Titel:
Ausbildungseinrichtung, Praktische Ausbildung, Ausbildungsvertrag, Ausbildungsverhältnis, Stundung, Praktische Tätigkeit, Bruttovergütung, Wöchentliche Arbeitszeit, Vollzeittätigkeit, Höhe der Vergütung, Vergütungsanspruch, Vereinbarte Vergütung, Feststellungsantrag, Feststellungsinteresse, Rechtsmittelbelehrung, Stundenzahl, Streitwertfestsetzung, Mindestvergütung, Pauschalvergütung, Vollzeitbeschäftigung
Schlagworte:
Vergütungsanspruch, Auslegung von Vereinbarungen, Praktische Ausbildung, Teilzeitbeschäftigung, Rückzahlungsforderung, Vollzeittätigkeit, Mindestvergütung
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG München, Urteil vom 24.04.2024 – 11 Sa 505/23
BAG Erfurt, Urteil vom 29.04.2025 – 9 AZR 122/24
BAG Erfurt, Berichtigungsbeschluss vom 01.07.2025 – 9 AZR 122/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56741
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, die für Dezember 2022 bezahlte Vergütung in Höhe von € 187,38 an die Beklagte zurückzuzahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Kläger 9/10, die Beklagte 1/10.
4. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 2.523,59.
5. Die Berufung wird für die Beklagte nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche aus und im Zusammenhang mit der Ableistung des praktischen Teils der Fortbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten.
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Der Kläger leistete in der Zeit vom 15.03.2022 bis 31.12.2022 bei der Beklagten den praktischen Teil seiner Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gemäß § 1 Abs. 3 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten (PsychTh-APrV) in der bis zum 31.08.2020 geltenden Fassung ab (vgl. Vereinbarung vom 15.03.2022, Anlage K1, Bl. 9 der Akten). Der Formularausbildungsvertrag sah in § 3 Abs. 1 zur Vergütung alternativ eine monatliche Bruttovergütung bei Vollbeschäftigung bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,50 Stunden i.H.v. 1.000,00 €, bei Teilzeitbeschäftigung bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden i.H.v. 779,22 € vor. Das hierfür vorgesehene Kästchen war nicht angekreuzt. Der praktische Teil der Ausbildung umfasst nach der Prüfungsverordnung 1200 Stunden. Gemäß § 27 Abs. 4 Psychotherapeutengesetz (PsychThG) erhält ein Auszubildender wie der Kläger vom Träger der Einrichtung für die praktische Tätigkeit:
„…für die Dauer der praktischen Tätigkeit eine monatliche Vergütung in Höhe von mindestens 1000 Euro, sofern die praktische Tätigkeit in Vollzeitform abgeleistet wird. Wird die praktische Tätigkeit in Teilzeitform abgeleistet, reduziert sich die Vergütung entsprechend.“
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Während der Ausbildung erhielt der Kläger bis einschließlich Dezember eine monatliche Bruttovergütung i.H.v. 779,22 € (anteilig für März 2022), die zu leistenden Stunden leistete der Kläger unregelmäßig ab (vgl. Nachweisheft über die Praktische Tätigkeit, Anlage K 11, Bl. 44 der Akten). Am 20.12.2022 hatte er 1200 praktische Stunden absolviert und erbrachte darüber hinaus keine Tätigkeit mehr für die Beklagte. Mit Schreiben vom 23.02.2023 forderte die Beklagte den Kläger zur Rückzahlung einer Überzahlung i.H.v. 187,38 Euro aus dem Monat Dezember 2022 auf mit der Begründung, die PIA- Vereinbarung habe zum 20.12.2022 geendet (vgl. Anl. K9, Bl. 42 der Akten sowie NB für 01/23, Bl 21 d.A.). Mit Schreiben vom 20.03.2023 wies der Kläger die Rückforderung zurück und machte seinerseits ausstehende Vergütung geltend (Anlage K 12, Bl. 50 der Akten). Mit Schriftsatz vom 18.04.2023 hat der Kläger Klage zum Arbeitsgericht München erhoben.
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Der Kläger ist der Auffassung er habe Anspruch auf die vom Gesetzgeber festgelegte monatliche Mindestvergütung in Höhe von 1.000,00 brutto. Eine Teilzeittätigkeit sei nicht vereinbart, die entsprechende Klausel sei im Ausbildungsvertrag nicht angekreuzt worden. Die Anwendbarkeit des TVöD-K zur Regelung der Arbeitszeit werde bestritten. Neben seiner praktischen Ausbildung habe ein Auszubildender weitere ca. 15 Stunden für sein theoretisches Studium, seine psychologische Selbsterfahrung und Supervision aufzuwenden. Zusammengerechnet komme der Auszubildende damit auf eine Stundenzahl von 38,5 oder 40 Wochenstunden. Damit erbringe er im Ergebnis eine Vollzeittätigkeit. Nachdem die Beklagte die Bezahlung der eingeklagten Bruttovergütung endgültig und ernsthaft verweigert habe, befindet sie sich seit dem 20.12.2022 in Verzug.
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Er habe auch für den Monat Dezember Anspruch auf die volle Bruttomonatsvergütung, die Rückforderung der Beklagten sei unberechtigt. Die Vereinbarung habe erst mit dem 31.12.2022 geendet. Die Gesamtzahl von 1200 Stunden habe der Kläger unstreitig geleistet.
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.336,21 € brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2022 zu bezahlen.
- 2.
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Die Beklagte es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, die für Dezember 2022 bezahlte Vergütung i.H.v. 187,38 € an die Beklagte zurückzubezahlen.
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Zur Klage führt die Beklagte aus, die Parteien hätten für den Ausbildungszeitraum eine monatliche Bruttovergütung von 779,22 € vereinbart. Beide Parteien seien davon ausgegangen. Insoweit spiele es keine Rolle, ob der Betrag in der Ausbildungsvereinbarung angekreuzt worden sei oder nicht. Dementsprechend sei eine Teilzeittätigkeit vereinbart worden. Der Kläger habe weder im Rahmen einer Vollzeittätigkeit gearbeitet, noch seien monatlich 1.000,00 € abgerechnet worden. Seine vertraglich geschuldete praktische Tätigkeit habe der Kläger nicht in Vollzeitform geleistet. Nach § 6 Abs. 1 TVöD-K betrage die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen für die Beschäftigten im Tarifgebiet West durchschnittlich 38,5 Stunden wöchentlich. Diese Stundenzahl bei Vollzeitbeschäftigung gelte für alle Beschäftigten im Klinikum. Der Kläger habe nur eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden geschuldet und sei danach auch abgerechnet und widerspruchslos bezahlt worden. Die Angaben des Klägers zu seiner Vollzeitbeschäftigung erschienen im Ergebnis auch willkürlich und unklar. Der Vortrag des Klägers enthalte keine konkreten Angaben zu Tätigkeiten im dargelegten Umfang. Es werde auch bestritten, dass der Kläger weitere ca. 15 Stunden für sein theoretisches Studium, für psychologische Selbsterfahrung und Supervision aufgewendet habe.
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Für den Feststellungsantrag gebe es kein Feststellungsinteresse, der Antrag sei auch unbegründet. Der Dezember 2022 sei der letzte volle Beschäftigungsmonat gewesen. Auch für diesen Monat habe dem Kläger für die geschuldete Wochenarbeitszeit von 30 Stunden die volle Bruttovergütung i.H.v. 779,22 € zur Verfügung gestanden. Der Kläger habe den Vertrag aber nur bis zum 20.12.2022 erfüllt.
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Zum weiteren Vorbringen wird auf die schriftsätzlichen Ausführungen nebst Anlagen sowie dem Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
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Die Klage ist zulässig.
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1. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet gemäß §§ 2 Abs. 1 Ziff 3a), 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Das Arbeitsgericht München ist örtlich zuständig gemäß § 48 Abs. 1a ArbGG.
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2. § 111 Abs. 2 ArbGG ist nicht anwendbar, da vorliegend keine Ausbildung im Sinne des BBiG in Rede steht.
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3. Das für den Feststellungsantrag gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse für den Antrag zu 2) ergibt sich daraus, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse daran hat zu klären, ob ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten besteht.
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Der Kläger ist nicht verpflichtet, die für Dezember 2022 erhaltene Zahlung im von der Beklagten geforderten Umfang zurückzuerstatten. Weitere Zahlungen stehen ihm hingegen nicht zu.
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1. Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Beklagte hat vom Kläger zu Unrecht eine Überzahlung für den Monat Dezember 2022 zurückgefordert. Der Kläger hat auch für den Monat Dezember Anspruch auf eine Vergütung in Höhe von Euro 779,22 brutto.
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a. Die Vereinbarung vom 15.03.2022 über die Ableistung des praktischen Teils der Ausbildung ist hinsichtlich der geschuldeten monatlichen Bruttovergütung sowie der geschuldeten Arbeitszeit nicht eindeutig. Diese Vereinbarung bedarf daher der Auslegung.
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b. Nach § 1 der Vereinbarung umfasst die Ausbildung 1200 Stunden. Als Zeitraum für die Ableistung dieser Stundenzahl wurde der 15.03.2022 bis zum 31.12.2022 festgelegt. Das für die Höhe der Vergütung anzukreuzende Kästchen in § 3 Abs. 1 der Vereinbarung ist nicht markiert. Gelebt wurde das Ausbildungsverhältnis – was sich aus den monatlichen Abrechnungen ergibt – auf der Basis einer Pauschalvergütung i.H.v. Euro 779,22 brutto. Dies hat der Kläger auch über den gesamten Ausbildungszeitraum so akzeptiert. Es ist daher davon auszugehen, dass die Parteien auch eine monatliche Vergütung i.H.v. Euro 779,22 – das zweite Kästchen in § 3 der Vereinbarung – vereinbaren wollten.
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c. Die Beklagte ist irrig der Meinung, das Ausbildungsverhältnis habe mit Vollendung der Ableistung der 1200 Stunden bereits am 20.12.2022 geendet, so dass für den Monat Dezember 2022 nur eine anteilige Vergütung geschuldet sei. Einen auflösend bedingten oder zweckbefristeten Vertrag haben die Parteien nicht geschlossen. Vielmehr ergibt auch hier die Auslegung der Vereinbarung, dass die Parteien die Ableistung der 1200 Stunden auf den Zeitraum vom 15.03.2022 bis zum 31.12.2022 ohne Festlegung einer bestimmten fixen monatlichen Stundenzahl erstrecken wollten, allerdings mit einem verstetigten Bruttomonatsgehalt. Es war nicht Absicht der Parteien, die monatlich geleisteten Stunden punktgenau mit einem Stundensatz abzurechnen. Der Zeitraum vom 15.03.2022 bis zum 31.12.2022 umfasst 42 Wochen. Dividiert man die Stundenzahl von 1200 durch 42 Wochen ergibt dies eine Stundenzahl von durchschnittlich wöchentlich 28,57. Gerundet sind dies etwa die 30 Stunden wöchentlich, für die auch 779,22 brutto gezahlt werden sollten. Nach Auffassung der Kammer kann daher die Vereinbarung nur so ausgelegt werden, dass – unabhängig von der tatsächlich geleisteten wöchentlichen Stundenzahl – die vereinbarte Vergütung i.H.v. Euro 779,22 monatlich auf der Basis eines Zeitkontos für den gesamten Zeitraum von 1200 Stunden gezahlt werden sollte. Nur so ist gewährleistet, dass für die bei der angenommenen Teilzeit von 30 Stunden pro Woche gesetzlich geschuldete Mindestvergütung auch insgesamt gezahlt wird (zur Frage der Abgrenzung von Teilzeitzu Vollzeittätigkeit siehe unter 2.).
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2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 1.000,00 € brutto für eine Vollzeitbeschäftigung bei der Beklagten während seiner praktischen Ausbildung.
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a. Gemäß § 27 Abs. 4 PsychThG steht dem Auszubildenden für die Dauer der praktischen Tätigkeit eine monatliche Vergütung in Höhe von mindestens 1000 Euro zu, sofern die praktische Tätigkeit in Vollzeitform abgeleistet wird. Wird die praktische Tätigkeit in Teilzeitform abgeleistet, reduziert sich die Vergütung entsprechend. Das Gesetz selbst geht daher davon aus, dass die praktische Tätigkeit in verschiedenen Formen abgeleistet werden kann. Eine Definition der Vollzeittätigkeit enthält das Gesetz nicht.
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b. Was unter praktischer Tätigkeit zu verstehen ist, ergibt sich aus § 2 PsychTh-APrV. Die praktische Tätigkeit dient dem Erwerb praktischer Erfahrungen in der Behandlung von Störungen mit Krankheiswert und steht unter fachkundiger Anleitung und Aufsicht. Mindestens 1200 Stunden sind an einer psychiatrischen klinischen Einrichtung abzuleisten. Daraus ergibt sich, dass mit diesen 1200 Stunden nur die Stunden gemeint sind, die in der Einrichtung unter Anleitung und Aufsicht abgeleistet werden, nicht etwa zusätzliche Stunden des Selbststudiums, der Vorbereitung oder der Interund Supervision. Daraus folgt weiter, dass auch nur für diese Stunden, die tatsächlich in der Einrichtung abgeleistet werden, eine Vergütung zu zahlen ist, abhängig davon, ob diese 1200 Stunden konzentriert im Rahmen einer Vollzeittätigkeit abgeleistet werden oder in reduzierter Form.
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c. Unter Vollzeittätigkeit ist – unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages – eine Arbeitszeit von in der Regel 38,5-40 Stunden zu verstehen, keinesfalls jedoch eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden. Zugunsten des Klägers kann hier unterstellt werden, dass eine Vollzeittätigkeit bereits bei einer Wochenstundenzahl von 38,5 Stunden vorgelegen hätte. Auf dieser Basis hat die Beklagte auch die anteilige Vergütung bei einer 30 Stunden Woche berechnet.
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d. Eine Vollzeittätigkeit unmittelbar bei der Beklagten hat der Kläger selbst nach eigenem Vorbringen nicht abgeleistet. Wie sich aus dem Nachweisheft ergibt, hat er durchschnittlich lediglich knapp 30 Stunden pro Woche in dem streitgegenständlichen Zeitraum abgeleistet.
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e. Nicht zu folgen ist der Argumentation des Klägers, er sei bereits deshalb einer Vollzeittätigkeit nachgegangen, weil auch der zeitliche Aufwand für Supervision, seine theoretische Fortbildung zur Vorbereitung der Abschlussprüfung und die psychologische Selbsterfahrung zu berücksichtigen seien. Der Kläger lässt hierbei unberücksichtigt, dass er sich während des streitgegenständlichen Zeitraums noch in der Ausbildung befand und dabei nur einen praktischen Ausbildungsteil bei der Beklagten abzuleisten hatte, der – und nur der – allerdings vergütungspflichtig war. Für die Ausbildung in diesem Zeitraum insgesamt ist die Beklagte nicht verantwortlich und hat auch die entsprechenden Kosten nicht zu tragen. Gewährleistet soll lediglich sein, dass die in einer Ausbildungseinrichtung abgeleisteten praktischen Stunden vergütet werden.
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1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 ZPO.
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2. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 61 Abs. 1 ArbGG. Angesetzt wurden beide in den Klageanträgen aufgeführte Zahlung bzw. Rückzahlungsbeträge.
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Gegen dieses Endurteil steht dem Kläger das Rechtsmittel der Berufung zum LAG München nach nachfolgender Rechtsmittelbelehrung zu. Die Berufung für die Beklagte war nicht zuzulassen.