Inhalt

AG Erding, Endurteil v. 31.03.2023 – 101 C 1611/22
Titel:

Markengebundene Fachwerkstatt, Sachverständigenkosten, Sachverständigengutachten, Feststellungsinteresse, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Fiktive Reparaturkosten, UPE-Aufschläge, Deklaratorisches Anerkenntnis, Schadenminderungspflicht, Übliche Stundenverrechnungssätze, Elektronisches Dokument, Günstigere Reparaturmöglichkeit, Verbringungskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, Referenzwerkstatt, Zumutbarkeit, Streitwert, Gegenstandswert, Elektronischer Rechtsverkehr

Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadensersatz, fiktive Abrechnung, Referenzwerkstatt, Schadensminderungspflicht, Gutachten, Rechtsanwaltskosten
Rechtsmittelinstanzen:
LG Landshut, Endurteil vom 20.12.2023 – 15 S 1052/23
BGH Karlsruhe, Urteil vom 08.04.2025 – VI ZR 25/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56766

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 159,51 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.06.2022 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin sämtlichen zukünftigen materiellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 24.03.2022 um 16.15 Uhr auf dem Parkplatz des … zu erstatten hat.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 60 % und die Beklagte 40 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.251,67 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall.
2
Am 24.03.2022 gegen 16:15 Uhr kam es auf dem Parkplatz des … zu einer Kollision zwischen dem klägerischen Fahrzeug (amtliches Kennzeichen …) und dem Fahrzeug (amtliches Kennzeichen …), für das bei der Beklagten die Haftpflichtversicherung besteht. Die Kollision ereignete sich, als die Fahrerin des Fahrzeugs, das bei der Beklagten versichert ist, beim rückwärts Ausparken auf das klägerische Fahrzeug auffuhr. Der Klägerin entstand durch das Unfallereignis laut Privatgutachten ein Fahrzeugschaden in Höhe von 4.122,44 € netto. Die Kosten für das Gutachten beliefen sich auf 869,53 € brutto. Mit Anwaltsschreiben vom 29.03.2022 und 06.04.2022 forderte der Klägervertreter die Beklagte auf, den Schaden zu regulieren. Mit Schreiben vom 12.04.2022 regulierte die Beklagte den Schaden zum Teil, sie zahlte an den Kläger Sachverständigenkosten in Höhe von 869,53 €, eine Unkostenpauschale von 25,00 €, Reparaturkosten in Höhe von 2.657,38 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 453,87 €. Die Beklagte erkannte die Haftung dem Grunde nach an.
3
Die Klägerin behauptet, die durch das Privatgutachten ermittelte Schadenshöhe sei für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des klägerischen Fahrzeugs angemessen und erforderlich.
4
Die Klägerin beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 1.465,06 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 173,26 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin sämtlichen zukünftigen materiellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 24.03.2022 um 16.15 Uhr auf dem Parkplatz … zu erstatten hat.
5
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
6
Die Beklagte behauptet, es liege allenfalls ein Schaden in Höhe von 2.955,55 € vor, wobei sie auf den Prüfbericht vom 16.06.2022 verwies, der diesen Betrag aufführte. Dabei sei die … eine ohne Weiteres zugängliche und gleichwertige Reparaturmöglichkeit, wo zu den in dem Prüfbericht genannten Stundensätzen und Materialkosten, bei denen es sich um keine Sonderkonditionen für die Beklagte, sondern um die sämtlichen Kunden zugänglichen üblichen Stundensätze handele, eine fachgerechte und qualitativ hochwertige Reparatur auf dem Standard einer markengebundenen Fachwerkstatt durchgeführt werden könne.
7
Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Feststellungsantrag mangels Feststellungsinteresses unzulässig sei. Ferner seien Verbringungskosten und UPE-Aufschläge bei fiktiver Abrechnung nicht erstattungsfähig, wenn sie in einer konkret benannten, zumutbaren Vergleichswerkstatt nicht anfallen. Die streitgegenständlichen Reinigungskosten seien nicht unfallbedingt und stellen keine zur Wiederherstellung des ohne das schädigende Ereignis bestehenden Zustandes erforderlichen Aufwendungen dar. Schutzmaßnahmen vor Covid-19 seien keine ersatzfähigen Positionen im Sinne von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB; diese Kosten seien einesteils in den Gemeinkosten enthalten und auch nicht Teil des Werkstattrisikos. Zudem dienen Probefahrten nicht der Wiederherstellung, sondern gehören zur Ausgangskontrolle einer Werkstatt zum Schutz der Werkstatt vor Nachbesserungswünschen, was jedoch nicht Teil des Schadensersatzrechts sei.
8
Die Klagepartei entgegnet, dass es sich bei der Verweiswerkstatt nicht um einen zertifizierten ZFK- und Eurogarant-Fachbetrieb handele, so dass eine Verweisung hierauf bereits aus rechtlichen Gründen ausscheide.
9
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen …. Hinsichtlich des Beweisthemas und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Beweisbeschluss vom 12.10.2022 (Bl. 98/99 d.A.) und das schriftliche Sachverständigengutachten vom 16.01.2023 (Bl. 106/127 d.A.) verwiesen. Die Klageschrift wurde der Beklagten ausweislich der Postzustellungsurkunde am 01.06.2022 zugestellt. Mit Zustimmung der Parteien vom 14.02.2023 und 18.02.2023 wurde durch Beschluss vom 20.02.2023 die Fortsetzung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteien vom 16.05.2022, 22.07.2022, 29.08.2022, 21.09.2022, 14.02.2023 sowie 18.02.2023 nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist überwiegend unbegründet.
A.
12
Die Klage ist zulässig.
13
I. Das Amtsgericht Erding ist sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, § 1 ZPO zuständig, da der Streitwert 5.000,00 € nicht übersteigt. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 20 StVG, § 32 ZPO.
14
II. Der Feststellungsantrag ist zulässig, ein Feststellungsinteresse ist insbesondere gegeben. Das Feststellungsinteresse im Sinne eines rechtlichen Interesses ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und das Feststellungsurteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Die 100 prozentige Haftung der Beklagten ist für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall am 24.03.2022 unstreitig. Die Beklagte hat bereits in der vorgerichtlichen Korrespondenz ihre Haftung dem Grunde nach nicht in Abrede gestellt und dies auch in den Schriftsätzen während des Rechtsstreits wiederholt. Die Auslegung der Schreiben und Schriftsätze der Beklagten gem. §§ 133, 157 BGB führt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Ausführungen der Beklagten zur Haftung dem Grunde nach lediglich als ein deklaratorisches Anerkenntnis zu verstehen sind. Sowohl der Wortlaut als auch die Interessenlage sprechen dagegen, dass ein konstitutives Anerkenntnis abgegeben werden sollte. Regulierungszusagen von Haftpflichtversicherungen sind in der Regel, soweit es sich nicht ohnehin nur um eine Auskunft über die Zahlungsbereitschaft handelt, lediglich als deklaratorisches Schuldanerkenntnis zu werten (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.10.1984 – 4 U 47/84; OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.03.2000 – 10 U 271/99), denn für die Annahme, die Versicherung wolle ihre Verpflichtung vom bisherigen Schuldgrund lösen und eine neue selbständige Schuld begründen, besteht kein Grund. Das deklaratorische Anerkenntnis hat zwar auch verjährungsunterbrechende Wirkung, im Gegensatz zum konstitutiven Schuldanerkenntnis, bei dem die Verjährungsfrist 30 Jahre beträgt, setzt es aber keine eigene (längere) Verjährungsfrist in Gang, so dass die Ansprüche der Klägerin aus dem Verkehrsunfall in drei Jahren verjähren würden.
15
Der BGH hat entschieden (vgl. BGH, Urteil vom 17.10.2006 – VI ZR 249/05; BGH Urteil vom 18.10.2011 – VI ZR 17/11), dass der durch einen Verkehrsunfall Geschädigte, der seinen Fahrzeugschaden zunächst fiktiv auf der Grundlage der vom Sachverständigen geschätzten Kosten abrechnet, an diese Art der Abrechnung nicht ohne weiteres gebunden ist, sondern nach erfolgter Reparatur grundsätzlich zur konkreten Schadenberechnung übergehen und nunmehr Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten verlangen kann. Im übrigen genügt es, wenn künftige Schadensfolgen möglich, Art, Umfang oder sogar ihr Eintritt ungewiss sind. Hier ist es u.a. möglich, dass bei einer Reparatur des Fahrzeugs Mehrwertsteuer anfällt sowie die Nutzungsausfallentschädigung. Wegen der drohenden Verjährung besteht für die Klägerin angesichts des Risikos künftiger Schadensfolgen ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO.
B.
16
Die Voraussetzungen der objektiven Klagehäufung gem. § 260 ZPO liegen vor.
17
Die Klage ist hinsichtlich der Hauptforderung in Höhe von 159,51 € begründet.
18
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 159,51 € aus § 115 I VVG, § 249 BGB.
19
Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig.
20
Gemäß § 249 BGB besteht in der Regel ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (BGH, Urteil vom 03.12.2013 – VI ZR 24/13). Begehrt er den Ersatz fiktiver Reparaturkosten, genügt es im Allgemeinen, dass er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden (BGH, Urteil vom 29.04.2003 – VI ZR 398/02). Gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte anstelle der vom Gesetz in erster Linie vorgesehenen Naturalrestitution den hierfür erforderlichen Geldbetrag verlangen. Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen, vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2019 – VI ZR 315/18.
21
I. Die Klägerin muss sich vorliegend entgegen ihrer Ansicht auf die gegenständlich benannte freie Referenzwerkstatt … verweisen lassen.
22
Im Rahmen der Abrechnung fiktiver Reparaturkosten muss sich der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht auf eine mühelos und ohne weiteres zugängliche günstigere Werkstatt verweisen lassen. Dabei muss eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit bestehen. Grundsätzlich ist der Geschädigte im Rahmen der Totalreparation sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung wie auch in der Verwendung des zu leistenden Schadensersatzes frei. Dabei ist grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten zu leisten, was auch bei fiktiver Abrechnung gilt. Grundlage der Abrechnung stellt dabei ein Sachverständigengutachten dar, welches erkennen lässt, dass dieses vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters erstellt wurde. Unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht muss sich der Geschädigte aber auf eine für ihn mühelos und ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.2015 – VI ZR 267/14).
23
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 20.10.2009 – VI ZR 53/09) ist bei der Frage, ob der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bei einem Kfz-Schaden die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde gelegt werden dürfen, zu differenzieren. Bei Fahrzeugen, die älter als 3 Jahre sind, darf der Geschädigte grundsätzlich auf eine gleichwertige „freie Fachwerkstatt“ verwiesen werden. Der Geschädigte wiederum kann darlegen, dass ihm ein solcher Verweis nicht zumutbar ist, z.B. weil das Fahrzeug stets in einer markengebundenen Werkstatt gewartet oder repariert wurde.
24
Im vorliegenden Fall ist das Fahrzeug der Geschädigten im Jahr 2010 erstmals zugelassen worden und damit deutlich älter als drei Jahre. Die Geschädigte hat auch im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast nicht konkret dargelegt, dass sie ihr Kraftfahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen. Die Beklagtenseite hat einen konkreten Betrieb, nämlich die … benannt, welche die Reparatur günstiger ausführen würde. Ein solcher Verweis ist im vorliegenden Fall grundsätzlich zulässig, auch wenn die Verweisung erst während des Rechtsstreits erfolgt, vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 320/12. Die Entfernung von ca. 7,2 km zur Verweisungswerkstatt vom Wohnort der Klägerin aus ist dieser zumutbar. Darüber hinaus stellt der Sachverständige … in seinem Gutachten vom 16.01.2023 fest, dass es sich bei der Verweiswerkstatt um einen auf Unfallreparaturen spezialisierten Instandsetzungsbetrieb mit eigener Lackiererei handelt. Auch bei den von der beklagten Seite angeführten Stundenverrechnungssätzen handelt es sich nicht um Sonderkonditionen für die Beklagte, sondern um allgemein im Jahr 2022 gültige Stundenverrechnungssätze, die auch dem Sachverständigen bei gelegentlichem Nachfragen genannt wurden. Ferner bietet die Verweiswerkstatt auf ihrer Homepage einen kostenlosen Abhol- und Bringdienst für Fahrzeuge an, die dort instandgesetzt werden. Ferner ist die Firma dem Sachverständigen seit Jahren als qualifizierter Karosserieinstandsetzungsbetrieb mit eigener Lackiererei bekannt. Es handelt sich um einen zertifizierten Karosseriebetrieb, der nach EN-ISO 9001 zertifiziert ist. Dies beruht auf den nachvollziehbaren und glaubhaften Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 16.01.2023, denen das Gericht folgt. Zur Überzeugung des Gerichts liegt mithin eine gleichwertige Referenzwerkstatt vor, deren Verweis der Klägerin zumutbar ist.
25
II. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der in Ansatz gebrachten UPE-Aufschläge.
26
Die Erstattungsfähigkeit wird verneint, wenn der Geschädigte zumutbar auf eine solche Werkstatt verwiesen werden kann, die eine Reparatur nach Herstellerrichtlinien oder nach den unverbindlichen Preisempfehlungen ausführt (vgl. BGH, Urteil vom 25.09.2018 – VI ZR 65/18). Nach ganz überwiegender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, der auch der erkennende Senat folgt, entscheidet sich die Frage der Ersatzfähigkeit der UPE-Aufschläge nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ersatzfähigkeit der Reparaturkosten. Danach darf der Geschädigte, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensabrechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Ersatzteilkosten einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm hinzugezogener Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Unter den Gesichtspunkten einer zulässigen und zumutbaren Verweisung auf eine günstigere gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer Referenzwerkstatt ist jedoch auf der Grundlage der günstigeren Reparaturmöglichkeit abzurechnen, die sich daraus ergeben kann, dass die Referenzwerkstatt günstigere Ersatzteilpreise, zum Beispiel ohne UPE-Aufschläge, anbietet. Das ist hier der Fall. Es handelt sich bei der Verweisung auf die … um eine zulässige und zumutbare Verweisung (s.o.). Nach den Ausführungen des Sachverständigen werden in der Verweiswerkstatt keine Aufschläge auf die unverbindlichen Preisempfehlungen des Herstellers verlangt.
27
III. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der Reinigungskosten. … Insoweit kann auf die Ausführungen zu den UPE-Aufschlägen verwiesen werden. Da es sich vorliegend bei der … um eine zulässige und zumutbare Verweiswerkstatt handelt, hat die Klägerin im Rahmen der Schadensgeringhaltungspflicht auf der Grundlage der günstigeren Reparaturmöglichkeit abzurechnen. Nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen ist ein besonderes Reinigen des Fahrzeuges für die Instandsetzung und auch für die Lackierung nicht erforderlich. Insbesondere vor der Lackierung ist eine Reinigung erneuerter und reparierter Karosserieteile in den jeweiligen Vorbereitungszeiten enthalten. Während des Aufenthalts in der Lackiererei entsteht jedoch durch Schleifarbeiten am eigenen, jedoch auch an anderen Fahrzeugen Schleifstaub, der sich auf den Fahrzeugen absetzt und deshalb auch Qualitätsgründen vor der Auslieferung des Fahrzeugs an den Kunden eine abschließende Reinigung (Außenwäsche) erfordert. Inwiefern diese Kosten in Rechnung gestellt werden, ist bei den Betrieben und auch bei den einzelnen Schadensarten unterschiedlich und wird auch in den Werkstätten unterschiedlich gehandhabt. Die Verweiswerkstatt teilte auf telefonische Nachfrage mit, dass eine abschließende Fahrzeugwäsche kostenlos nach der Instandsetzung des Fahrzeuges erfolgt.
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IV. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der Verbringungskosten.
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Insoweit kann auf die Ausführungen zu den UPE-Aufschlägen verwiesen werden. Da es sich vorliegend bei der … um eine zulässige und zumutbare Verweiswerkstatt handelt, hat die Klägerin im Rahmen der Schadensgeringhaltungspflicht auf der Grundlage der günstigeren Reparaturmöglichkeit abzurechnen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen handelt es sich bei der Verweiswerkstatt um einen auf Unfallreparaturen spezialisierten Betrieb, der auch über eine eigene Lackiererei verfügt, sodass dort keine Verbringungskosten anfallen.
30
V. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Desinfektionskosten.
31
Es fehlt bereits an einer Ersatzfähigkeit dieser Kosten im Verhältnis des Auftraggebers zur Werkstatt.
32
Das Amtsgericht Pforzheim hat in seinen Entscheidungen vom 02.12.2020 (Aktenzeichen: 4 C 231/20) und vom 22.12.2020 (Aktenzeichen 4 C 157/20) überzeugend dargelegt, dass die in einer Reparaturrechnung gesondert aufgeführt und berechneten Covid-19-Schutzmaßnahmen als Gegenstand der Aufwendungen des Arbeitsschutzes den Allgemeinkosten einer Werkstatt zuzurechnen seien.
33
Das Gericht schließt sich vorliegend, auch in Kenntnis hiervon abweichender und von der Klagepartei aufgeführter Rechtsprechung, der Auffassung des AG Pforzeim an. Bereits begrifflich handelt es sich bei Desinfektionskosten im Rahmen einer Fahrzeugreparatur in einer Werkstatt nicht um unfallbedingte Schäden. Die dabei entstehenden Kosten sind Teil der Kosten des Arbeitsschutzes für die Mitarbeiter der Werkstatt und überdies von den betrieblichen Gemeinkosten umfasst.
34
Jedenfalls scheitert der geltend gemachte Anspruch der Klägerin an der fehlenden Kausalität auf der Ebene der Adäquanz. Zwar mag der streitgegenständliche Verkehrsunfall für die im Rahmen der Reparatur durchgeführte Desinfektion äquivalent kausal sein, da der Unfall nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die konkret anfallenden Desinfektionskosten im Rahmen einer Reparatur anfielen. Eine adäquate Kausalität ist jedoch nicht gegeben. Eine solche liegt vor, wenn ein Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der fraglichen Art herbeizuführen (vgl. BGH, Urteil vom 11.01.2005 – X ZR 163/02).
35
In Bezug auf die geltend gemachten Desinfektionskosten ist davon auszugehen, dass ein adäquat kausaler Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall nicht besteht. Es ist reiner Zufall, dass sich der streitgegenständliche Unfall in Zeiten der Covid-19-Pandemie ereignete. Die Covid-19-Pandemie, ihre Ausbreitung und die damit verbundenen Auswirkungen in nahezu allen Bereichen war nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zu erwarten. Im Hinblick auf diese derart äußerst geringe Eintrittswahrscheinlichkeit ist von einem unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassendem Umstand auszugehen, der zum Anfall von Desinfektionskosten geführt hat.
36
Auch das sog. Werkstattrisiko führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.1974 – VI ZR 42/73) ist im Rahmen der Erforderlichkeit nach § 249 Abs. 2 BGB zu beachten, dass der Herstellungsaufwand auch Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muss. In diesem Sinne ist der Schaden nicht „normativ“ zu bestimmen, sondern subjektbezogen. Diese Rechtsprechung findet jedoch nur dann Anwendung, wenn es um Aufwand geht, für den eine grundsätzliche Pflicht zum Ersatz besteht. Fehlt es wie vorliegend schon aus rechtlichen Gründen mangels adäquater Kausalität an einer Pflicht zur Erstattung des Schadens, findet diese Rechtsprechung keine Anwendung. Solche Kosten können dann aufgrund derart außergewöhnlicher Umstände nicht auf den Schädiger abgewälzt werden.
37
Überdies sind auch nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen die Desinfektionskosten im vorliegenden Fall nicht erstattungsfähig. Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen an. Der Sachverständige gibt an, dass Corona-Maßnahmen ein Diskussionspunkt zwischen Versicherern und Werkstätten und auch Sachverständigen waren, da derartige Maßnahme erforderlich waren, jedoch von Versicherern teilweise nicht erstattet wurde, obwohl sie von den Reparaturbetrieben durchgeführt werden mussten. Diesbezüglich gebe es auch eine Untersuchung des AZT. Zwischenzeitlich haben sich die diesbezüglichen Verhältnisse jedoch geändert. Man kann sowohl Geschäfte und Läden, als auch Restaurants ohne Maske betreten. In den Betrieben werden deshalb Corona-Maßnahmen zum großen Teil nicht mehr berechnet. Bei Kasko-Schäden oder bei Privataufträgen ist dem Sachverständigen nicht bekannt, dass Corona-Maßnahmen von Reparaturbetrieben abgerechnet werden. Die streitgegenständliche Verweiswerkstatt … hat dem Sachverständigen auf telefonische Nachfrage mitgeteilt, dass keine Corona-Maßnahmen in Rechnung gestellt würden. Von einer Ortsüblichkeit kann demnach im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden.
38
VI. Die Kosten für die Probefahrt sind von der Beklagten nicht zu erstatten.
39
In dem klägerseits vorgelegten Gutachten wird ausgeführt, dass bei der Erneuerung von Türen nach der Instandsetzung für die Beurteilung der Geräuschkulisse eine Probefahrt auch in einem höheren Geschwindigkeitsbereich durchzuführen ist. Der Sachverständige gibt in seinem Gutachten an, dass aus seiner Sicht die Probefahrt nicht erforderlich sei, da die zu erneuernde Türe einen festen Fensterrahmen hat, und bei ordnungsgemäßem Anbau das Auftreten von Windgeräuschen nach seiner Erfahrung eher unwahrscheinlich ist. Eine Probefahrt mit der Beurteilung von Windgeräuschen sei aus Sicht des Sachverständigen nur bei Türen mit rahmenlosen Fenstern erforderlich, da die rahmenlosen Fenster nicht innerhalb des Fensterrahmens geführt werden, und hier bei zu wenig Anpressdruck Windgeräusche entstehen können. In der Verweiswerkstatt wurde auf telefonische Nachfrage mitgeteilt, dass eine eventuell durchzuführende Probefahrt nicht extra berechnet würde, sondern nach dortiger Einschätzung im Reparaturumfang enthalten sei. Nach diesen überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, an dessen aufgrund jahrelanger Erfahrung basierender Sach- und Fachkompetenz das Gericht keinen Zweifel hat, ist eine Probefahrt im vorliegenden Fall nicht erforderlich und damit nicht zu erstatten.
40
VII. Aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, denen das Gericht folgt, liegt der zu erstattende Betrag für die Instandsetzung des klägerischen Fahrzeugs bei 2.816,89 € netto. Die Beklagte hat unstreitig vorgerichtlich bereits 2.657,38 € Reparaturkosten ausgekehrt (vgl. Anlage K2), sodass insoweit noch ein Betrag von 159,51 € zu erstatten ist.
41
VIII. Das Gericht ist von der Richtigkeit des Sachverständigengutachtens und der Sachkunde des Sachverständigen überzeugt. Das Gericht ist der Auffassung, dass der Sachverständige im vorliegenden Fall die vorhandenen Anknüpfungstatsachen umfassend und abschließend ausgewertet und hieraus nachvollziehbare, in sich widerspruchsfreie Ausführungen dargelegt hat. Einwendungen gegen das Gutachten wurden nicht erhoben; Ergänzungsfragen nicht gestellt. Die Ausführungen des Sachverständigen überzeugen das Gericht und werden dem Urteil in eigener Würdigung zugrunde gelegt.
42
XI. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 ZPO. Entsprechend § 187 BGB sind Zinsen ab 02.06.2022 zu zahlen.
D.
43
Die Klage ist hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unbegründet.
44
Der der Klägerin zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Beauftragt der Geschädigte einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer, so ist der Umfang des Ersatzverlangens nur für die Abrechnung zwischen dem Geschädigten und seinem Anwalt maßgebend (Innenverhältnis). Kostenerstattung aufgrund des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs kann der Geschädigte vom Schädiger dagegen grundsätzlich nur insoweit verlangen, als seine Forderung diesem gegenüber auch objektiv berechtigt ist. Dem Anspruch des Geschädigten auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ist im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht. (BGH, Urteil vom 05.12.2017 – VI ZR 24/17). Die Art und der Umfang des Schadensersatzes ergibt sich vorliegend aus § 250 S. 2 BGB.
45
Die Klägerin hat somit Anspruch auf Ersatz ihrer vorgerichtlich erforderlich gewordenen Anwaltskosten. Diese belaufen sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Hauptforderung jedoch nur auf 453,87 €. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist lediglich der, unter Berücksichtigung der hier (nicht) zugesprochenen Kosten, Betrag von 2.816,89 € anstatt klägerseits angesetzten 5.803,58 € als Gegenstandswert zugrunde zu legen. Den Betrag von 453,87 € hat die Beklagte bereits vorgerichtlich an die Klägerin bezahlt (vgl. Anlage K2), sodass kein weiterer Anspruch gegeben ist. Die Nebenforderung teilt das Schicksal der Hauptforderung.
E.
46
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit für den Kläger aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO, für die Beklagte aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.