Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 30.01.2023 – 17 U 1008/22
Titel:

Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nutzungsentschädigung, Schlussanträge des Generalanwaltes, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Kosten des Berufungsverfahrens, Mitgliedstaatliches Recht, Klagepartei, Aussetzung des Verfahrens, Verfahrensverzögerung, Verfahrensaussetzung, Kostenentscheidung, Zug-um-Zug, Diesel-Skandal, Abänderung, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Streitwert, Deliktsrecht, Genehmigungsbehörde, Abschalteinrichtung, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten

Schlagworte:
Dieselskandal, Schadensersatzklage, Berufungsverfahren, Abschalteinrichtung, Herstellerhaftung, Unionsrechtliche Auslegung
Vorinstanz:
LG Regensburg vom 15.03.2022 – 72 O 2586/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 30.07.2025 – VIa ZR 168/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56997

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 15.03.2022, Aktenzeichen 72 O 2586/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Regensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 29.596,59 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klagepartei nimmt die Beklagte wegen eines vermeintlich vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs, eines am 07.09.2016 als Gebrauchtwagen von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten erworbenen Pkw Audi A6 3.0 V6 TDI 180 kW, Erstzulassung 15.04.2013, auf Schadenersatz in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem vom der Beklagten entwickelten und hergestellten Diesel-Motor des Typs EA896Gen2 (EU5) 3.0-Liter-Monoturbo ausgestattet und verfügt über eine EU 5 Zulassung.
2
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Regensburg vom 15.03.2022 Bezug genommen.
3
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 41.655,08 €, Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 12.058,49 € sowie Freistellung von Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung nebst Zinsen gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen.
4
Hinsichtlich der Antragstellung erster Instanz wird auf den Tatbestand und hinsichtlich der Begründung des Ersturteils auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie auf die zusammenfassende Darstellung im Hinweis des Senats vom 29.12.2022 unter Buchstabe A. Bezug genommen.
5
Die Klagepartei verfolgt ihre erstinstanzlichen Ansprüche im Wege der Berufung weiter. Hinsichtlich des Berufungsvorbringens der Klagepartei wird auf die Berufungsbegründung vom 12.07.2022 sowie auf die zusammenfassende Darstellung im Hinweis des Senats vom 29.12.2022 unter Buchstabe A. Bezug genommen.
6
Im Berufungsverfahren beantragt die Klagepartei:
1. Unter Abänderung des am 15.03.2022 verkündeten Urteils des LG Regensburg, Az.: 72 O 2586/21 die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 3.0 TDI mit der Fahrgestellnummer … an die Klagepartei 41.655,08 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 04.02.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 12.058,49 Euro zu zahlen.
2. Unter Abänderung des am 15.03.2022 verkündeten Urteils des LG Regensburg, Az.: 72 O 2586/21 die Beklagte zu verurteilen den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes H. in Höhe von 1.872,35 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
7
Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
8
Wegen der Berufungserwiderung der Beklagten wird auf deren Schriftsatz vom 12.09.2022 sowie auf die zusammenfassende Darstellung im Hinweis des Senats vom 29.12.2022 unter Buchstabe A. Bezug genommen.
9
Der Senat hat mit Hinweis vom 29.12.2022 begründet, warum er beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
10
Eine Gegenerklärung der Klagepartei ist fristgemäß mit Schriftsatz vom 26.01.2023 eingegangen.
II.
11
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 15.03.2022, Aktenzeichen 72 O 2586/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
12
Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
13
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
14
Der Senat sieht sich im vorliegenden Fall zu einer Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO analog nicht veranlasst. Es handelt sich vorliegend nicht um eine Rechtssache, die die Zulassung der Revision rechtfertigen würde.
15
Weder die Pressemitteilung des BGH vom 01.07.2022 noch die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos im Verfahren C-100/21 vom 02.06.22 haben eine Bindungswirkung. Die im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens erforderliche Abwägung zwischen einerseits den Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens (BGH NJW-RR 1992, 1149 (1150); OLG München BeckRS 2022, 23404; OLG Bamberg BeckRS 2022, 23415; Zöller/Greger Rn. 7; vgl. auch Skamel NJW 2015, 2460 (2463); BeckOK ZPO/Wendtland, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 148 Rn. 13) und andererseits der mit der Aussetzung eintretenden Verfahrensverzögerung führt zu dem Ergebnis, dass eine Verfahrensaussetzung unterbleibt.
16
Der Senat versteht die Pressemitteilung vom 01.07.2022 lediglich dahingehend, dass der BGH nur vorsorglich einen Termin bestimmt hat, um sich ggf. zeitnah mit einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 befassen zu können. Dem kann nach Auffassung des Senats aber jedenfalls nicht entnommen werden, dass der BGH nunmehr davon ausginge, dass im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwalts in Deutschland keine Situation des „acte clair“ mehr vorläge.
17
Die Voraussetzungen für die Einordnung einer Norm als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ergeben sich allein aus deutschem Recht und sind dort aus der Gesamtsystematik des Deliktsrechts zu entwickeln. Der EuGH kann im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nur die Zwecksetzung und Schutzrichtung einer unionsrechtlichen Norm bindend ermitteln. Für die Auslegung mitgliedstaatlichen Rechts ist er nicht zuständig (OLG München BeckRS 2022, 23404).
18
Soweit Generalanwalt Rantos eine drittschützende Zielrichtung der Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 Art. 46 Rahmenrichtlinie hinsichtlich des Interesses des Erwerbers, kein Fahrzeug zu erwerben, dass mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, annimmt, steht dies der Rechtsprechung des EuGH (EuGH v. 4.10.2018 – C-668/16 –, juris Rz. 87) und des BGH zu den deutschen Umsetzungsvorschriften der EG-FGV (BGH v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179) entgegen. Hiernach besteht der Zweck der Übereinstimmungsbescheinigung nur darin, das Zulassungsverfahren zu erleichtern.
19
Nicht einmal Generalanwalt Rantos behauptet, dass die unionsrechtlichen Normen konkret die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Fahrzeugerwerber vor unerwünschten Kaufverträgen schützen. Gerade dies wäre aber erforderlich, um die deliktsrechtliche Haftung für Vermögensschäden nach deutschem Recht zu begründen. Auch der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verpflichtet deutsche Gerichte nicht zur Durchbrechung der zentralen Wertungen des deutschen Haftungsrechts, insbesondere nicht zur Einführung einer unmittelbaren Herstellerhaftung für fahrlässig herbeigeführte unerwünschte Vertragsschlüsse (Riehm, ZIP 2022, 2309, 2320). Konsequenterweise hat auch der BGH nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Rantos in seinem Urteil vom 13.06.2022, VIa ZR 680/21 an seiner diesbezüglichen Rechtsprechung festgehalten.
20
Zudem fehlt es vorliegend an einer auch von Generalanwalt Rantos als erforderlich angesehenen Voraussetzung für die von ihm angenommene drittschützende Wirkung. Aus Nummer 48 der Schlussanträge ergibt sich, dass diese Rechtsfolge nur eintritt, wenn die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste. Eine Täuschung der Genehmigungsbehörde steht aber vorliegend gerade nicht fest.
III.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
22
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
23
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der § 3 ZPO, §§ 47, 48 GKG bestimmt.