Titel:
Bayerisches Oberstes Landesgericht, Nachprüfungsverfahren, Entscheidungen der Vergabekammer, Maßgeblicher Zeitpunkt, Erstattungsfähigkeit, Verhandlungsverfahren, Rechtsmittelbelehrung, Gebührenfestsetzung, Antragsbefugnis, Wettbewerbliches Vergabeverfahren, Sofortige Beschwerde, Kostenvorschuss, Beschwerdebegründung, Vergabevermerk, Zweckentsprechende Rechtsverfolgung, Unerlässlichkeit, Verfahrensbevollmächtigter, Zweckentsprechende Rechtsverteidigung, Öffentlicher Auftraggeber, Leistungsbestimmung
Schlagworte:
Vergabeverfahren, Markterkundung, Direktvergabe, Kompatibilität, Nachprüfungsverfahren, Dokumentationspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56519
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der vom Antragsgegner und der Beigeladenen geschlossene Vertrag vom 01.09.2022 über die Lieferung des 3D-Microfabrication System … inklusive aller Komponenten von Anfang an unwirksam ist.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Beigeladene trägt etwaige angefallene Aufwendungen zu ihrer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung selbst.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
Gründe
1
Der Antragsgegner benötigt für die Durchführung von wissenschaftlichen Versuchen ein 3D-Laserlithografiesystem. Im Vergabevermerk war die Begründung zur Gerätewahl aus dem Großgeräteantrag aufgeführt. Darin wurde der Bedarf wie folgt beschrieben: „Was also benötigt wird ist ein System, das in der Lage ist Details hochpräzise mit Submikrometer-Auflösung zu drucken und gleichzeitig diese Präzision über mehrere Zentimeter ausgedehnte Fluidikstrukturen aufrecht zu erhalten. Die Zwei-Photonen-Polymerisation bietet die geforderte Auflösung, wobei zur Erzeugung der Ausdehnung die entsprechende Anlage zusätzlich über perfekte Stitching-Fähigkeiten und Tilt-Korrekturen verfügen muss. Wie Vorversuche gezeigt haben kommt es sonst an den Versatzstellen zu Problemen. Innerhalb der Kanäle sind dies Störungen des Flusses durch sich einstellende Turbulenzen, während Fehlstellen auf den Oberflächen das Bonding der downstream erzeugten PDMS-Abgüsse zu Glas erschweren und zu Undichtigkeiten führen. Beides nicht tolerable Fehler, die die Funktionalität der Strukturen kompromittieren. […] Einige der von uns angedachten Einbauten, wie zum Beispiel lange hohle Filterstrukturen, sind in ähnlicher Weise publiziert, und benötigen Auflösungen bis <100nm, die nur mit 63x oder vergleichbaren Objektiven realisiert werden können. Für eine solche direkte Integration dreidimensionaler Fluidikelemente ist das Fertigen direkt in vorbereiteten Kanälen des Chips der erfolgversprechendste Ansatz. Apparativ erfordert dies die Möglichkeit in tieferen Kanälen (ca. 350um) des Chips schreiben zu können, was einen entsprechend großen Arbeitsabstand der schreibenden Optik voraussetzt.
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Im Rahmen unserer Vorversuche mussten wir feststellen, dass selbst ausgefeilte Strukturplanungen nur bedingt die konstruktionellen Erfordernisse in diesem speziellen Forschungsgebiet abbilden können. Die experimentelle Testung jedes neuen Designs erfordert aus statistischen Gründen die Verfügbarkeit einer höheren Stückzahl an Chips pro Design, das andererseits in bis zu fünfzig Iterationen optimiert werden muss. Die Folge ist der Bedarf an einem schnell-schreibenden System, das darüber hinaus das Erzeugen von Struktur-Arrays auf größeren Substraten erlaubt. In unseren Vorversuchen waren dies aufgrund der bisherigen Beschränkungen lediglich zwei Strukturen auf einem 4“-Wafer, was als Machbarkeitsstudie aber schon wertvolle Hinweise lieferte. Um wirklich effizient arbeiten zu können, müssen aber mindestens 6“-Wafer, besser noch 8“-Wafer für gleichzeitig sechs bis acht Strukturen verarbeitbar sein.“
3
Neben den technischen Besonderheiten führte der Antragsgegner auf Seite 4 des Vergabevermerks als Begründung für die Gerätewahl auch zur Kompatibilität mit dem bereits bestehenden Gerätepark wie folgt aus: „Wie bereits eingangs erwähnt, verwenden wir derzeit sehr erfolgreich die Geräte der Fa. N… (…) zur Bearbeitung unserer „Nanoprint-Projekte“, wobei über die Jahre ein großer Erfahrungsschatz an Schreibmethoden und Stitchingstrategien, neben aufwendigen …-Protokollen, gesammelt werden konnte. Zur Vergrößerung unseres Geräteparks wurde daher aus Kompatibilitätsgründen das Nachfolgemodell der Fa. N…, das „…“, ins Auge gefasst. Ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang der Erfahrungsschatz der Mitarbeiter, der in den vergangenen Jahren einen erheblichen Umfang angenommen hat und damit auch einen großen wirtschaftlichen Wert darstellt. Ein Umstieg auf einen anderen Anbieter bedeutet die Einführung neuer Hard- und Softwarestrukturen, wodurch wieder Schulungsaufwand mit nicht unerheblichen Folgekosten generiert wird. Das Nachfolgemodell der Fa. N… hingegen arbeitet mit modernisierten Versionen der bekannten Software, die vom Personal sofort eingesetzt werden können.“
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Als Fazit zog der Antragsgegner auf Seite 5 seines Vergabevermerks: „Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass das „…“ der Fa. N… für uns die einzige sinnvolle Wahl darstellt. Im Vordergrund stehen dabei eindeutig die technischen Notwendigkeiten zur Bearbeitung unserer Projekte, die nur bei diesem Gerät in vollem Umfang erfüllt werden. Ein erleichterter Einstieg durch bereits geschulte Mitarbeiter und die sichergestellte Kompatibilität mit bereits erzeugten Druckstrategien (Zeit- und Geldersparnis) kommen als Vorteile noch dazu.“
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Der Antragsgegner zog daher ab April 2022 auf diversen Wegen Erkundigungen über geeignete Produkte ein. Der Antragsgegner besitzt bereits zwei Drucker aus der Produktpalette der Beigeladenen und hat eine Messevorführung der Beigeladenen besucht. Anlässlich der geplanten Beschaffung hat sich der Antragsgegner mit der Beigeladenen schriftlich über einzelne Aspekte und Leistungsmerkmale des letztlich beschafften Laserlithografiesystems ausgetauscht. Bei der Antragstellerin überprüfte der Antragsgegner die Angaben auf dem Internetauftritt der Antragstellerin, ob die dort angebotenen Produkte zu seinem Bedarf passen würden.
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Am 01.07.2022 forderte der Antragsgegner die Beigeladene auf, ein Angebot über die hausinterne Lösung „Cryptshare“ abzugeben. Am 05.07.2022 reichte die Antragstellerin ihr bereits am 27.06.2022 per E-Mail übersandtes Angebot darüber noch einmal ein.
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Am 01.09.2022 schloss der Antragsgegner mit der Beigeladenen einen Vertrag über die Lieferung eines Laserlithografiesystems mit verschiedenem Zubehör. Eine vorherige Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union erfolgte nicht.
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Diesen Vertragsschluss machte der Antragsgegner 06.09.2022 die Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt. Als Grund für die Auftragsvergabe ohne vorherige Bekanntmachung eines Aufrufs zum Wettbewerb im Amtsblatt der Europäischen Union gab er in Ziffer IV.1.1) der Bekanntmachung an, dass die Lieferung aufgrund des Schutzes von ausschließlichen Rechten einschließlich Rechten des geistigen Eigentumes nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden könne. Dies erläuterte der Antragsgegner in der Bekanntmachung noch wie folgt: „Wie im hierzugehörigen Vergabevermerk umfassend dargestellt, beschreibt ausführlich die vorliegende und geprüfte wissenschaftliche Begründung zu dieser Beschaffung, dass es sich bei diesem speziellen 3D Microfabrication System … um das einzig mögliche System für unsere Forschungsabteilung und der daraus folgenden Forschungsarbeit handelt. Hierfür sind vor allem die vorhandenen technischen Alleinstellungsmerkmale des Gerätes verantwortlich, welche dieses System einmalig machen und sowohl durch Patente, als auch Alleinvertriebsrechte vom Hersteller geschützt werden. Aufgrund dieser Ausschließlichkeitsrechte erfolgte eine rechtmäßige Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union.“
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Mit Schreiben vom 13.09.2022 beanstandete die Antragstellerin die Vergabeentscheidung des Antragsgegners als vergaberechtswidrig. Die Antragstellerin rügte unter anderem, dass bei der Begründung auf einen internen Vermerk verwiesen werde und daher die Begründung nicht nachvollziehbar sei, dass keine europaweite Markterkundung stattgefunden habe und sie so keine Gelegenheit erhalten habe, ihre Produkte vorzustellen oder sich mit einem Angebot am Vergabeverfahren zu beteiligen sowie, dass technische Alleinstellungsmerkmale nur dann ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb erlaubten, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gäbe, hier aber eine unkritische Übernahme werblicher Behauptungen der Beigeladenen vorlägen und es nicht ersichtlich sei, dass eine eigenständige, beschaffungsseitige Auseinandersetzung, ob die Alleinstellungsmerkmale für die Forschungsvorhaben zwingend notwendig seien, durchgeführt wurde.
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Mit Schreiben vom 28.09.20222 antwortete der Antragsgegnerder Antragstellerin, dass ihren Rügen nicht abgeholfen werde, woraufhin die Antragstellerin mit Schreiben vom 06.10.2022 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB stellte.
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Die Antragstellerinträgt vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei.
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Die Antragstellerin biete ebenfalls Produkte an, welche die vom Antragsgegner aufgeführten Ansprüche erfüllen könnten und dem Antragsteller auf Nachfrage selbstverständlich hätten präsentiert werden können. Der Antragsgegner habe bereits kein ausreichendes Markterkundungsverfahren durchgeführt, die reine Information auf der Homepage der Antragstellerin reiche nicht aus, um zu ermitteln, ob die Antragstellerin ein Produkt nach dem Bedarf des Antragsgegners anbieten könne. Im Internet würden in der Regel gerade nicht alle relevanten Spezifikationen der Produkte wiedergegeben, einerseits um Geschäftsgeheimnisse zu schützen und andererseits auf Grund der Vielzahl der unterschiedlichen Spezifikationen, die in der Regel üblicherweise individuell auf die Bedürfnisse der Kunden angepasst werden. Auch auf der Website der Beigeladenen seien zudem nicht alle Anforderungen zu finden, welche der Antragsgegner als Alleinstellungsmerkmale aufgeführt habe.
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Der … der Antragstellerin könne ebenfalls 6-Zoll-Wafer auf einer Fläche von 50x50mm bedrucken und sei in der Druckgeschwindigkeit mit dem von der Beigeladenen angebotenen Produkt vergleichbar. Zudem verfüge es ebenfalls über die Fähigkeit Stufen an den Stitching-Stellen zu vermeiden, da hierfür ein einfaches System entwickelt worden sei, um Winkelabweichungen zu korrigieren und somit auf großflächigen Substraten präzise drucken zu können. Schließlich sei auch der … fähig in bestehende mikrofluidische Zellen zu drucken.
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Die Notwendigkeit der Kompatibilität des neuen Gerätes mit dem Altbestand werde vom Antragsgegner in der Ex-Post-Bekanntmachung selbst gar nicht und im Vergabevermerk nur rudimentär angesprochen. Eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bezüglich der Begründung für eine Direktvergabe sei jedoch unzulässig. Abgesehen davon sei auch in der Sache die Berufung des Antragsgegners auf notwendige Kompatibilität, etwaige finanzielle und personelle Belastungen sowie erhöhten Schulungsaufwand bei der Beschaffung eines Konkurrenzgerätes für den Beleg einer technischen Alleinstellung unzureichend. Der nachgeschobene Vortrag des Antragsgegners zur Notwendigkeit der Erweiterung des Altbestandes aus Kompatibilitätsgründen, etwaigen Fehlfunktionen sowie erhöhtem finanziellen, zeitlichem und personellem Mehraufwand bei Umstellung sei völlig unsubstantiiert.
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Die Antragstellerinbeantragt
1. gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB festzustellen, dass der zwischen dem Antragsgegner und der Firma N… GmbH & Co KG geschlossene Vertrag über die Lieferung eines … 3D Microfabrication System … unwirksam war;
2. der Antragstellerin Akteneinsicht gemäß § 165 GWB zu gewähren;
3. dem Antragsgegner die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzugeben;
4. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.
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Der Antragsgegnerbeantragt
1. den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückzuweisen;
2. die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsgegner für notwendig zu erklären;
3. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen.
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Zur Begründung trägt der Antragsgegner vor, dass der spezifische Bedarf des Antragsgegners nur durch das Produkt der Beigeladenen gedeckt werden könne. Der Bedarf sei unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Anforderungen bezüglich laufender und künftig geplanter Projekte sorgfältig ermittelt worden. Der Antragsgegner habe dabei auch funktionell vergleichbare Produkte in Betracht gezogen, die jedoch alle als ungeeignet für den spezifischen Bedarf einzustufen gewesen waren. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einschätzung, ob aus technischen Gründen kein Wettbewerb gegeben ist, sei allein der Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe, so dass die Antragstellerin nachweisen müsse, dass sie die Anforderungen zu diesem Zeitpunkt schon habe erfüllen können.
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Für den Antragsgegner sei es wichtig, mit 6-Zoll-Wafern oder 8-Zoll-Wafern arbeiten zu können, da Versuche nur dann effizient durchgeführt werden könnten, wenn gleichzeitig sechs bis acht Strukturen bearbeitbar seien. Zudem könne das Gerät der Beigeladenen mit einer sehr hohen Geschwindigkeit drucken, so dass schnell hohe Stückzahlen für Testreihen hergestellt werden könnten. Auf der Internetseite der Antragstellerin dagegen sei zum Zeitpunkt der Recherche im Mai 2022 eine deutlich geringere Druckgeschwindigkeit angegeben gewesen. Zudem sei es essentiell, dass beim Druck von weit ausgedehnten, aber gleichzeitig hoch-aufgelösten Fluidstrukturen das Stitching perfekt sei, da es ansonsten zu nicht tolerablen Fehlern komme. eine entsprechende Fähigkeit für die Geräte der Antragstellerin sei jedoch erst mit der News-Meldung vom 24.08.2022 angekündigt gewesen. Schließlich müsse der Antragsgegner bei seinen Experimenten in die tieferen Kanäle des Chips schreiben können, was einen entsprechend großen Arbeitsabstand der schreibenden Objektive voraussetzt. Diese Möglichkeit hätten die Geräte der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung nicht geboten, da jeweils eine Glasplatte zwischen Objektiv und der Schreib-Ebene sei, was den Arbeitsabstand der verwendeten Objekte erheblich reduziere und die vom Antragsgegner angedachten Experimente unmöglich machen würde.
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Der Antragsgegner betonte, dass es bei der geplanten Erweiterung des vorhandenen Geräteparks essentiell gewesen sei, dass das neue Gerät mit den bisher vorhandenen Geräten technisch kompatibel sei. Die Beigeladene verwende zur Steuerung ihrer Geräte eine eigens für diese Geräte entwickelte Programmiersprache, den sogenannten …-Code (…). Der Arbeitsablauf bei dem Antragsteller sehe dabei typischerweise so aus, dass die zu druckenden 3D-Objekte zunächst in einer separaten CAD-Software konstruiert und dann mittels der …-eignen …-Software in den eigentlichen Druckjob, den …-Code umgewandelt werden. Es sei daher möglich mit beiden bestehenden Geräten …-Codes parallel zu erzeugen und zu optimieren und anschließend die optimierten Ergebnisse zu kombinieren. Ohne diese Kompatibilität des …-Codes müssten alle Schritte seriell nacheinander an einem Gerät ausgeführt werden, was erheblich mehr Zeit erfordern würde.
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Mit Beiladungsbeschluss vom 15.11.2022 wurde die Beigeladene beigeladen. Die Beigeladene stellt keine Anträge.
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In der mündlichen Verhandlung vom 02.05.2023 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme.
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Auf Nachfrage der Vergabekammer bestätigt der Antragsgegner, dass außer Gesprächen im befreundeten Expertenkreis, einer Vorstellung des Geräts der Beigeladenen auf einer Fachmesse und einer Internetrecherche keine weiteren Anstrengungen für die Markterkundung vorgenommen worden seien. Der Antragsgegner wies darauf hin, dass es ihm nicht um die Anschaffung eines Neugerätes, sondern die Erweiterung des bestehenden Geräteparks gegangen sei. Die Markterkundung habe vordringlich dem Zweck gedient zu erkunden, ob es ein Gerät gebe, dass in das bestehende System passe. Die Vergabekammer erklärte, dass auf die Kompatibilität im Vergabevermerk nicht besonders eingegangen worden sei. Der Antragsgegner erklärt, dass der Vergabevermerk die Kompatibilität sehr wohl erwähne allerdings sei er vom Beschaffer selbst geschrieben worden und nicht von einem Anwalt. Für den Beschaffer sei offensichtlich gewesen, dass die Erweiterung in das bestehende System passen müsse. Auf die Frage der Vergabekammer, ob der Antragsgegner die Beigeladene eigens angesprochen habe, erklärte dieser, dass er bezüglich bestimmter Fragestellungen zu ihrem Gerät im schriftlichen Austausch mit der Beigeladenen stand. Die Beigeladene bestätigte dies.
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Die Antragstellerin erklärte, dass sie die Markterkundung für fehlerhaft halte, der Antragsgegner hätte sich das Produkt der Antragstellerin anschauen und Tests durchführen müssen. Erst dann hätte er mit Sicherheit sagen können, was möglich sei und was nicht. Um dem Grundsatz der Gleichbehandlung gerecht zu werden, hätte der Antragsgegner bei der Antragstellerin nachfragen müssen und sich nicht auf die Website verlassen dürfen auf der, wie in der Branche üblich, nie die neuesten technischen Entwicklungen stehen würden. Der Antragsteller hielt dem entgegen, dass er sich intensiv mit verschiedenen Geräten auseinandergesetzt habe, dass es maßgeblich aber um eine Erweiterung und nicht eine Neubeschaffung gegangen sei, so dass man sich für das erwiesen kompatible Modell entschieden habe. Aus seiner Sicht habe es zum Zeitpunkt der Beschaffung auch keinen Markt gegeben. Die Vergabekammer wies darauf hin, dass ein Verfahren ohne Wettbewerb sehr strengen Regeln unterliege und hohe Standards fordere. Im Rahmen der Markterkundung müsse erkundet werden, ob es einen Markt gebe und nicht ob ein Gerät vermeintlich besser sei. Dies sei eine Frage des Wettbewerbs. Die Vergabekammer halte die Markterkundung nicht für ausreichend, insbesondere da auch die vom Antragsgegner angeführten Alleinstellungsmerkmale nicht auf der Website der Beigeladenen einsehbar seien.
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Zum besseren Verständnis der Erläuterungen des Antragsgegners zur Notwendigkeit der Kompatibilität teilte dieser ein etwa 2.000-fach vergrößertes gedrucktes Objekt aus, das aus zwei ineinander verbauten Elementen bestand. Er erklärte, dass es bei kompatiblen Geräten möglich sei, dass verschiedene Doktoranten an der Optimierung der einzelnen Elemente gleichzeitig arbeiten könnten und das …-Programm diese einzelnen Komponenten dann problemlos zusammenfügen könnte. Außerdem verfüge der Antragsgegner bereits über eine Bibliothek an …-Programmen, die auch bei dem neuen Gerät problemlos eingesetzt werden könnten. Bei einem nicht kompatiblen Gerät müsste immer von neuem begonnen werden, da das Konvertieren, wenn überhaupt nur in eine Richtung möglich sei. Außerdem würde die Software der alten Geräte ständig weiterentwickelt und selbst wenn zum jetzigen Zeitpunkt eine Kompatibilität gegeben sei, sei diese für die Zukunft nicht gesichert. Diese Ausführungen bestätigte auch die Beigeladene und fügte hinzu, dass sie auch für die Zukunft die Kompatibilität ihrer Geräte garantieren könne.
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Der ehrenamtliche Beisitzer hat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf die Vorsitzende und den hauptamtlichen Beisitzer übertragen.
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Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
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1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
28
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
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Gegenstand der Vergabe ist ein Lieferauftrag i. S. d. § 103 Abs. 2GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 2 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert.
30
Einer Rüge der ohne vorherige Bekanntmachung erfolgten Vergabe bedurfte es gem. § 160 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht. Die Antragstellerin hat jedoch die am 06.09.2022 bekanntgemachte Auftragsvergabe am 13.09.2022 gerügt. Auch die 30-Tage-Frist des § 135 Abs. 2 S. 2 GWB ist mit dem Nachprüfungsantrag vom 26.09.2022 gewahrt.
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Die Antragstellerin ist antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB.
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§ 160 Abs. 2 GWB setzt insoweit lediglich voraus, dass das antragstellende Unternehmen eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht und darlegt, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
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Die Antragstellerin hat mit ihrem als Rüge bezeichneten Schreiben vom 13.09.2022 sowie mit der Einlegung des Nachprüfungsantrags ihr Interesse am Auftrag hinreichend bekundet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17). Voraussetzung ist insbesondere nicht, dass ein Vergabeverfahren durchgeführt wurde, an dem sich die Antragstellerin beteiligt hat. Eine Antragsbefugnis liegt vielmehr auch dann vor, wenn eine den geltenden vergaberechtlichen Bestimmungen widersprechende Auftragserteilung ohne Vergabeverfahren, also eine De-facto-Vergabe, im Raum steht und der Antragsteller geltend macht, ein Interesse an dem Auftrag gehabt zu haben. Da der Antragsgegner den Auftrag direkt an die Beigeladene vergeben hat, bestand für die Antragstellerin die Möglichkeit nicht, überhaupt ein Angebot abgeben zu können.
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Ausreichend ist, dass nach der Darstellung des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Unternehmens eine Verletzung eigener Rechte möglich erscheint. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes kann die Antragsbefugnis nämlich nur einem Unternehmen fehlen, bei dem offensichtlich eine Rechtsbeeinträchtigung nicht vorliegt (BVerfG, Beschluss vom. 29.07.2004 – 2 BvR 2248/03; BGH, Beschluss vom 10.11.2009 – X ZB 8/09). Die Antragstellerin macht geltend, dass ihr durch die vorgenommene Direktvergabe ein Schaden droht, da ihr die Möglichkeit vorenthalten wurde, selbst an dem Vergabeverfahren teilzunehmen und den Auftrag zu erhalten. Da es sich bei der Antragstellerin um ein Unternehmen handelt, das Geräte der beschafften Art herstellt, ist es auch nicht offensichtlich, dass eine Rechtsbeeinträchtigung nicht vorliegen kann und die Antragstellerin den Beschaffungsbedarf ersichtlich nicht befriedigen könnte.
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Soweit der Antragsgegner hier bezweifelt, dass die Antragstellerin zu einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung in der Lage sei, steht dies der Antragsbefugnis nicht entgegen. Aus den Darlegungen der Antragstellerin folgt schlüssig, dass sich gerade nicht ausschließen lässt, dass sie zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe ein wettbewerbsfähiges Angebot hätte abgeben können, wenn sie in ein entsprechendes wettbewerbliches Verfahren auf der Grundlage einer vergaberechtskonformen Leistungsbeschreibung einbezogen worden wäre. Im Rahmen der Antragsbefugnis ist der Vortrag der Antragstellerin als zutreffend zu unterstellen, dass sie ein wettbewerbsfähiges Angebot hätte abgeben können (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.11.2021 – 13 Verg 9/21).
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2. Der Nachprüfungsantrag istauch begründet. Eine gesetzliche Gestattung, den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zu vergeben, liegt nicht vor.
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Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist.
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Der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegner hat zur Überzeugung der Vergabekammer nicht hinreichend belegen können, dass die Beigeladene das einzige Unternehmen ist, welches die Anforderungen des Antragsgegners erfüllen kann. Zwar hat der Antragsgegner einen Vergabevermerk erstellt, der Begründungen für die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr.2 b) VgV enthält, diese lassen jedoch bereits bei einigen Funktionen nicht erkennen, welcher konkrete Beschaffungsbedarf überhaupt besteht. Darüber hinaus ist der Antragsgegner aufgrund seiner unzureichenden Markterkundung teilweise von unzutreffenden Funktionsumfängen möglicher Alternativprodukte ausgegangen. Auch konnten vom Antragsgegner erst im Nachprüfungsverfahren ausgeführten Kompatibilitätsprobleme als nachgeschobene Begründung für einen fehlenden Wettbewerb aus technischen Gründen nicht berücksichtigt werden und wären in der im Verfahren aufgeführten Darlegungstiefe auch nicht geeignet gewesen, zu belegen, dass keine vernünftigen Alternativen oder Ersatzlösungen existieren.
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Der zwischen Antragsgegner und Beigeladenen geschlossene Vertrag über die Beschaffung des 3D Microfabrication System … ist daher für unwirksam zu erklären.
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2.1. Gemäß § 119 Abs. 5 Alt. 2 i. V. m. § 14 Abs. 4 VgV kann der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 VgV vergeben. Der Antragsgegner beruft sich auf die Ausnahmevorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV. Danach ist ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Darüber hinaus gelten nach § 14 Abs. 6 VgV die Voraussetzungen des Abs. 4 Nr. 2 lit. b) für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nur dann, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.
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Die Vorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV, die Art. 32 Abs. 2 lit. b) der RL 2014/24/EU umsetzt, ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen und anzuwenden. Angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb sollten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen von Anfang an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsergebnissen führen würde, nicht zuletzt, weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Auftrag auszuführen (Erwägungsgrund 50 der RL 2014/24/EU). Der öffentliche Auftraggeber hat dabei das objektive Fehlen von Wettbewerb darzulegen und zu beweisen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017, VII-Verg 13/17). Hierbei sind stichhaltige Belege beizubringen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen ergibt (EuGH, Urteil vom 15.10.2009, C-275/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2013, VII-Verg 24/13). Die Gründe für die Wahl des Verfahrens sind ordnungsgemäß und sorgfältig sowie vor allem nachvollziehbar vom öffentlichen Auftraggeber zu dokumentieren.
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Der vom Auftraggeber zu führende Nachweis des objektiven Fehlens von Wettbewerb muss durch eine umfassende Marktanalyse auf europäischer Ebene erfolgen (EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – C-275/08). Die Anforderungen an den Umfang der von einem öffentlichen Auftraggeber in diesem Zusammenhang anzustellenden Ermittlungen bevor er ausnahmsweise auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verzichten darf, sind konsequenterweise ebenfalls hoch (VK Bund, Beschluss vom 23.10.2019 – VK 1-75/19). Die Rechtsprechung verlangt diesbezüglich „ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene“ (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2009 – Rs. C-275/08) bzw. die Beibringung „stichhaltiger Beweise“ (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17). Der 50. Erwägungsgrund der RL 2014/24/EU nennt als ein Beispiel dafür, was vom Auftraggeber dazulegen und zu beweisen ist, um zu Recht auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren zu verzichten, dass es für andere „Wirtschaftsteilnehmer technisch nahezu unmöglich ist, die geforderte Leistung zu erbringen“.
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Der Antragsgegner hat laut seines Vergabevermerks und dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung im April 2022 eine Markterkundung durchgeführt, wobei er sich bezüglich möglicher Alternativen zu dem ihm bekannten Gerät der Beigeladenen auf eine Recherche im Internet beschränkt hat. Zwar ist eine Markterkundung mittels einer Internetrecherche nicht per se unzureichend, allerdings stellen sowohl die Beigeladene als auch die Antragstellerin aus strategischen Gründen nicht alle Möglichkeiten ihrer Geräte in allen Einzelheiten frei verfügbar auf ihrer Internetpräsenz vor. Die reine Auswertung der Internetpräsenz ist für eine Markterkundung jedenfalls dann nicht ausreichend, wenn bei anderen Anbietern aus anderen Quellen gewonnene Informationen herangezogen werden. Dies gilt umso mehr, wenn es sich dem öffentlichen Auftraggeber aufdrängen muss, dass in diesem Marktsegment nicht alle Informationen frei im Internet zugänglich sind, beispielsweise wenn auch das Produkt, das letztlich als einziges technisch geeignetes Produkt eingestuft wurde, gerade die im Vergabevermerk als relevant und ausschlaggebend bezeichneten Spezifikationen ebenfalls nicht umfänglich frei auf seiner Website präsentiert. Dies hätte dem Antragsgegner bei seiner Recherche auffallen müssen, da er bei der Beigeladenen im Vorfeld schriftlich bezüglich diverser Funktionen und Möglichkeiten ihres Gerätes explizit angefragt hat und so dort spezifisch abgeklärt hat, ob das Gerät auch den Ansprüchen des Antragsgegners genügen würde. Dies hätte er im Rahmen einer ordnungsgemäßen Markterkundung auch bei anderen Herstellern tun müssen, anstatt ausschließlich die Angaben auf den Webseiten der Hersteller heranzuziehen.
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Die von dem Antragsgegner fehlerhaft durchgeführte Markterkundung ist damit bereits nicht geeignet, das Fehlen von Wettbewerb zu belegen. Der Antragsgegner hätte mindestens bei der Antragstellerin hinsichtlich der Punkte, die er in seinem Vergabevermerk als technische Alleinstellungsmerkmale des Produkts der Beigeladenen aufgeführt hat, bei der Antragstellerin ausführliche Erkundigungen einziehen müssen. Erst dann wäre er überhaupt in der Lage gewesen, beurteilungsfehlerfrei zu entscheiden, ob die Leistung nicht auch von der Antragstellerin hätte erbracht werden können.
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2.2. Auf Grund der vom Antragsgegner unzureichend durchgeführten Markterkundung hat sich dieser bereits nicht im ausreichenden Maße damit beschäftigt, ob vernünftige Alternativen oder Ersatzlösungen für seinen Beschaffungsbedarf überhaupt vorliegen. Der Antragsgegner hat es dadurch unterlassen, mindestens die Geräte der Antragstellerin als vernünftige Alternative zu ihrem Beschaffungsbedarf vorab zu prüfen.
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Führt die Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den öffentlichen Auftraggeber dazu, dass im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. a) oder b) VgV der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, greift das Korrektiv des § 14 Abs. 6 VgV ein, wonach die Voraussetzungen für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb, mithin eine Vergabe außerhalb des Wettbewerbs, nur dann gelten, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist. Die Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers unterliegt damit engeren vergaberechtlichen Grenzen als dies bei Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens der Fall ist. Eine Leistungsbestimmung, die im Falle des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, bedarf größerer Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis (nur) zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führt (OLG Rostock, Beschluss vom 25.11.2020 – 17 Verg 1/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17). Dass ein öffentlicher Auftraggeber bei einer Markterkundung im konkreten Einzelfall sodann zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt muss der öffentliche Auftraggeber hinreichend begründen können und dokumentieren (vgl. Dörn in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, VgV § 14 Rn. 66).
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Die vom Antragsgegner im Vergabevermerk aufgeführten technischen Besonderheiten rechtfertigen nicht die Feststellung, dass aus technischen Gründen kein Wettbewerb im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV vorhanden ist. Keine der genannten technischen Besonderheiten führen nachweislich dazu, dass das Gerät der Antragstellerin nicht als vernünftige Ersatzlösung oder Alternative zur Erreichung des mit der Beschaffung verfolgten Zwecks in Betracht käme.
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2.2.1. Der Antragsgegner konnte nicht darlegen, dass das von der Antragstellerin als Alternative zum Beschaffungsvorhaben des Antragsgegners aufgezeigte Gerät zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht ebenfalls dazu geeignet war 6‘‘-Wafer zu verarbeiten.
49
Bezüglich der Substratgröße führte der Antragsgegner in seinem Vergabevermerk auf Seite 4 bezüglich seines Bedarfs eine Wafergröße von mindestens 6‘‘ aus, dass die „experimentelle Testung jedes neuen Designs […] aus statistischen Gründen die Verfügbarkeit einer höheren Stückzahl an Chips pro Design [erfordert], das andererseits in bis zu fünfzig Iterationen optimiert werden muss. Die Folge ist der Bedarf an einem schnell-schreibenden System, das darüber hinaus das Erzeugen von Struktur-Arrays auf größeren Substraten erlaubt. In unseren Vorversuchen waren dies aufgrund der bisherigen Beschränkungen lediglich zwei Strukturen auf einem 4“-Wafer, was als Machbarkeitsstudie aber schon wertvolle Hinweise lieferte. Um wirklich effizient arbeiten zu können, müssen aber mindestens 6“-Wafer, besser noch 8“-Wafer für gleichzeitig sechs bis acht Strukturen verarbeitbar sein.“
50
Die Antragstellerin trug mit Schriftsatz vom 26.04.2023 vor, dass bereits Anfang des Jahres 2022 6‘‘-Wafer standartmäßig verfügbar waren und legte zum Beweis einen Lieferschein vom 23.05.2022 von ihrem Lieferanten vor. In der mündlichen Verhandlung stellte sie noch einmal klar, dass sie diese auch bis zum Rand bedrucken könne und zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung an die Beigeladene diesbezüglich ebenfalls leistungsfähig gewesen wäre. Die Vergabekammer sieht keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dieser Vortrag der Antragstellerin unzutreffend wäre. Allein aus der späteren Darstellung dieses Features auf der Internetpräsenz der Antragstellerin kann nicht geschlossen werden, dass eine frühere Verfügbarkeit nicht gegeben war.
51
Soweit der Antragsgegner darauf abstellt, dass das Gerät der Antragstellerin keine 8‘‘-Wafer verarbeiten kann, kann die Vergabekammer hierin keinen technischen Grund erkennen, der gegen einen Wettbewerb sprechen würde.
52
Die Anforderung des Antragsgegners viele Strukturen gleichzeitig drucken zu können, ist grundsätzlich nachvollziehbar, jedoch handelt es sich bei den Überlegungen des Antragsgegners, dass 8‘‘-Wafer besser wären, nicht mehr um eine Frage, ob aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist und der Bedarf des Antragsgegners überhaupt erfüllt werden kann, sondern um die Frage, ob der Bedarf des Antragsgegners dadurch besser zu erfüllen wäre. Zweckmäßigkeitsüberlegungen oder rein wirtschaftliche Vorteile im Falle der Leistungserbringung durch ein bestimmtes Unternehmen reichen dafür jedoch nicht aus (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.11.2021 – 13 Verg 9/21). Die Einschätzung des Auftraggebers, dass ein bestimmter Anbieter die Leistungen am besten erfüllen kann, genügt ebenfalls nicht um die Anwendung des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu begründen (vgl. VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.12.2022 – VK 1-4/22).
53
2.2.2. Der Antragsgegner konnte nicht darlegen, dass das Gerät der Antragstellerin seinen Bedarf hinsichtlich der Schreibgeschwindigkeit nicht decken könne und damit keine vernünftige Alternative zum Gerät der Beigeladenen darstellte, da er bereits keinen konkreten Bedarf hinsichtlich der Schreibgeschwindigkeit formuliert, geschweige denn begründet hat.
54
Zur notwendigen Druckgeschwindigkeit zur Deckung ihres Bedarfs hält der Antragsgegner im Vergabevermerk auf Seite 4 fest, dass im Rahmen der Vorversuche festgestellt wurde, „dass selbst ausgefeilte Strukturplanungen nur bedingt die konstruktionellen Erfordernisse in diesem speziellen Feld […] abbilden können. Die experimentelle Testung jedes neuen Designs erfordert aus statistischen Gründen die Verfügbarkeit einer höheren Stückzahl an Chips pro Design, das andererseits in bis zu fünfzig Iterationen optimiert werden muss. Die Folge ist der Bedarf an einem schnell-schreibenden System […]“. Eine bestimmte Druckgeschwindigkeit, welche für die Arbeit des Antragsgegners zwingend notwendig ist, wird im Vergabevermerk weder angegeben noch begründet. Der Vergabevermerk enthält lediglich auf Seite 5 noch einen Vergleich der Schreibgeschwindigkeiten für ein Linsenarray, wobei hier ein Wert auf der Homepage der Antragstellerin mit einem auf einer Fachkonferenz kürzlich vorgeführten Testdruck verglichen wird. Der Antragsgegner kommt zu dem Ergebnis, dass diese „Abschätzung des Schreibleistungsvermögens“ eine um den Faktor 30 höhere Druckgeschwindigkeit des Geräts der Beigeladenen ergibt.
55
Auch wenn die Vergabekammer den Bedarf einer hohen Druckgeschwindigkeit aus der Erläuterung im Vergabevermerk durchaus nachvollziehen kann, hat es der Antragsgegner hier versäumt, zu ermitteln und zu begründen wie dieser Bedarf konkret zu bemessen ist. Hierfür hätte der Antragsgegner eine konkrete Druckgeschwindigkeit als Mindestleistung, die für eine wirtschaftliche und vernünftige Durchführung seiner Experimente und Forschungen notwendig ist, ermitteln und angeben müssen.
56
Stattdessen hat der Antragsgegner jedoch lediglich mit unzureichend ermittelten Schreibgeschwindigkeiten eine Abwägung angestellt und festgestellt, dass das Produkt der Beigeladenen erheblich schneller drucken könne, als das der Antragstellerin. Der Antragsgegner hat hier wie bei der Substratgröße jedoch lediglich eine Zweckmäßigkeitsüberlegung angestellt, welche grundsätzlich nicht geeignet ist, einen technischen Grund für die Anwendung des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu rechtfertigen.
57
2.2.3. Der Antragsgegner konnte ebenfalls nicht darlegen, dass das Gerät der Antragstellerin seinen Bedarf hinsichtlich der Präzision beim Stitching nicht decken könne und damit keine vernünftige Alternative zum Gerät der Beigeladenen darstellte, da er bereits keinen konkreten Bedarf hinsichtlich der Präzision formuliert und zudem alternative Techniklösungen zum Patent der Beigeladenen nicht hinreichend überprüft hat.
58
Auf Seite 3 des Vergabevermerks definiert der Antragsgegner seinen Bedarf hinsichtlich der Präzision beim Stitching wie folgt: „Was also benötigt wird ist ein System, das in der Lage ist Details hochpräzise mit Submikrometer-Auflösung zu drucken und gleichzeitig diese Präzision über mehrere Zentimeter ausgedehnte Fluidikstrukturen aufrecht zu erhalten. Die Zwei-Photonen-Polymerisation bietet die geforderte Auflösung, wobei zur Erzeugung der Ausdehnung die entsprechende Anlage zusätzlich über perfekte Stitching-Fähigkeiten und Tilt-Korrekturen verfügen muss. Wie Vorversuche gezeigt haben kommt es sonst an den Versatzstellen zu Problemen. Innerhalb der Kanäle sind dies Störungen des Flusses durch sich einstellende Turbulenzen, während Fehlstellen auf den Oberflächen das Bonding der downstream erzeugten PDMS-Abgüsse zu Glas erschweren und zu Undichtigkeiten führen. Beides nicht tolerable Fehler, die die Funktionalität der Strukturen kompromittieren.“
59
Auf die Nachfragen der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung erklärten alle Beteiligten übereinstimmend, dass es noch keinen Standard dafür gäbe, welche Präzisionsanforderungen an ein Stitching gestellt würden. Es gäbe aber verschiedene Möglichkeiten die Präzision eines Stitchings zu messen, zum Beispiel unter dem Elektronenrastermikroskop. Solange es also noch keine Standards für die Präzision eines Stitchings gibt, hätte der Antragsgegner selbst definieren müssen, welche Präzisionsanforderungen er genau stellt, damit seine Forschungsarbeiten so durchgeführt werden können, wie geplant. Dies hat der Antragsgegner jedoch nicht getan, sondern hat auf Seite 5 seines Vergabevermerks ausschließlich darauf abgestellt, dass die Beigeladene zwei Patente halte, welche zusammen ein perfektes Stitching garantieren würden, was rein rechtlich von keinem weiteren Mitbewerber geboten werden könne. Der Antragsgegner hat es dabei unterlassen andere Möglichkeiten als die Patente der Beigeladenen zu berücksichtigen, die unter Umständen geeignet sind, die vom Antragsgegner gewünschte Präzision ebenfalls zu erreichen, wenn auch mit anderen technischen Lösungen. Dabei kommt es gerade nicht darauf an, ob vielleicht das Stitching der Beigeladenen auf Grund der von ihr gehaltenen Patente besser oder präziser ist, als das der Antragstellerin, da die Einschätzung des Auftraggebers, dass ein bestimmter Anbieter die Leistungen am besten erfüllen kann, gerade nicht genügt, um die Anwendung des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu begründen (vgl. VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.12.2022 – VK 1-4/22). Vielmehr ist ausschließlich darauf abzustellen, ob der Bedarf des Antragsgegners hinsichtlich der Präzision beim Stitching nur vom Gerät der Beigeladenen erfüllt werden kann. Dies kann der Antragsgegner jedoch nicht belegen. Insbesondere ist der Vortrag der Antragstellerin, dass sie mit der von ihr angebotenen technischen Lösung ebenfalls in der Lage sei, ein ausreichend perfektes Stitching zu erreichen, nicht von vornherein unplausibel. Es kann mangels hinreichender Definition der vom Antragsgegner benötigten Präzision auch gar nicht widerlegt werden.
60
2.2.4. Der Antragsgegner konnte ebenfalls nicht darlegen, dass das Gerät der Antragstellerin seinen Bedarf hinsichtlich der benötigten Objektive und Auflösungen nicht decken könne und damit keine vernünftige Alternative zum Gerät der Beigeladenen darstelle, da er nicht geprüft hat, ob sein Bedarf, in die tiefen Kanäle eines Chips schreiben zu können, auch mit anderen von der Antragstellerin angebotenen Optiken, erfüllt werden könnte.
61
Die Anforderungen an die Optik, die in die tiefen Kanäle eines Chips schreiben können muss, definiert der Antragsgegner auf Seite 4 seines Vergabevermerks folgendermaßen: „Einige der von uns angedachten Einbauten […] benötigen Auflösungen bis <100nm, die nur mit 63x oder vergleichbaren Objektiven realisiert werden können. Für eine solche direkte Integration dreidimensionaler Fluidikelemente ist das Fertigen direkt in vorbereiteten Kanälen des Chips der erfolgversprechendste Ansatz. Apparativ erfordert dies die Möglichkeit in tieferen Kanälen (ca. 350um) des Chips schreiben zu können, was einen entsprechend großen Arbeitsabstand der schreibenden Optik voraussetzt.“
62
Die Voraussetzung, dass das zu beschaffende Gerät in die tiefen Kanäle des Chips schreiben können soll ist grundsätzlich von der Bedarfsbestimmung des Antragsgegners gedeckt. Diese Anforderung hätte jedoch objektiv als funktioneller Bedarf formuliert werden müssen, so dass eine Erfüllung mittels verschiedener Methoden möglich bleibt. Der öffentliche Auftraggeber darf in der Regel nicht eine Methodik vorschreiben, wie ein bestimmtes Ergebnis realisiert werden soll, sondern muss unterschiedliche Ansätze zulassen, die zu dem gewünschten Ergebnis führen können. Dies gilt nur dann nicht, wenn der öffentliche Auftraggeber darlegen kann, dass nur diese eine Methodik seinen Bedarf erfüllen kann. Eine derartige Begründung lässt sich dem Vergabevermerk des Antragsgegners jedoch nicht entnehmen, vielmehr ist dort allein auf das Erreichen des Ziels, nämlich in die tiefen Kanäle eines Chips schreiben zu können, abgestellt.
63
2.3. Die vom Antragsgegner während des Nachprüfungsverfahrens angeführte Kompatibilitätsproblematik mit dem Altgerätebestand aus der Produktpalette der Beigeladenen ist nicht ausreichend nachgewiesen und dokumentiert, um eine Direktvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu rechtfertigen. Selbst unter Berücksichtigung der vom Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren noch vorgetragenen Begründungen würden diese zur Erbringung des Nachweises nach § 14 Abs. 6 VgV, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt, nicht ausreichen.
64
2.3.1. Die vom Antragsgegner im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens ausgeführte Kompatibilitätsproblematik mit dem Altgerätebestand aus dem Sortiment der Beigeladenen, kann nicht nachträglich als Rechtfertigung für die Wahl der Verfahrensart herangezogen werden.
65
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 8. Februar 2011 – X ZB 4/10) führt zwar nicht jeder Dokumentationsmangel dazu, dass eine Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte anzuordnen ist, weil anderenfalls der Ablauf des Vergabeverfahrens unangemessen beeinträchtigt werden könnte. Es ist vielmehr möglich, Dokumentationsmängel nachträglich zu heilen, etwa wenn der Auftraggeber die Dokumentation nachholt und dabei Gründe darlegt, mit denen er die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt und die nach Aufhebung in einem wiederholten Verfahren ohne Weiteres der Entscheidung zugrunde gelegt werden können. Dies ist allerdings dann anders zu beurteilen, wenn zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2011 – X ZB 4/10). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Auftraggeber gerade in Bereichen, in denen ihm ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zusteht im Nachprüfungsverfahren erstmals in die vertiefte sachliche Prüfung der zur Rechtfertigung angeführten Problematik eingestiegen ist und damit erst die eigentlich notwendige Dokumentation vorgenommen hat, d.h. wenn die im Nachprüfungsverfahren diskutierten Probleme im Vergabevermerk noch nicht grundsätzlich angelegt gewesen sind. Eine solche verspätet durchgeführte Prüfung liegt dann nahe, wenn der Auftraggeber wesentliche, seine Beschaffungsentscheidung beeinflussende Aspekte der ursprünglichen Dokumentation nach unzutreffend beurteilt hat (OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 – 13 Verg 13/19).
66
Der Antragsgegner hat zwar die Kompatibilität mit dem Altgerätebestand vom selben Hersteller in seinem Vergabevermerk erwähnt, dort war sie jedoch in der Ermessensabwägung neben den sonstigen aufgeführten technischen Gründen von untergeordneter Bedeutung. Auf Seite 5 des Vergabevermerks schreibt der Antragsgegner explizit: „Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass das „… der Fa. N… für uns die einzige sinnvolle Wahl darstellt. Im Vordergrund stehen dabei eindeutig die technischen Notwendigkeiten zur Bearbeitung unserer Projekte, die nur bei diesem Gerät in vollem Umfang erfüllt werden. Ein erleichterter Einstieg durch bereits geschulte Mitarbeiter und die sichergestellte Kompatibilität mit bereits erzeugten Druckstrategien (Zeit- und Geldersparnis) kommen als Vorteile noch dazu.“
67
Will sich der Antragsgegner nun nach dem Wegfall der übrigen im Vergabevermerk aufgeführten technischen Gründe auf die Kompatibilitätsproblematik als Hauptargument für einen mangelnden Wettbewerb aus technischen Gründen stützen, so erfordert dies eine neue Ermessensabwägung und Prüfung vernünftiger Alternativen und Ersatzlösungen gem. § 14 Abs. 6 VgV. Der Antragsgegner selbst hat in seinem Vergabevermerk mitgeteilt hat, dass die Kompatibilität mit den Bestandsgeräten und die Weiternutzung der bereits erzeugten Druckstrategien in …-Code, lediglich einen weiteren Vorteil neben den im Vordergrund stehenden technischen Notwendigkeiten zur Substratgröße, Druckgeschwindigkeit, Präzision beim Stitching und der Möglichkeit in die tiefen Kanäle des Chips schreiben zu können darstellt. Da eine Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) GWB i.V.m. § 14 Abs. 6 GWB so nicht auf diese Punkte gestützt werden kann (siehe 2.2), muss eine vollständig neue Beurteilung der Sachlage durch den Antragsgegner erfolgen. Der Antragsgegner muss damit erstmals eine sachlich vertiefte Prüfung der Kompatibilitätsproblematik durchführen und dokumentieren, was er nicht im laufenden Vergabenachprüfungsverfahren nach bereits erteiltem Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen nachholen kann. Um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten, ist es geboten den bereits geschlossenen Vertrag für nichtig zu erklären, da ansonsten zu befürchten stünde, dass der Antragsgegner nicht ergebnisoffen an die Abwägung herangeht, sondern bestrebt ist, den bereits erteilten Zuschlag zu verteidigen.
68
2.3.2. Darüber hinaus wäre der Vortrag des Antragsgegners zur Notwendigkeit der Erweiterung des Altbestandes aus Kompatibilitätsgründen, etwaigen Fehlfunktionen sowie erhöhtem finanziellen, zeitlichem und personellem Mehraufwand bei Umstellung auch dann nicht hinreichend substantiiert, um die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) GWB i.V.m § 14 Abs. 6 GWB zu begründen, wenn man die im Nachprüfungsverfahren nachträglich vorgebrachten Punkte berücksichtigen würde.
69
Es ist nicht ausreichend, wenn ein öffentlicher Auftraggeber das Vorhandensein von technischen Gründen für die Rechtfertigung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) GWB lediglich behauptet. Er muss vielmehr das Vorliegen dieser Gründe substantiiert darlegen und nachweisen (vgl. EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – C-275/08). Eine Leistungsbestimmung, die im Falle des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, bedarf einer wesentlich größeren Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führen würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17).
70
Der Antragsgegner hat seinen Vortrag dahingegen jedoch sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung nur vage darauf gestützt, dass es für eine unbestimmte Anzahl künftiger Forschungsprojekte unerlässlich sei, dass auf Grund der Kompatibilität der Bestandsgeräte mit dem neuen Gerät der Beigeladenen parallel an einem Forschungsprojekt gearbeitet werden könne und die auf einem der Geräte erzielten Ergebnisse direkt auf den anderen Geräten weiterverwendet werden könnten. Der Antragsgegner hat hierzu weder ausgeführt, wie viele Projekte und wie umfangreiche Projekte derzeit geplant sind, die von dieser parallelen Arbeit profitieren könnten noch hat er sich dazu geäußert, ob derzeit bereits an den beiden vorhandenen Altgeräten ein paralleles Arbeiten praktiziert wird und sich als effizient erwiesen hat. Es ist dem Vortrag des Antragsgegners damit nicht zu entnehmen, in welchem zeitlichen Umfang die Forschungsarbeiten von einem parallelen Arbeiten profitieren könnten sowie ob und warum dieser zeitliche Vorsprung als so gravierend eingestuft wird, dass ein Gerät eines anderen Herstellers ob der fehlenden Kompatibilität für paralleles Arbeiten keine vernünftige Alternative im Sinne des § 14 Abs. 6 VgV mehr darstellt.
71
3. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Antragsgegner.
72
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
73
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Gründe für eine Ermäßigung der Gebühr sind nicht ersichtlich, insbesondere waren alle üblichen Verfahrensschritte durchzuführen, so dass für die Gebührenfestsetzung von einem durchschnittlich aufwändigen Verfahren auszugehen ist.
74
Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskrafterstattet.
75
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
76
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da die Antragstellerin als mittelständisches Unternehmen nicht über eine eigene, auf das Vergaberecht spezialisierte Rechtsabteilung verfügt und daher auf eine vertiefte rechtliche Begleitung im Nachprüfungsverfahren durch einen Anwalt angewiesen war. Die im Nachprüfungsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen waren jedenfalls hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit b) VgV komplex und selbst von einem Bieter, der in europaweiten Ausschreibungen mit hoher wirtschaftlicher Bedeutung bewandert ist, nicht ohne anwaltliche Beratung zu bewältigen.
77
Auch wenn die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen der Beigeladenen entscheiden.
78
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Die Beigeladenehat sich zwar durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag aktiv am Verfahren beteiligt, jedoch auf Seiten des unterliegenden Antragsgegners. Etwaige Kosten für ihre zweckentsprechende Rechtsverteidigung hat die Beigeladene daher selbst zu tragen.