Titel:
Beiladung, Zustimmung der Gesellschafterversammlung, Selbstständige Tätigkeit, Anstellungsvertrag, Abhängige Beschäftigung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Gesellschafter-Geschäftsführer, Widerspruchsbescheid, Gesellschafterbeschluss, Streitbefangenheit, Gesamtwürdigung, Abhängiges Beschäftigungsverhältnis, Sozialgesetzbuch, Geschäftsführeranstellungsvertrag, Abberufung als Geschäftsführer, Vertragsverhältnisse, Arbeitsförderung, Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, Versicherungspflicht, Gesamtsozialversicherungsbeitrag
Schlagworte:
Beschäftigungsverhältnis, Selbstständigkeit, Abhängige Beschäftigung, Gesamtabwägung, Sozialversicherungspflicht, Geschäftsführerstellung
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 24.09.2024 – L 7 BA 104/23
BSG Kassel, Beschluss vom 07.04.2025 – B 12 BA 34/24 B
Fundstelle:
BeckRS 2023, 56382
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 04.04.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2023 wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zur Zahlung von Beiträgen zur Arbeitslosen- und gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage einer nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durchgeführten Betriebsprüfung in Höhe von 17.072,79 € aufgrund der Einstufung des Beigeladenen als abhängig Beschäftigten Gesellschafter-Geschäftsführer im Prüfzeitraum vom 01.01.2017 bis 31.12.2020.
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Die in der Rechtsform einer GmbH tätige Klägerin ist im Bereich der Konzeptionierung von Versicherungsprodukten und damit einhergehend als Maklerin von Kranken-, Rechtsschutz- und weiteren gewerblichen und privaten Sachversicherungen tätig. Die Tätigkeit in diesem Geschäftsbereich ist nur mit einer entsprechenden lizenzierten Erlaubnis möglich. Persönlicher und alleiniger Lizenzinhaber in der GmbH ist der Beigeladene. Eine entsprechende Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 Gewerbeordnung liegt vor. Die GmbH verfügt über ein Stammkapital von 25.500,00 €, von dem der Beigeladene 1/3 und seine Ehefrau 2/3 hält. In der Satzung der GmbH vom 14.10.2004 findet sich keine Regelung zur Frage, mit welcher Mehrheit Gesellschafterbeschlüsse zu fassen sind. Als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer ist der Beigeladene bestellt. Dieser haftet zudem für Verbindlichkeiten der Klägerin aufgrund einer Bürgschaft, die sich derzeit auf ca. 300.000,00 € beläuft. Der Beigeladene ist daneben Geschäftsführer einer weiteren GmbH, der Vermögensverwaltung K-GmbH. An dieser ist er als Mehrheitsgesellschafter zu 2/3 beteiligt, das restliche Drittel an der weiteren GmbH hält seine Ehefrau.
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Der am 15.01.2005 bzw. am 16.05.2008 geänderte, zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen abgeschlossene „Anstellungsvertrag“ sieht unter anderem vor, dass das Anstellungsverhältnis jederzeit vom Geschäftsführer gekündigt werden kann. Im Falle der Kündigung durch den Geschäftsführer und – wenn die Gesellschafterversammlung keinen geeigneten Ersatz sofort berufen kann –, verpflichtet sich dieser, seine Tätigkeit für die Gesellschaft noch maximal 24 Monate aufrechtzuerhalten. Wenn der Anstellungsvertrag vom Geschäftsführer gekündigt wird und die Gesellschafterversammlung einen Ersatz bestellt, ist das Anstellungsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet. Eine Kündigung von Seiten der Gesellschaft oder der Gesellschafterversammlung ist nur aus wichtigem Grund möglich und der Fortbestand der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft muss gewahrt bleiben (§ 1). Der Beigeladene ist zudem von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit (§ 3), ist alleine geschäftsführungs- und vertretungsberechtigt, unterliegt nicht der Weisung der Gesellschafterversammlung, hat jedoch die satzungsmäßigen Vereinbarungen zu beachten und ist nicht an bestimmte Arbeitszeiten oder einen bestimmten Arbeitsort gebunden (§ 2). § 4 sieht vor, dass der Geschäftsführer die vorherige Zustimmung der Gesellschaftersammlung einholt, wenn in der Satzung Handlungen unter Vorbehalt der Gesellschaftsversammlung vereinbart wurden. Bezüglich der Vergütung ist vorgesehen, dass er ein Gehalt erhalten kann. Dies wird im Rahmen einer Gesellschafterversammlung beschlossen werden und dann gegebenenfalls als Festgehalt jeweils am Monatsende ausbezahlt. Neben einem monatlichen Festgehalt kann eine 13. und 14. Zahlung als sogenannte Weihnachts- und Urlaubsgratifikation im Rahmen einer Gesellschafterversammlung ebenfalls vereinbart werden, wobei ein Anspruch auf Gehalt nicht besteht (§ 6). Nach dem Anstellungsvertrag kann dem Geschäftsführer ein zusätzlicher Anspruch auf eine gewinnabhängige Tantieme zugesprochen werden, wobei die konkreten Vereinbarungen im Rahmen der Gesellschafterversammlung vereinbart werden und ein Anspruch hierauf jedoch nicht besteht (§ 7). Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder auf Urlaub besteht nicht (§§ 8 f.).
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Aufgrund jeweils gesonderten Beschlusses der Gesellschafterversammlung (vgl. § 6 des Anstellungsvertrages) erhielt der Beigeladene in der Vergangenheit ein monatliches Festgehalt welches der Höhe nach schwankte. Teilweise wurde ihm eine 13. Monatsgehalt gewährt. Im streitbefangenen Zeitraum belief sich die monatliche Bruttovergütung zunächst auf 500,00 € (bis 31.03.2018), später auf 2.500,00 € (ab dem 01.04.2018). Ein 13. Monatsgehalt wurde jeweils nicht bezahlt. Ab dem 01.04.2018 bestand zudem Anspruch auf betriebliche Altersvorsorge. Zum 01.10.2019 wurde die monatliche Bruttovergütung wieder auf 500,00 € herabgesetzt und zum 01.10.2021 auf 0,00 €. Eine betriebliche Altersvorsorge wurde ab dem 01.10.2019 nicht mehr gewährt.
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Unter Berücksichtigung dieser vertraglichen Regelungen wurde und wird das Vertragsverhältnis in tatsächlicher Hinsicht dergestalt gelebt, als dass der Beigeladene in Bezug auf Arbeitszeit und -ort sowie im Hinblick auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens selbstbestimmt entscheidet.
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Nach Durchführung einer Betriebsprüfung bei der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.12.2020 erließ die Beklagte – nach vorheriger Anhörung – am 04.04.2023 einen Bescheid und forderte Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von 17.072,79 € nach. Der Beigeladene sei im Prüfzeitraum zum Geschäftsführer bestellt. Er verfüge in der Gesellschafterversammlung über 33,33% der Stimmen. Eine umfassende Sperrminorität liege nicht vor. Kraft seines Anteils könne er somit keinen maßgebenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben. Darüber hinaus bestehe ein Anstellungsvertrag. Der Beigeladene sei nach diesem zwar nicht weisungsgebunden, er unterliege aber den satzungsmäßigen Vereinbarungen bzw. den Beschlüssen der Gesellschafterversammlung. Zudem sei im streitbefangenen Zeitraum ein monatliches Gehalt in unterschiedlicher Höhe gezahlt worden. Gegen das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung spreche zwar, dass der Beigeladene alleine geschäftsführungs- und vertretungsberechtigt ist, dass er als einziger über die vorgeschriebene Lizenzierung verfügt, die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB sowie der Ausschluss von Lohnfortzahlung im Krankheits- und Urlaubsfall. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit maßgebenden Tatsachen überwiegen jedoch die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung maßgebend auf die Ausgestaltung der Entscheidungsfindung in der Gesellschaft ankomme. Der Beigeladene könne als Minderheits-Gesellschafter keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen. Der Umstand, dass der Beigeladene mit Bürgschaften hafte, dass die wirtschaftlichen Betriebsgrundlagen in seinen Händen lägen und dass er frei ohne Arbeitszeitregelungen arbeite, spreche weder für noch gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis.
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Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2023 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass die Beklagte trotz der erforderlichen Gesamtwürdigung der zur Beurteilung der Tätigkeit maßgeblichen Tatsachen auf die satzungsgemäße Ausgestaltung der Entscheidungsfindung in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht abstelle. Der Beigeladene sei zudem von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Dieser verfüge auch als Einziger über die erforderliche Erlaubnis bzw. die entsprechende Lizenz, so dass die Klägerin vom Beigeladenen abhängig sei und nicht umgekehrt. Ebenfalls enthalte der Anstellungsvertrag keine arbeitnehmertypischen Regelungen, es sei sogar die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bei Urlaub ausgeschlossen. Es handele sich bei den vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fällen um andere Fallkonstellationen, nachdem dort echte Geschäftsführer-Anstellungsverträge vorgelegen hätten. Zudem sei vorliegend die Lohnzahlung ausschließlich auf Empfehlung des damaligen Steuerberaters hin erfolgt und das wirtschaftliche und unternehmerische Risiko sei vor dem Hintergrund der Höhe der übernommenen Bürgschaften signifikant. Ferner lägen sämtliche wirtschaftliche Betriebsgrundlagen in den Händen des Beigeladenen.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 04.04.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2023 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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Der Beigeladene stellt keine Anträge.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungs- und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, denn die Beklagte hat zu Recht Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosen- und Rentenversicherung für den Beigeladenen geltend gemacht.
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Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 1 SBG IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a) mindestens alle vier Jahre. Sie erlassen gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 SBG IV im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungspflicht (und Beitragspflicht) in der Renten- und Arbeitslosenversicherung (vgl. § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI –, § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – SGB III –). Nachdem der Beigeladene aufgrund seiner Tätigkeit bei der Vermögensverwaltung K-GmbH als Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer hauptberuflich selbstständig tätig ist und daher in der gesetzlichen Kranken- und dem folgend auch in der gesetzlichen Pflegeversicherung versicherungsfrei (§ 5 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V –, § 20 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – SGB XI –) ist, ist vorliegend noch über die Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung zu befinden.
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Ausgangspunkt hierfür ist das Vorliegen einer Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführungen umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2013 – B 12 KR 17/11 R – juris Rn. 23 m.w.N.). Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, das heißt den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 23.05.2017 – B 12 KR 9/16 R – juris Rn. 24).
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Ob eine Beschäftigung vorliegt ergibt sich zunächst aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder es sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 28.05.2008 – B 12 KR 13/07 R – juris Rn. 17).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen und unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles überwiegen vorliegend die typusbildenden Merkmale die für das Vorliegen einer abhängigen und damit dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sprechen. Ausgangspunkt der Prüfung sind zunächst die im geänderten Anstellungsvertrag vom 16.05.2008 getroffenen Regelungen. So hat der Beigeladene die satzungsgemäßen Vereinbarungen zu beachten (§ 2 Abs. 2) und die vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen, sofern in der Satzung Handlungen unter Vorbehalt der Gesellschafterversammlung vereinbart wurden (§ 4). Der Vertrag sieht zudem vor, dass der Beigeladene für seine Tätigkeit ein Gehalt erhalten kann, das von der Gesellschafterversammlung beschlossen wird (§ 5), wovon – jedenfalls soweit der streitbefangene Zeitraum betroffen ist – auch überwiegend Gebrauch gemacht wurde. Der Anstellungsvertrag enthält jedoch auch Merkmale, die gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen. So hat der Beigeladene keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 8). Ebenfalls besteht kein Anspruch auf Urlaub an sich (§ 9).
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Der Umstand, dass der Beigeladene ausweislich der Regelung des § 2 Abs. 3 des Anstellungsvertrages nicht an bestimmte Arbeitszeiten oder bestimmte Örtlichkeiten gebunden ist (was tatsächlich auch so gelebt wird), ist ein Merkmal, welches für eine selbstständige Tätigkeit spricht. Dieses Merkmal fällt allerdings im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung lediglich begrenzt ins Gewicht, denn gerade vor dem Hintergrund moderner und flexibler Arbeitszeitmodelle ist dies nicht untypisch für Arbeitsverträge und gerade auch bei Tätigkeiten höherer Art – wie vorliegend die eines Geschäftsführers – üblich (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.10.2017 – L 8 R 288/17 – juris Rn. 146).
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Darüber hinaus spricht auch die gesellschaftsvertragliche Fallkonstellation maßgeblich gegen eine selbstständige Tätigkeit des Beigeladenen. Dieser besitzt keine im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht, die ihn in die Lage versetzt, eine Einflussnahme auf seine Tätigkeit, insbesondere ihm unter Umständen unangenehme Weisungen jederzeit zu verhindern. Denn der Beigeladene hat lediglich Anteile in Höhe von 33,33 v.H. des Stammkapitals. Nachdem in der Satzung keine Regelungen für Gesellschafterbeschlüsse vorgesehen ist, greift die gesetzliche Regelung des § 47 GmbH-Gesetz (GmbHG), insbesondere dort die Absätze 1 und 2, wonach die von den Gesellschaftern in den Angelegenheiten der Gesellschaft zu treffenden Bestimmungen durch Beschlussfassung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen erfolgen (Abs. 1). Jeder Euro eines Geschäftsanteils gewährt eine Stimme (Abs. 2). Im Ergebnis ist eine einfache Mehrheit der Stimmen für einen Beschluss erforderlich. Der Beigeladene hat damit nicht die Rechtsmacht – sei es in Form eines Anteils von mindestens vom 50 v.H. oder in Form einer umfassenden Sperrminorität (vgl. dazu zuletzt BSG, Urteile vom 19.09.2019 – B 12 R 25/18 R – juris Rn. 15 f., vom 28.06.2022 – B 12 R 4/20 R – juris Rn. 18 und vom 01.02.2022 – B 12 KR 37/19 R – juris Rn. 13) –, ihm unangenehme Weisungen (§ 37 Abs. 1 GmbHG) oder sogar im Streitfall seine Abberufung als Geschäftsführer – unabhängig von schuldvertraglichen Bindungen – zu verhindern (§ 38 Abs. 1 GmbHG). Diese fehlende gesellschaftsvertragliche Rechtsmacht spricht daher maßgeblich gegen eine selbstständige Tätigkeit. An dieser Eingliederung in den Betrieb der Klägerin ändert auch der Umstand nichts, dass der Beigeladene – wie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert – faktisch ohne Einmischungen seiner Ehefrau als weitere Gesellschafterin den Betrieb leitet, dessen strategische Ausrichtung alleine bestimmt und alleine das entsprechende Fachwissen sowie die Lizenzierung hat. Abgesehen davon, dass die Klägerin im Streitfall jederzeit eine Person mit einer entsprechenden Lizenzierung – zumindest theoretisch – einstellen könnte, gilt es zu beachten, dass das derzeitige „friedliche“ Verhalten der beteiligten Gesellschafter untereinander nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung mangels Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht maßgeblich ist, nachdem der Beigeladene im Streitfall ihm unangenehme Weisungen der Gesellschafterversammlung und seine Abberufung – wie vorstehend ausgeführt – nicht verhindern kann (vgl. BSG, Urteile vom 19.09.2019, a.a.O., m.w.N. und vom 01.02.2022, a.a.O., Rn. 21; vgl. auch BSG, Urteil vom 29.07.2015 – B 12 R 1/15 R – juris Rn. 22 ff. m.w.N.).
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Merkmale, die für eine selbständige Tätigkeit des Beigeladenen sprechen, sind nicht in dem Maße gegeben, als dass diese im Rahmen der Gesamtwürdigung mit der besonderen Gewichtung der fehlenden gesellschaftvertraglichen Rechtsmacht zu einem Überwiegen gegenüber den Merkmalen einer abhängigen Beschäftigung führen würden. Wie bereits ausgeführt spricht zum einen die freie Zeiteinteilung für eine selbstständige Tätigkeit, wenn auch aufgrund der bereits dargestellten Gründe in eher geringem Umfang. Gleiches – also für eine selbstständige Tätigkeit, wenn auch mit weniger Gewichtung – gilt bezüglich der Befreiung des Beigeladenen von den Beschränkungen des § 181 BGB (§ 3 des Anstellungsvertrages), denn diese Befreiung räumt dem Beigeladenen lediglich eine weitreichende Vertretungsbefugnis ein und bedingt noch keine selbstständige Tätigkeit (vgl. BSG, Urteile vom 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R – juris Rn. 24 m.w.N und vom 19.09.2019, Rn. 17, a.a.O.). Zum anderen spricht für eine selbstständige Tätigkeit der Umstand, dass der Beigeladene für Verbindlichkeiten der Antragstellerin mit seinem Privatvermögen in nicht unerheblicher Höhe haftet. Haftungsrechtliche Gegebenheiten kommt jedoch nicht ein solches Gewicht zu, als dass diese geeignet wären, ein Überwiegen der Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit gegenüber denen einer abhängigen Beschäftigung – insbesondere vor dem Hintergrund der fehlenden gesellschaftsvertraglichen Rechtsmacht – zu rechtfertigen (vgl. dazu: BSG, Urteile vom 19.09.2019, a.a.O., Rn. 16 und vom 28.06.2022, a.a.O., Rn. 20 f. m.w.N.).
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Zusammenfassend sprechen daher nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr Gesichtspunkte für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung als dagegen. Der Bescheid der Beklagten vom 04.04.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2023 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klage war daher abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).