Titel:
Kein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Dieselfahrzeug (hier: Porsche Cayenne 3.0 TDI)
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, S. 2
ZPO § 148
AEUV Art. 267
Leitsätze:
1. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems reicht für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (insoweit nachfolgend bestätigt durch BGH BeckRS 2025, 16006). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Herstellerin haftet nicht gem. § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Normen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen liegt (anders nachfolgend stRspr BGH BeckRS 2025, 16006). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einer Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos bedarf es nicht. (Rn. 40 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 896 Gen2 (Schadstoffklasse Euro 5), Porsche, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, OBD, (kein) Schutzgesetz, Verfahrensaussetzung, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG Weiden vom 17.06.2021 – 11 O 582/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 02.07.2025 – VIa ZR 286/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56763
Tenor
1. Der Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO wird abgelehnt.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Weiden i. d. OPf. vom 17.06.2021, Az. 11 O 582/20, wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts Weiden i.d. OPf. ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund beider Urteile insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 49.691,38 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage der Haftung der Beklagten als Herstellerin eines Dieselmotors wegen der behaupteten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung.
2
1. Die Klagepartei nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr mit Auftragsbestätigung vom 11.12.2013 von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Händler zu einem Kaufpreis von 84.140,67 EUR netto erworbenen Pkw Porsche Cayenne 3.0 TDI (180 kW) mit Erstzulassung am 11.03.2014 in Anspruch. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist – in der Berufungsinstanz insoweit unstreitig geworden – mit einem 3.0-Liter-V6-Turbodieselmotor des Typs EA896Gen2 Monoturbo ausgestattet, der von der Audi AG entwickelt, hergestellt und an die Beklagte geliefert wurde. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse EU5 erteilt. Bei dem Fahrzeug kommt eine temperaturabhängige Reduktion der Abgasrückführung (sog. „Thermofenster“) zum Einsatz. Ein verpflichtender Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Bezug auf das Emissionsverhalten des streitgegenständlichen Fahrzeugs liegt nicht vor.
3
2. Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug seien verschiedene unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut mit der Folge, dass sich im realen Fahrbetrieb ein anderer Schadstoffausstoß als auf dem Rollenprüfstand ergebe. Die Beklagte täusche deshalb über die tatsächlichen Emissionswerte. Es erfolge eine unterschiedliche Emissionsbehandlung je nachdem, ob sich das Fahrzeug im Testzyklus (NEFZ) befinde oder im Normalbetrieb. Das Fahrzeug erkenne den Prüfstand aufgrund des Lenkwinkeleinschlags und verfüge über ein Warmlaufprogramm, so dass der Oxidationskatalysator nach dem Motorstart möglichst schnell sein Arbeitstemperaturfenster erreiche. Auch erkenne die Motorsteuerungssoftware, ob sich das Fahrzeug in einer waagerechten Position befinde oder bergauf bewegt werde. Bei Steigungen bzw. Schräglage wechsle das Fahrzeug automatisch in den Modus, in dem mehr Stickoxide emittiert würden. Ferner werde die Abgasrückführung bei Temperaturen unter 17° C zurückgefahren, wobei eine signifikante Reduzierung jedenfalls bei einer Temperatur von 5° C erfolge. Das in der Motorsteuerung bedatete „Thermofenster“ sehe eine funktionierende Abgasrückführung lediglich im Temperaturbereich zwischen 17° C und 30° C vor. Zudem habe die Beklagte auch über das On-Board-Diagnose-System (OBD-System) getäuscht. Dieses sei bei mit Abschalteinrichtungen ausgestatteten Fahrzeugen, so auch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug, dergestalt programmiert worden, dass es bei der Inspektion fälschlicherweise ein ordnungsgemäßes Funktionieren der Abgassysteme melde. Schließlich erfolge eine Anpassung der Schaltstrategie des Getriebes.
4
Die Klagepartei hat behauptet, der im Dezember 2019 erfolgte verpflichtende Rückruf des KBA unter dem Rückrufcode „23X6“ für bestimmte Fahrzeugtypen mit 3.0-Liter-EU5-Motor, der sich auf Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. unzulässige Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems (Lenkwinkelerkennung) bezog, betreffe auch das streitgegenständliche Fahrzeug, da dieses über einen identischen Motor wie die zurückgerufenen Fahrzeuge verfüge und in dieselbe Emissionsklasse falle.
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Ferner hat die Klagepartei in erster Instanz behauptet, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein 6-Zylinder-Motor des Typs EA897 verbaut sei.
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Weiter hat die Klagepartei eingewandt, dass unbeschadet dessen, dass der streitgegenständliche Motor von der Audi AG geliefert worden sein mag, die Beklagte Komponenten für die Motorsteuerung selbst bei der Robert Bosch GmbH eingekauft habe. Die Klagepartei hat behauptet, der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis davon gehabt, dass der streitgegenständliche Motor mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet sei.
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Die Klagepartei hat in erster Instanz zuletzt beantragt,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 84.140,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.08.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 34.449,29 EUR Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Porsche Cayenne 3.0 TDI mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 08.08.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.994,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.08.2020 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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Die Beklagte hat in erster Instanz behauptet, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei kein EA897-Motor oder EA897evo-Motor verbaut, sondern ein Motor des Typs EA896Gen2. Das Fahrzeug entspreche den Abgasgrenzwerten der Emissionsklasse EU5 und stimme mit der EG-Typgenehmigung überein. Bei dem klägerseits behaupteten Manipulationen handle es sich um Mutmaßungen „ins Blaue“ hinein. Das KBA habe in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nach umfangreichen Untersuchungen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt und in einem Verfahren gegenüber dem Oberlandesgericht Stuttgart explizit und allgemeingültig für die Gruppe an Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns mit den V6-TDI Euro 5 Generation 2 Motoren bestätigt, dass für diese Fahrzeuge keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt und entsprechend kein amtlicher Rückruf angeordnet worden sei (Anlage „Nicht-Betroffenheit-KBA 11.09.2020“). Insbesondere sei das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von dem Rückruf bestimmter Fahrzeuge des Typs Cayenne V6-TDI EU6 oder Macan V6-TDI EU6 betroffen. Abgesehen davon, dass das KBA diesbezüglich lediglich die konkrete Bedatung des Warmlaufmodus in Bezug auf den SCR-Katalysator, der beim Cayenne V6-TDI EU5 jedoch nicht zum Einsatz komme, als unzulässig verbescheiden habe, handele sich um unterschiedliche Fahrzeugtypen mit unterschiedlichen Motoren, die nicht baugleich seien und unterschiedliche technische Eigenschaften besitzen würden. Darüber hinaus existiere für das streitgegenständliche Fahrzeug kein verpflichtender emissionsbezogener Rückruf des KBA mit der Bezeichnung „23X6“. Die Rückrufe des KBA aus dem Jahr 2019 würden ausschließlich einen anderen Hersteller betreffen. Die Fahrzeuge der Audi AG seien auch mit mit denjenigen der Beklagten identisch.
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Ferner hat die Beklagte vorgetragen, dass ein sog. „Thermofenster“ keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Es beschreibe eine legitime Funktion des Abgasreinigungssystems und sei als üblicher technischer Standard zum Motorschutz erforderlich. Die technische Notwendigkeit von „Thermofenstern“ sei dem KBA seit den Jahren 2008/2009 prinzipiell bekannt. Es seien gewisse Prüfungen bei niedrigen Temperaturen für Dieselfahrzeuge ausdrücklich nicht vorgeschrieben worden. Darüber hinaus sei es unzutreffend, dass die Abgasrückführung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ausschließlich im Außentemperaturbereich des NEFZ wirksam gewesen sei, sondern sei auch außerhalb dieses Temperaturbereichs signifikant aktiv.
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Weiter hat die Beklagte vorgetragen, dass Fahrzeuge aus technischen Gründen einen Prüfstandsmodus enthalten würden, um einen sicheren Prüfstandsbetrieb zu ermöglichen. Jedoch gebe es keinen Bescheid des KBA, der zum streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Bedatung der Motor- bzw. Getriebesteuerungssoftware im Hinblick auf eine Lenkwinkelerkennung festgestellt habe. Unzutreffend sei auch der Vortrag der Klagepartei hinsichtlich vermeintlicher Auswirkungen einer Neigungswinkelerkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug. Zwar gebe es bei Fahrzeugen der Beklagten grundsätzlich die Möglichkeit zur Erkennung einer Steigung, in der sich das Fahrzeug aktuell befinde. In den ergangenen emissionsbezogenen Bescheiden für Dieselfahrzeuge der Beklagten und den hierzu bei der Beklagten durchgeführten Prüfungen sei jedoch keinerlei Zusammenhang mit einer sog. Prüfstandserkennung festgestellt worden. Ferner entspreche das OBD-System den gesetzlichen Anforderungen. Es solle das ordnungsgemäße Funktionieren emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme überwachen und Fehlfunktionen erkennen, aber nicht die Abgasemissionen selbst messen.
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Schließlich hat die Beklagte darauf verwiesen, dass sie den streitgegenständlichen Motor samt Absgasnachbehandlungssystem nicht hergestellt und die zugehörige Motorsteuerungssoftware nicht selbst entwickelt habe. Die entsprechenden Komponenten einschließlich der Motorsteuerungssoftware habe die Beklagte vielmehr von der Audi AG bezogen. Der Arbeitsanteil der Beklagten habe sich auf den rein mechanischen Einbau fertiger Zulieferprodukte beschränkt. Zwischen der Beklagten und der Robert Bosch GmbH würden keine Vertragsbeziehungen im Zusammenhang mit der Entwicklung und Herstellung der relevanten Motorsteuerungssoftware bestehen. Im Übrigen habe die Klagepartei eine der Beklagten zurechenbare Kenntnis nicht substantiiert dargelegt.
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Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
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3. Das Landgericht Weiden i.d. OPf. hat mit Endurteil vom 17.06.2021, das am 24.06.2021 an die Klägervertreter zugestellt wurde, die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen.
15
Der Klagepartei stehe kein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Konzeption des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegen die Beklagte zu. Die Klagepartei habe keine greifbaren Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung dargelegt. Zwischen den Parteien sei streitig, ob das streitgegenständliche Fahrzeug über eine Prüfstandserkennung in der Weise verfügt, dass auf dem Prüfstand eine Funktion eingreife, die dazu diene, dass der Oxidationskatalysator möglichst schnell nach dem Motorstart sein Arbeitstemperaturfenster erreiche. Die Parteien würden über das im Fahrzeug verbaute Motoraggregat streiten. Jedenfalls betreffe der von der Klagepartei behauptete Rückruf offensichtlich ein anderes Motoraggregat. Bezüglich des sog. „Thermofensters“ sei ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht erkennbar. Jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs habe es dem Stand der Technik entsprochen, die Abgasrückführungsrate entsprechend den jeweiligen Betriebsbedingungen, wozu auch die Außentemperatur gehöre, flexibel zu gestalten, um unerwünschte Auswirkungen und Beschädigungen des Motors zu vermeiden. Im Übrigen sei die Klagepartei ihrer Substantiierungslast hinsichtlich Verantwortlichkeit und Kenntnis der Beklagten nicht nachgekommen.
16
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klagepartei mit ihrer am 22.07.2021 eingegangenen Berufung, die innerhalb verlängerter Begründungsfrist mit am 23.09.2021 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag begründet wurde.
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Das erstinstanzliche Gericht übersehe, dass der geltend gemachte Anspruch insbesondere aus § 826 BGB begründet sei. Das Landgericht habe die Klage rechtsirrig mit der Begründung abgewiesen, dass die Betroffenheit des streitgegenständlichen Porsche Cayenne 3.0 TDI EA896Gen2 Monoturbo nicht hinreichend dargelegt und daher keine Beweiserhebungspflicht des Gerichts ausgelöst sei und dass der Vortrag zur Kenntnis der Beklagten von der Funktionsweise des von der Audi AG gebauten Motors „ins Blaue“ hinein und ohne jede Substanz erfolgt sei. Zur Betroffenheit des Motors EA896Gen2 Monoturbo 180 kW sei erstinstanzlich vorgetragen worden, dass es bereits Rückrufe zu dieser Motorengeneration gebe, wenn auch für die Biturbo-Variante. Ferner sei auf ein Gutachten hingewiesen worden, wonach der streitgegenständliche Motortyp über eine Prüfstandserkennung durch Lenkwinkelerkennung und über ein Warmlaufprogramm verfüge, um die NOx-Werte auf dem Prüfstand und für den Prüfstand zu reduzieren. Als weitere Prüfstandserkennung sei die Böschungswinkelerkennung vorgetragen und erläutert worden. Zudem sei eine temperaturgeführte Abschalteinrichtung vorgetragen worden, der deshalb Vorsatz und Sittenwidrigkeit auf die Stirn gebrannt sei, weil sie mit einer Manipulation der Motorkontrollleuchte über das OBD-System gekoppelt und so konzipiert sei, dass sie jedenfalls im Rahmen der Temperaturkoleranz auf dem Prüfstand aktiv sei. Die Klagepartei habe damit die von der Rechtsprechung geforderten greifbaren Anhaltspunkte für die Betroffenheit des Motortyps geliefert. Dadurch sei die sekundäre Darlegungslast der Beklagten ausgelöst worden. Ferner sei bereits in der Klageschrift zur Passivlegitimation der Beklagten sowie zu deren Vorsatz und Sittenwidrigkeit vorgetragen worden.
18
Die Klagepartei beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Weiden i.d. OPf. vom 17.06.2021, Az. 11 O 582/20, die Beklagte wie folgt zu verurteilen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 84.140,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.08.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 34.449,29 EUR Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Porsche Cayenne 2967 ccm mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 08.08.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.994,04 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.08.2020 an die Klagepartei zu zahlen.
4. Das Urteil des Landgerichts Weiden i. d. OPf. vom 17.06.2021, Az. 11 O 582/20, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Weiden i. d. OPf. zurückverwiesen.
5. Die Revision wird zugelassen.
19
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
20
Die Beklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die ergangene Entscheidung. Sie meint, dass der gesamte Vortrag der Klagepartei nach wie vor unsubstantiiert sei. Die Klagepartei stütze Ansprüche weiterhin ganz überwiegend auf Sachverhalte, die mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug oder der Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs in keinem Zusammenhang stehen. Zum streitgegenständlichen Fahrzeug trage die Klagepartei dagegen weiterhin nicht ausreichend vor.
21
Der Senat hat über den Rechtsstreit am 23.01.2023 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird ferner Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 23.09.2021, die Berufungserwiderung vom 03.02.2022 sowie die weiteren Schriftsätze vom 08.04.2022, 31.05.2022, 12.07.2022 und 12.01.2023.
22
Die gemäß §§ 511 ff ZPO statthafte und zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
23
1. Insbesondere steht der Klagepartei gegen die Beklagte kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu.
24
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, Rn. 11 bei juris; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 14 bei juris; Beschluss vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 15 bei juris).
25
Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem – hier bezüglich des sog. „Thermofensters“ unterstellten – Verstoß gegen die VO (EG) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchsteller (vgl. Senat BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962 = ZIP 2020, 1179 Rn. 35; BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19, beck-online).
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Das Landgericht hat offensichtlich richtig erkannt, dass die Klagepartei grundsätzlich die volle Darlegungs- und gegebenenfalls Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen einer deliktischen Haftung der Beklagten trägt (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 35, beck-online). Genauso wenig wie das Bestehen eines Rückrufes des Kraftfahrtbundesamts für ein konkretes Fahrzeug wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zwingende Voraussetzung für einen für § 826 BGB maßgeblichen Sachvortrag ist, ist das Bestehen von Rückrufen gegenüber einem bestimmten Automobilhersteller stets als hinreichend „greifbarer Anhaltspunkt“ zu sehen. Maßgeblich ist, ob der Vortrag der Klagepartei einen Sachverhalt nahelegt, nach dem die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung eingesetzt hat, die darüber hinaus bereits aufgrund ihrer Ausführung von vornherein das Merkmal der Arglist in sich trägt auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung bzw. bezüglich derer aufgrund anderer Umstände ein täuschungsgleiches Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten festgestellt werden kann, so dass der Vorwurf der objektiven Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB im Raum steht. Es ist dabei immer auf den konkreten Einzelfall abzustellen.
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Nach allgemeinen Grundsätzen trägt somit die Klagepartei die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d. h. sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände. Dabei hängen die Anforderungen an die Substanziierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substanziiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substanziieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (BGHZ 221, 139 = NJW-RR 2019, 467 Rn. 17; BGH NJW 1999, 1404 [1405 f.], BGH Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 36, beck-online).
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Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber auf Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20 Rn. 22, WM 2021, 1609; Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 Rn. 8, ZIP 2020, 486; Urteil vom 20. Februar 2014 – VII ZR 26/12 Rn. 26, BauR 2014, 1023; Urteil vom 14. Januar 1993 – VII ZR 185/91, BGHZ 121, 210, juris Rn. 26). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte sie rechtfertigen können (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20 Rn. 22, WM 2021, 1609; Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 Rn. 8, ZIP 2020, 486; Urteil vom 14. Januar 1993 – VII ZR 185/91, BGHZ 121, 210, juris Rn. 26; BGH Hinweisbeschluss v. 15.9.2021 – VII ZR 2/21, BeckRS 2021, 37995 Rn. 28, 29, beck-online).
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b) Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Klagepartei eine sittenwidrige Schädigung durch Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht aufgezeigt. Dem klägerischen Vortrag fehlt es schon an der Darlegung greifbarer Anhaltspunkte, warum in dem streitgegenständlichen Fahrzeug die behaupteten Abschalteinrichtungen vorliegen sollen. Für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp Porsche Cayenne 3.0 TDI (180 kW) mit der Emissionsklasse EU5 liegt eine bestandskräftige EU-Typgenehmigung des KBA vor, die auch nicht durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkt worden ist. Ein amtlicher Rückruf durch das KBA in Bezug auf das Emissionsverhalten liegt nicht vor. Die Beklagte hat zu den Behauptungen der Klagepartei, es lägen illegale Abschalteinrichtungen bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug vor, ihrerseits substantiiert vorgetragen, das KBA habe im Rahmen eines Anhörungsverfahrens, das auch den hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyp umfasst habe, nach umfangreichen Untersuchungen keine unzulässige Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeugtyp festgestellt. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte bereits in erster Instanz eine amtliche Auskunft des KBA vom 11.09.2020 an das Oberlandesgericht Stuttgart vorgelegt (Anlage „Nicht-Betroffenheit-KBA 11.09.2020“), aus der sich ergibt, dass allgemeingültig für die Gruppe an Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns mit dem V6-TDI Euro 5 Generation 2 Motoren keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt und auch kein amtlicher Rückruf angeordnet wurde, ebenso wie keine Nebenbestimmungen betreffend eines unzulässigen Emissionsverhaltens erlassen wurden. Diesem Vortrag ist die Klagepartei nicht substantiiert entgegen getreten. Die von der Klagepartei bemühten Rückrufe unter dem Rückrufcode „23X6“ betreffen ausschließlich Fahrzeuge eines anderen Herstellers, nämlich der Audi AG. Wenngleich diese auch den in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motortyp für die Beklagte entwickelt und hergestellt hat, sind die Fahrzeuge der Audi AG mit denjenigen der Beklagten ersichtlich nicht identisch. Zudem war der erstinstanzliche Sachvortag, auf den die Klagepartei in ihrer Berufungsbegründung Bezug nimmt, offensichtlich nicht auf das hier streitgegenständliche Fahrzeug zugeschnitten. Den dortigen Ausführungen lag die Annahme und letztlich ausdrückliche Behauptung zugrunde, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug der Motortyp EA897 verbaut sei, während nunmehr – in der Berufungsinstanz insoweit unstreitig geworden – mit der Berufungsbegründung das streitgegenständliche Fahrzeug als mit dem Motortyp EA 896Gen2 Monoturbo ausgestattet bezeichnet wird. Mithin fehlt es an der Darlegung greifbarer Anhaltspunkte, weshalb unzulässige Abschalteinrichtungen beim streitgegenständlichen Fahrzeug vorliegen sollen. In den Fällen, in denen – wie vorliegend – der betreffende Motor verschiedentlich überprüft und vom KBA unter keinem Gesichtspunkt beanstandet worden ist, kommt eine Haftung der Motoren- bzw. ggfls. Fahrzeugherstellerin nach § 826 BGB nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 09. Mai 2022 – VIa ZR 303/21, juris; OLG München, Urteil vom 19. Juli 2022 – 5 U 2469/19, juris Rn. 32 bis 35; sowie OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. Dezember 2020 – I-5 U 318/19, juris Rn. 12 und 28).
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c) Auch der unstreitige Einsatz eines sog. „Thermofensters“ bei der Abgasrückführung vermag eine Haftung der Beklagten nicht zu begründen.
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Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 27 bei juris; Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, Rn. 13 bei juris; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 25. November 2021 – III ZR 202/20, Rn. 14 bei juris).
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Zur Begründung verweist der Bundesgerichtshof darauf, dass die Entscheidung zum Einsatz der hier interessierenden Funktion nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen sei, in der die Volkswagen AG (bezogen auf den Motortyp EA 189) die grundlegende strategische Frage getroffen habe, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse von einer Einhaltung der neu eingeführten Abgasgrenzwerte im realen Fahrbetrieb komplett abzusehen und dem KBA stattdessen zur Erlangung der Typgenehmigung mithilfe einer eigens hierfür entwickelten Steuerungssoftware wahrheitswidrig das Einhalten der Grenzwerte vorzuspiegeln. Die Software (des Motortyps EA 189) sei bewusst und gewollt so programmiert gewesen, dass die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden („Umschaltlogik“), und habe damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 17 bei juris; Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 16 bei juris). Bei der Implementierung eines „Thermofensters“ fehle es demgegenüber an einem vergleichbaren arglistigen Vorgehen des Motorenherstellers, welches die Einstufung seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Die in Rede stehende temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung unterscheide nämlich gerade nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Sie weise keine Funktion auf, die bei Erkennen eines Prüfstandbetriebs eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere, sondern arbeite in beiden Situationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.) entspreche die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 18 bei juris). Der Bundesgerichtshof bejaht selbst dan keine Haftung, wenn die Steuerung so konzipiert ist, dass die Temperaturwerte, oberhalb bzw. unterhalb derer die Abgasrückführung reduziert wird, einen Bereich umgrenzen, die annähernd die Temperaturen abdeckt, die auf dem Prüfstand herrschen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 286/20, Rn. 24 bei juris; Beschluss vom 09. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 25 bei juris).
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Für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB bedarf es vielmehr „weiterer Umstände“, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist schon der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 28 bei juris; Urteil vom 23. September 2021 – III ZR 200/20, Rn. 22 bei juris). Die notwendigen „weiteren Umstände“ könnten sich zum Beispiel aus (gegebenenfalls) unzutreffenden Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 22 bei juris).
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Die Klagepartei, die insoweit darlegungsbelastet ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 35 bei juris; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 19 bei juris), zeigt im Streitfall keine „weiteren Umstände“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung auf, aus denen eine besondere Verwerflichkeit abgeleitet werden könnte. Eine Täuschung des KBA hätte schon deshalb nicht gelingen können, weil der Behörde der Einsatz von „Thermofenstern“ in Dieselfahrzeugen spätestens seit dem Jahr 2008 grundsätzlich bekannt war (vgl. die in dem Verfahren vor dem OLG Stuttgart, 16a U 194/19, eingeholte amtliche Auskunft des KBA vom 11.09.2020, Anlage „Nicht-Betroffenheit-KBA 11.09.2020“). Detaillierte Beschreibungen der Standard-Emissionsstrategien und etwaiger zusätzlicher Emissionsstrategien sind erst seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2016/646 vom 20. April 2016 vorgeschrieben, mit der die Verordnung (EG) Nr. 692/2008 geändert und insbesondere Art. 5 dieser Verordnung um die Absätze 11 und 12 erweitert worden ist. Das vorliegend betroffene Fahrzeug ist jedoch vor diesem Termin erstmals zugelassen worden. Und selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren bestimmte – nach den einschlägigen Vorschriften damals nicht erforderliche – Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG) gehalten gewesen, diesbezüglich von sich aus nachzufragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2021 – VIl ZR 126/21, Rn. 26 bei juris).
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Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass die Rechtslage bezüglich der Zulässigkeit einer von der Außentemperatur abhängigen Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls zum Zeitpunkt des Typgenehmigungsverfahrens zu wenig geklärt war, als dass sich die (aus der Perspektive der Gegenwart unterstellte) Unzulässigkeit einer solchen Funktion förmlich aufgedrängt hätte. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Vorgehens der Beklagten nicht (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, Rn. 31 f. bei juris).
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d) Eine Haftung der Beklagten kann sich auch nicht aus einer behaupteten Manipulation des OBD-Systems ergeben. Unabhängig von der Frage, ob das OBD-System selbst überhaupt eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) 715/2007 darstellen kann, obwohl es die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems selbst weder aktiviert, verändert, verzögert noch deaktiviert (vgl. Art. 3 Nr. 10 der genannten Verordnung), und unbeschadet der weiteren Frage eines substantiierten Sachvortrags ist ein auf die Programmierung des OBD-Systems gestützter Anspruch ausgeschlossen, soweit dieses im normalen Straßenverkehr sowie im Rahmen der Abgasuntersuchung und der Inspektion keine Fehlfunktion des Abgassystems anzeigt. Das OBD-System kann tatsächlich und rechtlich nicht selbstständig betrachtet werden, sondern ist im Zusammenhang mit dem im Fahrzeug eingerichteten Emissionskontrollsystem zu sehen. Seine Warnfunktion kann sich immer nur auf die Betriebsabläufe des konkret im Fahrzeug eingerichteten Abgassystems beziehen (sog. „Annexfunktion“). Erfüllt die Einrichtung dieses Systems nicht den Tatbestand des § 826 BGB, dann kann mangels selbständigen Handlungsunrechts eine Haftung wegen sittenwidrigen Verhaltens auch nicht mit der Adaption des OBD-Systems an das für sich genommen nicht haftungsauslösende Abgassystem begründet werden (vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Oktober 2019 – 17 U 296/19, Rn. 72 bei juris; OLG Bamberg, Urteil vom 26. November 2020 – 1 U 368/19, Rn. 64 bei juris).
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2. Deliktische Ansprüche – die in der vorliegenden Konstellation einzig in Betracht kommen – ergeben sich auch nicht unter sonstigen Gesichtspunkten.
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a) Die Beklagte haftet insbesondere nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Normen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt festgehalten, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen liegt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 76 bei juris; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, Rn. 11 bei juris; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, Rn. 36 bei juris).
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b) Des Weiteren sind auch die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB nicht schlüssig dargetan. An die obigen Ausführungen anknüpfend ist festzuhalten, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine bewusste, der Beklagten zurechnende Täuschung und für eine auf eine rechtswidrige Bereicherung abzielenden Absicht vorliegen. Im Übrigen würde der in Rede stehende Anspruch auch am Fehlen der erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden scheitern (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, Rn. 17 bei juris; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, Rn. 40 bei juris).
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Der Senat sieht sich zu einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV bzw. einer Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 nicht veranlasst. Der diesbezüglich mit Schriftsatz der Klagepartei vom 12.01.2023 gestellte Antrag auf Aussetzung des Verfahrens war daher abzulehnen.
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Weder die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 01.07.2022 (Nr. 104/2022) noch die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos in der Rechtssache C-100/21 vom 02.06.2022 haben eine Bindungswirkung. Die im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens erforderliche Abwägung zwischen einerseits den Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens (vgl. BGH NJW-RR 1992, 1149 (1150); OLG München BeckRS 2022, 23404; OLG Bamberg BeckRS 2022, 23415; Zöller/Greger, 34. Aufl. 2022, § 148 ZPO, Rn. 7; vgl. auch Skamel, NJW 2015, 2460 (2463); BeckOK ZPO/Wendtland, 47. Ed. 1.12.2022, § 148 ZPO, Rn. 13) und andererseits der mit der Aussetzung eintretenden Verfahrensverzögerung führt zu dem Ergebnis, dass eine Verfahrensaussetzung unterbleibt.
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Der Senat versteht die Pressemitteilung vom 01.07.2022 lediglich dahingehend, dass der Bundesgerichtshof nur vorsorglich einen Termin bestimmt hat, um sich gegebenenfalls zeitnah mit einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 befassen zu können. Dem kann nach Auffassung des Senats aber jedenfalls nicht entnommen werden, dass der Bundesgerichtshof nunmehr davon ausginge, dass im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwalts in Deutschland keine Situation des „acte clair“ mehr vorläge.
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Die Voraussetzungen für die Einordnung einer Norm als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ergeben sich allein aus deutschem Recht und sind dort aus der Gesamtsystematik des Deliktsrechts zu entwickeln. Der EuGH kann im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nur die Zwecksetzung und Schutzrichtung einer unionsrechtlichen Norm bindend ermitteln. Für die Auslegung mitgliedstaatlichen Rechts ist er nicht zuständig (vgl. OLG München, Urteil vom 05.09.2022 – 28 U 1587/22, BeckRS 2022, 23404). Soweit Generalanwalt Rantos eine drittschützende Zielrichtung der Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46 Rahmenrichtlinie hinsichtlich des Interesses des Erwerbers, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, annimmt, steht dies der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2018 – C-668/16 –, juris Rz. 87) und des BGH zu den deutschen Umsetzungsvorschriften der EG-FGV (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179) entgegen. Hiernach besteht der Zweck der Übereinstimmungsbescheinigung nur darin, das Zulassungsverfahren zu erleichtern.
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Nicht einmal Generalanwalt Rantos behauptet, dass die unionsrechtlichen Normen konkret die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Fahrzeugerwerber vor unerwünschten Kaufverträgen schützen. Gerade dies wäre aber erforderlich, um die deliktsrechtliche Haftung für Vermögensschäden nach deutschem Recht zu begründen. Auch der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verpflichtet deutsche Gerichte nicht zur Durchbrechung der zentralen Wertungen des deutschen Haftungsrechts, insbesondere nicht zur Einführung einer unmittelbaren Herstellerhaftung für fahrlässig herbeigeführte unerwünschte Vertragsschlüsse (Riehm, ZIP 2022, 2309, 2320). Konsequenterweise hat auch der BGH nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Rantos in seinem Urteil vom 13.06.2022, VIa ZR 680/21 an seiner diesbezüglichen Rechtsprechung festgehalten.
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Soweit Generalanwalt Rantos in Rn. 55 der Schlussanträge zur Verwirklichung des Schutzes der Bürger wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen im nationalen Schadensersatzrecht als erforderlich ansieht, so sieht diese das deutsche Recht bereits vor. Hiernach bestehen – zum Teil verschuldensunabhängige – wirksame und abschreckende kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer innerhalb der zweijährigen Gewährleistungsfrist. Der Fahrzeughersteller unterliegt bereits in diesem Zeitraum im Rahmen der Gewährleistung gemäß § 445a BGB dem Rückgriff des Händlers (vgl. OLG München, Beschluss vom 01.07.2022 – 8 U 1671/22, Rn. 35, 36 bei juris).
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Zudem fehlt es vorliegend an einer auch von Generalanwalt Rantos als erforderlich angesehenen Voraussetzung für die von ihm angenommene drittschützende Wirkung. Aus Rn. 48 der Schlussanträge ergibt sich, dass diese Rechtsfolge nur eintreten würde, wenn die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste. Eine Täuschung der Genehmigungsbehörde steht aber vorliegend gerade nicht fest.
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Aufgrund der Eindeutigkeit der Rechtslage stellt sich keine entscheidungserhebliche, der einheitlichen Auslegung bedürfende Frage des Unionsrechts, die (anderenfalls) ein Vorabentscheidungsersuchen im Sinne des Art. 267 AEUV erforderlich mache (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 72 ff., 77 bei juris). Andere Senate haben sich der Beurteilung des 6. Zivilsenats in der Folge angeschlossen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 14. Februar 2022 – VIa ZR 204/21, juris; Beschluss vom 24. November 2021 – VII ZR 217/21, Rn. 1 ff bei juris).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Der vorliegende Fall wirft keine neuen Fragen auf, die von grundsätzlicher Bedeutung sind. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind sowohl allgemein als auch speziell mit Bezug auf die Entwicklung und den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung höchstrichterlich abstrakt geklärt. Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob es Gerichte gibt, die bei der Behandlung bestimmter Sachverhaltskonstellationen unter Berücksichtigung der ihnen im jeweiligen Einzelfall von den Parteien unterbreiteten Informationen im konkreten Ergebnis zu einer abweichenden Einschätzung (der Haftungsfrage oder des Umfangs der Darlegungslast) gelangen. Ob im jeweils konkreten Fall die Voraussetzungen für eine Haftung vorliegen, hängt stets von den durch die tatrichterlichen Instanzen unter Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen (nicht zuletzt auch zur Frage der Herleitung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes) ab und kann ohnehin nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21, Rn. 13 bei juris m.w.N.).