Titel:
Schuldhafte Pflichtverletzung, Vorprozess, Ergebnis der Beweisaufnahme, Durchgeführte Beweisaufnahme, Zurechnungszusammenhang, OLG München, Beweisbedürftigkeit, Börsentermingeschäftsfähigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Ausgangsprozess, Vorverfahren, Optionsscheine, Darlegungs- und Beweislast, Parteianhörung, Kosten des Berufungsverfahrens, Anspruch der Ehefrau, Hinweisbeschluss, Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, Fehlerhafte Beweiswürdigung, Aktivlegitimation
Schlagworte:
Anwaltshaftung, Pflichtverletzung, Beweislast, Glaubwürdigkeit, Schadensersatz, Verjährung, Regressprozess
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 15.11.2022 – 15 U 4300/22 Rae
LG München I, Endurteil vom 24.06.2022 – 4 O 6317/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 12.06.2025 – IX ZR 37/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56675
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 24.06.2022, Az.: 4 O 6317/18 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.271.213,49 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten aus abgetretenem Recht Schadensersatz wegen anwaltlicher Falschberatung.
2
Am 05.03.1997 sucht der Kläger eine Filiale de… (im Folgenden: Bank) auf, um eine Beratung zu Termingeschäften zu erhalten. Er wurde an den hierfür zuständigen Spezialisten, Herrn … verwiesen, den er aufsuchte. Der Kläger äußerte diesem gegenüber, Optionsscheine erwerben zu wollen, da er im Jahr 1994 schon einmal mit Optionsscheinen in kurzer Zeit Gewinne erzielt hatte. Der Berater ließ den Kläger eine Informationsschrift zur Herstellung der Börsentermingeschäftsfähigkeit unterschreiben und klärte die Vermögensverhältnisse des Klägers, der über Festgeld in Höhe von ca. 30.000,00 DM sowie Telekom-Aktien im Wert von ca. 20.000,00 DM verfügte.
3
Der Kläger investierte zunächst in 5 verschiedene DAX-Optionsscheine (Einzelheiten EU 3) und erlitt insgesamt einen Gesamtschaden in Höhe von 761.913,48 DM (entspricht 389.560,17 €).
4
Der Kläger trat seine behaupteten Ansprüche gegen die Bank an seine Ehefrau ab, die diese Ansprüche sowie eigene Ansprüche gegen die Bank auf Schadensersatz vor dem Landgericht München I, Az.: 29 O 17695/06, gegen die Bank einklagte (K 1).
5
Die originären Ansprüche der Ehefrau des Klägers wurden damit begründet, dass das am 30.11.1997/03.12.1997 aufgenommene gemeinsame Darlehen über 300.000,00 DM hinsichtlich der Beteiligung der Ehefrau des Klägers der Investitionen in Optionsscheine diente und die Ehefrau des Klägers aus diesem Grund börsengeschäftsfähig sein musste.
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Mit Urteil vom 19.09.2007 (K 4) wies das Landgericht München I die Klage ab und begründete dies mit Verjährung der eingeklagten Ansprüche.
7
Die Ehefrau des Klägers mandatierte nach dem Urteil des Landgerichts München I die Beklagte mit der Einlegung der Berufung gegen dieses Urteil. Die Beklagte führte sodann das Berufungsverfahren durch.
8
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 05.05.2008 erhob das OLG München unter anderem Beweis über die Risikoaufklärung des Klägers vor den Käufen der streitgegenständlichen Optionsscheine und zur Frage einer Abweichung des Klägers von den Empfehlungen der Bank bei diesen Käufen durch Einvernahme der Bankmitarbeiter … und … sowie des Klägers als Zeugen (vgl. bezüglich der protokollierten Aussagen dieser Zeugen Anlage K9).
9
Das Berufungsverfahren wurde noch im Termin vom 05.05.2008 mit Urteil des Oberlandesgerichts München (Anlage K 11) abgeschlossen. Dabei wurde die Berufung der Ehefrau des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. In der Begründung hielt das OLG München die Ansprüche zwar nicht für verjährt. Hinsichtlich der originären Ansprüche der Ehefrau des Klägers folgte das OLG München aber nicht der Argumentation der Ehefrau des Klägers, sondern erkannte einen selbstständigen Anspruch der Klägerin auf Auszahlung der Darlehensvaluta, den diese dem Kläger entweder geschenkt oder darlehensweise zur Verfügung gestellt hat. Aufgrund dieser Anweisungslage schied eine Beteiligung der Ehefrau des Klägers an den Optionsgeschäften aus, sodass ihre Börsentermingeschäftsfähigkeit nicht erforderlich gewesen sei.
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Hinsichtlich der Ansprüche des Klägers, die seine Ehefrau aus abgetretenem Recht geltend gemacht hatte, sah das OLG München aufgrund der am 05.05.2008 vorgenommenen Beweisaufnahme den Vorwurf einer fehlerhaften Beratung als nicht erbracht an. Das OLG München folgte den einvernommenen Zeugen der Bank und hielt den Kläger, der ebenfalls als Zeuge einvernommen wurde, für unglaubwürdig.
11
Die Ehefrau des Klägers traf mit dem Kläger unter dem 30.11.2016 eine Abtretungsvereinbarung (vgl. Anlage K 25).
12
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
13
Der Kläger hat u.a. behauptet, einen Schaden in Höhe von insgesamt 671.213,49 € erlitten zu haben (Anlagen K 15 und 16).
14
Weiter hat der Kläger behauptet, mit der Abtretungserklärung vom 30.11.2016 (K 25) seien sämtliche streitgegenständliche Ansprüche von seiner Ehefrau an ihn abgetreten worden.
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Die streitgegenständlichen Ansprüche seien auch nicht verjährt, da es bei einer Kenntnis der vorgetragenen Pflichtverletzung nicht auf die Kenntnis objektiver Umstände, sondern zusätzlich auf das Erkennen eines juristischen Laien ankomme, aus diesen Umständen ergebe sich ein Pflichtenverstoß des Anwalts.
16
Das Landgericht, auf dessen Feststellungen ergänzend gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO hingewiesen wird, hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
17
Der Kläger sei zum einen nicht aktivlegitimiert für die geltend gemachten Ansprüche (Einzelheiten EU 13/15).
18
Weiter fehle es für einen Schadensersatzanspruch des Klägers an einer hinreichenden Pflichtverletzung der Beklagten, zumindest aber an der Kausalität einer eventuellen Pflichtverletzung für einen Schaden.
19
Soweit der Kläger der Beklagten vorwerfe, sie habe es im Termin zur Beweisaufnahme vor dem OLG München vom 05.05.2008 unterlassen, an die von der Bank benannten Zeugen Nachfragen zu stellen, um deren Glaubwürdigkeit zu erschüttern und eine fehlende Aufklärung im Rahmen der Beratung vor dem Kauf der streitgegenständlichen Wertpapiere herauszuarbeiten, fehle es an Vortrag, was die Beklagte konkret die von der Bank benannten Zeugen hätte fragen sollen.
20
Dass der Zeuge … sich durch die vom Kläger behaupteten, zu stellenden Fragen in Widersprüche verwickelt hätte, stelle der Kläger nicht konkret dar. Abgesehen davon habe sich die Aussage des Zeugen … unstreitig dadurch ausgezeichnet, dass sie aufgrund des Zeitablaufs bereits durch Erinnerungslücken getrübt gewesen sei. Wenn der Zeuge daher auf weitere Nachfragen wiederum Erinnerungslücken aufgezeigt hätte, würde hierin kein Widerspruch zu seinen vorher getätigten Aussagen liegen, sondern lediglich deren Bestätigung. Im Übrigen wäre der Kläger auch beweisfällig geblieben, da er seinen diesbezüglichen Sachvortrag zu Fragen an den Zeugen … und dessen Antworten nicht unter Beweis gestellt habe, obwohl dieser Vortrag bestritten gewesen sei.
21
Die Nachfragen, die die Beklagte nach Auffassung des Klägers dem Kläger selbst als Zeugen des Vorprozesses hätte stellen sollen, wie auch die dazu aufgeführten Antworten des Klägers, wären nicht geeignet gewesen, die Beweiswürdigung des OLG München hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Klägers als Zeuge zu beeinflussen.
22
Eine Anhörung des Klägers im hiesigen Verfahren sei nicht veranlasst gewesen.
23
Als Anspruchstellerin habe es der Ehefrau des Klägers im Vorprozess oblegen, Anhaltspunkte für eine fehlende Aufklärung des Klägers darzulegen. Hinsichtlich der behaupteten unterbliebenen Aufklärung habe die Beklagte des Vorverfahrens eine sekundäre Darlegungslast getroffen. Die Bank habe im Vorverfahren diesbezüglich Angaben gemacht, die allerdings nicht besonders detailliert gewesen seien. Dennoch habe sich hieraus eine Besprechung von verschiedenen Möglichkeiten von Termingeschäften, die hohen Risiken beim Handel von Optionsscheinen, der Hinweis auf Stopp-Loss-Limits, die Warnung gegen den Markttrend zu spekulieren, eine bereits vorhandene Erfahrung des Klägers bei Geschäft mit Optionsscheinen und eine behauptete Vorgabe, welche bestimmten Optionsscheine zu erwerben seien, ergeben. Dies sei ausreichend gewesen.
24
Bei dieser Sachlage sei es Aufgabe der Ehefrau des Klägers im Vorprozess gewesen, die Behauptung einer hinreichenden Aufklärung zu bestreiten und die unzureichende Aufklärung zu beweisen. Hierzu habe die im Termin vom 05.05.2008 vor dem OLG München durchgeführte Beweisaufnahme gedient.
25
Da der Ehefrau des Klägers im Vorverfahren die Beweislast für eine unzureichende Aufklärung oblegen habe, hätte es nicht genügt, die als Zeugen einvernommenen Mitarbeiter der dortigen Beklagten zu unterminieren und deren Glaubwürdigkeit und/oder die Glaubhaftigkeit von deren Aussagen zu erschüttern. Da das OLG München ausweislich des Urteils vom 05.05.2008 der Aussage des als Zeugen einvernommenen hiesigen Klägers keinen Glauben geschenkt habe, hätte die hiesige Beklagte allenfalls eine non-liquet Situation herbeiführen können, wenn es ihr gelungen wäre, die Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit der Aussagen der Zeugen … und … zu erschüttern. Bei dieser Sachlage wäre der Beweis einer unzureichenden Aufklärung des Klägers vor dem Kauf der streitgegenständlichen Wertpapiere nicht geführt worden.
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Der Vorwurf des Klägers, die Beklagte habe es unterlassen, sich im Termin vom 05.05.2008 eine Schriftsatzfrist zur Beantwortung des Schriftsatzes der Gegenseite vom 28.04.2008 einräumen zu lassen, gehe fehl. Die Beklagte des Vorverfahrens habe unstreitig diesen Schriftsatz im Termin vom 05.05.2008 zurückgezogen. Dieser habe daher nicht zur Grundlage des Urteils des OLG München werden können. Eine Stellungnahme hierzu sei nicht erforderlich gewesen.
27
Ein Fehler der Beklagten liege auch nicht darin, dass die Beklagte den von ihr vorbereiteten Schriftsatz vom 30.04.2008 (Anlage K 26) letztlich nicht beim OLG München eingereicht habe. Neu in diesem Schriftsatz sei lediglich der Hinweis auf die Entscheidung des BGH gemäß Urteil vom 28.09.2004 (Az.: XI ZR 259/03) gewesen. Das OLG München sei aber selbst in seinem Urteil davon ausgegangen, dass über die Überreichung der vorgenannten Broschüre hinaus noch eine zusätzliche Beratung geschuldet sei und aus diesem Grund auch eine Beweisaufnahme durchgeführt habe.
28
Ein Hinweis der Beklagten in der Berufungsinstanz, dass im Rahmen eines intensiven Kontrakthandels Provisionen, Spesen und Kreditzinsen in einem Umfang anfallen, dass die geleisteten Einsätze schnell zu einem erheblichen Teil aufgezehrt würden und die Chance einer Gewinnerzielung mit jedem weiteren Geschäft abnehme, wäre nicht zielführend gewesen. Zum einen behaupte der Kläger selbst nicht, dass eine Gewinnerzielung ausgeschlossen gewesen sei. Zum anderen hätten die Zeugen … und … in ihren Aussagen jeweils bekundet, dass der Kläger sich bei seinen Wertpapiergeschäften den Hinweisen der beiden Mitarbeiter, weniger riskante Spekulationen vorzunehmen oder Verluste zu begrenzen, als beratungsresistent gezeigt habe. So hätten beide Zeugen bekundet, der Kläger habe das Setzen von Stopp-Loss-Limits abgelehnt. Der Zeuge … habe darüber hinaus bekundet, der Kläger habe trotz des Rates zu risikoärmeren Varianten Optionen und Optionsscheine mit höherem Risiko geordert und entgegen dem Rat des Zeugen auch gegen die Marktentwicklung gesetzt.
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Hinsichtlich des behaupteten unterbliebenen Hinweises der Beklagten in der Berufungsinstanz des Vorverfahrens darauf, dass die von der Bank behauptete Belehrung über Stopp-Loss-Limits fehlerhaft gewesen sei, sei die Kausalität für einen Schaden nicht schlüssig vorgetragen. Wenn Stopp-Loss-Limits bei den vom Kläger vorgenommenen Geschäften nicht möglich gewesen seien, so wäre eine diesbezügliche Falschberatung ohne Folgen geblieben, da der Kläger sich unstreitig nicht zum Setzen von Stopp-Loss-Limits entschieden habe. Nach dem alternativen Kausalverlauf einer Belehrung über Stopp-Loss-Limits und einer fiktiven Entscheidung des Klägers, dieses Mittel zur Verlustbegrenzung einsetzen zu wollen, wäre ihm dies nach seinem eigenen Sachvortrag dennoch nicht möglich gewesen.
30
Eine Einwirkung der Beklagten auf die Rechtsauffassung des OLG München hinsichtlich der originären Ansprüche der Ehefrau des Klägers sei mangels nachgewiesener Kenntnis der Beklagten von dieser Rechtsauffassung des OLG nicht geschuldet gewesen. Das OLG München habe auch zutreffend auf eine Anweisungslage abgestellt. Der Beklagten könne auch kein Vorwurf im Hinblick auf das Revisionsverfahren gemacht werden, das sie nicht selbst durchgeführt oder begleitet habe.
31
Auch fehle es am schlüssigen Vortrag sowie am Nachweis bezüglich des geltend gemachten Schadens.
32
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er unter anderem auf folgendes hinweist:
33
Zu Unrecht habe das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, es fehle die Aktivlegitimation. Auch beruhe das Ersturteil auf einer Verletzung des § 156 ZPO und des § 139 ZPO. Verfahrensfehlerhaft habe der Erstrichter insbesondere dem Kläger im Termin am 23.07.2021 die Parteianhörung verweigert und damit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Die Unterlassung der Parteianhörung sei entscheidungserheblich gewesen, weil nach den Grundsätzen des Regressprozesses über die Umstände der Bankberatung und die Beweisverhandlung vor dem Berufungssenat neue Tatsachenfeststellungen erforderlich gewesen seien, um die Aufgabe des Regressrichters, festzustellen wie der Inzidenzprozess aus seiner Sicht richtig hätte entschieden werden müssen, erfüllen zu können. Es gehe nicht um eine Prognose zum Ausgang des Vorprozesses und das Ergebnis der Beweiswürdigung durch das OLG München. Der Erstrichter habe vielmehr als Regressrichter selbstständig darüber zu entscheiden, welches Urteil nach seiner Auffassung richtigerweise hätte ergehen müssen. Es komme nicht darauf an, welchen tatsächlichen Verlauf das frühere Verfahren bei pflichtgemäßem Handeln des Anwalts genommen hätte. So basierten auch die Ausführungen des Erstrichters zum Vorwurf des fehlenden Angriffs gegen die Zeugenaussagen … und … auf der Verkennung der Grundsätze des Regressprozesses. Die Feststellung, dass maximal eine non-liquet-Situation hätte erreicht werden können, basiere auf der fehlerhaften Annahme, dass der Erstrichter als Regressrichter an die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des OLG München betreffend den Kläger als Zeugen gebunden gewesen sei. Die Würdigung des Erstrichters stelle damit eine unzulässige Vorwegnahme des Ergebnisses einer Glaubwürdigkeitsprüfung dar, die ohne persönliche Anhörung nicht zulässig sei.
34
Auch habe der Erstrichter verkannt, dass die Beklagte der ihr obliegenden Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung bereits deswegen nicht nachgekommen sei, weil mangels substantiierten Vortrags keine ausreichende sekundäre Darlegung erfolgt sei. Sie habe insbesondere nicht dargelegt, dass der Rechtsstreit auch ohne die anwaltlichen Pflichtverletzungen nach der maßgeblichen Beurteilung eines pflichtgemäß handelnden Regressrichters unter Berücksichtigung der seinerzeit geltenden Rechtslage zum Nachteil der Klägerin ausgegangen wäre. Auch habe der Erstrichter verkannt, dass aufgrund der unstreitig nicht erfolgten Übergabe von Aufklärungsunterlagen die beklagte Bank dafür beweisbelastet gewesen sei, dass ausführliche Risikoinformationen mündlich erteilt worden seien. Weder im Inzidenzprozess noch im vorliegenden Regressprozess sei substantiiert behauptet worden, dass eine ausführliche Risikoinformation erteilt worden sei. Die Erfüllung der geschuldeten Aufklärungspflicht sei auch nicht durch die vom Berufungssenat angehörten Zeugen bekundet worden.
35
Soweit das Landgericht ausführe, dass der Kläger nicht vorgetragen habe, wie die Beklagte das OLG München von der Überzeugung hätte erbringen sollen oder können, dass der Kläger bei zutreffender Beratung von seiner hohen Risikobereitschaft abgerückt wäre, sei dies unrichtig, weil der Kläger an verschiedenen Stellen dargelegt habe, weshalb die Beklagte sich vorhalten lassen müsse, pflichtwidrig nicht zu der Verletzung der Aufklärungspflichten der Bank und der Kausalität dieser Pflichtverletzungen vorgetragen zu haben.
36
Der Erstrichter habe weiter verkannt, dass der Kläger seine Ansprüche auch auf die Haftungsgrundlage des § 826 BGB gestützt habe.
37
Die Überzeugung des Landgerichts, ein Angriff gegen die Zeugenaussagen … und … wäre nicht geeignet gewesen, ein positives Ergebnis der Beweisaufnahme zu bewirken, beruhe auf einer Verkennung des klägerischen Parteivortrags und einer fehlerhaften Beweiswürdigung. Die Beklagte habe im Ausgangsprozess wichtige Tatsachenfeststellungen versäumt, weil sie in der Berufungsverhandlung wesentliche Fragen an den Kläger als Zeugen nicht gestellt habe. Bei zutreffender Würdigung hätte das Erstgericht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Anhörung des Klägers als Zeugen bei richtiger und vollständiger Fragestellung in dem Berufungssenat davon überzeugt hätte, dass er von den Bankberatern nicht ausreichend aufgeklärt worden sei.
38
Auch habe die Beklagte es in der mündlichen Verhandlung vom 05.05.2008 pflichtwidrig unterlassen, einen Schriftsatznachlass gemäß § 283 ZPO zu beantragen, um durch späteren Vortrag die Interessen des Klägers noch wahren zu können. Dies wäre die einzige Möglichkeit gewesen, um zu verhindern, dass der Berufungssenat noch am selben Tag aufgrund der dargelegten Vorbesprechung und des spontanen Eindrucks über die Beweisaufnahme eine Entscheidung fällt, die von Klägerseite nicht mehr beeinflusst werden könne. Schließlich habe die Beklagte deshalb pflichtwidrig gehandelt, weil sie den Schriftsatz vom 30.04.2008 mit entscheidungsrelevanten Inhalt bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht eingereicht habe.
39
Das Erstgericht hätte davon ausgehen müssen, dass im Ausgangsprozess unstreitig gewesen sei, dass Hinweise auf die eingeschränkte Handelbarkeit der Optionsscheine nicht rechtzeitig erteilt worden sein und damit eine Pflichtverletzung der Bank in 1. Instanz zugestanden gewesen sei.
- 1.
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Das Urteil des Landgerichts München I vom 24.06.2022 – 4 O 6317/18 – wird aufgehoben.
- 2.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 671.213,49 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 393. 786,46 € seit dem 19.03.2016 und aus einem Betrag in Höhe von 277.427,03 € ab Rechtshängigkeit (= 19.06.2018) zu zahlen.
- 3.
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Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger darüber hinaus den Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entsteht, dass der Kläger nicht am 15.07.2008 einen Betrag in Höhe von 651.641,59 € in die Fondsanlage DWS Deutschland (WKN: 849096) zu einem Kurs von 79,77 € pro Anteil investieren konnte.
41
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen.
42
Der Senat hat mit Beschluss vom 15.11.2022 ein Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erlassen.
43
Hierzu hat der Kläger mit Schriftsätzen vom 28.12.2022 und vom 16.01.2023 Stellung genommen.
44
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Ersturteil, die im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze sowie den bereits zitierten Hinweisbeschluss Bezug genommen.
45
Der Senat weist die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Gesichtspunkte, die gleichwohl eine mündliche Verhandlung als geboten erscheinen ließen, liegen nicht vor.
46
1. Der Senat hat im vorangegangenen Hinweisbeschluss vom 15.11.2022 ausführlich dargelegt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
47
Danach ist die Regressklage bereits deshalb abzuweisen, weil die klägerischen Ansprüche verjährt sind (vergleiche Ziffer 1 des Hinweisbeschlusses). Stellt man auf die Ehefrau des Klägers als Gläubigerin des Schadensersatzanspruchs ab, ist zu ihren Lasten von grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. BGB auszugehen. Jedenfalls aufgrund des Urteils des OLG München im Ausgangsrechtsstreit hätte der Ehefrau (als damaliger) Klägerin die behauptete Pflichtverletzung der Beklagten bewusst sein müssen. Der Kläger hat mithin im Wege der Abtretung einen bereits verjährten Anspruch erhalten (vgl. KSR 25: die Abtretung stammt vom 30.11.2016).
48
In diesem Zusammenhang geht es auch nicht um die Frage, ob der Kläger bzw. seine Ehefrau „durch Zufall erstmals im Jahre 2016 Kenntnis über die Entscheidung des BGH IX ZR 179/09 erlangt haben“, sondern darum, dass die Ehefrau des Klägers aufgrund des OLG-Urteils im Ausgangsrechtsstreit verpflichtet gewesen wäre, sich Rechtsrat einzuholen.
49
2. Lediglich hilfsweise ist zum Berufungsvorbringen des Klägers, insbesondere seinen Stellungnahmen vom 28.11.2022 und vom 16.01.2023, weiter folgendes auszuführen:
50
Der Kläger hat in Form des OLG-Urteils vom 05.05.2008 im Vorprozess keinen durch die (unterstellten) Pflichtverletzungen der Beklagten verursachten (Vermögens-)Schaden erlitten (§ 280 Abs. 1 BGB). Dies gilt unabhängig davon, ob die Entscheidung des OLG München vom 05.05.2008, mit dem die Schadensersatzansprüche der Ehefrau des Klägers abgewiesen wurden, aus Sicht des Regressgerichts oder der Parteien des Regressprozesses zutreffend war.
51
Es fehlt mit Blick auf die der Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen an einem ursächlichen zurechenbaren Vermögensschaden.
52
2.1. Als Gläubiger eines Schadensersatzanspruchs muss der Mandant die Kausalität und den Schadenseintritt mit dem Beweismaß des § 287 ZPO beweisen (BGH, Urt. v. 27.01.2000 – IX ZR 45/98, Rn. 31 bei Juris).
53
Zur Beurteilung des Zurechnungszusammenhangs zwischen der anwaltlichen Pflichtverletzung und der gerichtlichen Fehlentscheidung ist, anders als bei der Feststellung eines normativen Schadens, die vom Gericht des Vorprozesses getroffene Entscheidung heranzuziehen (BGH, Urt. v. 15.11.2007 – IX ZR 44/04; bei Juris Rn. 19). Danach wäre aber das klageabweisende OLG-Urteil ebenso erfolgt, wenn der vom Kläger verlangte weitere Vortrag von der Beklagten im Ausgangsprozess vorgebracht worden wäre (hierzu sogleich).
54
2.2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlt es vorliegend am Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden (BGH, a.a.O.):
„Über diese Fallgruppen hinaus fehlt es bei wertender Betrachtung an dem für die Zurechnung der anwaltlichen Pflichtverletzung notwendigen inneren Zusammenhang, wenn der Fehler des Anwalts schlechthin ungeeignet war, die gerichtliche Fehlentscheidung hervorzurufen. War die ordnungsgemäße Erfüllung der dem Anwalt obliegenden Pflicht bei lebensnaher Betrachtung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet, die den Mandanten belastende gerichtliche Fehlentscheidung zu vermeiden, entfällt der Zurechnungszusammenhang. Rein hypothetische Erwägungen vermögen den Zurechnungszusammenhang dabei nicht auszuschließen. Der Fehler des Gerichts des Vorprozesses muss aus der von ihm tatsächlich getroffenen Entscheidung ersichtlich sein. Nur anhand ihrer kann beurteilt werden, ob die Vermeidung der anwaltlichen Pflichtverletzung geeignet war, den dem Gericht unterlaufenen Fehler zu verhindern. Zur Beurteilung der Zurechnung ist mithin – anders als bei der normativen Schadensfeststellung – die vom Gericht des Vorprozesses getroffene Entscheidung heranzuziehen.“ (BGH, a.a.O., Rdnr. 19).
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2.3. Eine selbständige Neubeurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Regressgericht ist danach nur dann geboten, wenn sich die anwaltliche Pflichtverletzung auf die dem Mandanten nachteilige gerichtliche Entscheidung (tatsächlich) ausgewirkt hat, diese also dem Anwalt zurechenbar ist.
56
2.4. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Standpunkt der Literatur. Nach Greger (in Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 5. Aufl., § 20 Rdnr. 20 ff) scheidet eine Haftung des Rechtsanwalts aus, wenn dem Mandanten durch dessen Verhalten im Vorprozess keine „günstige“ Entscheidung genommen worden sei. Regressvoraussetzung sei die entgangene „günstige“ Entscheidung im Vorprozess. In einem ersten Schritt sei dabei der „natürliche Schadensbegriff“ heranzuziehen, der nach dem tatsächlichen Ausgang des Vorprozesses fragen müsse. Das allgemeine Prozessrisiko dürfe nicht auf den Rechtsanwalt verlagert werden. Wenn die Abweisung der Klage im Vorprozess aufgrund von rechtlichen Überlegungen des Gerichts erfolgt sei, die der Anwalt nicht beeinflussen konnte, sei die negative Entscheidung dem Anwalt nicht zuzurechnen.
57
Hat sich eine (unterstellte) Pflichtverletzung des Anwalts sicher nicht auf die gerichtliche Entscheidung ausgewirkt, besteht kein Raum, dem Mandanten im Wege des Anwaltsregressprozesses rückwirkend das allgemeine Prozessrisiko abzunehmen, das sich im Vorprozess mit der ihm nachteiligen Entscheidung verwirklicht hat.
58
2.5.1. Entgegen der klägerischen Ansicht war die Glaubwürdigkeit des Klägers (als Zeuge) im Vorprozess zur Erfüllung der Beweislast der Klägerin als Anspruchstellerin für das OLG München entscheidungsrelevant, andernfalls es eine Beweisaufnahme zur Frage der erfolgten Aufklärung durch die Bankberater nicht vorgenommen hätte.
59
Die vom Kläger thematisierte Frage, dass ein solches Vorgehen nicht entscheidungsrelevant gewesen sei (Seite 6 der Stellungnahme = Bl. 574 d.A.), ist nicht relevant. Entscheidend ist vielmehr, ob es der Beklagten gelungen wäre, durch den vom Kläger geforderten Hinweis darauf, dass wesentlicher Vortrag der Klägerseite unstreitig sei und als zugestanden zu gelten habe (und darüber daher kein Beweis mittels der Zeugenaussage des Klägers zu führen sei), das OLG München von der Beweisaufnahme mittels Einvernahme des Klägers und der Zeugen … und … abzuhalten. Die Rechtsauffassung des Klägers insbesondere zu § 138 ZPO und die daraus abzuleitenden Schlüsse zur Frage der Beweisbedürftigkeit teilt der Senat nicht; umso weniger ist für ihn erkennbar, dass ein ausdrücklicher Hinweis der Beklagten an das OLG des Vorprozesses darauf, dass die Beweisaufnahme nicht erforderlich sei, das OLG von der fehlenden Beweisbedürftigkeit überzeugt hätte.
60
Im Grunde wirft der Kläger der Beklagten vor, sie habe das angeblich nicht beweisbedürftige Thema der nicht sachgerecht erfolgten Aufklärung der Klägerseite durch die Bank im Vorprozess zu Unrecht mittels des Klägers als Zeugen unter Beweis gestellt, was zur Zeugeneinvernahme des Klägers geführt habe. Die Tatsache, dass die Beklagte im Vorprozess Beweis anbot, kann aber keine anwaltliche Pflichtverletzung darstellen, da die Beklagte schon aus anwaltlicher Vorsicht gehalten war, Behauptungen der Klägerseite im Ausgangsprozess unter Beweis zu stellen, falls das Gericht – wie dann auch geschehen – von einer Beweisbedürftigkeit ausgehen würde.
61
Damit fehlt es – soweit der Kläger der Beklagten vorwirft, nicht nachdrücklich genug auf die vermeintlich fehlende Beweisbedürftigkeit hingewiesen zu haben – schon am Nachweis einer Pflichtverletzung, jedenfalls aber an einer Zurechenbarkeit, da nicht ansatzweise nachgewiesen ist (§ 287 ZPO), dass das OLG im Vorprozess der im Regressprozess geäußerten Ansicht des Klägers gefolgt wäre und von einer Beweisaufnahme abgesehen und zugunsten der damaligen Klägerin entschieden hätte.
62
2.5.2. Soweit der Kläger (auf Seite 7 der Stellungnahme = Blatt 575 der Akte) dem OLG im Vorprozess vorwirft, es habe verkannt, dass das aufklärungsrichtige Verhalten des Klägers hinsichtlich der Fortsetzung der Geschäfte zum Ausgleich der Verluste nicht gegen, sondern vielmehr für seine Glaubwürdigkeit gesprochen hätte, bleibt ebenfalls unbelegt, wie die Beklagte die Überzeugungsbildung/Bewertung des Ausgangsgerichts nach erfolgter Beweisaufnahme und vor Ergehen des Endurteils hätte verhindern können. Entsprechendes gilt für die weiteren Angriffe des Klägers gegen das OLG-Urteil im Vorprozess an dieser Stelle.
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2.5.3. Unbehelflich ist auch der Hinweis des Klägers (Seite 8 = Blatt 576 der Akte), die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des OLG im Vorprozess habe auf einer Verkennung der objektiven Rechtslage beruht und die Beklagte hätte diese fehlerhafte Bewertung der Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die Fragen zur Fortsetzung der zahlreichen verlustreichen Geschäfte durch Hinweise auf die im Streitfall geltenden Grundsätze des BGH zur Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens beseitigen können und müssen. Dass das OLG im Ausgangsrechtsstreit nach erfolgter Beweisaufnahme hat erkennen lassen, dass der Kläger als Zeuge bei ihm einen „verheerenden Eindruck“ hinterlassen habe, konnte die Beklagte nicht verhindern. Dass die vom Kläger behaupteten Nachfragen, die die Beklagte hätte ergänzend stellen müssen (unterstellt, dass Ausgangsgericht wäre erneut in die Beweisaufnahme eingetreten), geeignet gewesen wären, den Eindruck des OLG-Senats im Vorprozess zu revidieren, ist ebenfalls nicht erkennbar. Der Kläger möchte vielmehr im hiesigen Regressverfahren seine eigene Auffassung von seiner Glaubwürdigkeit an die Stelle der Überzeugungsbildung des OLG setzen.
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2.5.4. Dass ein Hinweis der Beklagten im Ausgangsprozess etwa auf die Entscheidungen des BGH vom 13.01.2004 (XI ZR 355/02), vom 17.03.1992 (XI ZR 204/91), vom 22.06.1993 (XI ZR 215/92) und weitere Entscheidungen des BGH (vgl. Stellungnahme Seite 10 = Blatt 578 der Akte) dazu geführt hätte, dass das Ausgangsgericht von einer Beweisaufnahme abgesehen bzw. zu einer anderen Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Klägers (als damaligen Zeugen) geführt hätte, kann der Senat ebenfalls nicht erkennen.
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3. Lediglich vorsorglich weist der Senat weiter auf folgendes hin:
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3.1. Die Ausführungen in der Stellungnahme (Seite 22 = Blatt 590 der Akte) zur Frage der Aktivlegitimation des Klägers erachtet der Senat weiterhin als nicht entscheidungserheblich (Seite 4 des Hinweisbeschlusses vom 15.11.2022, dort Ziffer 2).
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3.2. Der Senat bleibt dabei, dass das Landgericht nicht verpflichtet gewesen wäre, gemäß § 156 ZPO das Verfahren wieder zu eröffnen. Der Kläger wurde im Ausgangsprozess vor dem OLG München als Zeuge einvernommen, im vorliegenden Regressprozess hätte er nicht erneut angehört/einvernommen werden müssen, da nicht seine Aussage im Regressprozess von entscheidender Bedeutung ist, sondern die Frage, ob und wie von der Beklagten der Ausgangsprozess zugunsten der damaligen Klägerin hätte beeinflusst werden können (Ziffer 2.1. ff).
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3.3. Entsprechendes gilt für den klägerischen Hinweis darauf, dass bereits nach unstreitigem Parteivortrag zu bejahen wäre, dass im Ausgangsprozess ein dem Kläger günstigeres Urteil zu erzielen gewesen wäre (Seite 26 = Blatt 594 der Akte). Nicht die jetzige Bewertung ist entscheidend dafür, ob im Ausgangsprozess streitiger oder unstreitiger Vortrag vorgelegen hat, sondern die Frage, ob und wie die Beklagte das klageabweisende Urteil im Ausgangsprozess hätte verhindern können.
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8. Soweit die Stellungnahme darauf abhebt, dass die Zeugen sich im Ausgangsprozess nicht an die Details der Aufklärung erinnern konnten (Seite 29 = Blatt 597 der Akte) und die erforderliche Aufklärung nicht hätten bestätigen können, bleibt unbelegt, wie das Oberlandesgericht im Ausgangsprozess – angesichts der vor ihm erfolgten Zeugeneinvernahme des Klägers – zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen.
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9. Soweit die Klägerseite weiterhin behauptet (vergleiche etwa Seite 31 = Blatt 599 der Akte), dass entscheidend allein sei, wie aus Sicht des Regressgerichts hätte entschieden werden müssen, hält der Senat diesen Ansatz weiterhin für unzutreffend. Dass es auf die Frage der Glaubwürdigkeit des Klägers im Vorprozess nicht angekommen sei (Seite 34 = Blatt 602 Akte), ist unrichtig, da das Urteil des Oberlandesgerichts München im Ausgangsprozess sich maßgeblich auf die Zeugenaussage des Klägers stützte. Wie bereits ausgeführt, ist nicht aufgezeigt, wie die Beklagte die Einvernahme des Klägers hätte verhindern können. Das Oberlandesgericht München ging – entgegen der Rechtsansicht des Klägers – gerade nicht von einem unstreitigen Sachverhalt aus, sondern hielt den Ablauf des Aufklärungsgesprächs für beweisbedürftig.
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10. Soweit von der Stellungnahme (Seite 38 unter Ziffer 22 = Blatt 606 der Akte) abschließend die Ansicht vertreten wird, der Regressrichter müsse sich ein eigenes Bild über die Glaubwürdigkeit verschaffen, wenn der Ausgangsprozess von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen abhänge, wird dies für die streitgegenständliche Konstellation weiterhin für unrichtig erachtet. Der Senat ist auch nicht „mit einer gewissen Voreingenommenheit der Beurteilung des Inzidenzgerichts zur Glaubwürdigkeit“ gefolgt, sondern hat die – allein relevante – Frage gestellt, durch welches Verhalten der Beklagten im Ausgangsprozess es möglich gewesen wäre, diesen Eindruck beim Oberlandesgericht zu vermeiden/beseitigen. Dies ist – wie ausgeführt – der Klägerseite mit dem Beweismaß des § 287 ZPO nicht gelungen, da insbesondere unbelegt geblieben ist, durch welche weiteren Fragen der Beklagten und Antworten des Klägers das Oberlandesgericht zu einer anderen Glaubwürdigkeitsbeurteilung hätte kommen können.
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11. Dass die Beklagte wegen ihres (unterstellt) mangelhaften Prozessvortrags im Inzidenzprozess nunmehr darlegungs- und beweisbelastet dafür wäre, dass der Verlust des Ausgangsprozesses nicht vermeidbar gewesen wäre, ist unrichtig; die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Pflichtverletzung zu einem zurechenbaren Schaden geführt hat, obliegt ausschließlich der Klägerseite.
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12. Die vom Kläger herangezogene Entscheidung des BGH (Urteil vom 16. Juni 2005 – IX ZR 27/04) führt zu keiner anderen Beurteilung.
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Der BGH hat folgendes ausgeführt (a.a.O., Rn. 8 bei juris): Wenn im Haftpflichtprozess die Frage, ob dem Mandanten durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts ein Schaden entstanden ist, vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängt, muss das Regressgericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre.
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Vorliegend geht es jedoch – wie ausgeführt – um die vorgelagerte Frage der Beurteilung des Zurechnungszusammenhangs zwischen der (unterstellten) anwaltlichen Pflichtverletzung und der gerichtlichen (wiederum unterstellt: unterstellt) Fehlentscheidung. Anders als bei der Feststellung eines normativen Schadens ist die vom Gericht des Vorprozesses getroffene Entscheidung heranzuziehen und zu fragen, ob die anwaltliche Pflichtverletzung die Entscheidung des Vorprozesses überhaupt beeinflussen konnte (oben Ziffer 2.1. ff).
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13. Die Ausführungen im Schriftsatz des Klägers vom 16.01.2023 hat der Senat zur Kenntnis genommen; er bleibt bei seiner oben dargestellten Rechtsansicht.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10 Satz 2, 711, 709 Satz 2 ZPO.
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3. Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 63 II 1, 43 I, 47, 48 I 1 GKG, 3 ZPO.