Inhalt

AG München, Endurteil v. 17.01.2023 – 182 C 17783/21 (2)
Titel:

Betreuungsleistung, Erhöhungsverlangen, Pflegebedürftigkeit, Entgelterhöhung, Wohnraumüberlassung, Überlassung von Wohnraum, Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Ambulante Pflegeleistungen, Betreuungs- und Pflegeleistungen, Ambulanter Pflegedienst, Besonders Schutzbedürftige, Elektronischer Rechtsverkehr, Streitwertfestsetzung, Unterstützungsleistungen, Krankenpflege, Vertragsverhältnisse, Pflege-Versicherungsgesetz, Berechnungsgrundlage

Schlagworte:
Wohnstiftsvertrag, Seniorenresidenz, Doppelte Abhängigkeit, Verbraucherrecht, Entgelterhöhung, Schutzbedürftigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56794

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, die Zustimmung zur Erhöhung des Entgelts für die Leistungen aus dem Wohnstiftsvertrag vom 31.10./24.11.2016 in Gestalt des Ergänzungsvertrags vom 03.04./12.04.2018 ab 01.10.2021 entsprechend dem Entgelterhöhungsverlangen der Klägerin vom 31.07.2021 zu erteilen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist im Hinblick auf Ziffer 2. vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.701,44 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Zustimmung zu einer Entgelterhöhung im Rahmen eines Wohnstiftvertrags.
2
Die Klägerin ist Trägerin und Betreiberin der Seniorenresidenz ….
3
Der Beklagte schloss am 31.10./24.11.2016 mit der Klägerin einen Wohnstiftsvertrag samt Entlassungsvereinbarung vom 03.04./12.04.2018. Er lebt seit 01.11.2016 in der Seniorenresidenz der Klägerin und bewohnt dort ein Apartment mit einer Fläche von 71 m².
4
Für die Wohnraumüberlassung und die Standardleistungen vereinbarten die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gemäß § 6 des Wohnstiftvertrages ein monatliches Entgelt in Höhe von insgesamt 3.607,61 €, wobei 2.833,61 € auf die Wohnraumüberlassung, 379,00 € auf die Speiseversorgung und 395,00 € auf Service und Betreuungsleistungen entfielen.
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In § 7 des Wohnstiftsvertrags ist zur Entgelterhöhung u.a. Folgendes geregelt: „1. Eine Erhöhung der Entgelte nach § 6 ist nur nach den gesetzlichen Vorschriften möglich. Danach ist eine Erhöhung des vereinbarten Entgelts nur zulässig, wenn sich die bisherige Berechnungsgrundlage verändert und sowohl die Erhöhung als auch das erhöhte Entgelt angemessen sind. (…) 3. Die Erhöhung des Entgelts ist gegenüber dem Bewohner spätestens 4 Wochen vor dem Zeitpunkt, an dem sie wirksam werden soll, schriftlich geltend zu machen und zu begründen. Die Begründung muss anhand der Leistungsbeschreibung und der Entgeltbestandteile dieses Vertrags unter Angabe des Umlagemaßstabs die Positionen beschreiben, für die sich Kostensteigerungen ergeben. Sie muss die vorgesehenen Änderungen darstellen und sowohl die bisherigen als auch die vorgesehenen neuen Entgeltbestandteile enthalten. Der Bewohner erhält Gelegenheit, die Angaben des Augustinum durch Einsicht in die Kalkulationsunterlagen zu überprüfen. 4. Durch die Regelungen nach Abs. 1 bis 3 werden die jeweils gültigen gesetzlichen Erhöhungsvorschriften nicht berührt.“
6
Gemäß § 2 des Wohnstiftsvertrags gehören zu den Standardleistungen Wohnen, Speisen und Service und Betreuung. Zu den „Speisen“ ist unter Punkt B 1. folgendes geregelt: „Zur Standardleistung gehört täglich ein warmes Mittagsmenü. Der Bewohner kann grundsätzlich zwischen mindestens zwei Menüangeboten wählen. 2. Statt des Mittagsmenüs kann der Bewohner eine Abendmahlzeit oder ein großes Frühstück/Frühstücksbuffet wählen. 3. Alle Mahlzeiten werden in der hauseigenen Küche möglichst unter Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner zubereitet. Frühstück und Mittagessen werden grundsätzlich im Restaurant serviert und so präsentiert, dass sie in einer kultivierten Atmosphäre eingenommen werden können. (…)“
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Hinsichtlich „Service und Betreuung“ ist unter Punkt C. 1. geregelt: „1. Bei leichter vorübergehender Erkrankung hat der Bewohner Anspruch auf Krankenpflege im Appartment als Standardleistung. Zur Krankenpflege gehören auch die hauswirtschaftliche Unterstützung und das Servieren von Mahlzeiten im Appartment. Eine leichte vorübergehende Erkrankung liegt vor, wenn die Dauer für die Krankenpflege 14 Tage nicht überschreitet und der tägliche Zeitbedarf (ohne Wegezeiten) unter 1 Stunde liegt. Diese Leistung kann bei Bedarf mehrfach pro Jahr in Anspruch genommen werden, sofern keine chronische Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) vorliegt. (…)“
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Hinsichtlich der „Wahlangebote“ regelt § 3 des Wohnstiftsvertrags u.a. Folgendes: „Jeder Bewohner kann zusätzlich sogenannte Wahlangebote aufgrund Einzelvereinbarung und gegen zusätzliches Entgelt in Anspruch nehmen. Als Wahlangebote werden im Rahmen der Kapazitäten des Wohnstifts angeboten: (…) 5. Zusätzliche Pflege, soweit sie über die Krankenpflege im Apartment als Standardleistung hinausgeht (vgl. § 4).“ In § 4 des Wohnstiftsvertrag ist zu „Pflegebedürftigkeit und Gerontopsychiatrische Betreuung“ u.a. geregelt: „1. Bei Pflegebedürftigkeit bietet das … um dem Bewohner häusliche Pflege durch den ambulanten Pflegedienst des Wohnstifts gegen zusätzliches Entgelt an. Will der Bewohner von diesem Angebot Gebrauch machen, wird ein gesonderter Pflegevertrag geschlossen, der die Einzelheiten der Pflege und ihrer Abrechnung regelt. Soweit abgedeckt, rechnet der ambulante Pflegedienst mit der gesetzlichen Kranken- und Pflegekasse des Bewohners ab. Pflege erfolgt grundsätzlich im Appartment des Bewohners. (…)“
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Unter § 5 des Wohnstiftsvertrags ist im Hinblick auf eine „Pflegekostenergänzungsregelung (PER)“ Folgendes geregelt: „Um bei Pflegebedürftigkeit gemäß § 14 SGB XI die mögliche Differenz zwischen den Leistungen der gesetzlich vorgeschriebenen Pflegeversicherung und den tatsächlichen Kosten der Pflege durch das Augustinum weitgehend decken zu können, bietet das Augustinum dem Bewohner zeitgleich mit diesem Wohnstiftsvertrag den Abschluss der hauseigenen Pflegekostenergänzungsregelung (PER) an. Wird diese zusätzlich vereinbart, ist sie Gegenstand dieses Vertrages.“
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Der Beklagte nahm die ihm in § 5 des Wohnstiftsvertrags verbindlich angebotene Pflegeergänzungsregelung vom 30.10./15.11.2016 (im folgenden „PER Vertrag“) an. Ich dort ist zum „Gegenstand der Pflegekostenergänzungsregelung (PER)“ in § 1 Folgendes geregelt: „(1) Mit der PER werden bestimmte, in § 3 näher bezeichnete individuelle Pflegekosten des Bewohners durch Umlage auf die Solidargemeinschaft der PER-Teilnehmern übernommen. Es handelt sich um den Anteil an den fachlich notwendigen Pflegekosten, der von einer Pflegekasse, Pflegeversicherung oder einem anderen Kostenträger nicht übernommen wird und die Eigenbeteiligung überschreitet. Die PER wird als wohnstiftsübergreifende Einrichtung vom … betrieben. Die Leistung des Bewohners besteht in einem monatlichen Beitrag. (2) Gegenstand der PER können ausschließlich solche pflegerische Leistungen sein, die aufgrund gesondert abzuschließende Vereinbarungen von der …, im folgender …, erbracht werden bzw. abrechenbar sind.“ Weiter ist unter § 4 „Beitrag“ geregelt wie folgt: „(1) Der Beitrag des Bewohners beträgt monatlich € 84 und ist auch im Falle der Inanspruchnahme von Leistungen aus der PER weiter zu entrichten. (…)“ und unter § 5 „Abrechnung“: „(…) (2) Der Beitrag nach § 4 wird als Zuschlag auf das Entgelt nach dem Wohnstiftsvertrag mit diesem abgerechnet und eingezogen.“
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Wegen der weiteren vertraglichen Einzelheiten wird auf den Wohnstiftsvertrag, vorgelegt als Anlage K1, sowie auf den „PER-Vertrag“, vorgelegt als Anlage K7, Bezug genommen.
12
Jeweils zum 01.07.2018, 01.07.2019 und 01.07.2020 vereinbarten die Parteien aufgrund von Kostensteigerungen jeweils Entgeltanpassungen. Entsprechend der letzten Anpassung beträgt das vom Beklagten monatlich an die Klägerin zu zahlende Entgelt insgesamt 3.738,00 €. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entgeltanpassung vom 01.07.2020 wird auf die Anlage K2 Bezug genommen.
13
Mit Schreiben vom 31.07.2021 kündigte die Klägerin dem Beklagten gegenüber wegen einer Steigerung vor allem bei den Personal- und Gebäudekosten eine weitere Preisanpassung zum 01.10.2021 an und bat um schriftliche Erteilung seines Einverständnisses. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 31.07.2021 samt Anlagen, vorgelegt als Anlagenkonvolut K3, Bezug genommen.
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Der Beklagte erteilte sein Einverständnis nicht.
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Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe einen Anspruch auf Zustimmung zur Erhöhung des Entgelts für die von ihr zu erbringenden Leistungen aus dem Wohnstiftsvertrag ab dem 01.10.2021 gegen den Beklagten gemäß § 7 des Wohnstiftsvertrags sowie gemäß § 9 WBVG, § 311 Abs. 1 BGB. Die Voraussetzungen für ein wirksames Erhöhungsverlangen würden allesamt vorliegen, insbesondere finde das WBVG auf das streitgegenständliche Vertragsverhältnis Anwendung. Bei den von der Klägerin nach dem Wohnstiftsvertrag geschuldeten Leistungen handle es sich um „Pflege- oder Betreuungsleistungen“ im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 WBVG, welche deutlich über bloße „allgemeine Unterstützungsleistungen“ hinausgingen. Insbesondere handle es sich bei der Versorgung mit Speisen gemäß der vertraglichen Vereinbarung um eine über allgemeine Unterstützungsleistungen hinausgehende Betreuungsleistung, da sie eine aufgrund des Alters des Beklagten erforderliche und von ihm in Anspruch genommene Hilfestellung im Bereich der Grundversorgung darstelle. Ferner reiche es für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des WBVG aus, wenn sich der Unternehmer, wie hier die Klägerin gemäß den §§ 3 und 4 des Wohnstiftsvertrags, zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen verpflichtet habe, diese mithin verbindlich vorhalte. Dabei sei unschädlich, dass diese Leistungen als „Wahlleistungen“ bezeichnet würden und der Abschluss eines separaten Vertrags vor der tatsächlichen Inanspruchnahme derselben notwendig sei. Das Entgelt für sämtlichen vertraglichen Inklusivleistungen mache auch nicht nur 10 % des Gesamtentgelts aus, sondern errechne sich zum Zeitpunkt des Erhöhungsverlangens mit 413,00 € für Speisen und 414,00 € für Betreuung und Service auf 22,12 % am Gesamtentgelt in Höhe von 3.738,00 € im Monat.
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Darüber hinaus habe sich der Beklagte durch die Annahme des Angebots des von der Klägerin gemäß § 5 des Wohnstiftsvertrags verbindlich angebotenen PER-Vertrags mittelbar die Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen nach Maßgabe des SGB XI bei Eintritt eines Hilfsbedarfs über den von der Klägerin vorgehaltenen ambulanten Pflegedienst vorbehalten. Über den PER-Vertrag, bei dem es sich um einen von der Klägerin initiierten Solidarfonds für alle teilnehmenden Bewohnerinnen und Bewohner der Seniorenresidenz handle, der sich aus den Beiträgen der Teilnehmenden speise, würden ausschließlich Entgelte für ambulante Pflegeleistungen abgegolten, die vom ambulanten Pflegedienst der Klägerin erbracht würden. Ein Leistungsausschluss bei Eintritt des ambulant erfüllbaren Pflegebedarfs liege nicht vor, insbesondere entsprächen die in § 16 Abs. 3 des Wohnstiftsvertrags geregelten Kündigungsrechte der Klägerin der gesetzlichen Regelung des § 12 WBVG, von dem die Klägerin gemäß § 16 WBVG ohnehin nicht abweichen dürfe.
17
Bei vorübergehender Erkrankung des Beklagten schulde die Klägerin ihm darüber hinaus Krankenpflege in seinem Apartment als Standardleistung, wobei diese zeitlich auf 14 Tage im Jahr wegen derselben leichten Erkrankung begrenzten Leistungen mehrmals im Jahr, das heiße unbegrenzt oft, in Anspruch genommen werden könnten. Hierbei erhalte der Beklagte jeweils individuelle Hilfestellungen und Pflege- und Betreuungsleistungen, welche ebenfalls über allgemeine Unterstützungsleistungen hinausgingen.
18
Die Klägerin beantragt zuletzt:
Der Beklagte wird verurteilt, die Zustimmung zur Erhöhung des Entgelts für die Leistungen aus dem Wohnstiftsvertrag vom 31.10./24.11.2016 in Gestalt des Ergänzungsvertrags vom 3.4./12.4.2018 ab dem 1.10.2021 entsprechend dem Entgelterhöhungsverlangen der Klägerin vom 31.7.2021 zu erteilen.
19
Der Beklagte beantragt zuletzt:
Die Klage wird abgewiesen.
20
Der Beklagte ist der Ansicht, er schulde keine Zustimmung zum Erhöhungsverlangen der Klägerin, da weder § 9 WBVG noch § 7 des Wohnstiftsvertrags vom 31.10.2016 einen Anspruch auf Abgabe der gewünschten Willenserklärung gewähren würden. Der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 WBVG sei hier nicht eröffnet, da die Überlassung von Wohnraum nicht mit der Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen verknüpft sei, sodass ein besonderer Schutzbedarf auf Seiten des Verbrauchers vor einer doppelten Abhängigkeit von einem Unternehmer nicht bestehe. Pflegeleistungen seien nach dem Wortlaut des § 2 des Wohnstiftsvertrags schon nicht eigens aufgeführt. Die in § 2 C Nr. 1 des Wohnstiftsvertrags genannte vorübergehende, maximal 14-tägige Krankenpflege pro Erkrankung im Apartment, stelle aufgrund ihres geringen Umfangs keine pflegerische Leistung dar und begründe keine wesentliche Vertragspflicht. Vielmehr werde als Wahlleistung nach § 4 des Wohnstiftsvertrags bei Pflegebedürftigkeit eine häusliche Pflege durch den ambulanten Pflegedienst des Wohnstifts gegen zusätzliches Entgelt angeboten. Der Bewohner könne jederzeit auch irgendeinen anderen ambulanten Pflegedienst beauftragen, sodass die als Grundlage des Verbraucherschutzes geforderte doppelte Abhängigkeit aufgrund der vorliegenden vertraglichen Regelungen nicht begründet ist. Dies ergebe sich auch aus einer Analyse der Zusammensetzung des Entgelts für die Standardleistungen, wonach auf den Entgeltbestandteil „Service und Betreuung“ weniger als 10 % des monatlichen Gesamtentgeltes entfielen. Auch auf der vertraglichen Regelung des § 7 des Wohnstiftsvertrags lasse sich das klägerische Zustimmungsbegehren nicht stützen, unabhängig davon, ob die Erhöhungsregelung lediglich eine Verweisung auf § 9 WBVG darstelle oder es sich hierbei um eine eigenständige Erhöhungsklausel handele. Denn diese sei jedenfalls nach § 307 BGB unwirksam, da zum einen eine Preisreduzierung nicht erwähnt werde, und zum anderen die Berechnungsmethode nicht klar definiert sei. Bei Unwirksamkeit der Klausel sei nur nach den gesetzlichen Vorgaben zu erhöhen, welche vorliegend die mietrechtlichen Regelungen nach den §§ 535 ff. BGB darstellten. Deren Voraussetzungen seien allerdings vorliegend nicht gegeben. Gegen die Anwendung des WBVG spreche es auch, dass der sogenannte PER-Vertrag nicht zu Beginn der Versorgung zeitlich zusammen hängend abgeschlossen worden sei.
21
Beweis wurde nicht erhoben. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2022 sowie den Akteninhalt im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

22
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
23
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht München sachlich und örtlich zuständig, §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG, 12, 13 bzw. 29 ZPO.
II.
24
Die Klage ist begründet.
25
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Erteilung der Zustimmung zu ihrem Entgelterhöhungsverlangen vom 31.07.2021 gemäß § 9 WBVG.
26
Unabhängig von der Frage, ob § 9 Abs. 1 S. 1 WBVG vertraglich gemäß § 7 Ziff. 1. des Wohnstiftsvertrages in Bezug genommen wurde, ist das WBVG auf den vorliegenden Wohnstiftsvertrag anwendbar, da die dort in § 1 Abs. 1 S. 1 und S. 2 WBVG aufgestellten Voraussetzungen vorliegen. Eine Gesamtbetrachtung sämtlicher vertraglich vereinbarter und von der Klägerin zu erbringender bzw. vorzuhaltender Leistungen ergibt, dass es sich um ein spezielles Leistungsangebot für Senioren zur Unterstützung und bei Hilfebedarf im Alter handelt. Eine besondere Schutzbedürftigkeit des Beklagten im Sinne des WBVG ist vorliegend anzunehmen, da der Beklagte auch aufgrund des in zeitlichem Zusammenhang mit dem Wohnstiftsvertrag weiter abgeschlossenen PER-Vertrags faktisch eine doppelte Abhängigkeit von der Klägerin begründet hat.
27
Gemäß § 1 Abs. 1 WBVG ist das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz anzuwenden auf Verträge zwischen einem Unternehmer und einem volljährigen Verbraucher, in denen sich der Unternehmer zur Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen verpflichtet, die der Bewältigung eines durch Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingten Hilfsbedarfs dienen. Unerheblich ist gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 WBVG dabei, ob die Pflege- oder Betreuungsleistungen nach den vertraglichen Vereinbarungen vom Unternehmer lediglich zur Verfügung gestellt oder vorgehalten werden. Gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 WBVG ist das Gesetz nicht anzuwenden, wenn der Vertrag neben der Überlassung von Wohnraum ausschließlich die Erbringung von allgemeinen Unterstützungsleistungen wie die Vermittlung von Pflege- oder Betreuungsleistungen, Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung oder Notrufdienste zum Gegenstand hat.
28
Unstreitig handelt es sich vorliegend bei der Klägerin um eine Unternehmerin nach § 14 BGB und bei dem Beklagten um einen volljährigen Verbraucher i.S.d. § 13 BGB. Die Klägerin hat sich unstreitig vertraglich jedenfalls dazu verpflichtet, dem Beklagten Wohnraum zu überlassen, sodass es entscheidend darauf ankommt, inwiefern die weiteren vertraglich vereinbarten bzw. von der Klägerin vorgehaltenen Leistungen unter den Begriff der Pflege- oder Betreuungsleistungen i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 WBVG zu subsumieren sind.
29
1. Zunächst sind bei der Auslegung des den Anwendungsbereich des WBVG regelnden § 1 WBVG der gesetzgeberische Wille sowie der Sinn und Zweck des Gesetzes in den Blick zu nehmen.
30
Mit Erlass des WBVG verfolgte der Gesetzgeber im Wesentlichen das Ziel, ältere sowie pflegebedürftige oder behinderte volljährige Menschen bei Abschluss und Durchführung von Verträgen über die Überlassung von Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen vor Benachteiligungen zu schützen und dadurch in einer möglichst selbständigen und selbstbestimmten Lebensführung zu unterstützen (BT-Drs. 16/12409, S. 10). Der besondere Schutzbedarf ergibt sich nach den Erwägungen des Gesetzgebers aus der doppelten Abhängigkeit des Verbrauchers vom Unternehmer und wird noch verstärkt, weil es sich in der Regel um langfristige Entscheidungen zum Lebensmittelpunkt handelt (BT-Drs. 16/12409, S. 1, 11).
31
Dabei kann der Unternehmer die Leistungen selbst erbringen oder lediglich vorhalten, § 1 Abs. 1 S. 2 WBVG. Nach den Erwägungen des Gesetzgebers kommt es folglich nicht darauf an, ob die Pflege- oder Betreuungsleistungen bereits mit Beginn des Vertragsverhältnisses oder erst zu einem späteren Zeitpunkt erbracht werden sollen, was dem Umstand Rechnung trage, dass Verträge auch zu einem Zeitpunkt abgeschlossen werden können, in dem noch keine Pflege- oder Betreuungsleistungen benötigt werden. Denn auch dort bedürfe es eines Schutzes des Verbrauchers, da die Betroffenen in der Erwartung, zu einem späteren Zeitpunkt diese entgegennehmen zu können, Dispositionen und für sie weit reichende Entscheidungen treffen, wie beispielsweise ihre gewohnte Umgebung zu verlassen und in eine andere Wohnung umzuziehen (BT-Drs. 16/12409, S. 14 f.). Damit kommt zum Ausdruck, dass nicht bereits zu Beginn des Vertrages alle Leistungen erbracht werden müssen, sondern vielmehr, soweit vereinbart, nur jederzeit abrufbar sein (BeckOGK-WBVG/Drasdo, 01.04.2020, § 1 Rn. 98). Ausschlaggebend soll dabei die verpflichtende Abnahme durch den Betroffenen sowie Erbringung im Bedarfsfall durch den Unternehmer sein (vgl. LG München I, Endurteil vom 30.07.2020 – 31 S 17737/19; Dickmann/Kempchen, HeimR, 11. Aufl. 2014, § 1 WBVG Rn. 8).
32
Mit der Regelung des § 1 Abs. 1 S. 3 WBVG wollte der Gesetzgeber Angebote des reinen „Service-Wohnens“ von dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausnehmen (BT-Drucks. 16/12409, S. 15). Es knüpft neben dem reinen „Service-Wohnens“ an die Kategorien der Heimverträge nach dem früheren HeimG und an Angebote des betreuten Wohnens an, welche jeweils von dem Anwendungsbereich des § 1 WBVG erfasst sein sollen, wenn neben der Wohnraumüberlassung auch die Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen geschuldet ist.
33
Das WBVG eröffnet grundsätzlich einen weiteren Schutzbereich als das HeimG als sein Vorgänger. Umgehungen des WBVG durch besondere Vertragsgestaltungen der Unternehmer sollten aus Gründen des Verbraucherschutzes vermieden werden.
34
2. Neben der Wohnraumüberlassung ist wesentliches Element der Dienstleistung im Sinne des WBVG, dass der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher „Pflege- oder Betreuungsleistungen“ erbringt. Eine gesetzliche Definition dieser Begriffe fehlt ebenso wie die Vorgabe entsprechender Abgrenzungskriterien. Umfasst sein sollen grundsätzlich alle im SGB XI und SGB XII anerkannten Leistungen personenbezogener Art, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Danach kommen alle Pflege- oder Betreuungsleistungen in Betracht, die in Rahmen- oder Versorgungsverträgen nach dem SGB XI mit Unternehmern vereinbart werden. Sie müssen einem durch Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingten Hilfebedarf dienen über lediglich allgemeine Unterstützungsleistungen hinausgehen (vgl. Dickmann, WBVG, § 1 Rn. 6 ff.). In § 14 SGB XI ist lediglich der Begriff der Pflegebedürftigkeit definiert, wobei es dabei auch die Dauerhaftigkeit des Zustands der Hilfsbedürftigkeit ankommt, § 14 Abs. 1 S. 2 SGB XI. Zur Betreuung sollen alle auf den Verbraucher zugeschnittenen Tätigkeiten und Hilfeleistungen zu rechnen sein, die darauf gerichtet sind, diesem zu helfen und ihn durch den Alltag zu begleiten (vgl. Dickmann, WBVG, § 1 Rn. 6 ff.). Die Vorgaben der §§ 14, 15 SGB XI sind allerdings nicht weit genug gefasst (vgl. beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.10.2022, § 1 Rn. 96) und können nur als Orientierungshilfe dienen, da das WBVG auf sie keinen Bezug nimmt.
35
Für die Frage der Anwendbarkeit des WBVG ist eine Abgrenzung allein nach dem Kriterium des zahlenmäßigen Anteils des Entgelts für die Verpflegung und die sonstigen Beratungs-, Betreuungs-, Kultur- und Hauswirtschaftsleistungen am Gesamtentgelt, die hier im Übrigen nach der zuletzt vereinbarten Entgelterhöhung insgesamt über 20 % liegen, nicht interessengerecht. Dies ergibt sich schon daraus, dass zum einen wesentliches Element des Vertrages die Überlassung von Wohnraum durch den Träger der Einrichtung ist, ohne die das WBVG ohnehin keine Anwendung findet (vgl. beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.10.2022, § 1 Rn. 83). Zum anderen wäre der Wille des Gesetzgebers, ein möglichst umfassendes Schutzgesetz Gunsten des betroffenen Verbrauchers zu schaffen, auf diese Weise leicht zu umgehen.
36
Es ist mithin vielmehr auf die konkrete Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarungen und die darin enthaltenen Leistungen sowie auf eine damit verbundene doppelte Abhängigkeit des Verbrauchers von dem Unternehmer abzustellen.
37
a) Die in § 2 C. 1. geregelte Krankenpflege im Apartment ist im vorliegenden Fall, unabhängig von der Einordnung der weiteren im Vertrag geregelten Leistungen, nach Auffassung des Gerichts als eine solche anzusehen, die einem jedenfalls durch Alter bedingten Hilfebedarf dient und über eine lediglich allgemeine Unterstützungsleistungen hinausgeht. Sie ist als Pflege- oder Betreuungsleistung i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 WBVG anzusehen.
38
Hiernach hat der Beklagte unbegrenzt häufig im Jahr wegen einer leichten und vorübergehenden Erkrankung Anspruch auf Krankenpflege im Apartment von täglich bis zu 1 Stunde und von jeweils 14 Tagen je Erkrankung gegen die Beklagte. Auch wenn ein akuter Krankheitsfall in jedem Alter auftreten kann und nicht altersspezifisch ist, so verursacht er aber typischerweise gerade bei älteren Menschen einen erhöhten Hilfs- und Pflegebedarf. Indem der Beklagte unbegrenzt häufig im Jahr einen Anspruch gegen die Klägerin auf Deckung dieses Hilfsbedarfs durch den von ihr „rund um die Uhr“ gemäß § 2 C. 9. vorgehaltenen ambulanten Pflegedienst hat, spielt er im Vertragsgefüge nach Auffassung des Gerichts eine nicht nur untergeordnete Rolle und ist als entscheidungsbildender Faktor für einen Umzug in die Seniorenresidenz der Klägerin anzusehen. Entgegen der Ansicht der Beklagtenpartei geht diese vertraglich von der Klägerin geschuldete Leistung weit über einen „gehobenen Hotelbetrieb“ hinaus, und unterscheidet sich hierin im Übrigen auch von dem dem Urteil des AG Schöneberg, Az.: 10 C 58/22, zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem der Verbraucher einen Anspruch auf Erbringung von Pflegeleistungen wegen akuten Erkrankungen von höchstens 21 Tagen im Jahr zu je 60 Minuten hatte.
39
Damit erbringt die Klägerin hier jedenfalls nicht „ausschließlich“ allgemeine Unterstützungsleistungen, wie sie auch beim „Service-Wohnen“ angeboten werden. Die Anwendbarkeit des WBVG ist damit gerade nicht gemäß dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 1 S. 3 WBVG ausgeschlossen.
40
b) Auch wenn eine darüber hinausgehende zusätzliche Pflege bei Pflegebedürftigkeit gemäß § 3 5. und § 4 des Wohnstiftsvertrags nicht als Standardleistung enthalten und von dem Abschluss eines gesonderten Pflegevertrags abhängig ist, so hat die Klägerin dem Beklagten gegenüber dennoch ein verbindliches Angebot auf Erbringung derselben unterbreitet, welches dieser nur noch anzunehmen braucht, um die Leistungen zu erhalten. Hierin liegt auch ein Unterschied zu dem der Entscheidung des LG München I, Az.: 31 S 17737/19, zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem nur eine Verpflichtung zur Unterbreitung eines Angebots geregelt war. Durch das verbindliche Angebot ist die Klägerin mithin eine Vorhalteverpflichtung für Pflege- und Betreuungsleistungen zugunsten des Beklagten i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 WBVG eingegangen.
41
c) Es besteht vorliegend auch eine besondere Schutzbedürftigkeit des Beklagten durch die streitgegenständlich geschlossenen Verträge im Sinne einer doppelten Abhängigkeit von der Klägerin. Zwar ist eine Abnahmeverpflichtung der vorgenannten, zum Teil nur vorgehaltenen Betreuungs- und Pflegeleistungen durch den Beklagten in dem Wohnstiftsvertrag nicht ausdrücklich geregelt. Allerdings wäre es lebensfremd anzunehmen, dass der Beklagte die ihm verbindlich angebotenen und von ihm bezahlten Leistungen nicht annehmen, und stattdessen eine anderweitige Pflege in Anspruch nehmen würde. Die bei der Klägerin verbindlich vorgehaltenen Pflegemöglichkeiten spiegeln sich auch in der Preisgestaltung wider, welche allein unter Zugrundelegung mietrechtlicher Vorschriften nicht realistisch erscheint.
42
Der Beklagte hat unstreitig durch Abschluss des PER-Vertrags Vorsorge dahingehend getroffen, die durch die Klägerin angebotenen Pflegeleistungen im Bedarfsfall in Anspruch nehmen zu können. Für diesen Fall sind gemäß § 4 (1) des PER-Vertrags auch monatlich 84,00 € an die Klägerin zu zahlen, welche nach § 5 (2) des PER-Vertrags auf das Entgelt nach dem Wohnstiftsvertrag zugeschlagen und mit diesem abgerechnet und eingezogen werden. Damit besteht jedenfalls eine faktische Abhängigkeit des Beklagten auf Inanspruchnahme der durch die Klägerin angebotenen Pflegeleistungen. Der PER-Vertrag ist auch in zeitlichem Zusammenhang mit dem Wohnstiftsvertrag abgeschlossen worden und gilt gemäß § 5 des Wohnstiftes Vertrags als Gegenstand desselben. Es wäre zu kurz gegriffen und würde dem Schutzzweck des Gesetzes sowie dem im Vergleich zum HeimG erweiterten Anwendungsbereich des WBVG zuwider laufen, wollte man eine derartige faktische Abhängigkeit des betroffenen Verbrauchers nicht berücksichtigen.
43
Das vorliegende Vertragsverhältnis allein mietrechtlichen Vorschriften zu unterstellen, würde den vorgenannten, zwischen den Parteien vereinbarten Regelungen, die neben der Verpflichtung zur Sorge um die Gesundheit gemäß § 2 C. 1 auch die tägliche Verpflegung durch Zurverfügungstellen einer Mahlzeit und ein umfangreiches Kultur- und Freizeitangebot enthalten, nicht gerecht werden.
44
2. Die Klägerin hat auch einen Anspruch gemäß § 9 WBVG gegen den Beklagten auf die Erhöhung des streitgegenständlichen Entgelts in der geltend gemachten Höhe.
45
Die Rechtmäßigkeit sowie die Höhe der Entgelterhöhung sind im vorliegenden Fall unstreitig geblieben.
46
Das Erhöhungsverlangen entspricht sowohl formal als auch inhaltlich den Vorgaben des § 9 WBVG sowie der sich hiermit deckenden Regelung in § 7 des Wohnstiftsvertrags. Die Klägerin hat dem Beklagten die beabsichtigte Erhöhung nach § 9 Abs. 2 WBVG schriftlich mitgeteilt und unter konkreter Angabe einer Veränderung der Berechnungsgrundlage begründet. Diese ist unstreitig auch als angemessen anzusehen.
III.
47
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
48
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in den §§ 894, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
49
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 3 ff. ZPO, 48 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG und folgt dem 3 1/2 fachen Jahresbetrag der Erhöhungsforderung.