Inhalt

SG München, Gerichtsbescheid v. 17.05.2023 – S 55 KR 154/20
Titel:

Krankengeldbezug, Krankengeldanspruch, Anspruch auf Krankengeld, Krankengeld - Berechnung, Krankengeldgewährung, Ganzjährige Arbeitsunfähigkeit, Arbeitseinkommen, Einkommensteuerbescheid, Beitragsbescheid, Widerspruchsbescheid, Beitragsbemessungsgrundlage, Beitragsbemessungsgrenzen, Mindestbemessungsgrundlage, SGB V, Beitragsberechnung, Widerspruchsverfahren, Regelentgelt, Freiwillig Krankenversicherte, Außergerichtliche Kosten, Teilabhilfebescheid

Leitsätze:
1. Die Vorschrift des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V enthält eine widerlegbare Vermutung, wonach das Regelentgelt nach dem Betrag zu errechnen ist, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden sind. Die Vermutung kann widerlegt werden, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das der Beitragsfestsetzung zugrundeliegende Einkommen nicht den tatsächlichen Einkommensverhältnissen des Versicherten entspricht.
2. Die Widerleglichkeit der Vermutung gilt nicht nur für den Fall, dass das tatsächlich erzielte Einkommen niedriger als das der Beitragsbemessung zugrunde gelegte ist, sondern auch für den umgekehrten Fall einer Abweichung zugunsten des Versicherten.
3. Wird die Vermutung widerlegt, ist für die Berechnung des Regelentgelts auf die tatsächlichen Verhältnisse im Referenzzeitraum abzustellen. Referenzzeitraum sowohl für die Beitragsbemessung nach § 240 SGB V (in der ab 11.05.2019 bis 31.07.2021 maßgeblichen Fassung) als auch für die Berechnung des Krankengelds nach §§ 44, 47 SGB V ist das letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr. Ein Rückgriff auf weiter zurückliegende Kalenderjahre ist nicht möglich.
Schlagworte:
Krankengeldberechnung, Arbeitseinkommen, Beitragsbemessung, Selbstständige, Ausnahmejahr, Regelentgelt, Vermutungswiderlegung
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 05.06.2024 – L 12 KR 275/23
BSG Kassel, Beschluss vom 10.07.2025 – B 3 KR 20/24 B
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56990

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 24.10.2019 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 14.02.2020 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2020 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.  

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Zahlung von höherem Krankengeld für den Zeitraum vom 09.09.2019.
2
Der am 1963 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Selbstständiger freiwillig mit Anspruch auf Krankengeld nach Wahlerklärung und zusätzlich im Wahltarif „Krankengeld Basis bzw. Klassik 22“ versichert, d. h. mit einem Anspruch auf Krankengeld ab dem 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit in Höhe von 80 Euro pro Kalendertag.
3
Der Kläger war im Zeitraum vom 04.03.2015 unter der Diagnose „depressive Episode“ (F32.9) bzw. „Angst und depressive Störung gemischt“ (F41.2) arbeitsunfähig erkrankt. Im Zeitraum vom 02.03.2016 bis zum 20.04.2016 befand sich der Kläger zu einer Rehamaßnahme in der Mediclin Donaueschingen. Dort erlitt er aufgrund eines Sportunfalls eine mediane Schenkelhalsfraktur rechts (S72.00), die eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 12.08.2016 bedingte. Er bezog im Zeitraum vom 25.03.2015 bis zum 12.08.2016 und nach einer Operation in Zusammenhang mit der Schenkelhalsfraktur vom 22.08.2016 in der Folgezeit Krankengeld. Wegen der Dauer und der Höhe dieses Krankengeldanspruchs waren beim Sozialgericht München Klageverfahren unter den Aktenzeichen S 55 KR 1410/17 und S 55 KR 4067/18 anhängig.
4
Ab dem 29.07.2019 war der Kläger wegen der Implantation einer Hüftgelenksendoprothese rechts arbeitsunfähig erkrankt und beantragte am 05.08.2019 die Zahlung von Krankengeld.
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Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 24.10.2019 ab dem 09.09.2019 kalendertägliches Krankengeld in Höhe von 0,57 Euro brutto. Die Höhe des Krankengelds errechnete die Beklagte aus einem Arbeitseinkommen in Höhe von 24,60 Euro monatlich. Dieses Arbeitseinkommen lag dem vorläufigen Beitragsbescheid der Beklagten vom 31.08.2019 für die Zeit ab Januar 2018 zugrunde und beruhte auf einer Schätzung der Einnahmen durch den Kläger sowie auf dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016. Die Beitragseinstufung erfolgte auf der Grundlage der Mindestbemessungsgrundlage in Höhe von 1.038,33 Euro, da der zuletzt vorliegende Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 geringere Einkünfte in Höhe von 24,60 Euro monatlich auswies.
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In dem gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, dass er im gesamten Jahr 2016 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und demnach auf das Arbeitseinkommen aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 abzustellen sei, da dies das letzte vollständige Arbeitsjahr gewesen sei.
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Auf Anforderung der Beklagten reichte der Kläger Nachweise über das Arbeitseinkommen im Zeitraum Dezember 2018 bis Juli 2019 ein. Die Beklagte berechnete den Krankengeldanspruch neu auf Basis des Entgelts, aus welchem aktuell Beiträge entrichtet wurden, d. h. unter Zugrundelegung der Mindestbemessungsgrenze, bewilligte mit Bescheid vom 14.02.2020 ein kalendertägliches Krankengeld in Höhe von 24,77 Euro (brutto) und veranlasste eine entsprechende Nachzahlung des Differenzbetrags.
8
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger beim Sozialgericht München am 27.01.2020 Klage ein und machte geltend, dass gemäß dem (Beitrags) Bescheid der Beklagten vom 20.05.2019 ihm ein Krankengeldanspruch auf der Bemessungsgrundlage eines Einkommens in Höhe von 4.537,50 Euro bescheinigt worden sei. Mit dem Bescheid vom 20.05.2019 seien monatliche Beiträge in Höhe von 843,98 Euro festgesetzt worden. Aus diesem Einkommen errechne sich sein täglicher Krankengeldanspruch wie folgt:
„4.537,50 Euro: 30 Tage = 151,25 Euro täglich.
70% aus 151,25 Euro = 105,88 Euro täglich.
105,88 Euro abzüglich Pflegeversicherung 3,3% = 102,39 Euro täglich.“
9
Neben der falschen Bemessung komme außerdem § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V) – zur Wirkung. Die Beklagte habe über seinen Antrag vom 05.08.2019 erst mit Bescheid vom 24.10.2019, und damit später als drei Wochen nach seinem Antrag entschieden, so dass die beantragte Leistung als bewilligt gelte. Außerdem begehre er Schadensersatz wegen eines Verstoßes der Beklagten gegen den Datenschutz.
10
Das Klageverfahren wurde bis zur Entscheidung der Beklagten über den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2020 zurückgestellt. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass für das als Entgeltersatzleistung ausgestaltete Krankengeld als Berechnungsgrundlage nur das beitragspflichtige Arbeitseinkommen diene, welches durch die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit entfalle. Vor Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit habe der Kläger die Beiträge aus der Mindestbemessungsgrenze für 2019 gezahlt. Aufgrund eines internen Fehlers habe die Beklagte das Krankengeld aus der Mindestbemessungsgrenze für 2019 berechnet, welches bei 1.061,67 Euro (statt Mindestbemessungsgrenze 2018: 1.038,33 Euro) gelegen habe. Das Regelentgelt habe mithin (1.061,87 Euro: 30 Tage =) 35,39 Euro betragen, das kalendertägliche Brutto-Krankengeld 70 vom Hundert hieraus, mithin 24,77 Euro. Soweit der Kläger vorgetragen habe, dass er für sein letztes vollständiges Arbeitsjahr 2014 wesentlich höheres Arbeitseinkommen nachgewiesen habe, lehnte die Beklagte unter Berufung auf das Urteil des Eufach0000000028s (BSG) vom 14.12.2006 (Az. B 1 KR 11/06 R) eine entsprechende Berücksichtigung ab. Danach sei für die Berechnung des Krankengeldes bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V im Sinne einer widerlegbaren Vermutung ein Regelentgelt zugrunde zu legen, das dem Betrag entspreche, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden seien. Hiervon könne nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspreche, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer gewesen sei. Von diesem Ausnahmefall abgesehen, könne jedoch als Regelentgelt ohne weitere Tatsachenermittlung auf die zuletzt maßgeblich gewesene Beitragsbemessungsgrundlage abgestellt werden, da diese durch den Wortlaut des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V angeordnete Vorgehensweise insbesondere den Erfordernissen der Verwaltungspraktikabilität entspreche. Insofern müsse berücksichtigt werden, dass der Versicherte typischerweise zur Sicherung seines Lebensunterhaltes auf das Krankengeld angewiesen sei und die Bewilligung daher rasch erfolgen müsse. Der Kläger habe im Widerspruch vorgetragen, dass er für das Jahr 2014 ein Arbeitseinkommen oberhalb der Mindestbemessungsgrenze erzielt habe. Der vom BSG dargestellte Ausnahmefall eines evident niedrigeren Einkommens vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sei nicht gegeben.
11
Ergänzend führte die Beklagte bezüglich der Ausführungen des Klägers zum Beitragsbescheid vom 20.05.2019 in der Klageschrift aus, dass der Kläger entsprechende Beiträge nicht gezahlt habe. § 13 Abs. 3a SGB V finde bei Geldleistungen keine Anwendung.
12
Der Kläger verwies unter Vorlage von Banknachweisen darauf, dass er fristgerecht monatlich seinen Beitrag in Höhe von 843,98 Euro gezahlt habe. Zu keinem Zeitpunkt sei eine Beitragsverzugsmahnung erfolgt. Zudem möge die Beklagte die Berechnungsgrundlage mit den Datensätzen übermitteln, aus der die Berechnung der Mindestbemessungsgrenze aus dem Betriebsergebnis unmittelbar vor dem Leistungsfall ermittelt worden sei. Er habe der Beklagten eine Betriebsauswertung mit den betriebswirtschaftlichen Datev-Buchungslisten und monatlichen Auswertungen übermittelt. Daraus ergäben sich Einnahmen im Mai 2019 in Höhe von 7.940,29 Euro, im Juni 2019 in Höhe von 5.588,12 Euro sowie im Juli 2019 in Höhe von 5.771,18 Euro. Für diese Einnahme gelte die Beitragshöchstbemessung für 2019 und 2020 in Höhe von 4.687,50 Euro. Dies entspreche identisch dem Beitragsbescheid vom 20.05.2019.
13
Die Beklagte wies darauf hin, dass es sich bei dem Beitragsbescheid vom 20.05.2019 um eine Zwangseinstufung auf Basis der Beitragsbemessungsgrenze handele, da der Kläger auf vorherige Anfragen der Beklagten nicht reagiert habe. Erst nach dem Beitragsbescheid vom 20.05.2019 habe der Kläger Einkommensunterlagen vorgelegt, auf deren Basis die Aufhebung der Zwangseinstufung und Neufestsetzung der Beiträge mit Bescheid vom 31.08.2019 vorgenommen sei. Auch im Krankengeldverfahren sei der Kläger nach seinem Widerspruch um aktuelle Einkommensnachweise gebeten worden. Nach deren Vorlage sei die Neufestsetzung des Krankengelds erfolgt im Wege der widerlegbaren Vermutung zugunsten des Klägers, allerdings begrenzt auf die Höhe des für die Beitragsberechnung herangezogenen Entgelts (hier die Mindestbemessungsgrenze). Bei einer darüber hinausgehenden Krankengeldgewährung würde es an der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Äquivalenz zwischen Beitragserhebung und Leistungsgewährung bei der Geldleistung fehlen. Eine rückwirkende Korrektur der Beitragseinstufung auf Grundlage der am 09.01.2020 vorgelegten Einkommensangaben sei nicht erfolgt. Festzustellen sei, dass es einen erheblichen Unterschied hinsichtlich der erwirtschafteten Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit in 2014 und 2016 gebe. Für die weiteren Jahre 2017 ff. seien keine Einkommensteuerbescheide vorgelegt worden.
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Zwischenzeitlich liegt der Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 07.02.2020 vor, der ein Einkommen aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 5.368 Euro ausweist.
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Mit Schreiben vom 02.05.2023 wurden die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 24.10.2019 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 14.02.2020 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2020 zu verurteilen, ihm ab dem 09.09.2019 bis zum Ende des Bezugszeitraums Krankengeld in Höhe von 102,39 Euro netto täglich unter Anrechnung des geleisteten Krankengelds in Höhe von 24,32 Euro netto täglich zuzüglich Zinsen zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
18
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

19
Vorliegend konnte das Gericht über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden ordnungsgemäß i. S. d. § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG angehört und haben überdies diesem Vorgehen zugestimmt.
20
Die Klage wurde beim nach §§ 51 Abs. 1 Nr. 2, 57 Abs. 1 SGG sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht München erhoben und ist zulässig. Das im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht beendete Widerspruchsverfahren wurde mit Erlass des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2020 abgeschlossen, so dass das gemäß § 78 Abs. 1 SGG notwendige Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Streitgegenständlich ist nur noch die Höhe des Krankengeldanspruchs. Soweit der Kläger einen Verstoß gegen Datenschutzvorschriften und daraus resultierend einen Anspruch auf Schadensersatz geltend machte, hat er diesen aufgrund des Hinweises zum Rechtsweg im richterlichen Schreiben vom 15.07.2021 nicht mehr weiterverfolgt.
21
In der Sache erweist sich die Klage als unbegründet. Der Kläger wird durch den Bescheid der Beklagten vom 24.10.2019 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 14.02.2020 sowie in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2020 nicht in seinen Rechte verletzt. Er hat keinen Anspruch auf die Zahlung von weiterem Krankengeld in Höhe von 102,39 Euro netto kalendertäglich unter Anrechnung des bereits geleisteten Krankengelds in Höhe von 24,32 Euro netto kalendertäglich ab dem 09.09.2019.
22
Versicherte haben gemäß § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; in der ab bis 23.07.2015 bis zum 10.05.2019 gültigen Fassung) Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41SGB V) behandelt werden. Freiwillig krankenversicherte Selbstständige haben gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V keinen Anspruch auf Krankengeld, es sei denn, das Mitglied erklärt gegenüber der Krankenkasse, dass die Mitgliedschaft den Anspruch auf Krankengeld umfassen soll (Wahlerklärung). Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 3 SGB V bleibt die Möglichkeit zur Wahl eines Wahltarifs nach § 53 Abs. 6 SGB V hiervon unberührt.
23
Der Anspruch auf Krankengeld entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen ab dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (§ 46 Satz 1 SGB V). Für Versicherte, die eine Wahlerklärung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V abgegeben haben, entsteht der Anspruch von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an (§ 46 Satz 3 SGB V i. d. Fassung des Gesetzes vom 16.07.2015). Im Fall des Wahltarifs „Krankengeld Basis bzw. Klassik 22“, wie er vorliegend für den Kläger maßgeblich ist, entsteht der Anspruch davon abweichend früher bereits ab dem 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit.
24
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Krankengeld dem Grunde nach für den Zeitraum ab dem 09.09.2019 liegen vor. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
25
Die Höhe des Krankengelds ergibt sich aus § 47 SGB V (in der vom 01.07.2019 bis zum 31.12.2022 gültigen Fassung). Danach beträgt es gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Für Versicherte, die – wie der Kläger als selbstständig Erwerbstätiger – nicht Arbeitnehmer sind, gilt gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Hierbei handelt es sich nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 6.11.2008 – B 1 KR 8/08 R –, Juris, Rdnr. 12 ff.; Urteil vom 12.03.2012, B 1 KR 4/12 R, Juris, Rdnr. 23 ff.) um eine widerlegbare Vermutung, nach welcher das Regelentgelt nach dem Betrag zu errechnen ist, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden sind.
26
Dabei wird das für die Ermittlung des Regelentgeltes maßgebliche Arbeitseinkommen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – SGB IV ermittelt. Danach ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Gemäß § 25 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) ist dabei maßgeblicher Veranlagungszeitraum das Kalenderjahr. Die Ermittlung nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V erfolgt damit nach der sog. Referenzmethode. Referenzzeitraum sowohl für die Beitragsbemessung nach § 240 SGB V (in der ab 11.05.2019 bis 31.07.2021 maßgeblichen Fassung) als auch für die Berechnung des Krankengelds nach §§ 44, 47 SGB V ist das letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr. Dies wäre vorliegend das Kalenderjahr 2018.
27
Die Vermutung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V kann jedoch widerlegt werden, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das der Beitragsfestsetzung zugrundeliegende Einkommen nicht den tatsächlichen Einkommensverhältnissen des Versicherten entspricht (vgl. KassKomm/Schifferdecker, 112. EL Dezember 2020, § 47 SGB V, Rn. 79, m. w. N.). Zur Überzeugung der Kammer gilt die Widerleglichkeit der Vermutung nicht nur für den Fall, dass das tatsächlich erzielte Einkommen niedriger als das der Beitragsbemessung zugrunde gelegte ist, sondern auch für den umgekehrten Fall einer Abweichung zugunsten des Versicherten. Auf die ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des SG Aachen in seinem Urteil vom 13.10.2020 (Az. S 14 KR 115/20, Juris, Rdnr. 23 ff.) wird ausdrücklich Bezug genommen und diese zum Gegenstand dieser Entscheidung gemacht (vgl. ebenso SG Berlin, Urteil vom 01.12.2021, Az. S 56 KR 1969/20, Juris, Rdnr. 25; SG Bremen, Urteil vom 20.05.2021, Az. S 66 KR 615/18).
28
Vorliegend ist nach Auffassung der Kammer ein solcher Fall gegeben, in dem die gesetzliche Vermutung widerlegt werden kann. Denn die Beklagte hat dem maßgeblichen Beitragsbescheid vom 31.08.2019 (nicht: 20.05.2019; hierzu weitere Ausführungen sogleich) den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 zugrunde gelegt. In diesem Jahr war der Kläger nachgewiesen ganzjährig arbeitsunfähig erkrankt und bezog laut dem Einkommensteuerbescheid vom 11.12.2017 ein geringes Arbeitseinkommen in Höhe von 42 Euro, im Übrigen lediglich Krankengeld als Entgeltersatzleistung. Demzufolge wurden die Beiträge des Klägers aus der Mindestbemessungsgrundlage errechnet. Demgegenüber lagen im Kalenderjahr 2018 nur 107 Fehltage mit Krankengeldbezug vor, also deutlich weniger als im Kalenderjahr 2016. Nach den Angaben des Klägers erzielte er im Dezember 2018 nach Einnahmen-Überschuss-Rechnung einen Gewinn von 5.375,33 Euro. Das Kalenderjahr 2016 ist krankheitsbedingt ein Ausnahmejahr gewesen.
29
Entgegen dem Begehr des Klägers wird in diesem Fall jedoch nicht auf den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014, in dem der Kläger ein hohes Arbeitseinkommen hatte, zurückgegriffen. Vielmehr ist das Einkommen nach den tatsächlichen Verhältnissen im Kalenderjahr 2018 zu ermitteln. Das bedeutet auch, dass das dem Beitragsbescheid vom 20.05.2019 zugrunde gelegte Einkommen aus der Beitragsbemessungsgrenze, entgegen der Auffassung des Klägers, nicht maßgeblich ist. Denn es ist einhellige Meinung in der Rechtsprechung, dass sich auch bei freiwillig versicherten Selbständigen das Krankengeld grundsätzlich nach dem tatsächlich erzielten Einkommen richtet und nicht etwa nach dem für die Beitragsberechnung maßgebenden Mindesteinkommen nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V („fiktives Mindesteinkommen“; vgl. BSG, Urteil vom 07.12.2004 – B 1 KR 17/04 R, Juris; BSG, Urteil vom 22.02.2017 – B 3 KR 47/16 B, Juris; Bohlken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 47 SGB V, Stand: 05.01.2022, Rdnr. 90 ff.). Dies gilt gleichermaßen für den Fall der zwangsweisen Beitragsbemessung auf Grundlage der (oberen) Beitragsbemessungsgrenze. Denn auch in diesem Fall ist das zugrunde gelegte Einkommen fiktiv und es würde mit dem Krankengeld sonst Einkommen ersetzt, das gar nicht vorgelegen hat. Abgesehen davon wurde der Beitrag des Klägers aufgrund seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20.05.2019 nach Vorlage von Einkommensnachweisen mit dem Bescheid vom 31.08.2019 (aus der Mindestbemessungsgrenze) neu festgesetzt. Der Bescheid vom 20.05.2019 ist dadurch gegenstandslos geworden und kann für eine etwaige Krankengeldberechnung nicht herangezogen werden.
30
Vielmehr wäre das Arbeitseinkommen für das Kalenderjahr 2018 (nicht November 2018 bis Juni 2019) von der Beklagten von Amts wegen zu ermitteln gewesen, wobei sie laut dem BSG (vgl. Urteil vom 06.11.2008, Az. B 1 KR 8/08 R, Juris, Rdnr. 21) dies durch Einholung steuerrechtlich vorgeschriebener Aufzeichnungen (vgl. z. B. § 60 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung) oder die Inanspruchnahme von Amtshilfe des zuständigen Finanzamtes hätte durchführen können.
31
Ein höherer Anspruch auf Krankengeld ergibt sich aus diesen Maßgaben jedoch nicht. Denn zwischenzeitlich liegt der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 vom 07.02.2020 vor. Danach hat der Kläger ein Arbeitseinkommen von 5.368 Euro erzielt. Unter Berücksichtigung der Fehltage wegen Krankengeldbezugs lag ein monatliches Arbeitseinkommen von (5.368 Euro: 258 Tage x 30 Tage =) 624,19 Euro vor, so dass sich ein Regelentgelt von (624,19 Euro: 30 Tage =) 20,81 Euro, sowie hieraus ein Krankengeldanspruch in Höhe von (20,81 Euro x 0,7 =) 14,78 Euro errechnet. Das bereits bewilligte Krankengeld mit 24,77 Euro übersteigt dieses bereits, so dass eine noch höhere Bewilligung ausgeschlossen ist.
32
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf höheres Krankengeld kann auch nicht auf § 13 Abs. 3a SGB V gestützt werden. Wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat, gilt diese Vorschrift nicht für Geldleistungen, sondern nur für Sach- oder Dienstleistungen (vgl. § 13 Abs. 1 SGB V).
33
Für den Kläger besteht folglich unter keinem Aspekt ein Anspruch auf Zahlung von höherem Krankengeld.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Diese betrifft auch die vom Kläger geltend gemachten Bankgebühren in Höhe von 25 Euro für die Auskünfte zur Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge. Diese sind aufgrund des Verfahrensausgangs als außergerichtliche Kosten nicht von der Beklagten zu erstatten.