Titel:
Kosten des Beschwerdeverfahrens, Beherbergungsvertrag, Gewährung von Prozesskostenhilfe, Verwaltungsgerichte, Sofortige Beschwerde, Verwaltungsrechtsweg, Zulassung der Rechtsbeschwerde, Rechtsbeschwerdezulassung, Rechtsbeschwerdegericht, Rechtsbeschwerdeverfahren, Abtretung, Zurückweisung der Beschwerde, Bürgerliche Rechtsstreitigkeit, Privatwirtschaftlichkeit, Auflösende Bedingung, Klagepartei, Streitgegenständliche Forderung, Anspruchsgrundlage, Klagerücknahme, Privatrechtliche Forderung
Schlagworte:
Beherbergungsvertrag, Abtretung, Zivilrechtsweg, Verwaltungsrechtsweg, sofortige Beschwerde, Prozesskostenhilfe, Rechtsbeschwerde
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 03.03.2023 – 30 O 2145/22
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Berichtigungsbeschluss vom 15.05.2023 – 38 W 440/23 e
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 12.11.2024 – VIII ZB 36/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56390
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 03.03.2023, Az. 30 O 2145/22, abgeändert:
Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet.
2. Der Antrag des Beklagten vom 10.04.2023 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
4. Die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung zu Ziffern 1 und 3 wird zugelassen.
5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Beschwerdeverfahren wird auf € 272,76 festgesetzt.
Gründe
1
Die Landeshauptstadt M., vertreten durch das Kassen- und Steueramt, macht aus abgetretenem Recht Ansprüche aus Beherbergungsverträgen gegen den Beklagten geltend. Die Gesamtforderung beläuft sich nach einer Klagerücknahme noch auf € 363,68. Sie trägt vor, dass der Beklagte mit unterschiedlichen Beherbergungsunternehmen Beherberbungsverträge geschlossen habe. Die Entgeltansprüche seien jeweils vorab an sie abgetreten worden. Zwar habe sie den Beklagten zur Abwendung einer Obdachlosigkeit an die jeweiligen Beherbungsunternehmen vermittelt und gegenüber diesen auch für die Bezahlung des Beherbergungsentgelts eingestanden. Der Zahlungsanspruch sei aber zivilrechtlich zu qualifizieren. Die Abtretung ändere daran nichts. Mithin sei der Zivilrechtsweg eröffnet.
2
Der Beklagte trägt vor, dass die von der Klagepartei im Rahmen der Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen aus Art. 57 Abs. 1 GO i.V.m. Art. 6, 7 BayLStVG gewählte zivilrechtliche Gestaltung eine Umgehung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 14.04.2021 – 12 N 20.2529, Juris; Anlage B1; Urteil vom 16.05.2018 – 12 N 18.9, Juris; Anlage B5) darstelle. Durch die zivilrechtliche Einkleidung versuche die Klagepartei nunmehr, angeblich an sie abgetretene Beherbergungsentgelte in einer Höhe zu vereinnahmen, die der Verwaltungsgerichtshof nicht gebilligt habe. Das gesamte Rechtsverhältnis sei daher als öffentlich-rechtlich einzuordnen. Mithin sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
3
Nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 26.06.2021 und Verweisung an das Landgericht München I hat dieses mit Beschluss vom 03.03.2023 (Bl. 181) der Argumentation des Beklagten folgend festgestellt, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten unzulässig sei und den Rechtsstreit von Amts wegen an das Verwaltungsgericht München verwiesen.
4
Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klagepartei vom 21.03.2023 (Bl. 184). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde wird erbeten.
5
Der Beklagte beantragt,
die sofortige Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen sowie dem Beklagten Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu gewähren. Im Falle der Zurückweisung der Beschwerde ohne Zulassung der Rechtsbeschwerde könne der Antrag allerdings als gegenstandslos betrachtet werden (Schriftsatz vom 10.04.2023 S. 1-2 = Bl. 227 f.).
6
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet. Entgegen der Einschätzung des Landgerichts ist der Zivilrechtsweg vorliegend eröffnet.
7
1. Vor die ordentlichen Gerichte gehören die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie die Strafsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder auf Grund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind (§ 13 GVG). Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Falle der Überleitung von privatrechtlichen Forderungen auf einen öffentlich-rechtlichen Hoheitsträger bleiben die Forderungen zivilrechtlicher Natur und sind vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 9. 7. 1965 – VII C 23/65, VerwRspr 1966, 870 mwN).
8
2. Die von der Klagepartei geltend gemachten Forderungen waren vor der Abtretung zweifellos zivilrechtlicher Natur. Denn es wird vorgetragen, dass der Beklagte mit den jeweiligen Beherbergungsbetrieben eine vertragliche Vereinbarung, einen entgeltlichen Beherbergungsvertrag, geschlossen habe. Durch die behauptete Abtretung ändert sich diese Einordnung nicht. Aufgrund der Doppelrelevanz im Rahmen der Rechtswegbestimmung kommt es dabei nicht entscheidend darauf an, ob diese behaupteten Verträge schriftlich, mündlich oder konkludent geschlossen worden sind und ob die behaupteten vertraglichen Forderungen tatsächlich wirksam entstanden, abgetreten und noch durchsetzbar sind.
9
Hierauf könnte es allenfalls im Rahmen der Fallgruppe „missbräuchliches Erschleichen des Zivilrechtsweges“ ankommen, wenn also die Klagepartei zu diesem Zwecke offensichtlich nicht bestehende zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen vorschöbe (vgl. BeckOK VwGO/Reimer, 65. Ed. 1.1.2023, VwGO § 40 Rn. 44.3), obwohl sie ihrem Klagebegehren aufgrund des zugrundeliegenden Lebenssachverhalts auch auf der Grundlage öffentlich-rechtlich einzuordnender Anspruchsgrundlagen zum Durchbruch verhelfen könnte. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Denn die Klägerin hat den Beklagten zur Abwendung von dessen Obdachlosigkeit nicht in einer selbst betriebenen Einrichtung untergebracht und im Anschluss hieran zweifellos als öffentlich-rechtlich einzuordnende Benutzungsgebühren gefordert, sondern sich die im Rahmen einer vermittelten Unterbringung in privat betriebenen Einrichtungen angeblich entstandenen privat-wirtschaftlich vereinbarten Entgelte abtreten lassen. Insoweit ist ergänzend festzustellen, dass es in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt ist, dass eine Gemeinde öffentliche Zwecke auch mit den Mitteln des Privatrechts wahrnehmen darf, wenn sie ihr zur Befriedigung eines rechtmäßigen öffentlichen Interesses am besten geeignet erscheinen und keine öffentlich-rechtlichen Normen und Rechtsgrundsätze entgegenstehen (BGH, Urteil vom 07-02-1985 – III ZR 179/83, NJW 1985, 1892, 1893 mwN).
10
Aufgrund der über diesen Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Fragestellung ist die Rechtsbeschwerde insoweit zuzulassen (§ 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG).
11
Der Antrag des Beklagten vom 10.04.2023 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist zurückzuweisen. Er ist unzulässig, weil er unter einer auflösenden Bedingung (Zurückweisung der Beschwerde ohne Zulassung der Rechtsbeschwerde) gestellt worden ist. Als Prozesshandlung ist der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe aber grundsätzlich bedingungsfeindlich (Anders in Anders/Gehle, ZPO, 81. Auflage 2023, Vorbemerkung zu den §§ 128-703d, Rn. 62). Ausnahmen bilden zulässige innerprozessuale Bedingungen. Eine solche liegt aber nicht vor. Ob über den Antrag zu entscheiden ist oder nicht, kann erst nach Vorliegen der Entscheidung über die Beschwerde beurteilt werden. Mit Entscheidung des Senats, dass die sofortige Beschwerde Erfolg oder keinen Erfolg hat und ob die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist oder nicht, ist das Beschwerdeverfahren aber in dieser Instanz beendet. Für eine Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein beendetes Beschwerdeverfahren besteht dann aber kein Raum mehr. Denn nach Abschluss der Instanz kann grundsätzlich keine Prozesskostenhilfe mehr bewilligt werden. Nach Beendigung der Instanz ist ein Erfolg versprechende Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mehr möglich (BeckOK ZPO/Reichling, 48. Ed. 1.3.2023, ZPO § 119 Rn. 7 mwN). Das eventuell intendierte Abstellen auf eine Absicht des Senats, so oder so zu entscheiden, stellt ebenfalls keine zulässige innerprozessuale Bedingung dar.
12
In Bezug auf ein mögliches Rechtsbeschwerdeverfahren liegt kein Antrag vor. Hierüber müsste dann auch das Rechtsbeschwerdegericht befinden.
13
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Beschwerdeverfahren ist, den Ausführungen der anwaltlichen Vertreterin des Beklagten (Schriftsatz vom 10.04.2023 S. 31 = Bl. 226) folgend, auf 75 Prozent der noch streitgegenständlichen Forderung in Höhe von € 363,68, also € 272,76 festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG).
14
Das Landgericht wird im nunmehr wieder anhängigem Verfahren auch Gelegenheit haben, über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die erste Instanz vom 11.04.2022 (Bl. 50) zu befinden.