mit Schreiben vom 29.11.2022, Bl. 17 d. A. bestellte sich ein Verfahrensbevollmächtigter für den Betroffenen und legte gegen den Beschluss vom 23.11.2022 Beschwerde ein. Mit dem Antrag wurde auch bereits ein Feststellungsantrag nach § 62 FamFG verbunden.
17
Mit Beschluss vom 25.01.2023, Bl. 26/27 d. A., half das Amtsgericht Erding dieser Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Landshut zur Entscheidung vor.
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2. Betrifft die Verfahrensakte 309 XIV 381/22 (B) AG Erding = 62 T 252/23 Mit Schreiben vom 14.12.2022 beantragte die BPI Passau sodann beim AG Erding Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis längstens 27.01.2023. Auf den vollständigen Antrag, Bl. 1/8 d. A, wird Bezug genommen.
19
In Ergänzung zum Haftantrag vom 23.11.2022 (s. o.) führt die Behörde aus, dass der Aufgriffsfall am 24.11.2022 beim BAMF gemeldet worden sei. Eine Anbietung an den Zielstaat sei erfolgt. Die Frist für den Zielstaat Bulgarien bezüglich einer Antwort im Sinne von Art. 25 Abs. 2 Dublin IIIVO laufe derzeit bis 16.12.2022. Derzeit sei geplant, den Betroffenen mit der nächsten verfügbaren Chartermaschine am 26.01.2023 nach Bulgarien zu überstellen. Zwischenzeitlich hatte Bulgarien der Rücküberstellung zugestimmt.
20
In dem neuen Haftantrag führt die Behörde auch ausführlich zu der weiter benötigten Haftdauer aus.
21
Nach Zustimmung des Zielstaats Bulgarien seien weitere 6 Wochen und 2 Tage für die Umsetzung der Zurückschiebung erforderlich. 3 Wochen resultierten aus der Rechtsmittelfrist des § 34a AsylG in Bezug auf einen weiteren Bescheid des BAMF (v. 15.12.2022, mit dem die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet wurde, vgl. Bl. 15), der nach weiterer Anhörung ergangen war. Für den Bescheid entfalle dabei auch eine Bearbeitungszeit. 3 weitere Wochen seien dann für die nähere Organisation der Rücküberstellung erforderlich, also etwa die Flugbuchung etc. Außerdem sei dabei eine Vorankündigungszeit von 12 Tagen gegenüber den bulgarischen Behörden zu beachten. Der Flug sei jedenfalls für den 26.01.2023 avisiert. 2 weitere Tage seien einzuplanen, falls die Überstellung aus Gründen, die der Betroffene zu vertreten hat, scheitern würde und eine erneute Haftantragsstellung erforderlich wäre.
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Am 21.12.2022 hat das Amtsgericht Erding den Betroffenen persönlich angehört. Auf den Anhörungsvermerk, Bl. 28/31 d. A., wird Bezug genommen. Während der Haftvorführung brachte der Betroffene erstmals ein Schutzersuchen vor.
23
Mit Beschluss vom 21.12.2022 ordnete das Amtsgericht Erding einstweilig die vorläufige Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis längstens 03.01.2023 an. Auf den Beschluss und seine Begründung, Bl. 32/39 d. A., wird Bezug genommen. Die Anordnung/ Verlängerung der Haft im einstweiligen Verfahren entgegen des Antrags der BPI Passau resultierte aus dem Umstand, dass der Betroffene in der Anhörung angegeben hatte, sich seines Verfahrensbevollmächtigten bedienen zu wollen. Das Amtsgericht berief sich in der Folge darauf, dass ihm in der Anhörung erstmalig bekannt geworden sei, dass der Betroffene anwaltlich vertreten werde. Dementsprechend sei bei der Anhörung auch kein Verfahrensbevollmächtigter geladen worden.
24
Mit Schriftsatz vom 21.12.2022, Bl. 56/63 d. A., legte der Verfahrensbevollmächtigte gegen den Beschluss von demselben Tag Beschwerde ein und verband diesen auch gleich mit einem Feststellungsantrag. Die Beschwerde wurde mit Schriftsatz vom 23.01.2023, Bl. 66/73 d. A. näher begründet.
25
Mit Beschluss vom 25.01.2023 hat das Amtsgericht Erding der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
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3. Betrifft die Verfahrensakte 309 XIV 395/22 (B) AG Erding = 62 T 251/23 Mit Schreiben vom 22.12.2023 beantragt die BPI Passau erneut die Anordnung von Haft zur Sicherung der Zurückschiebung, nunmehr bis längstens 30.01.2023. Auf Bl. 1/8 der Akte wird insoweit Bezug genommen.
27
In Ergänzung zu den Haftanträgen vom 23.11.2022 und 14.12.2022 (s. o.) führt die Behörde aus, dass das im Rahmen der Haftvorführung am 21.12.2022 geäußerte Schutzersuchen umgehend an das BAMF weitergeleitet worden sei. Eine diesbezügliche Anhörung sei für den 04.01.2023 terminiert worden. Ein etwaiger dann ergehender Bescheid des BAMF wäre zwar anfechtbar, das Rechtsmittel hätte aber keine aufschiebende Wirkung, sodass an der Durchführung der Rücküberstellung festgehalten werde.
28
Zur erforderlichen Haftdauer führt die Behörde Folgendes aus:
29
Die Gesamtdauer des Verfahrens belaufe sich auf 9 Wochen. Die bisherigen 4 Wochen Haftdauer der vorläufigen Haftdauer seien für die Bearbeitungszeit bei der Bundespolizei und dem BAMF benötigt worden und das Prozedere bis zum Ablauf der Antwortfrist Bulgarien nach Art. 25 Abs. 2 Dublin IIIVO. Von diesem Zeitpunkt an, sei eine weitere Haftdauer von 5 Wochen erforderlich. Durch das am 21.12.2022 gestellte Schutzersuchen müsse der Betroffene erneut durch das BAMF angehört werden. Der Termin hierfür sei für den 04.01.2023 bestimmt worden. Je nachdem sei mit Bearbeitungszeit für den Fall der Stellung eines Asylantrages zu rechnen. Für diese Schritte seien also 2 Wochen erforderlich. 3 weitere Wochen seien dann für die Organisation der Überstellung (Flugbuchung, etc.) durch die Bundespolizei erforderlich.
30
Der Zeitraum von drei Wochen ergebe sich insbesondere daraus, dass Überstellungen im Dublinverfahren seit Jahresbeginn für den Mitgliedstaat Bulgarien in der Form blockiert würden, dass durchgehend Woche für Woche neue Sperrtage gemeldet werden und es somit de facto keinen einzigen Wochentag gebe, an dem Überstellungen auf Linienflügen möglich seien. Nach Abstimmungen zwischen dem BAMF und dem Mitgliedstaat Bulgarien sei eine Ausnahmeregelung für Haftfälle im Dublinverfahren ausgehandelt worden. Es würden demnach pro Monat maximal zwei Sammelcharter für maximal fünf Personen organisiert. Auf diesem könnten dann Haftfälle im Dublinverfahren überstellt werden. Die entsprechenden Termine seien für das gesamte Jahr 2022 festgelegt worden und nicht mehr veränderbar gewesen. Es seien derzeit auch keine weiteren Möglichkeiten zur Überstellung möglich, wodurch Linienflüge weiterhin in Gänze ausschieden. Bulgarien übermittle weiterhin sukzessive Sperrtage. Dies betreffe auch die Vorgehensweise in das Jahr 2023 hinein. Aus diesem Grund seien auch bereits für das Jahr 2023 Termine mit dem Mitgliedstaat Bulgarien abgestimmt worden. Diese Termine lauteten auf den 17.01.2023 und 26.01.2023. In Bezug auf das hiesige Verfahren sei jedoch nicht gesichert, dass das erforderliche Prozedere, insbesondere ein rechtskräftig vollziehbares Verfahren durchlaufen sei. Somit bestehe keine andere Möglichkeit, als den Betroffenen für den Sammelcharter am 26.01.2023 vorzusehen. Zwei weitere Werktage, also bis zum 30.01.2023, würden benötigt, falls die Überstellung aus Gründen, die der Betroffene zu vertreten hat, scheitern sollte, etwa im Falle von Selbstverletzungen oder Ähnlichem. In diesem Fall wäre auch Zeit zur Fertigung eines neuen Haftantrages und die Organisation der erneuten Vorführung in Rechnung zu stellen. Insgesamt seien aber weiterhin keine Umstände ersichtlich, die einer Durchführung der Zurückschiebung innerhalb der nächsten drei Monate aus Gründen entgegenstehen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat. Auch im Antrag vom 22.12.2022 führt die Behörde noch weiter zum Vorliegen eines Haftgrundes, der Verhältnismäßigkeit der Haft und dem Beteiligungserfordernis der Staatsanwaltschaft aus. Diesbezüglich enthält der Antrag keine Änderungen gegenüber den vorangegangenen Anträgen.
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Am 03.01.2023 hat das Amtsgericht Erding den Betroffenen dann erneut persönlich angehört. Der Anhörung war eine Mitteilung des Verfahrensbevollmächtigten vom 30.12.2022, Bl. 22/23 d.A., vorausgegangen. In dem Schreiben teilt der Verfahrensbevollmächtigte mit, dass Herr Rechtsanwalt – das vorliegende Verfahren allein bearbeite, sich jedoch bis 03.01.2023 in Urlaub befinde. Eine Vertretung für Herrn Rechtsanwalt – könne auf die Schnelle nicht organisiert werden. Es wurde beantragt, sollte das Gericht den Haftverlängerungsantrag nicht zurückweisen, erneut eine weitere Anhörung anzuberaumen, an der Herr Rechtsanwalt – anwesend sein könne. In Bezug auf den Inhalt der persönlichen Anhörung vom 03.01.2023 wird auf das Protokoll der Anhörung, Bl. 24/26 d.A., Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 03.01.2023 ordnete das Amtsgericht Erding sodann durch Hauptsacheentscheidung die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen bis längstens 30.01.2023 an. Auf den Beschluss und seine Begründung, Bl. 27/31 d.A., wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 04.01.2023 legte der Betroffene gegen diesen Beschluss Beschwerde ein, verband diese auch sogleich mit einem Feststellungsantrag, beantragte die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten sowie Akteneinsicht in die Gerichts- und Ausländerakte. Die Akteneinsicht wurde vom Amtsgericht Erding in beide Akten noch am 04.01.2023 genehmigt.
34
Mit Schreiben vom 23.01.2023 begründete der Verfahrensbevollmächtigte die Beschwerde mit weiteren Ausführungen. Auf Bl. 39/40 d.A. wird insoweit Bezug genommen.
35
Mit Beschluss vom 25.01.2023 half das Amtsgericht der Beschwerde des Betroffenen vom 04.01.2023 nicht ab, lehnte die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ab und legte die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vor, wo die Akte am 30.01.2023 einging.
36
Am 02.02.2023 ging beim Beschwerdegericht dann eine Mitteilung des Amtsgerichts Erding vom 27.01.2023 ein. Dem Schreiben war eine Abschlussmeldung über die erfolgte Zurückschiebung des Betroffenen durch die Bundespolizei angehängt. Gemäß dieses Schreibens wurde die Zurückschiebung wie geplant am 26.01.2023 vollzogen.
II.
37
Die gemäß §§ 58 ff. FamFG in zulässiger Weise eingelegten Beschwerden des Betroffenen gegen die Beschlüsse vom 23.11.2022, 21.12.2022 und 03.01.2023 haben in der Sache keinen Erfolg. Die Beschlüsse waren rechtmäßig, die Voraussetzungen für die Anordnung von Zurückschiebungshaft lagen jeweils vor. Die nach eingetretener Erledigung aller drei genannten Beschlüsse statthaften und zulässigen Anträge im Sinne von § 62 FamFG waren als unbegründet zurückzuweisen.
1. Zulässige Haftanträge
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Alle drei im Sachverhalt genannten Haftanträge waren zulässig.
39
Der Antrag auf Anordnung der Zurückschiebungshaft wurde vorliegend von der zuständigen Verwaltungsbehörde gestellt, § 417 Abs. 1 FamFG. Die Bundespolizeidirektion München, hier vertreten durch die Bundespolizeiinspektion Passau ist sachlich und örtlich zuständig, § 58 Abs. 1, § 1 Abs. 2 BPolG, § 1 und 2 BPolZV i.V.m § 71 Abs. 3 Nr. 1e AufenthG.
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Die Anträge, die abhängig vom Zeitablauf inhaltlich aufeinander aufbauten, wurden auch gemäß §§ 23, 417 Abs. 2 FamFG begründet. Die Anträge enthalten die mit Blick auf den Erlass der beantragten Anordnungen erforderlichen Mindestangaben. Die nötigen Darlegungen zur unerlaubten Einreise, zu den Zurückschiebungsvoraussetzungen und zu der Erforderlichkeit der Haft liegen vor. Diese beschränken sich auch nicht auf Leerformeln und Textbausteine.
41
Die Identität des Betroffenen ist gemäß § 417 Abs. 2 Nr. 1 FamFG in den Anträgen enthalten.
42
Die Angaben zum gewöhnlichen/bisherigen Aufenthaltsort des Betroffenen ergeben sich ebenfalls gemäß § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 FamFG aus den Anträgen.
43
In den Haftanträgen wurden umfassende Angaben zur Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung und ihrer erforderlichen Dauer gemäß § 417 Abs. 2 Nr. 3, 4 FamFG gemacht. Die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung wird hierbei mit einer bestehenden Fluchtgefahr und mit der vollziehbaren Ausreisepflicht auf Grund einer unerlaubten Einreise begründet. Die zuständige Behörde legt schlüssig und nachvollziehbar dar, warum die Haft, bezogen auf die jeweiligen Anträge, abhängig von den Entwicklungen während des freiheitsentziehenden Verfahrens, in der beantragten Länge erforderlich und unverzichtbar ist. Dabei gibt die Behörde die jeweils erforderlichen Zeitspannen an und legt für die Kammer nachvollziehbar das Erfordernis der beantragten Länge dar. Die zuständige Behörde hat insbesondere – bezogen auf die jeweiligen Zeitpunkte und Verfahrenssituationen – ausreichend dargelegt, dass die Zeit der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung ausreichend sein wird, um diese durchzuführen.
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Die Ausreisepflicht wurde in den Anträgen ausreichend dargelegt, § 417 Abs. 2 Nr. 5 FamFG. Der Betroffene ist vollziehbar ausreisepflichtig gem. §§ 4 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 2, 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG, weil er zu keinem Zeitpunkt in Besitz eines Aufenthaltstitels war und als syrischer Staatsangehöriger für seine Einreise und den Aufenthalt nicht von dem Erfordernis des Visums und Aufenthaltstitels befreit ist.
2. Persönliche Anhörung
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Vor jeder in Rede stehenden Haftanordnung wurde der Betroffene vom Amtsgericht ordnungsgemäß persönlich angehört, § 420 FamFG.
46
Die Haftanträge der zuständigen Behörde wurden dem Betroffenen jeweils bereits vor der persönlichen Anhörung zugeleitet und übersetzt. Dies ergibt sich aus den Protokollen der richterlichen Anhörungen vom 23.11.2022, 21.12.2022 und 03.01.2023. Bei dem Sachverhalt handelt es sich um einen einfachen und überschaubaren Sachverhalt, zu welchem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne Weiteres auskunftsfähig war. Aus diesem Grund war es zulässig, den Haftantrag nicht schriftlich in Arabisch zu übergeben, sondern durch den anwesenden Dolmetscher unmittelbar vor der Anhörung übersetzen zu lassen.
3. Spezieller Haftort für Abschiebungshäftlinge
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Die Zurückschiebungshaft wurde im Falle des Betroffenen durchgehend in der Abschiebehaftanstalt am Flughafen München vollstreckt.
48
In Bayern ist eine Einrichtung für Abschiebehaft u.a. am Flughafen München vorhanden. Die Unterbringung des Betroffenen dort war nicht rechtswidrig. Es handelt sich um eine spezielle Hafteinrichtung zur Inhaftierung von Abschiebehäftlingen. Die Anforderungen nach Art. 16 Abs. 1 der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 bzw. § 62a Abs. 1 S. 1 AufenthG sind eingehalten.
4. Vollziehbare Ausreisepflicht
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Die vollziehbare Ausreisepflicht beim Betroffenen bestand zu den maßgeblichen Zeitpunkten des Erlasses der angegriffenen Beschlüsse.
50
Der Betroffene ist als Syrer Ausländer im Sinne des § 2 AufenthG und unterliegt nach §§ 3 und 4 AufenthG der Pass- und Aufenthaltstitelpflicht. Befreiungen von der Aufenthaltstitelpflicht nach der Aufenthaltsverordnung oder nach dem Recht der Europäischen Union liegen nicht vor. Der Betroffene verfügt über keinen gültigen Aufenthaltstitel i.S.d. § 4 AufenthG und ist somit gem. § 50 AufenthG ausreisepflichtig.
51
Die zwischenzeitliche Stellung eines Asylantrages hinderte die Haft zunächst nicht, § 14 Abs. 3 AsylG. Es handelte sich hier um einen Erstantrag. Unter den Begriff Sicherungshaft im Sinne des AsylG fällt auch eine im Sinne der Dublin IIIVO angeordnete Haft (vgl. BGH, V ZB 24/16).
52
Nach der gemäß der Dublin IIIVO vorgesehenen Zuständigkeitsbestimmung durch das BAMF wurde der Betroffene im Wiederaufnahmeverfahren an Bulgarien angeboten. Für die Durchführung ist das BAMF gemäß § 2 AsylZBV zuständig. Bulgarien stimmte im Verfahrensverlauf der Übernahme zu, wodurch die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht gegeben war. Das BAMF hat die Abschiebung nach Bulgarien mit Bescheid vom 16.12.2022 abgeordnet.
5. Haftgrund
53
In allen drei angegriffenen Beschlüssen gingen die Amtsgerichte auch zu Recht davon aus, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr vorlag, Art. 28 Dublin IIIVO, §§ 2 Abs. 14 AufenthG.
54
Unter einer Fluchtgefahr im Sinne der Dublin IIIVO versteht man das Vorliegen von Gründen, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und die zu der Annahme Anlass geben, dass sich der Betroffene dem Überstellungsverfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Gesetzlich festgelegte Kriterien finden sich insoweit in § 2 Abs. 14 AufenthG, der auch die Anwendbarkeit der Abs. 3a und 3b Nr.1-5 des § 62 AufenthG anordnet.
55
Ein konkreter Anhaltspunkt für die Fluchtgefahr im Sinne von § 62 Abs. 3b Nr.2 FamFG lag hier vor. Der Betroffene hat in seiner polizeilichen Vernehmung zugegeben, dass er für eine Schleusung nach Deutschland insgesamt 6.000,- EUR ausgegeben habe. Nach den weiteren Erkenntnissen hat der Betroffene in der Türkei eine Zeit lang in einer Fensterfabrik gearbeitet, sei aber zuletzt seit einem Jahr ohne Arbeit und Einkünfte gewesen. Hinweise auf ein Vermögen haben sich nicht ergeben. Vor diesem Hintergrund sind die Amtsgerichte nachvollziehbar und überzeugend zu dem Schluss gekommen, dass der Betroffene ganz erhebliche finanzielle Vorleistungen in Kauf genommen hat, um seine Schleusung nach Deutschland zu ermöglichen. Die Ausgaben erfolgten letztlich gerade auch zum Zweck der Einreise (jedenfalls in Höhe von 2.000,- EUR für die letzte Etappe nach Deutschland). Daraus kann der konkrete Anhaltspunkt entnommen werden, dass der Betroffene den Verlust dieser Investition nicht einfach hingenommen hätte, mithin, dass er in Ansehung dessen untergetaucht wäre, wenn er die Gelegenheit gehabt hätte.
56
Ferner ist bezüglich des Betroffenen in diesem Kontext festzuhalten, dass er bereits vor seiner unerlaubten Einreise in Deutschland ein Schutzersuchen in Bulgarien gestellt hatte. Aufgrund der hier vorliegenden zeitlichen Zusammenhänge ist damit klar, dass der Betroffene Bulgarien verlassen hat, bevor das dortige Asylverfahren beendet war. Dies in Verbindung mit den Angaben des Betroffenen, dass er in Deutschland bleiben wolle, deutet sehr stark darauf hin, dass der Betroffene den zuständigen Mitgliedstaat Bulgarien in absehbarer Zeit nicht mehr aufzusuchen gedenkt. Dies ist ein weiterer Anhaltspunkt für das Vorliegen von Fluchtgefahr, § 2 Abs. 14 S.2 Nr.1 AufenthG.
57
Unter Würdigung dieser Gesichtspunkt besteht für die Kammer kein vernünftiger Zweifel, dass beim Betroffenen jeweils zu Recht von erheblicher Fluchtgefahr auszugehen war und er sich – auf freiem Fuß belassen – dem Überstellungsverfahren durch Untertauchen entzogen hätte.
6. Verhältnismäßigkeit
58
Die Freiheitsentziehung ist auch erforderlich (§§ 106 Abs. 1 AufenthG, 417 Abs. 2 Nr. 3 FamFG), weil die Abschiebung ohne Inhaftnahme des Betroffenen voraussichtlich vereitelt würde. Mildere Mittel als die Inhaftnahme waren vorliegend zu keinem Zeitpunkt ersichtlich.
59
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt, da kein milderes Mittel als die Anordnung von Haft zur Sicherung der Zurückschiebung erkennbar ist. Der Betroffene verfügt über kein relevantes Vermögen oder soziale Bindungen, wodurch haftverschonende Auflagen bei ihm nicht in Betracht kommen. Die bloße Anordnung einer Meldeauflage hätte angesichts der vorstehend dargelegten erheblichen Fluchtgefahr dieser nicht ausreichend begegnen können. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist das öffentliche Interesse an der Abschiebung mit dem Freiheitsanspruch des Betroffenen abzuwägen. Dabei überwiegt das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Abschiebung, da die Befürchtung besteht, dass der Betroffene sich einer Abschiebung entzieht, wenn keine Sicherungshaft angeordnet wird. Damit wird die öffentliche Sicherheit und Ordnung verletzt, da der Betroffene sich bestehenden Aufenthalts- und Ausreisevorschriften widersetzt. Die Abschiebehaft ist damit zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verhältnismäßig.
7. Beschleunigungsgrundsatz
60
Ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz lag nicht vor. Zwar gilt der Beschleunigungsgrundsatz auch für Abschiebungen in Dublin III-Verfahren. Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen verlangt, dass die Behörde die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und die Dauer der Sicherungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird. Ein Verstoß gegen dieses Gebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2010 – V ZB 205/09, juris Rn. 16, vom 11. Juli 2019 – V ZB 28/18, juris Rn. 7, und vom 24. Juni 2020 – XIII ZB 9/19, juris Rn. 12).
61
Die Kammer hat sich diesbezüglich kritisch mit dem Agieren der zuständigen Behörde unter Würdigung der Ausländerakte auseinandergesetzt und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass das Verfahren zu jedem Zeitpunkt stringent betrieben und unnötige Verzögerungen zu jeder Zeit vermieden wurden. Im Falles des Beschlusses vom 03.01.2023 ist dabei in Rechnung zu stellen, dass sich eine weitere Ausdehnung der Haft als ursprünglich geplant allein aus dem Umstand ableitete, dass der Betroffene zwischenzeitlich einen Asylantrag gestellt hatte. Hieraus ergab sich etwa das Erfordernis einer neuen Anhörung durch das BAMF und die Verbescheidung des Antrages. Aber auch insoweit wurde das erforderliche Verfahren offensichtlich zu jedem Zeitpunkt beschleunigt betrieben.
62
In Bezug auf den Beschluss vom 03.01.2023 ist auch der Einwand aus der Beschwerdeschrift vom 23.01.2023 nicht zutreffend. Die aktuell relevante Vorankündigungszeit für die bulgarischen Behörden wurde von der antragstellenden Behörde mit 12 Tagen mitgeteilt. Das Amtsgericht hat Recht, dass es sich hierauf grds. verlassen darf. Es finden sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Es darf insoweit übrigens auch Bezug genommen werden, auf die äußerst schlüssigen, einzelfallbezogenen Ausführungen der antragstellenden Behörde auf S.6 des Haftantrages vom 22.12.2022.
8. Fair-trial-Prinzip
63
Der die Haft verlängernde Beschluss vom 21.12.2022 war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Amtsgericht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen hatte.
64
Der Beschwerde vom 21.12.2022 ist grds. dahingehend Recht zu geben, dass es dem Amtsgericht Erding bei der Terminierung und Durchführung der Anhörung vom 21.12.2022 hätte bekannt sein können, dass der Betroffene durch den Verfahrensbevollmächtigten – vertreten wird, denn bereits in der Verfahrensakte des AG Erding Az. 309 XIV 344/22 fand sich eine Vertretungsanzeige, datierend vom 29.11.2022.
65
Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. z. B. NVwZ-RR 2022, 885) gelten folgende Leitsätze: „Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen.
66
Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft.“
67
Bereits zuvor waren vergleichbare Entscheidungen des BGH ergangen (vgl. z. B. BGH, XIII ZB 34/19).
68
Die Kammer ist sich darüber bewusst, dass in der zitierten Entscheidung gerade nicht der Fall behandelt wird, bei dem durch das Amtsgericht das Vorhandensein eines Verfahrensbevollmächtigten hätte erkannt werden können, jedoch wohl schlicht übersehen wurde. Dennoch meint die Kammer, die in dieser Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall übertragen zu können. Der BGH stellt insbesondere darauf ab, dass es das Amtsgericht „nicht vereiteln“ darf, dass eine ordnungsgemäße Anhörung unter Beteiligung des Verfahrensbevollmächigten stattfindet. Der BGH hat dies zuletzt regelmäßig in den Fällen entschieden, in denen dem Gericht erst in der Anhörung bekannt wird, dass ein Verfahrensbevollmächtigter vorhanden ist. Die Kammer versteht diese Rechtsprechung aber nicht so, dass sie auf diesen ganz exklusiven Einzelfall beschränkt ist. So heißt es in den Gründen des BGH regelmäßig: „Erfährt das Gericht während des Anhörungstermins, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann.“ Ob davor eine Möglichkeit der Kenntnis für das Amtsgericht bestanden hat, wird in den Entscheidungen nicht thematisiert.
69
Würde man eine Fallkonstellation wie sie hier in Bezug auf die Anhörung vom 21.12.2022 vorliegt von dieser Rechtsprechung ausnehmen wollen, würde dies im Ergebnis dazu führen, dass auch in materiell-rechtlich völlig klaren Fällen – wie es nach Ansicht der Kammer auch hier der Fall ist – jeder Fehler des Gerichts einen unheilbaren Verfahrensfehler begründen würde, der zur Freilassung des Betroffenen führen würde und zwar auf die Spitze getrieben sogar dann, wenn eine Anhörung mit Rechtsanwalt schon am nächsten Tag nachgeholt werden könnte.
70
Das Amtsgericht Erding hat seinen Fehler noch in der Anhörung vom 21.12.2022 erkannt und sogleich alle möglichen Bemühungen in die Wege geleitet, um eine schnellstmögliche Nachholung einer neuen Anhörung anzuberaumen. Dies geht aus dem Akteninhalt eindeutig hervor. Von einem Vereiteln der Rechtsanwaltsbeteiligung kann hier also keine Rede sein.
71
Die Kammer steht auf dem Standpunkt, dass unter Berücksichtigung der skizzierten Grundsätze des BGH in Fällen wie dem vorliegenden der Fehler des Amtsgerichts dadurch behoben werden kann, dass es zunächst einstweilig entscheidet und dann schnellstmöglich und mit höchster Dringlichkeit den nächstmöglichen Termin für eine erneute Anhörung mit Verfahrensbevollmächtigtem anberaumt. In der Regel sollte dies am Folgetag, zumindest aber innerhalb weniger Werktage geschehen. Aus der Akte ergibt sich, dass eine Terminierung aber erst am 03.01.2023 möglich war, weil der Verfahrensbevollmächtigte keine Zeit hatte und auch keinen Vertreter aus der Kanzlei oder einer beauftragten Kanzlei bestellte. Ein „Pflichtanwalt“ war nicht zu bestellen, weil das FamFG dies nicht vorsieht. An den 03.01.2023 war das Amtsgericht dann aber wegen des Ablaufs der einstweiligen Anordnung auch gebunden. Im vorliegenden speziellen Einzelfall liegen zwischen den beiden Anhörungen auch noch die Weihnachtsfeiertage, die Zeit „zwischen den Jahren“ und Neujahr. Auch vor diesem Hintergrund genügte im hier vorliegenden Fall die Terminierung am 03.01.2023, denn ist nachvollziehbar, dass eine Terminierung in dieser Zeit mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist.
72
Letztlich ist noch anzumerken, dass die in diesem Kontext vorgelegte Entscheidung des LG Ingolstadt (22 T 1177/22) hier überhaupt nicht einschlägig und vergleichbar ist. Darin geht es um die Konstellation, dass es das Erstgericht unterlassen hatte, der Ausländerbehörde das Vorhandensein eines Verfahrensbevollmächtigten mitzuteilen und das Folgegericht im weiteren Verlauf „keine Kenntnis davon haben konnte“. Auch die weiteren Ausführungen des LG Ingolstadt behandeln nicht den hier vorliegenden Fall.
9. Beteiligung der Staatsanwaltschaft
73
Eine Beteiligung der Staatsanwaltschaft war vorliegend nach § 72 Abs. 4 AufenthG nicht erforderlich. Bei der dem Betroffenen zur Last liegenden Straftat der unerlaubten Einreise (§ 95 AufenthG) handelt es sich um eine Tat mit geringem Unrechtsgehalt.
10. Ergebnis
74
Die Anordnung von Haft zur Sicherung der Zurückschiebung war somit in allen drei angegriffenen Beschlüssen rechtmäßig. Die Feststellungsanträge waren zurückzuweisen.
III.
75
Waren die Haftanordnungen rechtmäßig, weil ihre Voraussetzungen vorlagen, konnte der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ebenfalls zu Recht abgelehnt werden, weil die Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg bot.
IV.
76
Der Wert des Beschwerdegegenstandes folgt aus § 36 Abs. 3, § 79 Abs. 1 GNotKG.