Titel:
Verfahrensrügen, Beweislastumkehr im Fall unzureichender Sachverhaltsaufklärung durch die Prüfungsbehörde
Schlagworte:
Verfahrensrügen, Beweislastumkehr im Fall unzureichender Sachverhaltsaufklärung durch die Prüfungsbehörde
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56897
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheids vom 8. Oktober 2021 und seines Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 2021, soweit diese den mündlichen Prüfungsteil betreffen, verpflichtet, der Klägerin einen neuen Prüfungsversuch für den mündlichen Teil der Prüfung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Prüfungsentscheidung des Beklagten, sie habe den mündlichen Teil der staatlichen Prüfung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin nicht bestanden.
2
Mit Schreiben vom 28. Juli 2021 ließ die Regierung von Oberbayern – Landesprüfungsamt für Medizin, Pharmazie und Psychotherapie (künftig: Prüfungsamt) – die Klägerin, die ihre entsprechende Ausbildung im Jahr … begonnen hatte, zur staatlichen Prüfung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zu. Die Prüfung besteht aus einem schriftlichen und einem mündlichen Prüfungsteil, wobei letzterer in eine Einzel- und Gruppenprüfung aufgeteilt ist. In der Einzelprüfung ist mit den Prüflingen mindestens eine ihrer während der Ausbildung erstellten Falldarstellungen zu erörtern, wobei die Prüflinge vor der Prüfung zwei Falldarstellungen als Zulassungsvoraussetzung einzureichen haben. In einer solchen von der Klägerin eingereichten Falldarstellung waren in einem Anhang der vollständige Vor- und Nachname der behandelten Patientin angegeben. In der Folge holte die Klägerin eine schriftliche Erklärung der Patientin ein, wonach die Klägerin von der Einhaltung der Schweigepflicht entbunden werde.
3
Am … legte sie zunächst ihre Einzel- und sodann ihre Gruppenprüfung vor den Prüferinnen … (der Vorsitzenden der Prüfungskommission), … und … sowie vor dem Prüfer … ab. Ihre Leistungen wurden in der Einzelprüfung mit der Note „ausreichend“ und in der Gruppenprüfung mit der Note „mangelhaft“ bewertet. Im Anschluss an die Gruppenprüfung und nach Vorlage der Erklärung über die Entbindung von der Einhaltung der Schweigepflicht kamen die Prüferinnen und Prüfer zu dem Ergebnis, die Klägerin habe die mündliche Prüfung insgesamt nicht bestanden. Dieses Prüfungsergebnis wurde der Klägerin sodann mündlich mitgeteilt. In der Gruppenprüfung nahmen neben der Klägerin die Prüfungskandidatinnen … und … teil, wobei allein letztere die mündliche Prüfung bestand.
4
Mit E-Mail vom … teilte die Klägerin dem Prüfungsamt sinngemäß im Wesentlichen mit, sie habe das Ende der mündlichen Prüfung abwarten wollen, um nicht nur aus ihrer subjektiven Wahrnehmung heraus zu schreiben. Mit jeder weiteren Beschäftigung mit dem Prüfungsgeschehen und nach Rücksprache mit mehreren Prüfungsteilnehmern sei sie sich nun aber sicher, dass eine Anfechtung des Prüfungsergebnisses unausweichlich sei. Die Prüfung habe einer Gerichtsverhandlung geglichen, in der die Richter noch vor Beginn der Verhandlung ihr Urteil gefällt und während der Verhandlung dafür gesorgt hätten, dass ihr bereits gefälltes Urteil auch eintrete und rechtens werde. Der ihr im Vorfeld unterlaufene Fehler mit Blick auf den Datenschutz bzw. die Weitergabe personenbezogener Daten seien zum Anlass genommen worden, um ihr nicht die Befähigung zur Ausübung des Berufs der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin zu bescheinigen. Dieses Thema sei mehrmals während der Prüfung abgefragt worden. Die Äußerungen von vor allem zwei Prüfern sowie die Art und Weise, wie mit dem Thema in der Prüfung umgegangen worden sei, zeige eindeutig eine Befangenheit mindestens eines Prüfers. Dieser habe in einer Frage zum Prüfungsfall den Namen der Patientin erwähnt und dann in einer unangemessenen „läppischen“ Art gefragt, ob ihr denn aufgefallen sei, dass er nur den Vornamen der Patientin erwähnt habe. Auch ihre Schilderungen im Anschluss, wie sie mit dem Vorfall umgegangen sei – sie habe einen sachkundigen Rechtsanwalt zur Erfüllung ihrer Pflichten einbezogen –, habe nicht dazu geführt, dass das Thema damit abgeschlossen worden wäre. Im Gegenteil seien während der gesamten Prüfung – auch in der Gruppenprüfung – der Datenschutz bzw. die Schweigepflicht immer wieder thematisiert worden, wobei abschätzige Bemerkungen gefallen seien. Als sie die Frage, welche Rechte und Pflichten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten hätten und wo diese stünden, beantwortet und vor allem die in der Musterberufsordnung stehenden Pflichten genannt habe, sei ihr nach dem Datenschutz die Schweigepflicht nicht schnell genug eingefallen, worauf die Prüferin … erklärt habe: „Genau da sehen Sie wieder ihr Thema mit der Schweigepflicht“. Während der Gruppenprüfung seien dann auch in der Aufgabenstellung deutliche Unterschiede gemacht worden. Während eine Prüfungsteilnehmerin Fragen erhalten habe, die auf keine bestimmte, spezifische Antwort gezielt hätten und eher als kollegialer Austausch zwischen Prüferinnen und Prüfern auf der einen und der Prüfungsteilnehmerin auf der anderen Seite hätten gewertet werden können, seien ihr überproportional viele gezielte Fragen gestellt worden, die eher einer schriftlichen Prüfung in mündlicher Form geglichen hätten. Auch hier sei im Anschluss an jede nicht gänzlich beantwortete Frage von diesem einen Prüfer abschätzig gelächelt worden. Eine weitere Prüferin habe während der laufenden Prüfung auf ihr Handy gesehen, was weiter zu ihrer Verunsicherung geführt habe. Der gesamte Prüfungsprozess sei mit einem starken Ohnmachtsgefühl verbunden gewesen. Die Prüfung sei ein Musterbeispiel für den Rosenthal-Effekt gewesen.
5
Gegen das Ergebnis der mündlichen Prüfung legte die Klägerin mit Schreiben vom 3. September 2021, eingegangen bei dem Prüfungsamt am 7. September 2021, Widerspruch ein. Über ihr bisheriges Vorbringen hinaus führte sie sinngemäß im Wesentlichen aus, ihr Widerspruch beruhe zunächst auf der Befangenheit mindestens eines Prüfers. Der Prüfer … habe das Thema der Datenpanne – das vor der Prüfung in Absprache mit der Prüfungsbehörde unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts geklärt worden sei – sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppenprüfung immer wieder zum Anlass genommen, sie massiv unter Druck zu setzen und zu verunsichern. Somit sei ihr von diesem Prüfer schon im Vorfeld der Prüfung die Eignung zur Tätigkeit als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin abgesprochen worden. Die Klärung der Angelegenheit im Wege einer Einverständniserklärung der Patientin sei dabei gar nicht beachtet worden. Genauso seien der positive Verlauf der Therapie und inhaltliche Themen völlig irrelevant gewesen. Daneben sei das Thema Datenschutz und Schweigepflicht in der gesamten Prüfung mehrmals angesprochen und die Missbilligung des Vorfalls auch mehrmals offen mitgeteilt worden. Dies sei auch vor den anderen Prüfungsteilnehmerinnen in der Gruppenprüfung geschehen.
6
Der Prüfungskandidatin …, die bestanden habe, seien wenige offene Fragen gestellt worden, die man unspezifisch habe beantworten können. Bei den ihr gestellten Fragen sei es dagegen um die S3-Leitlinie gegangen – beispielsweise sei nach dem achtstufigen Modell der Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (künftig: PTBS) gefragt worden –, um die Musterberufsordnung, den psychopathologischen Befund, die Differenzialdiagnostik, die Verhaltensanalyse, die Suizidabklärung, um Sucht und vieles mehr. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei auch in der Benotung vor allem der Gruppenprüfung massiv verletzt worden.
7
Die Prüferin … sowie der Prüfer … hätten durch ihre Art und Weise der Fragestellung und durch ihre Reaktionen auf Antworten – abschätziges Lächeln oder das Nichtaussprechenlassen und Lautwerden – für massive Verunsicherung gesorgt, sodass Wissen nicht oder nicht gänzlich habe abgerufen werden können.
8
Die Note 5 in der Gruppenprüfung sei damit begründet, sie habe absolut nichts gewusst, was nicht der Wahrheit entspreche. Mehrere der unverhältnismäßig vielen Fragen seien richtig beantwortet worden. Dies könnten die beiden weiteren Prüfungsteilnehmerinnen bezeugen.
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Diese Tortur im Rahmen der mündlichen Prüfung könne nicht rechtens sein. In einer Prüfungssituation sollten Prüflinge keine Ohnmacht aufgrund Befangenheit, Willkür, absichtlicher Verunsicherung von Prüferseite oder massiver Fehleinschätzungen erleben müssen. Neben alldem, was in der Prüfung nicht rechtens gewesen sei, wäre diese bestanden gewesen, wenn die Leistungen in der Gruppenprüfung wahrheitsgemäß benotet worden wären. Stattdessen sei die Note 5 „hergenommen“ worden, um das – unabhängig von der erbrachten Leistung – bereits festgesetzte Ergebnis zu erreichen. Des Weiteren müsse dafür gesorgt werden, dass die Prüferin … und der Prüfer … keine Möglichkeit mehr erhielten, ihre Macht in der Rolle als Prüferin bzw. Prüfer derart zu missbrauchen.
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Mit Bescheid vom 8. Oktober 2021 teilte das Prüfungsamt der Klägerin sinngemäß im Wesentlichen mit, sie habe den schriftlichen Teil der staatlichen Prüfung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit der Note „ausreichend“ bestanden. Dagegen habe sie den mündlichen Teil der staatlichen Prüfung nicht bestanden. Ihre Prüfungsleistung sei mit der Note „mangelhaft“ bewertet. Nach der Prüfungsordnung sei der mündliche Teil der Prüfung oder die gesamte Prüfung zu wiederholen. Zur Wiederholung werde nur zugelassen, wer an einer weiteren praktischen Ausbildung teilgenommen habe, deren Dauer und Inhalt von der zuständigen Behörde bestimmt werde. Sie sei daher verpflichtet, vor Ablegung der Wiederholungsprüfung an einer weiteren praktischen Ausbildung teilzunehmen. Insoweit wurden als Auflagen „[z]wei neue ambulante Fälle“ und „Keine Weiterbehandlung der Klienten und Teilnahme Theorieseminar Verhaltensanalyse + Behandlungsplan“ festgesetzt.
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In der Folge gaben auf Aufforderung des Prüfungsamts unter Übersendung jedenfalls von Abschriften des Widerspruchs der Klägerin alle Prüferinnen bzw. Prüfer des mündlichen Prüfungsteils Stellungnahmen ab. Mit E-Mail vom 2. November 2021 teilte die Klägerin auf entsprechende Nachfrage des Prüfungsamts sinngemäß im Wesentlichen mit, sie nehme den erhobenen Widerspruch nicht zurück. Sie sei seit 2016 in der Tagesklinik des Klinikums … … als Fallführerin beschäftigt. Dies bedeute, dass sie bereits zwei Jahre vor Beginn sowie neben der Ausbildung Patienten und deren Familien begleitet, betreut und therapiert habe. Im Rahmen ihrer Arbeit in der Tagesklinik habe sie eine dreistellige Anzahl von Patienten behandelt, also ein Mehrfaches der für die praktische Arbeit erforderlichen 600 Therapiestunden absolviert. Die Arbeit in einem Team befreie sie nicht von der Verantwortung für die richtige Diagnose und somit für die Behandlung der ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Ihre Arbeit mache sie so gut, dass sie vom Chefarzt Anfang dieses Jahres eine Stufenvorweggewährung erhalten habe, was ein Novum darstelle. Alle ihre Patienten, die sie im Rahmen ihrer praktischen Ausbildung habe begleiten dürfen, seien genesen. Dabei habe sie Patienten von der Tagesklinik – was üblich und erlaubt sei – und noch mehrere Patienten von der Warteliste des Instituts für Verhaltenstherapie, Verhaltensmedizin und Sexuologie Nürnberg übernommen.
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In der Einzelprüfung hätten die Prüferinnen und Prüfer lediglich eine direkte Frage zu den von ihr ausgewählten Fällen gestellt. Der Prüfer … habe noch im Monolog darüber diskutiert, ob die Diagnose PTBS womöglich unzutreffend sei und ob die Patientin nicht eine Anpassungsstörung haben könne. Bei der Patientin habe es sich aber um ein Flüchtlingsmädchen gehandelt, vor dessen Augen Menschen bzw. Kinder erschossen worden seien. Die Patientin habe alle Kriterien einer PTBS erfüllt. Die Prüferin … habe gefragt, nach welchem Manual sie die Patientin therapiert habe, da sie hierzu im Bericht nichts gefunden habe. Als sie die Prüferin auf die entsprechende Stelle ihres Berichts aufmerksam gemacht habe, aus der das verwendete Manual hervorgehe, sei die Prüferin ohne Kommentar zum aus ihrer Sicht nächsten Fehler übergegangen, wonach unter einem bestimmten Gliederungspunkt ein Wort stehe, das dort nicht hingehöre. Darüber hinaus sei es um die Verhaltensanalyse und eine Frage zur Plananalyse gegangen, die sie tatsächlich nicht habe beantworten können. Dies sei die gesamte Einzelprüfung gewesen. Die Bewertung sei damit begründet worden, sie handele wie eine Sozialpädagogin und nicht wie eine Therapeutin. Diese Einschätzung habe die Prüferin … abgegeben, da sie – allseits bekannt – grundsätzlich der Meinung sei, andere Berufsgruppen als Psychologen sollten den Beruf des Psychotherapeuten nicht ausüben dürfen bzw. wären hierfür nicht geeignet. Ihre objektive Begründung habe auf der Tatsache basiert, dass sie das Flüchtlingsheim der Patientin gemeinsam mit der sozialpädagogischen Familienhilfe aufgesucht habe, um zu sehen, wie man einen Faktor, der die Genesung der Patientin stark beeinflusse, verändern bzw. aus der Welt schaffen könne. Aus ihrer Sicht wäre es sogar fahrlässig und ein Behandlungsfehler gewesen, hätte sie dies in dem Wissen nicht getan, dass die Patientin so nicht genesen könne.
13
In der Gruppenprüfung habe die Prüferin … dieselbe Frage gestellt, die sie schon in der Einzelprüfung nicht habe beantworten können. Daneben habe sie wissen wollen, wo die Rechte und Pflichten der Therapeuten geregelt seien. Es habe die Prüferin überrascht, dass sie diese Frage richtig beantwortet habe. Der Prüfungskandidatin … und ihr seien im Unterschied zu der Prüfungskandidatin … sehr spezielle Fragen gestellt worden. Anzahl und Dauer der Fragen hätten im Vergleich zu der anderen Prüfungsteilnehmerin „das [M]ehrfache“ betragen. Auf Frage des Prüfers … habe sie die acht Stufen der Behandlung laut Leitlinie PTBS aufsagen sollen, die der Prüfer sodann selbst vorgelesen habe. Die Reaktionen der Prüferin … sowie des Prüfers … seien gegen Ende der Prüfung so absurd gewesen, dass sie richtige Antworten in Frage gestellt habe. Beispielsweise habe sie eine Frage zur Suizidalität – die Prüferin … habe sie dafür sogar gelobt, was bei allen zu Überraschung geführt habe – richtig beantwortet, indem sie zum präsuizidalen Syndrom alle drei Punkte genannt und dann nach einem vermeintlich vierten Punkt gesucht habe, den es allerdings nicht gebe. Keiner der Prüferinnen und Prüfer habe gesagt, es existiere kein weiterer Punkt, vielleicht hätten sie dies auch nicht gewusst. In der Gruppenprüfung, in der sie mehrere Fragen richtig beantwortet habe, habe sie die Note „ungenügend“ mit der Begründung erhalten, sie habe nichts gewusst.
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Mit Bescheid vom 3. Dezember 2021 wies die das Prüfungsamt den Widerspruch zurück (Ziff. 1 des Bescheids). Der Klägerin wurden die Kosten des Widerspruchsverfahrens auferlegt (Ziff. 2 des Bescheids). Es wurde eine Gebühr in Höhe von 250,00 EUR festgesetzt; die Auslagen beliefen sich auf 2,76 EUR (Ziff. 3 des Bescheids). Zur Begründung ist in dem Bescheid sinngemäß im Wesentlichen ausgeführt, die Prüfungsprotokolle enthielten keine Hinweise, dass die Atmosphäre in der Prüfung nicht einer normalen, angemessenen Prüfungssituation entsprochen habe. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes habe ebenfalls nicht festgestellt werden können. Auch schließe sich das Prüfungsamt den Ausführungen der Prüferinnen und Prüfer an. Zusammengefasst hätten diese geäußert, mit der Klägerin sei kein vertieftes sachliches Gespräch möglich gewesen, da es bei beinahe allen Fragen an Grundwissen gemangelt habe. Diese Lücken hätten die Prüferinnen und Prüfer sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppenprüfung festgestellt. Hieraus resultiere auch, dass immer wieder neue Fachfragen hätten gestellt werden müssen. Die notwendige Prüfung dahingehend, dass die Kandidaten später eigenverantwortlich Patienten behandeln könnten, sei bei der Klägerin nicht möglich gewesen. Allein daraus lasse sich ein anderer Prüfungsablauf als bei anderen Prüflingen ableiten.
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Auch der Einwand, wonach das Prüfungsthema „Datenschutz und Schweigepflicht“ zu Unrecht mehrfach in der Prüfung angesprochen worden sei, führe nicht zum Erfolg des Widerspruchs. Auch hier seien die Prüfungsprotokolle zu berücksichtigen, wonach der Grund für das intensive Abfragen des Themas Datenschutz darin gelegen habe, dass der Klägerin im Vorfeld der Prüfung eine Schweigepflichtverletzung unterlaufen sei. Allerdings sei diese Datenpanne durch die Klägerin im Nachgang behoben worden, was auch in der Bewertung der Prüferinnen und Prüfer berücksichtigt worden sei. Bei der Bewertung der Leistungen verbleibe den Prüferinnen und Prüfern im Übrigen ein Bewertungsspielraum.
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Mit E-Mail vom 28. Dezember 2021 führte die Klägerin sinngemäß im Wesentlichen aus, sie habe trotz mehrmaliger Nachfragen erst nach Zugang des Widerspruchsbescheids Akteneinsicht erhalten. Sie habe daher keine Chance gehabt, auf die Stellungnahme der Prüferinnen und Prüfer einzugehen. Bereits die Stellungnahme der Prüferin … enthalte Umstände, die nicht den Tatsachen entsprächen. Dies könne die weitere Prüfungsteilnehmerin … bezeugen. Zum Beispiel gebe die Prüferin … an, sie habe die Frage nach der Medikation des Störungsbilds der PTBS damit beantwortet, sie könne keine Medikation verschreiben, dies mache der Arzt. Tatsächlich habe sie die Prüferin … aber gefragt, welche Medikation sie – die Klägerin – bei dem genannten Störungsbild vergeben würde. Sie habe wie protokolliert geantwortet. Wäre sie gefragt worden, welche Medikation man bei dem Störungsbild vergebe, hätte sie dies sogar in Zusammenhang mit bestehenden Komorbiditäten genau erläutern können. Sie arbeite seit Jahren in der Tagesklinik, wo die begleitende Pharmakotherapie bzw. Medikationseinstellung neben anderen laufenden Therapien Schwerpunkt sei. Des Weiteren gebe die Prüferin an, sie habe „ein paar Kriterien“ der Musterberufsordnung aufgezählt und vor allem die Schweigepflicht vergessen. Tatsächlich habe sie alle Punkte der Musterberufsordnung aufgezählt und die Schweigepflicht deswegen nicht erwähnt, weil sie diese unter Datenschutz subsumiert habe, was sie genauso angegeben habe. Auch das könne bezeugt werden. Für die Antwort sei sie von der Prüferin … gelobt worden. Diese Aufzählung könne sie so weiterführen.
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Bisher habe sie ihre Erkrankung nicht erwähnt, da diese keinen Einfluss auf den Ablauf der Prüfung gehabt habe. Die Krankheit habe lediglich Einfluss darauf gehabt, dass sie nicht schon während der Prüfung gegen diese Tortur angegangen sei. Aber auch hier schreibe die Prüferin … etwas, was so keineswegs gesagt worden sei. Sie habe ihre Erkrankung vor der Prüfung nicht erwähnt, da sie nicht gewollt habe, dass die Prüferinnen bzw. Prüfer hierdurch zu ihren Gunsten beeinflusst würden. Sie habe lediglich nach Verkündung des Prüfungsergebnisses erklärt, dass sie zwar nicht auf all ihr Wissen habe zurückgreifen können, aber sehr überrascht über das Prüfungsergebnis sei. Sie habe ihre Prüfungsteilnahme mit der diensthabenden Ärztin nur kurz besprochen. Diese habe die Auffassung vertreten, es sei medizinisch vertretbar, an der mündlichen Prüfung teilzunehmen. Dagegen behaupte die Prüferin … unzutreffend, es sei lange überlegt worden, ob sie überhaupt teilnehmen solle. Sie sei entsetzt darüber, dass Prüferinnen bzw. Prüfer scheinbar Fragen so manipulierten, um ihre Entscheidung rechtfertigen zu können. Eigentlich sei sie nach der Prüfung sprachlos, dass so etwas in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland überhaupt möglich sei, noch dazu in einer staatlichen Prüfung.
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Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 4. Januar 2022, eingegangen bei Gericht am 5. Januar 2022, Klage erhoben.
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Zur Begründung lässt sie mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 22. April 2022 über ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren hinaus sinngemäß im Wesentlichen vorbringen, aus dem Grundsatz der Chancengleichheit und dem Fairnessgebot resultiere, dass Prüflinge ein Recht darauf besäßen, Prüfungsleistungen erbringen zu können, ohne durch erhebliche äußere Einwirkungen gestört zu werden. Es müsse gewährleistet sein, dass Prüflinge ihre wahren Fähigkeiten und Leistungen abrufen könnten und gegenüber anderen Prüflingen nicht schlechter gestellt würden. Die Prüferin … und der Prüfer … hätten durch die Art und Weise der Fragestellung sowie ihre Reaktionen auf entsprechende Antworten – abschätziges Lächeln, Nichtaussprechenlassen und Lautwerden – bei ihr zu einer massiven Verunsicherung geführt. So hätten sich die genannte Prüferin und der genannte Prüfer bei den anderen Prüfungsteilnehmern nicht verhalten. Durch dieses Verhalten sei sie massiv in ihrem Recht auf Chancengleichheit eingeschränkt worden.
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Des Weiteren habe sich die Prüfungskommission von sachfremden Erwägungen leiten lassen bzw. willkürlich gehandelt. Die ihr im Vorfeld unterlaufene Datenpanne habe dazu geführt, dass die Prüfungskommission ihrer Leistungen nicht unvoreingenommen bewertet habe. Die vor der Prüfung herbeigeführte Klärung sei nicht berücksichtigt worden. Stattdessen habe der Prüfer … sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppenprüfung das Thema Verschwiegenheitspflicht und Datenschutz immer wieder zum Anlass genommen, sie massiv unter Druck zu setzen, sie zu verunsichern und sie vor den anderen Prüfungsteilnehmerinnen bzw. -teilnehmern durch die offene Missbilligung des Vorfalls zu kompromittieren.
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Die Bewertung ihrer Leistungen sei nicht korrekt erfolgt. Zum Teil seien richtig beantwortete Fragen weder in die Niederschrift aufgenommen noch bei der Bewertung berücksichtigt worden. Beispielsweise habe sie korrekt die drei Merkmale zum präsuizidalen Syndrom genannt. Des Weiteren sei sie gegen Ende der Prüfung zur Trichotillomanie befragt worden, wobei sie korrekt geantwortet habe. Beide Fragen sowie die richtigen Antworten seien in der Niederschrift nicht aufgenommen und bei der Bewertung nicht berücksichtigt worden. Weiter seien bei der Bewertung Fragen doppelt eingeflossen, wodurch eine fehlerhafte Bewertung entstanden sei. So sei sie in Einzel- und Gruppenprüfung zur vertikalen und horizontalen Verhaltensanalyse befragt worden. Aus Sicht der Prüfer habe sie die Frage bereits in der Einzelprüfung nicht ausreichend beantworten können. Trotzdem sei ihr in der Gruppenprüfung erneut dieselbe Frage gestellt worden, obwohl die Prüfer ihren Kenntnisstand hierzu gewusst hätten.
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Die Klägerin beantragt zuletzt, zu erkennen:
Der Beklagte wird unter Aufhebung der Prüfungsentscheidung über den mündlichen Teil der staatlichen Prüfung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vom … in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2021 verpflichtet, über die Prüfungsentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden;
hilfsweise wird der Beklagte zur Prüfungswiederholung verpflichtet.
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Der Beklagte beantragt
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Er führt unter Bezugnahme auf die Ausführung des Widerspruchsbescheids sinngemäß im Wesentlichen aus, in der Prüfungsniederschrift seien die Gründe für das Nichtbestehen aufgenommen. Insbesondere sei dort hervorgehoben, dass der Klägerin fundiertes Wissen fehle und die therapeutische Fähigkeit nicht ausgeprägt sei. Auch den Stellungnahmen der Prüferinnen und Prüfer sei zu entnehmen, dass die Klägerin ein „Mangel an Grundwissen“ sowie „erhebliche Defizite in den Bereichen therapeutischer Basiskompetenzen und störungsspezifisches Wissen“ habe. Lediglich partiell sei dem klägerischen Vortrag zuzustimmen, wonach richtig beantwortete Fragen teilweise in der Niederschrift nicht aufgenommen und bei der Bewertung nicht berücksichtigt worden seien. Richtig beantwortete Fragen seien – auch wenn sie nicht explizit in der Niederschrift erfasst seien – wie in den Protokollen erläutert zur Kenntnis genommen worden. Dennoch sollen die Fragen durch die Klägerin nicht in dem Maße beantwortet worden sein, dass eine andere Notengebung hätte erreicht werden können. Die klägerseits angeführte unverhältnismäßige Doppelbewertung von Fragen in der Einzel- und Gruppenprüfung sei nicht haltbar. Die in der mündlichen Prüfung abgefragten Themenbereiche stellten Grundlagen der Approbationsprüfungsordnung dar und damit Grundwissen, das jeder approbierte Therapeut beherrschen solle. Die notwendige Prüfung der Klägerin dahingehend, dass sie später eigenverantwortlich Patienten behandeln könne, sei nicht möglich gewesen. Nach der Prüfungsordnung habe der Prüfling nachzuweisen, dass er über das für die Tätigkeit der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erforderliche eingehende Wissen und Können verfüge und in der Lage sei, die während der Ausbildung erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in der beruflichen Praxis anzuwenden sowie zu eigenständiger wissenschaftlich begründeter Diagnostik und psychotherapeutischer Krankenbehandlung befähigt sei. Der Klägerin sei dieser Nachweis aufgrund erheblicher Lücken nicht gelungen. Es solle den Prüfern nicht möglich gewesen sein, ein vertieftes fachliches Gespräch mit ihr zu führen, sodass immer wieder neue Fachfragen hätten gestellt werden müssen. Den Protokollen sei zu entnehmen, dass Fragen zu horizontalen und vertikalen Verhaltensanalyse gestellt worden seien, die Kernpunkte der verhaltenstherapeutischen Diagnostik seien. Eine intensive Befragung in diesem Bereich sei daher zu erwarten gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die Sitzungsniederschriften vom 26. Oktober 2022, 31. März und 22. Mai 2023, und auf die beigezogene Behördenakte – insbesondere auf die Stellungnahmen der Prüferinnen und Prüfer – Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg, soweit die Klägerin die Wiederholung des mündlichen Teils der Prüfung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin begehrt (1). Im Übrigen, soweit die Klägerin eine neue Entscheidung des Beklagten über das Prüfungsergebnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verlangt, ist die Klage unbegründet (2).
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1. Die Klägerin kann von dem Beklagen die Wiederholung der Einzel- und Gruppenprüfung, also des gesamten mündlichen Teils der Prüfung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, verlangen (§ 113 Abs. 5 VwGO – vgl. für die Einzelheiten zur Wiederholungsprüfung unten Seite 28 f.). Denn die Kammer konnte nicht mehr mit der für ein Urteil erforderlichen Sicherheit aufklären, ob es im Rahmen der Einzel- und/oder Gruppenprüfung zu einem – hier unverzüglich gerügten – Verstoß gegen das Fairnessgebot gekommen ist (a), was sich vorliegend aufgrund der Verteilung der materiellen Beweislast bzw. Feststellungslast zum Nachteil des Beklagten auswirkt (b) und zu einem Anspruch der Klägerin auf Wiederholung der genannten Prüfungsteile führt (c).
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a) Der Kammer war es auch nach durchgeführter Beweisaufnahme insbesondere unter Vernehmung aller Prüferinnen und Prüfer sowie der Prüfungskandidatinnen … und … nicht mehr möglich, mit der für ein Urteil erforderlichen Sicherheit festzustellen oder auszuschließen, dass es in einem oder beiden Teilen der mündlichen Prüfung vom … zu einer Verletzung des Fairnessgebots gekommen ist.
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aa) In Prüfungsangelegenheiten sind die Kontrollmöglichkeiten der Verwaltungsgerichte eingeschränkt. Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist es nicht, ggf. zu strenge oder ungerechte bzw. so empfundene Bewertungen zu korrigieren, indem das Gericht seine eigenen Bewertungsmaßstäbe an die Stelle der Bewertungen der Prüfer setzt. Im Wesentlichen betreffen die verwaltungsgerichtlichen Kontrollmöglichkeiten die Einhaltung der Regelungen des einschlägigen Prüfungsverfahrens sowie der Grenzen des prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraums (vgl. zum Ganzen Dieterich in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 804). Hinsichtlich des Prüfungsverfahrens ist anerkannt, dass solche Prüfungsergebnisse keinen Bestand haben können, die verfahrensfehlerhaft erhoben wurden (vgl. Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 127). Allerdings führen nur wesentliche Verfahrensfehler zur Aufhebung der angegriffenen Prüfungsentscheidung, wenn also der Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Prüfungsergebnis nicht ausgeschlossen werden kann. Unerheblich ist damit etwa ein Verfahrensfehler, wenn feststeht, dass das Prüfungsergebnis auch ohne den Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre (vgl. so zum Ganzen Jeremias a.a.O. Rn. 488, 590).
30
Betreffend das Prüfungsverfahren ist anerkannt, dass Prüferinnen und Prüfer insbesondere in mündlichen Prüfungen das Gebot der Fairness beachten müssen. Insoweit haben Prüferinnen und Prüfer Verhaltensweisen zu vermeiden, die geeignet sind, leistungsverfälschende Verunsicherungen der Prüflinge auszulösen. Prüflinge dürfen durch unangemessenes Verhalten der Prüferinnen und Prüfer keiner psychischen Belastung ausgesetzt werden, die das Bild ihrer Leistungsfähigkeit verfälscht (vgl. so zum Ganzen Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 328). Maßstab für die Frage, ob das Verhalten von Prüferinnen und Prüfern in dieser Weise unangemessen ist, ist nicht das subjektive Empfinden der jeweils betroffenen Prüflinge. Vielmehr ist entscheidend, wie ein verständiger Prüfling in der konkreten Situation das Verhalten der Prüferin bzw. des Prüfers verstehen durfte (vgl. so zum Ganzen Jeremias a.a.O.). In diesem Zusammenhang bedarf es präziser Feststellungen hinsichtlich des Verhaltens von Prüferinnen und Prüfern, um ggf. nachvollziehbar auf eine entstandene Verwirrung oder Verunsicherung der Prüflinge schließen zu können. Auf ein etwaiges Verschulden der Prüferinnen und Prüfer kommt es allerdings nicht an, auch nicht darauf, ob diese die möglichen Auswirkungen ihres Verhaltens erfasst haben (vgl. so zum Ganzen Jeremias a.a.O.). Ob ein unfaires Verhalten von Prüferinnen und Prüfern vorliegt, das zumindest geeignet ist, sich auf die Leistungsfähigkeit der Prüflinge auszuwirken, ist unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Unzulässig ist es jedenfalls, Prüflinge durch persönlich herabwürdigende Bemerkungen zu verunsichern und damit die Prüfungschancen gegenüber fair behandelten Prüflingen zu vermindern. Zudem ist das Fairnessgebot verletzt, sofern Prüferinnen und Prüfer Antworten von Prüflingen sarkastisch, spöttisch, höhnisch, verärgert oder ähnlich herabsetzend oder Prüflinge erheblich verunsichernd kommentieren. Dies betrifft vor allem Äußerungen, die im Zusammenhang der Prüfung nicht als einmaliger Ausrutscher, sondern als Kennzeichen einer unzureichenden emotionalen Distanz erscheinen. Sofern Prüflinge der Lächerlichkeit preisgegeben werden, ist dies auch dann unzulässig, wenn die erbrachten Leistungen gänzlich unzureichend sind. Letzteres verleiht Prüferinnen und Prüfern nicht das Recht, Prüflingen mit Spott und Hohn zu begegnen. Unerheblich ist, ob die Äußerungen der Prüferinnen und Prüfer verbal oder nonverbal, etwa durch das Schneiden von Grimassen erfolgen (vgl. so zum Ganzen Jeremias a.a.O.). Dagegen müssen Prüflinge auch harte Kritik ihrer Leistungen hinnehmen, solange dies in sachlicher Form und ohne erhebliche Entgleisungen im Stil erfolgt (vgl. Jeremias a.a.O.).
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Das Prüfungsrechtsverhältnis begründet jedoch nicht nur Pflichten der Prüfungsbehörde, sondern auch solche bzw. Obliegenheiten der Prüflinge. Diese folgen aus dem auch im Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Insbesondere obliegt es Prüflingen bereits im eigenen Interesse, auf ein fehlerfreies Verfahren hinzuwirken. Zwar hat die Prüfungsbehörde bereits von Amts wegen offensichtliche Mängel des Prüfungsverfahrens zu vermeiden, jedenfalls aber sogleich zu beheben (vgl. zum Ganzen Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 213 ff.). Erscheint eine Verletzung der Chancengleichheit aber auch nur zweifelhaft, obliegt den Prüflingen eine entsprechende Rüge (vgl. BVerwG, B.v. 10.8.1994 – 6 B 60.93 – BeckRS 1994, 31223806). Da Prüflinge insoweit lediglich Obliegenheiten und keine Verpflichtungen treffen, steht es ihnen frei, Prüfungsbeeinträchtigungen hinzunehmen. In diesem Fall ist es ihnen jedoch nach Treu und Glauben grundsätzlich verwehrt, die fragliche Beeinträchtigung später geltend zu machen. Denn es entspräche grundsätzlich widersprüchlichem Verhalten, zunächst Mängel des Prüfungsverfahrens (bewusst) in Kauf zu nehmen, um sich die Chance einer vorteilhaften Bewertung zu erhalten, im Fall des Misserfolgs diese Entscheidung aber wieder revidieren zu wollen, um nunmehr doch etwaige Verfahrensmängel geltend zu machen. Entscheiden sich Prüflinge zur Rüge, haben sie diese unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB) – zu erheben, wobei insoweit regelmäßig ein strenger Maßstab angelegt wird (vgl. zum Ganzen Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 213 ff.). Allerdings ist es Prüflingen regelmäßig nicht zumutbar, die Befangenheit einer Prüferin bzw. eines Prüfers während der laufenden mündlichen Prüfung zu rügen. Denn in dieser Situation müssen sich Prüflinge auf den Inhalt der Prüfung konzentrieren, während es für die Entscheidung, die Befangenheit von Prüferinnen oder Prüfern geltend zu machen, angemessener Zeit und Ruhe bedarf, auch um die Konsequenzen einer entsprechenden Rüge zu bedenken. Zudem ist es Prüflingen regelmäßig nicht zumutbar, den weiteren Ablauf der mündlichen Prüfung und das weitere Prüfungsgespräch mit einer Befangenheitsrüge zu belasten (vgl. zum Ganzen Jeremias a.a.O. Rn. 349). Hinsichtlich des Inhalts der Rüge der Befangenheit muss die Prüfungsbehörde aufgrund hinreichender Substantiierung in die Lage versetzt werden, den Vorgang zeitnah zu prüfen, angemessen zu reagieren und – soweit erforderlich und noch möglich – alsbald Abhilfe zu schaffen. Durch den Inhalt der Rüge bzw. deren Begründung werden die Befangenheitsgründe begrenzt. Dagegen kann das Vorbingen zu bereits gerügten Umständen der Befangenheit später konkretisiert werden (Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 348). Diese Grundsätze sind auf Verstöße gegen das Fairnessgebot übertragbar. Denn zum einen ist es Prüflingen auch hier aus den genannten Gründen nicht zumutbar, ihre Konzentration während der Prüfung auf die Frage zu verwenden, ob etwaige Verstöße gegen das Fairnessgebot (sofort) gerügt werden sollen. Genauso reicht eine unverzügliche und hinreichend substantiierte Rüge etwaiger Verstöße gegen das Fairnessgebot aus, damit die Prüfungsbehörde diese – sofern noch möglich – beseitigen kann. Entsprechend ist auch hier nachträgliches Vorbringen zulässig, das bereits zuvor gerügte Umstände lediglich konkretisiert. All dies gilt umso mehr, als Verstöße gegen das Fairnessgebot inhaltlich mit der Frage der Besorgnis der Befangenheit zusammenhängen. So können Verstöße gegen das Fairnessgebot auf die Besorgnis der Befangenheit hindeuten und dies ggf. sogar begründen (vgl. Jeremias a.a.O. Rn. 328).
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bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war es der Kammer auch nicht mehr möglich, mit der für ein Urteil erforderlichen Sicherheit festzustellen oder auszuschließen, dass es durch den Prüfer … in der mündlichen Einzelprüfung und/oder in der mündlichen Gruppenprüfung zu einem Verstoß gegen das Fairnessgebot gekommen ist. So hat die Klägerin der Sache nach unverzüglich und hinreichend substantiiert gerügt, der Prüfer … habe in Einzel- und Gruppenprüfung im Anschluss an jede nicht gänzlich beantwortete Frage abschätzig gelächelt (1), worin auf Grundlage dieses, später konkretisierten Vortrags auch ein wesentlicher Verfahrensfehler in Gestalt eines Verstoßes gegen das Fairnessgebot vorläge (2), der zur Überzeugung der Kammer hier weder festgestellt noch ausgeschlossen werden kann (3).
33
(1) Im Ausgangspunkt ist die Klägerin in Bezug auf den etwaigen Verfahrensfehler eines Verstoßes gegen das Fairnessgebot durch den Prüfer … ihrer Obliegenheit zur unverzüglichen und hinreichend substantiierten Rüge nachgekommen.
34
Die Klägerin hat mit E- Mail vom 2. September 2021 sinngemäß mitgeteilt, in den Äußerungen vor allem von zwei Prüfern habe sich eindeutig eine Befangenheit mindestens eines der vier Prüfer gezeigt. Dieser habe in einer Frage zum Prüfungsfall den Namen der Patientin erwähnt und dann in einer unangemessen „läppischen“ Art gefragt, ob ihr denn aufgefallen sei, dass er nun den Vornamen der Patientin erwähnt habe. Auch in der Gruppenprüfung sei im Anschluss an jede nicht gänzlich beantwortete Frage von diesem einem Prüfer abschätzig gelächelt worden. Damit hat die Klägerin jedenfalls einen Verstoß gegen das Fairnessgebot in Gestalt des abschätzigen Lächelns geltend gemacht. Da die Klägerin behauptet, der Prüfer … habe „auch“ in der Gruppenprüfung abschätzig gelächelt, ist ein solches Verhalten auch betreffend die Einzelprüfung gerügt. Aufgrund des Umstands, dass sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppenprüfung mit dem Prüfer … lediglich eine männliche Person geprüft hat, geht aus der Rüge der Klägerin auch hinreichend hervor, dass das Verhalten des Prüfers … gemeint ist.
35
Mit diesen Ausführungen ist die Rüge hinreichend substantiiert. Denn im Fall eines laufenden Prüfungsgeschehens wäre die Prüfungsbehörde auf Grundlage der Rüge der Klägerin in der Lage gewesen, den etwaigen Verfahrensfehler des abschätzigen Lächelns durch den Prüfer … zu beheben.
36
Die Rüge ist auch unverzüglich erhoben, da in zeitlicher Hinsicht kein schuldhaftes Zögern ersichtlich ist. Denn die Rüge ist mit E-Mail vom … erhoben, die an diesem Tag um 3:07 Uhr bei dem Prüfungsamt eingegangen ist, also in der Nacht … Angesichts der Tragweite etwaiger Rügen ist Prüflingen jedenfalls regelmäßig ein solcher Zeitraum zuzugestehen. Denn dieser ist erforderlich, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob tatsächlich gegen das Prüfungsergebnis vorgegangen werden soll. Auch sind vorliegend keine Umstände ersichtlich oder vorgetragen, die eine zügigere Rüge hätten erforderlich machen können. Insbesondere traf die Klägerin während der laufenden Einzel- oder Gruppenprüfung kein Obliegenheit zur Rüge, da sie sich in diesem Zeitpunkt auf den Prüfungsinhalt konzentrieren musste und sich deswegen nicht zumutbar gleichzeitig Klarheit darüber verschaffen konnte, das in Frage stehende Verhalten des Prüfers … zu rügen, zumal sie hiermit jedenfalls das Risiko einer Verschlechterung der Prüfungsatmosphäre eingegangen wäre.
37
(2) Das Vorbringen der Klägerin als zutreffend unterstellt läge seitens des Prüfers … zumindest ein Verstoß gegen das Fairnessgebot vor (a). Hierbei würde es sich auch um einen wesentlichen Verfahrensfehler handeln (b).
38
(a) Die Klägerin hat im Nachgang ihrer unverzüglich erhobenen Rüge im Rahmen ihres Widerspruchs … ausgeführt, zwei der Prüfer – „Frau … und Herr …“ – hätten durch ihre Art und Weise der Fragestellung, die Reaktionen auf Antworten („abschätziges Lächeln oder nicht aussprechen lassen und laut werden“) zu massiver Verunsicherung geführt, sodass Wissen nicht nur nicht gänzlich habe abgerufen werden können. Es müsse dafür gesorgt werden, dass die „Prüfer Herr … und Frau …“ keine Möglichkeit mehr erhielten, ihre Macht in der Rolle als Prüfer derart zu missbrauchen. In diesem Zusammenhang spricht alles dafür, dass auch der Widerspruch vom … noch eine unverzüglich erhobene Prüfungsrüge enthält, jedenfalls aber konnte die Klägerin ihr Vorbringen betreffend das geltend gemachte abschätzige Lächeln konkretisieren. Weiter konkretisierend hat die Klägerin im Rahmen ihrer Klagebegründung sinngemäß vorbringen lassen, die „Datenpanne“ sei zum Anlass genommen worden, sie massiv unter Druck zu setzen und zu verunsichern. Die Prüferin … und der Prüfer … hätten insbesondere durch abschätziges Lächeln zu massiver Verunsicherung geführt, sodass sie ihr Wissen nicht gänzlich habe abrufen können. Dieses Verhalten hätten die Prüfer bei den anderen Prüfungsteilnehmerinnen nicht gezeigt. Des Weiteren hat die Klägerin ein Schriftstück vorgelegt, das sie nach eigenen Angaben als Rohfassung eines Gedächtnisprotokolls noch am Prüfungstag angefertigt habe. Dort ist unter der Überschrift „Atmosphäre“ insbesondere ausgeführt:
„Während der Beantwortung der Fragen durch vor allem Verhalten Herr … und Frau … massiv verunsichert. Durch diese Verunsicherung konnte Wissen überhaupt nicht, oder nur teilweise abgerufen werden.
Herr … lächelt abschätzig und nickt mit dem Kopf, wenn Fragen nicht beantwortet werden können. […]“
39
Zuletzt hat die Klägerin auf Fragen des Gerichts im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2023 sinngemäß und konkretisierend ausgeführt, in der Einzelprüfung sei es so gewesen, dass sich hinsichtlich der Differenzialdiagnostik die Frage gestellt habe, ob auch eine Anpassungsstörung einschlägig sein könne. Sie habe argumentiert, es liege eine PTBS sogar des Typs II vor. Daraufhin habe der Prüfer geschmunzelt. In der Gruppenprüfung sei es um die Leitlinien S8 gegangen, die sie nicht gewusst habe. Er habe es ihr dann vorgelesen und gelacht. Das seien die Vorfälle, an die sie sich gerade erinnere. Der Prüfer habe sich so nur bei Fragen verhalten, die er selbst gestellt habe. Bei diesen zwei Fragen sei es ihr genau in Erinnerung. Bei anderen Fragen könne sie es nicht mehr beschwören. Ihr sei das Lachen so vorgekommen wie: „Habe ich mir doch gedacht, sie weiß es nicht“.
40
Danach läge ausgehend von dem Vortrag der Klägerin in Einzel- und Gruppenprüfung eine Verletzung des Fairnessgebots durch den Prüfer … vor. Denn aus Sicht eines verständigen Prüflings in der konkreten Situation der Klägerin stellt sich das geltend gemachte abschätzige Lächeln unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als herabsetzend in persönlicher und fachlicher Hinsicht dar. So muss ein verständiger Prüfling das in Frage stehende Verhalten so verstehen, seine Antworten seien nicht recht ernst zu nehmen, sondern letztlich lächerlich oder lachhaft. Auch muss ein verständiger Prüfling das in Frage stehende Verhalten des Prüfers als nonverbalen, spöttischen Kommentar auffassen. Danach beinhaltet das in Frage stehende Verhalten des Prüfers sowohl eine fachliche als auch eine persönliche Komponente. Denn zum einen sind lächerliche oder lachhafte Antworten fachlich unbrauchbar. Zum anderen überschreitet der spöttische Kommentar der Lächerlichkeit oder Lachhaftigkeit deutlich die Grenzen sachlicher Kritik, sodass ein verständiger Prüfling den Kommentar persönlich verstehen muss. Auf Grundlage des klägerischen Vortrags liegt auch kein einmaliger „Ausrutscher“ des Prüfers oder ein Augenblicksversagen vor, sodass ein verständiger Prüfling von einer entsprechenden Haltung des Prüfers ausgehen muss. Nach alldem ist das in Frage stehende Verhalten des Prüfers in hoher Weise geeignet, Prüflinge zu verunsichern, sodass diese gehindert sind, ihr wahres Leistungsvermögen in der Prüfung unter Beweis zu stellen.
41
(b) Vorliegend wäre auch von einem wesentlichen Verfahrensfehler auszugehen. So hat die Klägerin – das in Frage stehende Verhalten des Prüfers als wahr unterstellt – nachvollziehbar geltend gemacht, hierdurch erheblich verunsichert und in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt worden zu sein. Jedenfalls ist hier aber auf Grundlage des klägerischen Vortrags weder ersichtlich noch geltend gemacht, dass Auswirkungen der Verunsicherung auf Leistungsfähigkeit und Prüfungsergebnis ausgeschlossen werden könnten, was bereits für die Annahme eines wesentlichen Verfahrensfehlers ausreicht.
42
(3) Ob es in Einzel- und/oder Gruppenprüfung zu dem in Frage stehenden Verstoß gegen das Fairnessgebot in Gestalt von wiederholtem abschätzigen Lächeln durch den Prüfer … gekommen ist, kann die Kammer auch nach umfangreich durchgeführter Beweisaufnahme weder feststellen noch ausschließen. Genauso wenig kann die Kammer feststellen, dass das in Frage stehende Verhalten des Prüfers … ggf. noch noch nicht das Ausmaß eines leistungsverzerrenden Verstoßes gegen das Fairnessgebot erreicht hätte. Maßstab der richterlichen Überzeugungsbildung insoweit ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 108 Rn. 71 wörtlich zitierend wohl aus BVerwG, U.v. 16.04.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658). Hier sprechen Anhaltspunkte sowohl für als auch gegen die Annahme, dass das Vorbringen der Klägerin zutrifft.
43
(a) Hinsichtlich des bereits dargestellten Vorbringens der Klägerin fällt auf, dass sich in ihren Angaben durchaus sog. Glaubhaftigkeitsmerkmale finden, die aussagepsychologisch anerkannt tendenziell dafür sprechen, dass der Vortrag erinnerungsbasiert ist, mag er auch Irrtümern oder Verzerrungen unterliegen. So konnte die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz Zeitablaufs – ad hoc auf Nachfrage des Gerichts – detailliert von zumindest noch zwei Fragen berichten, auf die der Prüfer … mit Schmunzeln bzw. Lachen reagiert habe. Hinzu kommt, dass die Klägerin das Verhalten des Prüfers bereits in der Nacht des auf die Prüfung folgenden Tags gerügt sowie nach eigenem Vortrag in einem ersten Gedächtnisprotokoll festgehalten hat. Dass das in Frage stehende Verhalten des Prüfers dabei in unterschiedliche Formulierungen eingebettet ist, stellt ebenfalls ein – wenn auch nicht besonders tragfähiges – Indiz dafür dar, dass der Vortrag erinnerungsbasiert und nicht etwa „auswendig gelernt“ ist. Auch der Umstand, dass die Klägerin im Unterschied zu ihrem vorangegangenen Vortrag zuletzt zwischen Schmunzeln und Lächeln differenziert hat, spricht tendenziell dagegen, dass es sich um einen erfundenen Sachverhalt handelt, sondern eher dafür, dass sich die Klägerin an die fraglichen Vorfälle erinnert und diese ihrer Erinnerung entsprechend wiedergegeben hat. Im Übrigen kommen sowohl in der Rüge vom 2. September 2021 als auch in dem nachfolgenden Widerspruch durchaus Emotionen zum Ausdruck, die ebenfalls dafür sprechen, dass die Klägerin die fragliche Prüfung tatsächlich – subjektiv – als unfair erlebt hat.
44
Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass der Vortrag der Klägerin zu dem in Frage stehenden abschätzigen Lächeln des Prüfers … zwar noch ausreichend substantiiert ist, um auf dieser Grundlage eine Verletzung des Fairnessgebots anzunehmen, jedoch gerade zu Beginn des Verfahrens vergleichsweise pauschal erfolgt ist. So hat die Zeugin ausgeführt, der Prüfer habe auf „jede nicht gänzlich beantwortete Frage“ abschätzig gelächelt. Auch hat die Kammer berücksichtigt, dass die Klägerin mit Blick auf die als nicht bestanden gewertete Prüfung durchaus ein Motiv hätte, zumindest in übersteigerter Art und Weise vorzutragen.
45
(b) Weiter hat die Kammer die Angaben aller Prüferinnen und Prüfer sowie der Prüfungskandidatinnen … und … berücksichtigt, die die Gruppenprüfung gemeinsam mit der Klägerin abgelegt hatten.
46
Zunächst hat die Zeugin … die Darstellung der Geschehnisse durch die Klägerin im Kern bestätigt. Die Zeugin hat sinngemäß angegeben, die Klägerin habe eine Frage des Prüfers … nach bestimmen „Stufen“ nicht beantworten können, wobei der Prüfer sodann die Stufen genannt und dann gelacht habe. Ihr sei dies triumphierend vorgekommen. So ähnlich sei es auch bei einer anderen Frage gewesen. Beide Fragen hätten sich auf die Klägerin bezogen.
47
Die Zeugin … konnte dagegen ein etwaiges abschätziges Lächeln weder bestätigen noch ausschließen. Auch im Übrigen hatte sie kaum mehr tragfähige Erinnerungen an das Prüfungsgeschehen.
48
Die Prüferin … hat im Rahmen ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 13. September 2021 hinsichtlich des hier in Frage stehenden Verstoßes gegen das Fairnessgebot allein sinngemäß ausgeführt, die Klägerin habe Vorwürfe der Befangenheit weder ausreichend begründet noch plausibel dargestellt. Insoweit fällt auf, dass die Zeugin nicht konkret auf den Vorwurf des abschätzigen Lächelns eingegangen ist, sondern stattdessen ohne nähere Begründung ausführt, Vorwürfe der Befangenheit seien nicht plausibel bzw. Vorwürfe seien (rechtlich) nicht ausreichend, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Dagegen wäre im Rahmen einer dienstlichen Stellungnahme vor allem zu erwarten gewesen, dass die Prüferin in tatsächlicher Hinsicht zu dem konkret erhobenen Vorwurf Stellung bezogen hätte. Im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung hat die Prüferin … auf die Frage, ob sie in Erinnerung habe, dass jemand abschätzig gelächelt habe, sinngemäß erklärt, dies sei überhaupt nicht der Fall gewesen. Sie habe in Erinnerung, dass dies nicht so gewesen sei. Auch die Prüferin … hat vernommen als Zeugin – in Übereinstimmung mit ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 18. September 2021, wonach sie keine Ansätze für Befangenheit habe erkennen können – auf Vorhalt des Stichworts „abschätziges Lächeln“ erklärt, es möge sein, dass sie auch einmal gelächelt habe. Bei den anderen Prüfern sei dies aus ihrer Erinnerung nicht der Fall gewesen. Genauso hat die Prüferin … als Zeugin auf denselben Vorhalt ausgeführt, nein, das sei so nicht gewesen. Sie säßen zwar nebeneinander, damals noch mit „Coronaschutzwänden“, sie habe aber nicht mitbekommen, dass abschätzig gelacht oder die Sachebene verlassen worden sei. Zudem hatte die Zeugin bereits in ihrer schriftlichen Stellungnahme erklärt, sie könne nicht nachvollziehen, worauf sich die geltend gemachte Befangenheit beziehe.
49
Diese Angaben der Zeuginnen …, … und … sprechen zwar inhaltlich erheblich gegen das Vorbringen der Klägerin. Allerdings war in diesem Zusammenhang auch zu bedenken, dass die Prüferinnen zur Überzeugung der Kammer in der mündlichen Prüfung nebeneinander getrennt durch „Coronaschutzwände“ gesessen waren. Hiervon ist die Kammer aufgrund der bereits oben wiedergegebenen Angaben der Zeugin … überzeugt, die von der Zeugin … im Rahmen einer zuletzt seitens der Kammer über den Beklagten eingeholten dienstlichen Stellungnahme sowie durch die Angaben der Klägerin im Termin vom 22. Mai 2023 bestätigt werden. Die Annahme einer solchen „Sitzordnung“ unter Abtrennung mit „Coronaschutzwänden“ erscheint darüber hinaus auch deswegen tragfähig, weil Entsprechendes im Zeitpunkt der Prüfung Ende August 2021 – wie es die Kammer aus eigener Anschauung im Rahmen gerichtlicher Verhandlungen kennt – durchaus üblich war, um Ansteckungsrisiken durch das Coronavirus zu vermindern. Auf dieser Grundlage erscheinen die sinngemäßen Angaben der Prüferinnen, wonach es aus ihrer Erinnerung zu keinem abschätzigen Lächeln gekommen ist, nicht unerheblich irrtumsanfällig. Denn der Blick der Prüferinnen und Prüfer wird sich ohnehin regelmäßig auf die – ihnen gegenübersitzenden – Prüflinge und weniger auf die übrigen Prüferinnen und Prüfer gerichtet haben. Hinzu kommt, dass in Gestalt der „Coronaschutzwände“ eine zumindest psychologische Barriere bestand, Reaktionen von Mitprüferinnen bzw. des Mitprüfers überhaupt erst wahrzunehmen. Auf dieser Grundlage erscheint es jedenfalls nicht fernliegend, dass die Zeuginnen …, … und … zwar das in Rede stehende Verhalten des Prüfers … nicht wahrgenommen und deswegen nicht in Erinnerung gehabt haben könnten, jedoch aus der insoweit fehlenden Erinnerung ggf. irrtümlich und ohne bösen Willen geschlossen haben, zu dem fraglichen Verhalten sei es (objektiv) nicht gekommen. Hinzu kommt, dass Irrtumsrisiken mit zunehmenden Zeitablauf tendenziell steigen und die Zeugenvernehmung über eineinhalb Jahre nach der mündlichen Prüfung erfolgte.
50
(c) Die Kammer hat auch berücksichtigt, dass die Angaben des Prüfers … jedenfalls dafür Raum lassen, dass der Vortrag der Klägerin zutreffen könnte, obwohl es naheliegt, dass der genannte Prüfer grundsätzlich wissen müsste, wie er sich in der fraglichen mündlichen Prüfung verhalten hat oder zumindest allgemein als Prüfer verhält.
51
Zunächst fällt auf, dass der Prüfer … in seiner undatierten, am 24. September 2021 bei dem Prüfungsamt eingegangenen dienstlichen Stellungnahme auf den hier in Frage stehenden Vorwurf letztlich nicht eingeht. Ausführungen hierzu wären aber zu erwarten gewesen, weil das Prüfungsamt den Prüfer unter Übersendung einer Abschrift jedenfalls des Widerspruchs um Stellungnahme gebeten hatte und die Klägerin darin den Vorwurf des abschätzigen Lächelns gegenüber dem Prüfer erhebt. Dennoch führt der Prüfer in seiner Stellungnahme im Umfang von drei Seiten insoweit – zur Atmosphäre der Prüfung – allein aus, es tue ihm leid, dass die Klägerin die Atmosphäre in der Prüfung so wahrgenommen habe. Eine mündliche Prüfung könne für jeden Geprüften sehr aufregend und anstrengend sein. Grundsätzlich versuche er, eine wertschätzende Kommunikation zu führen. Diese Ausführungen sind lediglich allgemein gehalten und lassen letztlich nicht erkennen, wie sich der Prüfer in der streitgegenständlichen Prüfung verhalten hat. Im Übrigen finden sich in der Stellungnahme umfangreiche Ausführungen, wonach die der Klägerin gestellten Fragen legitim gewesen seien, was letztere so allerdings gar nicht in Frage gestellt hatte. Soweit die Klägerin ersichtlich sinngemäß geltend gemacht hatte, ihr seien im Unterschied zu der Prüfungskandidatin … vergleichsweise konkrete bzw. anspruchsvolle Fragen gestellt worden, führt der Prüfer … – auch insoweit auf die Rüge der Klägerin nicht inhaltlich eingehend – allein aus, er stimme dem vollumfänglich zu, da es ja dem Grundsatz einer Prüfung widerspräche, würden allen Prüflingen „komplett gleiche Fragen“ gestellt.
52
Auch die Angaben des Prüfers … im Rahmen seiner Zeugenvernehmung lassen Raum dafür, dass der Vortrag der Klägerin zutreffen könnte. So hat der Zeuge auf Vorhalt des Stichworts „abschätziges Lächeln“ sinngemäß erklärt, er könne sich daran nicht erinnern, könne es sich aber auch nicht vorstellen. Es könne schon sein, dass seine Gesichtszüge einen verwunderten Eindruck widergespiegelt hätten, weil auch Grundlagenfragen nicht bzw. nicht korrekt hätten beantwortet werden können. Es habe Situationen gegeben, in denen er verwundert gewesen sei. Auf weiteren sinngemäßen Vorhalt, der Vorwurf sei, er habe auf jede nicht vollständig korrekt erbrachte Antwort abschätzig gelächelt, erklärte der Zeuge, er könne sich nicht erinnern, das würde ihn wundern. Abschätziges Lächeln betreffe ja auch ein subjektives Empfinden. Auf Frage, warum er zu dem Vorwurf in seiner Stellungnahme nicht konkret Stellung genommen habe, erklärte er, dafür gebe es keinen besonderen Grund. Vielleicht sei es auch deswegen so gewesen, weil es ja um das Bestehen, also um Antworten auf Fragen gehe.
53
Auch diese Angaben lassen jedenfalls Raum dafür, dass der Vortrag der Klägerin im hier in Frage stehenden Gesichtspunkt zutreffen könnten. Denn betreffend die Frage, ob es zu abschätzigem Lächeln gekommen ist, hat der Zeuge im Kern erklärt, er könne sich nicht erinnern, jedoch würde ihn ein solches Verhalten wundern. Soweit diese Angaben wörtlich zu verstehen sind, hätte der Zeuge im Kern geltend gemacht, im fehle eine konkrete Erinnerung. Danach bestünde schon kein zwingender Widerspruch zu dem Vorbringen der Klägerin, sodass es unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen zu dem klägerseits behaupteten Verhalten des Prüfers gekommen sein könnte. Aber auch soweit die Aussage des Zeugen, er könne sich nicht erinnern, weitergehend im Sinne von „so war es (nach meiner Erinnerung) nicht“ zu verstehen sein sollte – mag hiergegen auch die weitere Aussage sprechen, ein solches Verhalten würde ihn wundern – bleibt Raum für das von der Klägerin geschilderte Geschehen. Denn hätte sich der Prüfer hinsichtlich der hier in Frage stehenden Verfahrensrüge nichts vorzuwerfen, hätte es zumindest nahegelegen, dies etwa dadurch zum Ausdruck zu bringen, er belächele Prüflinge nicht, so etwa mache er nicht, sodass er den Vorwurf zurückweisen müsse o.Ä. Stattdessen hat der Zeuge seine Angaben, wollte man diese im Sinne von „so war es nicht“ verstehen, relativiert, indem er sinngemäß erklärt hat, es würde ihn wundern, hätte er Antworten der Klägerin belächelt. Hierin liegt eine Relativierung bzw. Einschränkung der vorangegangenen Angaben, da eine solche Aussage entbehrlich wäre, würde der Zeuge subjektiv fest davon ausgehen, das gerügte Verhalten nicht gezeigt zu haben, etwa weil er Prüflinge allgemein nicht belächele o.Ä.
54
Im Übrigen erscheint das sinngemäße Vorbringen des Zeugen jedenfalls in Teilen wenig überzeugend, es gebe keinen bestimmten Grund, warum er in seiner Stellungnahme nicht konkret auf den in Frage stehenden Vorwurf eingegangen sei, vielleicht sei es aber auch deswegen dazu gekommen, weil es ja um die Frage des Bestehens gehe, also um Antworten auf Fragen. Denn es ist kaum vorstellbar, dass dem Prüfer nicht zumindest im Rahmen einer Parallelwertung in der Laienssphäre bewusst war, dass das gerügte, Prüflinge verunsichernde Verhalten im Rahmen einer Prüfungsanfechtung relevant sein könnte.
55
Schließlich hat die Kammer auch hinsichtlich des Prüfers … bedacht, dass dieser – wie auch die Klägerin – ein Motiv hätte, auf den konkret erhobenen Vorwurf der Klägerin gerade nicht genauer einzugehen, um etwaige von ihm verursachte Verfahrensfehler im Rahmen der Prüfung nicht einräumen zu müssen.
56
(d) Die Kammer ist auch der Frage nachgegangen, ob das hier in Frage stehende Vorbringen der Klägerin ggf. deswegen unzutreffend sein könnte, weil jedenfalls der Prüfer … zumindest während der Gruppenprüfung eine Coronaschutzmaske getragen haben könnte, ein etwaiges (abschätziges) Lächeln für die Klägerin also nicht oder allenfalls schwer erkennbar gewesen wäre. Hierfür bestand nicht allein deswegen Anlass, weil die mündliche Prüfung vom 31. August 2021 in die Zeit allgemeiner Coronaschutzmaßnahmen fällt. Vielmehr hat die Zeugin … mit Schreiben vom 18. April 2023 im Nachgang ihrer Zeugenvernehmung sinngemäß mitgeteilt, sie sei aus medizinischen Gründen nicht gegen das Coronavirus geimpft und habe deshalb am Prüfungstag die Frage verneint, ob sie geimpft sei, was der Prüfer … dahingehend kommentiert habe, jetzt müssten sie alle „wegen Ihnen“ Maske tragen. Allerdings hat die Kammer nicht die erforderliche Überzeugung gewonnen, dass der Prüfer … tatsächlich auch nur in einem Teil der mündlichen Prüfung Maske getragen hätte. Zur Aufklärung dieses Sachverhalts hat die Kammer insbesondere Stellungnahmen der beteiligten Prüferinnen und Prüfer über den Beklagten eingeholt. Allerdings bestand bei diesen keine Erinnerung mehr, ob in der Prüfung Masken getragen wurden, was aufgrund des eingetretenen Zeitablauf gänzlich nachvollziehbar ist. So hat die Prüferin … erklärt, sie könne sich nicht erinnern, es könne sein, dass Masken getragen worden seien. Ähnliche Angaben hat der Prüfer … gemacht. Auch die Prüferinnen … und … haben angegeben, sie könnten sich nicht erinnern, wobei die zuletzt genannte Prüferin sinngemäß erklärt hat, es sei damals eine Einzelfallentscheidung gewesen, ob in der Prüfung Masken getragen wurden. Zudem hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2023 erklärt, sie könne sich noch an den Bart des Prüfers … erinnern. Deswegen gehe sie davon aus, dass keine Masken getragen wurden. In der Einzelprüfung seien keine Masken getragen worden, in der Gruppenprüfung könne sie sich auch nicht mehr an Masken erinnern. Im Übrigen wäre im Fall des Maskentragens tendenziell zu erwarten gewesen, dass die Prüferinnen bzw. der Prüfer dies in ihren vergleichsweise zeitnah zur Prüfung abgegebenen dienstlichen Stellungnahmen gerade mit Blick auf den Vorwurf des abschätzigen Lächelns erwähnt hätten.
57
(e) Nicht unberücksichtigt gelassen hat die Kammer auch, dass vorliegend die individuelle Wahrnehmung bzw. der subjektive Eindruck der Beteiligten betreffend das Verhalten des Prüfers … ganz erheblich auseinandergehen könnte. In diesem Zusammenhang hat der Prüfer … zutreffend angemerkt, die Frage abschätzigen Lächelns betreffe ein subjektives Empfinden. Denkbar ist im Extremfall etwa, dass die Klägerin ein verwundertes oder gar verständnisvolles Lächeln des Prüfers als Hohn und Spott betreffend ihre vorangegangene Antwort interpretiert hat. Aus diesen denkbaren Sachverhaltsvarianten lassen sich allerdings keine tragfähigen Schlüsse ziehen, was genau in Einzel- und Gruppenprüfung mit Blick auf das Verhalten des Prüfers … geschehen ist, zumal es – wie ausgeführt – in rechtlicher Hinsicht nicht darauf ankommt, ob auf Seiten der Prüferinnen und Prüfer ein schuldhaftes Verhalten vorliegt.
58
(f) Nach alldem hat die Kammer unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen nicht die Überzeugung gewonnen, dass der in Frage stehende Vortrag der Klägerin zutrifft. Genauso wenig konnte sie ausschließen, dass es in der Einzel- und/oder Gruppenprüfung mit Blick auf abschätziges Lächeln zu einem Verstoß gegen das Fairnessgebot durch den Prüfer … gekommen ist.
59
b) Die Nichtaufklärbarkeit eines etwaigen Verstoßes gegen das Fairnessgebot wirkt sich hier zum Nachteil des Beklagten aus, sodass aufgrund der vorliegenden Verteilung der materiellen Beweislast bzw. Feststellungslast von einem Verfahrensfehler in Gestalt eines Verstoßes gegen das Fairnessgebot sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppenprüfung auszugehen ist.
60
aa) Im Grundsatz ist anerkannt, dass Prüflinge die materielle Beweislast bzw. Feststellungslast insbesondere dafür tragen, dass es in der Prüfung zu einem Verfahrensfehler gekommen ist (vgl. Dieterich in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022 Rn. 869). Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach Beteiligte die materielle Beweislast bzw. Feststellungslast für sie günstigen Tatsachen tragen (vgl. Terhechte in Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, 5. Aufl. 2021, VwGO § 108 Rn. 16; vgl. auch Dieterich a.a.O.). Ausnahmsweise kann es jedoch aufgrund konkreter Umstände des Prüfungsverfahrens zu Verschiebungen dieser Beweislastverteilung kommen (Dieterich a.a.O.). So trifft die Prüfungsbehörde jedenfalls dann die materielle Beweislast, wenn sie die spätere Unaufklärbarkeit des Prüfungsgeschehens verursacht hat. Dies ist etwa der Fall, wenn sie es entgegen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes versäumt, unmittelbar nach der Prüfung erhobenen Rügen nachzugehen, die etwaiges Fehlverhalten von Prüfern betreffen. Sofern die Frage etwaigen Fehlverhaltens in der Folge aufgrund Zeitablaufs nicht mehr aufklärbar und dies darauf zurückzuführen ist, dass die Prüfungsbehörde ihrer Fürsorgepflicht aus dem Prüfungsrechtsverhältnis nicht nachgekommen ist, sondern substantiiertes Vorbringen unbeachtet gelassen hat, ist dieser Ausfall der Aufklärbarkeit der Prüfungsbehörde zuzurechnen, sodass sie die materielle Beweislast trägt (vgl. so zum Ganzen OVG Münster – 22 A 7462/95 – NVwZ-RR 1997, 714). Zudem wird ggf. weitergehend – ohne den Zusammenhang zwischen ausgebliebener Aufklärung und nachfolgender Unaufklärbarkeit wegen Zeitablaufs voraussetzend – von einer Beweislastumkehr ausgegangen, sofern es die Prüfungsbehörde trotz unverzüglich erhobener substantiierter Verfahrensrügen versäumt, Vorgänge in der mündlichen Prüfung rechtzeitig aufzuklären (so Dieterich a.a.O., allerdings auf OVG Münster a.a.O. verweisend).
61
bb) Danach wirkt sich die Nichtaufklärbarkeit eines etwaigen Verstoßes gegen das Fairnessgebot hier zum Nachteil des Beklagten aus. Denn hier trägt der Beklagte die materielle Beweislast dafür, dass es weder in der Einzel- noch in der Gruppenprüfung zu einem Verstoß gegen das Fairnessgebot durch den Prüfer … gekommen ist.
62
Dies ergibt sich ohne weiteres, sofern von einer Beweislastumkehr bereits dann auszugehen wäre, wenn es die Prüfungsbehörde trotz unverzüglich erhobener substantiierter Verfahrensrügen versäumt, Vorgänge in der mündlichen Prüfung rechtzeitig aufzuklären. Denn so liegt der Fall hier. So ist bereits ausgeführt, dass der Prüfer … in seiner von der Prüfungsbehörde angeforderten Stellungnahme zu dem von der Klägerin erhobenen Vorwurf, er habe nach jeder nicht gänzlich beantworteten Frage abschätzig gelächelt, nicht eingegangen ist, obwohl dies an sich zu erwarten gewesen wäre. Bei dieser Sachlage war die Prüfungsbehörde aufgrund ihrer Verpflichtung zur Amtsermittlung aus Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG gehalten, hinsichtlich des konkret erhobenen, hier in Frage stehenden Vorwurfs zumindest bei dem Prüfer … nachzufragen. Auch durfte die Prüfungsbehörde unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände nicht etwa deswegen auf eine Nachfrage bei dem Prüfer … verzichten, weil die Prüferinnen … und … in ihren Stellungnahmen sinngemäß ausgeführt hatten, es sei zu keinem abschätzigen Lächeln gekommen. Denn zum einen handelte es sich um einen konkret erhobenen, ersichtlich entscheidungsrelevanten Vorwurf, zu dem offensichtlich der unmittelbar betroffene Prüfer … am besten hätte Stellung beziehen können, zumal nicht recht verständlich war, warum der Prüfer lediglich allgemein zur Prüfungsatmosphäre ausgeführt hatte. Zum anderen hätte die Prüfungsbehörde jedenfalls wissen müssen, dass die Prüfung mit Hilfe von Trennscheiben zwischen den nebeneinander sitzenden Prüferinnen und Prüfern abgehalten wurde, sodass – wie ausgeführt – die Wahrnehmung der übrigen Prüferinnen betreffend das Verhalten des Prüfers … eingeschränkt gewesen sein könnte.
63
Im Ergebnis dasselbe gilt, sofern als (weitere) Voraussetzung der Beweislastumkehr gefordert wird, das in Frage stehende Fehlverhalten müsse gerade aufgrund Zeitablaufs, also verursacht durch die Untätigkeit der Prüfungsbehörde, nicht mehr aufklärbar sein. Denn auch diese Voraussetzung liegt hier vor. So ist bereits ausgeführt, dass die Angaben des Prüfers … im Rahmen seiner Zeugenvernehmung Raum dafür lassen, dass der Vortrag der Klägerin zutreffen könnte. Dagegen muss angenommen werden, dass der Prüfer im Zeitpunkt der hier geforderten Nachfrage des Prüfungsamts, also in zeitlich vergleichsweise engem Zusammenhang mit der Prüfung, im Rahmen seines Erinnerungsvermögens noch in der Lage gewesen wäre, sicherer, tragfähiger und ohne Relativierungen zu seinem Verhalten während der Prüfung Auskunft zu geben.
64
Das Vorstehende gilt umso mehr, als die Prüfungsbehörde der Klägerin mit E-Mail vom 30. Dezember 2021 insbesondere sinngemäß mitgeteilt hat, sie habe nur bedingte Ermittlungsmöglichkeiten bzw. dass in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren dann offene Fragen zum Prüfungsablauf durch Zeugenvernehmungen geklärt würden. Insoweit ist klarzustellen, dass die Prüfungsbehörde zumindest im Fall hinreichend substantiierter und unverzüglich erhobener Rügen selbst von Amts wegen zur Aufklärung des Prüfungsgeschehens – soweit entscheidungserheblich – verpflichtet ist (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG), wobei ihr regelmäßig ausreichende Aufklärungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Insbesondere kann die Prüfungsbehörde Stellungnahmen der beteiligten Prüferinnen und Prüfer einholen und – soweit erforderlich – hierzu Nachfragen stellen.
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c) Der nach Beweislastgrundsätzen anzunehmende Verstoß des Prüfers … gegen das Fairnessgebot führt zu einem Anspruch der Klägerin auf Wiederholung des gesamten mündlichen Prüfungsteils bestehend aus Einzel- und Gruppenprüfung. So ist anerkannt, dass Prüflinge im Fall von Fehlern im Prüfungsverfahren – also im Fall von Fehlern auf dem Weg zur Ermittlung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten – einen Anspruch auf Folgenbeseitigung in Gestalt der Prüfungswiederholung besitzen, wobei die Wiederholungsprüfung nicht auf die allgemein von der einschlägigen Prüfungsordnung vorgesehenen Prüfungsversuche angerechnet werden darf (Jeremias, Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 500). Dabei ergibt sich aus dem Gedanken der Folgenbeseitigung, dass der neue Prüfungsversuch auch hier nicht auf die von § 12 Abs. 3 Satz 1 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJPsychTh-APrV) vom 18. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3761, FNA 2122-5-2) in der bis zum 31. August 2020 geltenden Fassung vorgesehenen zwei Wiederholungsversuche angerechnet werden darf. Aus dem Gedanken der Folgenbeseitigung ergibt sich auch, dass die Wiederholungsprüfung allgemein zu den Rechtsverhältnissen im Zeitpunkt der ursprünglichen Prüfung am 31. August 2021 durchzuführen ist, wobei für die Klägerin aufgrund der Übergangsregelung nach § 84 Abs. 2 Satz 1 Approbationsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (PsychThApprO) vom 4. März 2020 (BGBl. I S. 448, FNA 2122-7-1) in der bis zum 31. Mai 2023 geltenden Fassung weiter die KJPsychTh-APrV in der bis zum 31. August 2020 geltenden Fassung anwendbar ist. Denn nach § 27 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Beruf der Psychotherapeutin und des Psychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz – PsychThG) vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1604, FNA 2122-7) gilt für die Klägerin – da sie die entsprechende Ausbildung im Jahr 2015 und damit vor dem Stichtag des 1. September 2020 begonnen hat – die bis zum 31. August 2020 geltende Fassung des genannten Gesetzes. Für diese Fälle sieht sodann § 84 Abs. 2 Satz 1 PsychThApprO die Geltung der KJPsychTh-APrV in der bis zum 31. August 2020 geltenden Fassung vor.
66
Da der neue Prüfungsversuch im Wege der Folgenbeseitigung an die Stelle der streitgegenständlichen Prüfung tritt, muss die Klägerin hierfür auch nicht die in dem angegriffenen Prüfungsbescheid aufgeführten Auflagen erfüllen. Denn auch für die streitgegenständliche Prüfung bestanden keinen Auflagen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch klarzustellen, dass die Klägerin für die Wiederholungsprüfung zwei neue Falldarstellungen im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 4 Abs. 6, § 17 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 KJPsychTh-APrV vorzulegen hat. Denn die für die Prüfung am 31. August 2021 eingereichten Falldarstellungen sind bereits durch die vergangene Prüfung verbraucht, sodass es gegen das prüfungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen würde, die Wiederholungsprüfung erneut unter Berücksichtigung derselben Falldarstellungen durchzuführen.
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Dagegen scheidet im Fall von Verfahrensfehlern eine Neubewertung der Prüfungsleistungen aus (Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 500). Denn Fehler, die im Rahmen der Leistungserhebung unterlaufen, können grundsätzlich nicht durch eine Änderung des Bewertungsmaßstabs oder durch Zugrundelegung fiktiver Leistungen, die Prüflinge ggf. ohne Verfahrensfehler erbracht hätten, ausgeglichen werden (vgl. Jeremias a.a.O.). Dies ist schon deswegen nicht möglich, weil sich Verfahrensfehler regelmäßig – wie auch hier – mit Blick auf den Bewertungsmaßstab nicht quantifizieren lassen und deshalb auch nicht beurteilt werden kann, was Prüflinge im Fall eines fehlerfreien Verfahrens geleistet hätten (vgl. so zum Ganzen BVerwG, B.v. 16.41980 – Az. B 58/80 – NJW 1980, 2208, 2208).
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2. Unbegründet ist die Klage, soweit die Klägerin eine neue Entscheidung des Beklagten über das Prüfungsergebnis – also eine Neubewertung ihrer Prüfungsleistungen – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Denn vorliegend könnten etwaige Bewertungsfehler allenfalls zu einer Prüfungswiederholung führen, welche die Klägerin aber bereits mit Blick auf den nach Beweislastgrundsätzen anzunehmenden Verfahrensfehler verlangen kann. Entsprechend kann hier offenbleiben, ob es in Einzel- und/oder Gruppenprüfung ggf. zu Bewertungsfehlern gekommen ist.
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a) Zwar führen erhebliche Bewertungsfehler im Grundsatz allein zu einem Anspruch des Prüflings auf Neubewertung seiner – bereits erbrachten – Prüfungsleistungen (Fischer in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 684, 758). Denn grundsätzlich würde im Fall von Bewertungsfehlern eine Prüfungswiederholung den prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit verletzen, da die die Prüfung wiederholenden Prüflinge so gegenüber anderen Prüflingen den Vorteil eines weiteren Prüfungsversuchs mit der Chance einer verbesserten Bewertung erhielten. Allerdings führen Bewertungsfehler ausnahmsweise dann nicht zu einem Anspruch auf Neubewertung der Prüfungsleistung, wenn es hierfür an einer geeigneten Grundlage fehlt. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Prüfungsinhalt aufgrund Zeitablaufs bzw. aufgrund von Erinnerungslücken nicht mehr hinreichend tragfähig rekonstruiert werden kann (vgl. Fischer a.a.O. Rn. 690). Regelmäßig ist dies bei mündlichen Prüfungen der Fall (Fischer a.a.O. Rn. 759). In solchen Fallgestaltungen können Prüflinge allein die Wiederholung der Prüfung beanspruchen (vgl. Fischer a.a.O.).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestünde hier auch im Fall etwaiger Bewertungsfehler allein ein Anspruch auf Prüfungswiederholung, nicht aber auf Neubewertung bereits erbrachter Leistungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Denn im Zeitpunkt des vorliegenden Urteils am 22. Mai 2023 lag die mündliche Prüfung vom … bereits knapp zwei Jahre zurück. Aufgrund dessen besteht auch unter Berücksichtigung des – wie üblich und zulässig in Stichpunkten gehaltenen – Prüfungsprotokolls sowie ggf. ähnlicher persönlicher Aufzeichnungen der Prüferinnen und Prüfer keine hinreichende Grundlage mehr, um die Leistungen der Klägerin am 31. August 2021 tragfähig bewerten zu können. So verblasst die Erinnerung auch der Prüferinnen und Prüfer an das genaue Prüfungeschehen mit zunehmenden Zeitablauf. Gleichzeitigt steigt das Risiko irrtümlicher Erinnerungen. Hinzu kommt, dass es für die Bewertung gerade mündlicher Leistungen insbesondere darauf ankommt, genau welche Fragen gestellt wurden und wie genau Prüflinge hierauf geantwortet oder reagiert haben, wobei im Rahmen der mündlichen Kommunikation auch Nuancen bzw. Feinheiten im sprachlichen Ausdruck – je nach (Gesamt-)Zusammenhang der Äußerung – entscheidend sein können. Gemessen hieran steht keine hinreichend tragfähige Grundlage zur nachträglichen Bewertung der klägerischen Leistungen zur Verfügung, zumal die Prüferinnen und Prüfer im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung – gänzlich nachvollziehbar – auch betreffend den Prüfungsinhalt Erinnerungslücken bzw. -schwierigkeiten gezeigt haben. Exemplarisch hat die Zeugin … auf sinngemäßen Vorhalt, die Klägerin behaupte, sie habe eine bestimmte Frage mit „ich weiß es nicht“ beantwortet, erklärt, sie könne nicht mehr sagen, was die Antwort gewesen sei. Die Zeugin … hat sinngemäß erklärt, sie könne nicht mehr sagen, ob der Klägerin Fragen zur vertikalen und horizontalen Verhaltensanalyse gestellt worden seien. Der Zeuge … wiederum hat sinngemäß erklärt, möglicherweise habe er einen Namen einer Patientin bzw. eines Patienten genannt, genau wisse er es aber nicht mehr. Schließlich hat die Zeugin … sinngemäß ausgesagt, zu der Antwort der Klägerin zu Berufspflichten habe sie keine Erinnerung mehr.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709, 711, 713 ZPO.